Seewölfe - Piraten der Weltmeere 289

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Also wartete man ab, was weiter geschah und wie sich der jetzt waffenlose Seewolf verhielt.
Hasard sah an den Gesichtern, daß es seine Männer mächtig juckte, die letzte Strecke zurückzulegen und sich auf die Halunken zu stürzen, doch sie waren auch so vernünftig, diesen Gedanken nicht mehr weiter zu verfolgen, denn er hatte keine Aussicht auf Erfolg.
Er ahnte bereits, welche Forderung Grammont jetzt stellen würde, denn das lag auf der Hand.
„Und jetzt“, sagte Grammont auch prompt, „wirst du deinen Kerlen auf den Schiffen und in den Booten den Befehl geben, ebenfalls zu kapitulieren, und zwar bedingungslos. Keine einzige Bedingung wird hier gestellt. Ich lasse dir drei Minuten Bedenkzeit. Aber das nur, weil ich heute einen besonders großmütigen Tag habe. Falls eins der beiden Schiffe es wagt, den Verband vor der Bucht anzugreifen oder auch nur das Feuer eröffnet, dann – schhht …“
Eine herrische Handbewegung folgte, die deutlich zeigte, wie Grammont dann vorgehen würde.
Daß Grammont den sieben- oder achtfachen Mord nicht scheute, war dem Seewolf klar. Vor der Bucht lagen sechs Schiffe, zwei vor Anker, während die anderen kreuzten. Am Strand gab es so viele Kerle, daß er sich nicht die geringste Chance ausrechnen konnte. Wie viele noch unsichtbar in den Felsen steckten, ließ sich nicht einmal abschätzen oder vermuten. Es konnten noch mal einige Dutzend sein.
Drei Minuten Bedenkzeit. Seit langer Zeit stand der Seewolf wieder einmal vor einer Entscheidung, die ihm ins Herz schnitt. Aber eigentlich gab es gar keine Entscheidung mehr zu treffen. Die Würfel waren längst gefallen.
Das Leben seiner Männer ging vor, das war oberstes Gebot. Allerdings blieb die Frage offen, ob Grammont sein Wort hielt, denn auf das Wort eines Piraten gab Hasard nicht viel. Dennoch, er mußte es riskieren.
Ein letzter Blick zu den Leuten im Boot. Sie hockten da mit leeren Gesichtern, Jack Finnegan, sein Freund Paddy Rogers, der schmalbrüstige Kutscher, Smoky, der düster an den Strand blickte, und all die anderen.
Und diejenigen, die im Sand lagen, waren von wüsten Kerlen umringt, die nur auf ein Wort ihres Anführers warteten. Dabei war Easton Terry noch einer der schlimmsten, der den Säbel immer noch zum Schlag bereit in der Hand hielt.
Es war kälter geworden. Jetzt, als die Sonne hinter einer Wolkenbank verschwand, wehte auch wieder ein leichter kühler Wind. Der nahende Winter ließ sich nicht mehr leugnen.
Hasard nickte und drehte sich um. Die Männer im Boot hatten mitgekriegt, welche Bedingungen Grammont stellte, und auch sie wollten ihre Kameraden am Strand keiner unnötigen Gefahr aussetzen.
„Pullt wieder zurück!“ sagte der Seewolf müde, doch die schneidende Stimme Grammonts durchschnitt die Stille.
„Das könnte euch so passen! Ihr kehrt an den Strand zurück, aber sofort. Ihr wolltet doch unbedingt an Land. Befiehl deinen Halunken, daß sie hier anlegen und sich ergeben, Killigrew. Und vergiß nicht, daß meine Worte kein leeres Geschwätz sind.“
„Verdammt! Kann der Kerl sich nicht endlich entschließen!“ brüllte Easton Terry voller Wut. „Der will wohl erst einen Kopf im Sand rollen sehen.“
Er unterstrich seine Worte mit einer noch kraftvolleren ausholenden Bewegung und schlug den schweren Säbel direkt neben Roger Brightons Kopf in den Sand. Eine Wolke aus feinen Körnern stob hoch. Roger zuckte zusammen, als die Säbelklinge haarscharf an ihm vorbeipfiff.
Da gab Hasard auf, endgültig, resignierend und geschlagen. Sein Gesicht war kantig, der unterdrückte Ärger ließ ihn hart schlucken.
„Pullt an Land!“ befahl er. „Ihr habt gehört, was diese Halunken wollen.“
Murren war die Antwort. Die Blikke der Seewölfe richteten sich auf Grammont und Terry, und wenn diese Blicke hätten töten können, dann lägen beide Männer jetzt tot im Sand.
„Ihr verdammten Rübenschweine!“ brüllte Carberry. Er wollte sich aufrichten, doch die Degenspitze zwang ihn hilflos wieder zurück. „Ihr werdet mich noch von meiner ganz üblen Seite kennenlernen“, versprach er düster, „so wahr ich Edwin Carberry heiße.“
„Wenn der Narbenkerl noch einmal das Maul aufreißt“, sagte Yves Grammont, „dann gib ihm eins drauf, aber anständig.“
Mit ein paar Handbewegungen dirigierte Grammont seine Piratenhorde an den Strand, damit sie die Boote empfangen konnten. Hasard stand mittlerweile scharf bewacht und eingekeilt da und konnte sich kaum bewegen. Pistolen und Tromblons waren auf ihn gerichtet, und jeder der Kerle schien nur auf eine Geste des Seewolfs zu warten.
„Dort rüber an die Wand!“ sagte Grammont scharf, als Smoky als erster das Boot verließ. „Ich warne euch noch einmal: Jeder, der auch nur versucht, sich zur Wehr zu setzen, ist ein toter Mann. Ihr stellt euch so hin, daß der Abstand zwischen euch mindestens zwei Armlängen beträgt.“
Smoky ging mit verbissenem Gesicht an ihm vorbei und nahm an der Felswand Aufstellung.
„Du hast nur im Moment gewonnen“, verkündete er. „Noch hast du uns nicht besiegt.“
„Zahnlose Köter“, erwiderte Grammont höhnisch, „können nur noch laut kläffen, aber nicht mehr beißen.“
Mit einem Ruck zog er Smoky die Pistole aus dem Hosenbund und gab sie an einen anderen Kerl weiter, der sie grinsend in Empfang nahm. Auch das Entermesser nahmen sie ihm ab.
Jack Finnegan war der nächste, der entwaffnet wurde. Dann folgte Paddy Rogers, dann der Kutscher, der eine kleine Kiste mit sich schleppte.
Jeder mußte an die Wand, die Beine spreizen und sich dann anlehnen. Und jeder einzelne wurde von etlichen Kerlen bewacht.
Als Hasard einmal hochblickte, sah er weiter oben zwischen den Felsen ebenfalls Kerle lauern, die ihre Musketen nach unten gerichtet hatten.
Nein, entschied er, hier war wirklich jeder Widerstand zwecklos. Noch waren sie nicht erledigt, denn noch lebten sie. Und sie hatten sich schon aus ganz anderen verteufelten Situationen herausgewunden. Vielleicht hatten sie auch diesmal Glück, und es bot sich ihnen irgendwann einmal eine kleine Chance.
„Du auch an die Wand, Killigrew!“ befahl Easton Terry dem Seewolf. „Mit dir haben wir noch etwas Besonderes vor.“
„Ich dachte, Grammont gibt hier die Befehle“, sagte Hasard lässig. „Du bist doch nur ein kleiner Verräter, der sich auf die andere Seite geschlagen hat.“
Grammont blickte aus schmalen Augen herüber. Sein Mund war verkniffen, aber er sagte nichts. Hasard sah ihm jedoch deutlich an, daß es ihm nicht paßte, wie Terry hier das große Wort schwang.
Easton Terry zitterte vor unterdrückter Wut. Es sah aus, als wollte er sich mit einem brüllenden Schrei auf Hasard stürzen. Als Yves Grammont jedoch nähertrat, blieb er untätig stehen. Nur seine Augen sprühten voller Haß und Rachsucht.
Grammont ging weiter, blickte die entwaffneten Seewölfe an und lächelte wieder. Mit der linken Hand schob er vorsichtig die Augenbinde etwas höher. Dann legte er den Kopf in den Nacken und blickte zu den Felsen hoch.
„Ihr da oben! Gebt den Schiffen Signal, damit sie die beiden anderen durchsuchen. Und ihr“, wandte er sich an zwei andere, „werdet mich hinüberpullen. Paßt gut auf die Gefangenen auf. Ich lasse jedem den Kopf abschlagen, wenn etwas passiert.“
„Ich übernehme die Verantwortung“, sagte Easton Terry.
Grammont blickte ihn kurz an, dann nickte er.
Im selben Augenblick ertönte Smokys verächtlich klingende Stimme: „Einem Verräter würde ich nicht über den Weg trauen.“
Terry lief rot an und wollte sich auf den Decksältesten der Seewölfe stürzen. Grammonts kühler Blick bewirkte jedoch, daß er die Arme sinken ließ.
Bevor der Anführer der Piraten zum Wasser hinunterging, um eins der Boote zu besteigen, wandte er sich noch einmal an den Kutscher, der mit erhobenen Händen am Felsen stand.
„Was ist in der Kiste drin?“
„Salbe, Verbandszeug, Knochensägen und Medizin“, erklärte er frostig.
„Den Kasten öffnen!“ befahl Grammont.
Ein roher Fußtritt von einem der Piraten ließ die Holzkiste fast auseinanderfliegen. Der Inhalt bestand tatsächlich aus Verbandszeug, Salben und anderen Instrumenten, wie der Kutscher gesagt hatte.
Grammont durchstöberte alles noch einmal, denn er traute den Seewölfen jede List zu. Als er nichts entdeckte, wandte er sich schulterzukkend ab und ging zum Wasser hinunter.
„Kann ich die Verwundeten versorgen?“ fragte der schmalbrüstige Kutscher Easton Terry. „Le Testu ist verletzt und blutet, und der andere Mann ebenfalls.
„Gar nichts wirst du“, erwiderte Terry scharf. „Hier gebe ich die Befehle. Alles bleibt so, wie es ist. Keiner rührt sich.“
Der Kutscher blickte den Verräter, der sie alle ans Messer geliefert hatte, unerschrocken an.
„Daß du ein heimtückischer Verräter bist, das wissen hier alle. Aber du bist auch ein Schwein, Easton Terry, und wenn einer der Männer verblutet, dann geht das auf deine Rechnung. Vielleicht wird sich das Blatt einmal wenden, und dann gnade dir Gott. Du hast keinen Kaperbrief mehr, du bist nichts weiter als ein lausiger, hinterhältiger Pirat. In England wird man dich an den nächsten Baum hängen, du bist …“
Terry war mit zwei Schritten heran. Er holte aus und schlug dem Kutscher die Faust ins Gesicht. Der Koch und Feldscher der ehemaligen „Isabella VIII“. taumelte zurück und spuckte vor Terry in den Sand. Aus seinem rechten Mundwinkel lief ein dünner Blutfaden.
Terry wußte, daß er nichts mehr zu verlieren hatte. Nur bei Yves Grammont konnte er noch aufsteigen. Alle anderen Wege waren ihm längst verbaut. Und in England wartete der Henker auf ihn. Dieser Killigrew hatte ihn wie eine räudige Ratte behandelt, und jetzt hatte er keinen Kaperbrief mehr und auch kein Schiff. Daß er die Männer für klingende Münze an den Spanier do Velho verkauft und verschachert hatte, nahm er nicht weiter tragisch. Als sich ihm diese einmalige Gelegenheit bot, hatte er bedenkenlos zugegriffen. Und augenblicklich war er der Sieger. Er glaubte auch nicht, daß sich das Blatt noch einmal wenden würde.
Nach dem Schlag, den der Kutscher verächtlich eingesteckt hatte, drehte Ferris Tucker den Kopf zur Seite. In seinen Augen lag ein Ausdruck, der Terry hart schlucken ließ.
„Eines Tages“, sagte der Schiffszimmermann, „eines Tages rechnen wir ab, und du kriegst alles zurückgezahlt, alles. Und es wird ein verflucht höllischer Tag für dich werden, du Judas.“
Terry blickte sich um. Er gab keine Antwort. Aber er sah in harte gnadenlose Gesichter, die ihn erschauern ließen. Teufel blickten ihn an, dachte er, Teufel, die die Hölle ausgespien hatte, und die selbst noch als Besiegte zu fürchten waren.
Verdammt, in Killigrews eisblauen Augen las er sein Todesurteil. Nein, er mußte alles tun, damit sich das Blatt nicht wendete, denn er wollte nicht schmählich am Galgen hängen, von Straßenräubern gefleddert und von Krähen umflogen, die nach seinen Augen hackten.
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