Seewölfe - Piraten der Weltmeere 260

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Flatternde Geräusche erklangen, etwas wurde mit unvorstellbarer Wucht übers Deck weiter nach achtern geweht. Dann heulte wieder laut und mißtönend der Chamsin, als freue er sich über sein Zerstörungswerk.
Unwillkürlich zogen sie das Genick ein, und wieder wurde die Hoffnungslosigkeit ihnen drastisch vor Augen geführt. Sie waren machtlos und konnten nur hoffen, nicht im Sand zu ersticken, der das Schiff immer weiter unter sich begrub.
Ferris Tucker begann mit der Arbeit, unverzüglich, wie es seiner Art entsprach und die Zeit es forderte. Die ersten Axtschläge donnerten an das Schott, und Ferris hieb zu, verbissen, und er wurde das lausige Gefühl nicht los, als schlüge er mit jedem Hieb in seinen eigenen Körper.
Nachdem eine Planke zerschlagen war, sägte der rothaarige Schiffszimmermann ein Loch in das Schott, gerade groß genug, daß sich ein Mann hindurchzwängen konnte.
Damit war der Weg zum Laderaum frei. Es gab auch noch einen anderen Weg um von vorn nach achtern zu gelangen, und der führte am Kielschwein vorbei, war aber so eng, daß es nur die Zwillinge mit ihren akrobatischen Fähigkeiten schafften.
Im Laderaum, wo die unermeßlichen Reichtümer und Schätze lagen, befand sich ebenfalls eine dünne Schicht Sand. Der Teufel mochte wissen, wie er eingedrungen war, aber er war da, und es wurde unmerklich immer mehr.
Ferris zwängte sich hindurch und stand inmitten all der Kostbarkeiten, die sie angehäuft hatten. Truhen voller Perlen, Silber- und Goldbarren, Schmuck, Ringe, Halsketten und Statuen. Da lagen, sorgfältig verstaut, ägyptische Kanopen, goldene Mastabas und Kleinodien aus den Gräbern, vom goldenen falkenköpfigen Gott Horus bis zur Goldstatue der Göttin Isis. Gold- und Silbermünzen waren sogar in Fässer gefüllt und versiegelt worden. Ganze Truhen mit Edelsteinen und kostbarem Schmuck waren festgezurrt.
Und über allem lag eine feine besitzergreifende Schicht Sand.
Carberry war seinem Freund gefolgt, und hinter ihnen erschien Dan O’Flynn, der in das Halbdämmer blickte und den Kopf schüttelte.
„Ein Hohn ist das“, sagte er. „Eine Sache zum Totlachen, wenn sie nicht so verflucht ernst wäre. Mit diesen Reichtümern hätten wir Englands Seemacht gestärkt und uns eine absolute Vormachtstellung schaffen können. Stellt euch nur mal vor, wie viele Schiffe von diesem Zeug gebaut werden könnten. Und jetzt versandet es, das Gold, das Silber, die Perlen und die Edelsteine.“
Der Profos nickte und spie in den feinen Staub.
„Zum Kotzen ist das. Wir können uns fast getrost zu den reichsten Männern der Welt zählen, und wir hocken auf goldenen Eiern, aber wir können nichts damit anfangen, gar nichts. Nicht einmal einen Schluck Wasser kriegen wir hier dafür. Wir würden im Gold schwimmen und verdursten und verhungern. Da seht ihr mal am besten, was so ein Scheißzeug wert ist. Plunder, nichts als Plunder, und der zählt nur unter Menschen. Ist man allein, dann kann man mit dem Mist nichts mehr anfangen. Das ist schon eine verrückte Welt.“
„Und wenn man mal den Arsch zukneift“, setzte Ferris hinzu, „dannn läßt man den ganzen Krempel hier und kann auch nichts mitnehmen. Und die anderen schlagen sich wegen dieses Zeugs gegenseitig tot.“
Hinter ihnen zwängte sich noch jemand durch den schmalen Einlaß. Der alte Segelmacher Will Thorne leuchtete mit einer Lampe hinein und blickte ebenfalls auf die Schätze.
Sehr sinnend war sein Blick auf die Fässer gerichtet, von denen er wußte, daß sie Gold- und Silberstücke enthielten. Dann wanderte er weiter zu den Truhen mit Perlen.
„Es ist traurig“, sagte er, „aber wahrscheinlich unumgänglich, daß wir unser schönes Schiff, das uns so viele Jahre Heimat und Zuhause war, verlassen müssen. Aber Gott hat es so gewollt, und so müssen wir uns fügen. Der Profos hat eben einen passenden Satz gesagt, daß das Gold und Geld nur unter Leuten zählt und man allein damit nichts anfangen kann. Das ist richtig, und das hat mich gerade auf eine Idee gebracht.“
Er blickte den Profos an und lächelte. Wenn Thorne eine Idee hatte, so überlegte Ed, dann war es immer eine gute, denn mit halben Sachen rückte der Segelmacher erst gar nicht heraus, dann schwieg er lieber.
„Würdest du mir mal deinen Gürtel geben, Profos?“ fragte er.
Carberry war über diese Forderung zwar verwundert, fragte aber nicht weiter und nickte nur. Dann fummelte er an der breiten Metallschnalle herum, hakte sie auf und überreichte Thorne den Gürtel, der seine Hosen hielt. Sie hielten auch ohne, denn Will hatte die Hosen der Seewölfe alle selbst geschneidert, meist aus grobem strapazierfähigem Leinen, aber in die Gürtel konnte man Messer, Pistolen und alles Mögliche stecken, außerdem waren sie Zierrat.
Thorne drehte unter den verwunderten Blicken von Ed, Ferris und Dan den breiten Gürtel herum und schüttelte darin den Kopf.
„Nein, für den Zweck taugen sie nicht“, sagte er, „sie sind nicht geschmeidig genug. Ich werde neue anfertigen.“
„Wenn hier alles aus ist, können wir uns an den Dingern schon noch aufhängen“, meinte Ed. „Dazu brauchen wir keine neuen.“
Thorne ging wieder zurück, lächelte und setzte sich auf die Bank. Dort erläuterte er in seiner beim Sprechen etwas ausführlichen und umständlichen Art, was er vorhatte.
„Es ist so, Sir“, sagte er an den Seewolf gewandt. „Wenn wir das Schiff verlassen müssen, dann steht uns ein endlos langer Weg bevor, denn wir wollen ja nach England.“
„Das ist richtig, Will.“
„Wir brauchen aber Geld, Gold und Perlen für unterwegs, Sir. Das erleichtert uns das Durchschlagen beträchtlich. Stecken wir das nun einfach in die Taschen, dann kann es auf alle nur möglichen Arten leicht verlorengehen, gestohlen werden oder sonstwie abhanden kommen. Es behindert einen, und es wirkt anziehend auf Spitzbuben, wenn es klimpert.“
„Das ist auch richtig, Will. Was hast du vor?“
„Ich werde neue Gürtel für alle Männer nähen, geschmeidige Gürtel mit kleinen Verstecken und unsichtbaren Taschen, aus denen nichts verlorengeht. Lederzeug haben wir genügend an Bord in der Last, es würde hier nur verschimmeln. Ich nähe also doppelte Gürtel mit vielen kleinen Fächern, und wenn die jeder Mann mit Perlen, Geld- und Goldstücken vollstopft, so fällt das zum einen nicht auf, aber jeder ist unabhängig geworden, und kann sich notfalls das kaufen, was er braucht. Niemand braucht darben, denn es besteht ja die Möglichkeit, daß wir getrennt werden – wie auch immer. Und da kann man ganz schnell ins Elend geraten.“
„Mann, Will“, sagte Hasard, „das ist eine prächtige Idee. Das ist ein guter brauchbarer Vorschlag. Bill und die Zwillinge werden dir dabei helfen. Genauso werden wir es tun.“
Will Thorne ließ sich nicht mehr abhalten, er setzte seinen Vorschlag auch sogleich in die Tat um, denn es war wirklich keine Zeit mehr zu verlieren.
Ferris sägte ein weiteres Stück aus dem nächsten Schott und schuf eine Verbindung senkrecht durch das Deck des Laderaumes bis zur Kombüse. Shane, Gary Andrews, Smoky und Dan halfen dabei, und jeder versuchte, etwas Nützliches zu tun, solange der Chamsin sein grausiges Lied sang, der Totengräber, der die stolze ranke Galeone der Seewölfe begrub.
Aber noch schlug er nicht endgültig zu. Er ließ die Männer noch zappeln, neue Hoffnung schöpfen, denn so plötzlich wie er losgelegt hatte, hörte er auch wieder auf, zu schmirgeln.
Aber sie alle fühlten es überdeutlich, daß er nur eine Atempause eingelegt hatte, eine kurze Rast, um neue Kräfte zu sammeln. Dann würde er wieder erbarmungslos zuschlagen.
„Es hat aufgehört“, sagte Hasard. „Sehen wir nach, was an Deck passiert ist.“
Das Schott ließ sich nur schwer öffnen, denn wieder einmal lag ein aufgeschütteter Hügel aus hellem Sand davor. Ein letzter glühender Stoß fauchte in den Raum und fuhr den Männern stechend und glühendheiß in die Gesichter.
Als das Schott aufgeschoben wurde, rutschte der Berg wie eine Walze aus Sand weiter und verteilte sich über das ohnehin fast zugewehte Deck.
„Verdammter Mist“, sagte Hasard, und seine schlechte Laune kehrte wieder zurück. „Das wird ja immer schlimmer.“
Mit dem Stiefel trat er wütend in die Sandmassen, daß sie hoch auf stoben.
Die Männer drängten an Deck. Anfangs keines Wortes mächtig, sahen sie sich still und mit entsetzten Augen um.
Es war ein Anblick von einmaliger Trostlosigkeit.
Von Horizont zu Horizont dehnte sich eine Sandwüste aus, die nur von den gelblichen aufragenden Bergen unterbrochen wurde. Zerklüftete Felsen, tagtäglich von glühender Sonne beschienen und vom Sand nackt und kahl gerieben. Hier stand nicht eine einzige Palme, und nur weit achteraus am Kanal des Todes gab es einen kleinen Grünstreifen, den jetzt ebenfalls der Sand bedeckt hatte.
Das war es aber nicht, was sie so entsetzte.
Die „Isabella“ sah aus, als hätten hundert Sklaven hundert Tage lang pausenlos Sand über das Schiff gehäuft. Feinkörniger, hellgelber Flugsand, der sich überall eingenistet hatte, der yardhoch auf den Decks lag, der das Ruderhaus teilweise zugeweht hatte und sich in der Kuhl noch höher anhäufte. Schanzkleid und Ufer waren, von der Kuhl aus gesehen, fast eins.
Zwei der aufgegeiten Segel fehlten völlig. Von einem dritten hing nur noch ein Streifen herunter.
Die „Isabella“ hatte sich jedoch nicht weiter geneigt. Vom Bug und vom Achterdeck führten Rampen aus Sand direkt in die Wüste. Es war nur noch eine Frage von ganz kurzer Zeit, wann das Schiff endgültig in sein heißes Grab sank.
Achteraus schimmerte immer noch ein wenig Wasser in dem Kanal. Rasul mußte den günstigsten Zeitpunkt abgepaßt haben, den es nur gab, dachte Hasard schaudernd.
„Sollen wir schaufeln, Sir?“ fragte Batuti. „Wenn schnell und alle viel schaufeln, Sand wieder weg in ein Tag.“
Hasards Blick war ausdruckslos in die Ferne gerichtet. Ganz langsam schüttelte er dann den Kopf.
„Nein“, sagte er mit fremd klingender Stimme. „Wir schaufeln nicht mehr, es hat keinen Zweck. Es wäre eine Arbeit ohne Ende, und wir verlieren nur den Wettlauf gegen die Zeit. Wir werden etwas anderes tun.“
Er hatte über die Schulter ins Nichts hinein gesprochen, jetzt drehte er sich um, und die Männer glaubten zu sehen, daß der Blick seiner eisblauen Augen nicht mehr so klar war wie früher. Die Sorge um seine Männer fraß innerlich an ihm. Die Sorge um das Schiff hatte er schon fast abgeschrieben, denn darum brauchte sich keiner mehr zu sorgen. Darum sorgte sich nur noch der Chamsin, der mit verbissener Hartnäckigkeit das Grab schaufelte.
„Shane und Ed“, sagte Hasard. „Ihr beide werdet die Aufgabe übernehmen, zu jenen Bergen zu gehen. Erkundet sie nach Verstecken, nehmt euch aber Proviant und Wasser mit, falls euch der Sandsturm überrascht. Erkundet die Berge nach Höhlen, Kavernen oder Spalten.“
„Damit wir uns darin verbergen können, falls es die Lady nicht mehr gibt“, sagte Ed. „Ich verstehe.“
„Nicht aus diesem Grund“, sagte Hasard.
„Sondern?“
„Wir werden dort die Schätze hinbringen, und diese Knochenarbeit werden wir mit Freuden übernehmen, damit sich dieser Bastard Rasul nicht mehr daran bereichern kann, wenn wir das Schiff aufgegeben haben.“
„Wenn er uns aus der Ferne beobachtet, wird er es wissen, Sir, und dann buddelt er in den Bergen weiter.“
„Aber Ed“, sagte der Seewolf vorwurfsvoll. „Wie will er denn in den Bergen graben, wenn wir Sie mit ein paar Tonnen Schießpulver in die Luft jagen? Sagtest du etwas, Mister Carberry?“
„Es – es hat mir glatt die Sprache verschlagen“, stammelte der Profos. „Die Berge in die Luft sprengen! Das ist vielleicht ein Ding. Das wird sozusagen unsere Rache an dem Bastard Rasul.“
„Sozusagen ja. Kein einziger Silberling soll diesem Hund in die Hände fallen, dafür werden wir sorgen.“
„Ein phantastischer Gedanke“, sagte auch Big Old Shane. „Den Knall wird man bis zum ersten Katarakt hören.“
„Mit dem Knall verabschieden wir uns von Ägypten“, sagte der Seewolf. „Der übertönt vielleicht die Erinnerung an sehr schlimme Stunden.“
„Wir ziehen gleich los“, sagte der Profos, „jetzt und sofort!“
Vom Kutscher ließen sie sich etwas Proviant einpacken, ein paar harte Zwiebacks, etwas gedörrtes Fleisch und zwei Lederschläuche voll Wasser, die sie in Luxor erworben hatten und die sich als sehr praktisch erwiesen.
Aus dem Schiff drang immer noch Hämmern und Klopfen. Ferris Tukker war dabei, Gänge zu schaffen, damit man jeden Raum erreichen konnte, ohne bei einem Sandsturm an Deck gehen zu müssen. Diese Arbeit nahm ihn etliche Stunden in Anspruch, und als er damit fertig war, wartete schon die nächste auf ihn.
Zunächst aber zogen Big Old Shane und der Profos los, um die Felsen zu erkunden. Etwa achthundert Yards durch heiße trockene Wüste lagen vor ihnen, dort begannen die ersten Ausläufer der kahlen Felsenkette.
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