Seewölfe - Piraten der Weltmeere 625

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Das tat er dann auch, und er saß kaum auf den Planken, als sein Kopf auch schon zur Seite fiel. Die Welt um ihn herum versank in tiefem Schweigen.
2.
In der Kombüse nölte Mac Pellew herum und ging dem Kutscher mal wieder mächtig auf den Geist.
Die Hitze war trotz offenen Schotts unerträglich. Von den Herden stiegen Schwaden von unerträglicher Hitze auf, die mit dem bloßen Auge sichtbar waren. Den beiden Männern lief der Schweiß in Strömen über die Gesichter.
Mac stieg übelgelaunt an Deck, schnappte sich eine Pütz, hievte Wasser auf und goß es sich mit einem wilden Ruck über den Körper.
Das gefiel ihm so sehr, daß er die Prozedur noch einmal wiederholte und wohlig „Ahh“ und „Ohh“ stöhnte. Ha, das brachte Kühlung!
Bevor er wieder ins Reich des Lukullus zurückkehrte, warf er einen flüchtigen Blick in die Runde.
„Typisch“, sagte er sauer, als er die schlafenden Gestalten sah. „Da schuftet unsereiner, bis ihm die Seele zum Achtersteven raushängt, und diese Kerle pennen ungerührt und lauern nur darauf, daß sie was in ihre Futterluken kriegen. Aber das wird sich bald ändern“, drohte er, „daß Mac den Hampelmann spielt. Ihr müden Knochen werdet auch mal kochen lernen. Und dann steht Mac am Ruder und läßt sich frischen Wind um die Ohren wehen. Das verspreche ich euch, ihr abgelaichten Schnarchgurken.“
Sprach’s – und verzog sich nach einem weiteren, recht sauren Blick wieder in die Kombüse.
Der Kutscher rührte gerade in einem großen Kessel, als Mac triefend wie ein Wassermann erschien.
„Das ist vielleicht ein Mistladen!“ zeterte er los. „Die Kerle haben alle klar bei Backbordauge gemacht und dösen. Jeder hat das Maul aufgesperrt, als sollten wir ihnen was reinstecken. Ich weigere mich in Zukunft ganz entschieden, für diese faulen Rabauken auch nur noch eine Hand zu rühren. Seh ich gar nicht ein, seh ich das.“
„Jaja, weigere dich nur“, meinte der Kutscher nach einem müden Seitenblick. „Wenn es an Deck wieder kalt ist, grinst du dir eins, weil du dann im Warmen hockst, während den anderen Eisbärte wachsen. Die ganze Angelegenheit ist im Prinzip schon recht ausgeglichen.“
„Das seh ich aber anders“, ereiferte sich Mac Pellew. „Wenn ein paar Kerle dösen, ist das ja alles recht und schön. Aber wenn gleich alle pennen und überhaupt keiner mehr aufpaßt, dann ist das sehr bedenklich. Sollen wir uns vielleicht auch noch darum kümmern, daß der alte Schlorren nicht abtreibt? Nicht mal ein Anker ist gesetzt.“
„Muß ja auch nicht sein“, sagte der Kutscher, „weil wir sowieso auf Schiet sitzen. Wir können gar nicht abtreiben.“
„Aber einmal sind wir von dem Schiet auch wieder runter, und dann treiben wir gleich auf den nächsten Schlickhaufen und sitzen wieder fest, weil alle die Klüsen dicht haben.“
Der Kutscher grinste still vor sich hin, während Mac sich mit hochrotem Kopf aufplusterte und gegen Gott und die Welt wetterte. Mäckileinchen war so richtig in seinem Element.
Der Kutscher hörte kaum noch zu, denn es war ja doch immer das gleiche.
„Wenn Hasard die dösenden Banausen sieht, ist aber was los“, ereiferte sich Mac weiter. Er brabbelte oft vor sich hin während der Arbeit.
Der Kutscher wandte ganz langsam den Kopf und sah Mac von der Seite her plötzlich sehr aufmerksam an.
„Sagtest du alle?“
„Alle“, bekräftigte Mac. „Und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle. Eine Schande ist das, jawohl! Nicht einer hat es nötig, mal die Nüstern zu blähen oder nach sonstwas zu peilen.“
„Das gibt es nicht.“
„Gibt es doch. Du kannst dich ja selbst davon überzeugen.“
Der Kutscher warf den großen Hölzlöffel auf die Back, rieb sich die Hände an der Schürze ab und ging an Deck.
Die Luft war wie eine Mauer. Man konnte sie fast mit dem Messer schneiden, so dick schien sie zu sein. Und heiß war es hier oben fast genauso wie in der stickigen Kombüse. Unten war es nur noch schlimmer – wegen des Herdfeuers. Aber dennoch war die Luft in der Kombüse fast besser. So schien es ihm jedenfalls.
Ein eigentümlicher Geruch drang ihm in die Nase. Irgendwie, so überlegte er, roch es nach angefaulten Eiern und Verwesung, als lägen überall Leichen herum. Er zog angewidert die Nase hoch.
Dann betrachtete er ausgiebig die Männer. Ein paar Arwenacks lagen hingestreckt an Deck wie tot.
Bill lag auf dem Rücken und hatte die Arme ausgestreckt. Neben ihm lehnte Pete Ballie am Schanzkleid und schlief. Blacky, Paddy Rogers, Stenmark und Big Old Shane schliefen, und all die anderen auch. Sogar Dan O’Flynn hatte sich auf dem Achterdeck niedergelassen.
Der Kutscher kniff die Augen zusammen. Er hatte das Gefühl, sich auf einem Geisterschiff zu befinden, wo die Toten herumlagen, die erst nach einem bestimmten Zauberwort wieder erwachten.
Ihm wurde immer mulmiger zumute. Das hier ging nicht mehr mit rechten Dingen zu.
„Mac!“ rief er unterdrückt. Dann wiederholte er den Namen noch einmal laut und brüllend.
Von den Schläfern rührte sich keiner. Niemand hatte sein Geschrei vernommen. Keine Reaktion war zu bemerken.
Mac Pellew erschien am Schott und blickte ihn unwillig an. Er schien üble Laune zu haben.
„Tritt den Kerlen selber in den Hintern“, riet er, doch dann sah er das besorgte Gesicht des Kutschers. Er holte tief Luft und gähnte.
„Hoffentlich bist du bald hier“, sagte der Kutscher. „Es ist etwas passiert, oder siehst du das nicht?“
„Ich sehe nur pennende Kerle.“
Der Kutscher näherte sich Blacky und stieß ihn an.
„He, wach auf!“ brüllte er.
Blacky rührte sich nicht. Der Kutscher wurde ganz kribbelig, griff nach seinem Kopf und zog das Augenlid hoch.
Er sah nur das Weiße.
„Mein Gott“, sagte er leise und sog mit angewidertem Gesicht die Luft ein. „Es muß mit diesem fürchterlichen Geruch zusammenhängen. Versuche es mal bei den anderen.“
Mac Pellew sah sich unbehaglich um. Dann blickte er zum Kutscher, und danach ging ihm offenbar ein Licht auf.
„Meinst du wirklich?“ fragte er lahm. „Aber was kann das sein?“
„Weiß ich nicht, verdammt! Geh unter Deck und sieh dir die anderen an, auch Hasard. Ich glaube, wir müssen hier so schnell wie möglich verschwinden, sonst erwischt es uns auch. Sehr lange dürfen wir uns nicht in dieser Bucht aufhalten.“
Mac Pellew schluckte und nahm die Beine in die Hand. Er beeilte sich wirklich und kehrte gleich darauf wieder verstört zurück.
„Überall das gleiche“, sagte er heiser. „Hasard sitzt vor seinem Pult und schläft. Die anderen torfen ebenfalls.“
„Sie werden sich zu Tode schlafen“, sagte der Kutscher und unterdrückte nur mühsam ein Gähnen. „Hier scheint irgendwo eine gasförmige Substanz auszuströmen – wie damals unter dem riesigen Baum, wo auch alle immer müder wurden und sich beinahe vergiftet hätten.“
„Aber was sollen wir denn tun?“ fragte Mac entsetzt. „Ich bin jetzt schon so müde, daß ich kaum noch stehen kann.“
„Ab in die Jolle“, sagte der Kutscher. „Los, beeile dich! Wir pullen aus der Bucht aufs Meer hinaus.“
„Und die anderen?“
„Wir beide sind die einzigen, die von dem Zeug noch nicht viel abgekriegt haben. Aber es dauert nicht mehr lange, dann erwischt es uns ebenfalls. Wir brauchen unbedingt frische Luft. Danach sehen wir weiter.“ Er mußte schon wieder gähnen.
„Geh du. Ich bleibe hier und passe auf.“ Diesmal riß Mac Pellew das Maul wie ein Scheunentor auf. Er war hundemüde.
Aber da kannte er den Kutscher schlecht. Dem fielen zwar auch fast die Klüsen zu, doch er überwand sein Schlafbedürfnis mit unglaublich zäher Energie. Bevor Mac es sich versah, griff ihm der Kutscher ins Genick und schob ihn vorwärts. Der Griff war so hart, daß Mac folgen mußte.
„Ab in die Jolle, habe ich gesagt. Und wenn du nicht gleich wie ein junger Bock springst, dann hänge ich dir das Kreuz aus.“
Sie enterten ab, daß es so aussah, als verließen sie voller Panik das Schiff. Das war ja auch der Fall.
Der Geruch wurde noch penetranter und unangenehmer. Dem Kutscher und Mac wurde fast übel, als sie zu den Riemen griffen. Ihre Mägen drehten sich um. Mac sah aus, als wollte er die Fische füttern.
„Schneller“, sagte der Kutscher und trieb Mac an, dem der Schweiß erneut in Bächen über das Gesicht rann. „Wir sind noch lange nicht aus der Gefahrenzone heraus. Wenn wir beide uns nicht ganz schnell vorerst in Sicherheit bringen, dann ist es um uns alle geschehen.“
Sie pullten stöhnend, keuchend und schwitzend.
Kaum hatten sie die Lagune verlassen, da erfaßte sie ein zartes, warmes Lüftchen. Der stechende Geruch verschwand. Die Luft ließ sich wieder einwandfrei atmen. Nur so etwas wie ein süßlicher Duft nach Vanille lag noch über allem, doch auch der verschwand langsam.
Mac wollte den Riemen sinken lassen, doch ein eisenharter Blick des Kutschers spornte ihn sofort wieder an, und er pullte verbissen weiter, bis sie etwa eine Viertelmeile hinter sich gebracht hatten.
Der Kutscher schöpfte Wasser und kühlte sein Gesicht. Dann beugte er sich über das Dollbord und hielt den Kopf ins Wasser. Mac Pellew tat es ihm nach.
„So, wir haben das Schlimmste hinter uns. Jetzt können wir in Ruhe überlegen. Wir atmen jetzt tief durch, und dann denken wir darüber nach, wie wir das Schiff und unsere Leute aus der Bucht kriegen.“
„Ist es wirklich so schlimm?“ Mac warf einen scheuen Blick in die Bucht, wo die Schebecke mit den zahlreichen Schläfern lag. An Bord rührte sich überhaupt nichts.
„Es muß ein Schwefelgas oder so etwas sein“, sagte der Kutscher. „Man atmet es ein, wird müde und beginnt zu schlafen. Wenn das Zeug sehr konzentriert ist, dämmert man auf ewig hinüber und nippelt ab, ohne es zu merken. Das Zeug ist äußerst gefährlich.“
„Aber uns ist doch nichts passiert.“
„Das lag vermutlich daran, daß in der Kombüse ständig die Luft durcheinandergewirbelt wurde.“
„Woher stammt das Zeug?“
Der Kutscher schöpfte wieder Wasser, nahm einen Schluck in den Mund, spülte damit und spie es über Bord.
„Ja, das ist so eine Sache, Mac. Wir haben so etwas wie ein leichtes Beben verspürt. Erinnerst du dich?“
„Und ob.“
„Dieses Beben hat wahrscheinlich kleine Risse im Boden verursacht, durch die jetzt Dämpfe nach oben strömen, ähnlich wie damals im Land der Geysire, wo auch ständig Dampf, Schwefel und anderes Zeug aus Spalten und Rissen nach oben strömte. Es kann auch eine kleine Fumarole gewesen sein, so genau weiß ich das nicht. Irgendwo tief unter uns dampft ein Vulkan. Die Gasspalten nennt man auch Mofetten oder Solfatare, je nachdem, was sie ausströmen. Da blicken selbst die gelehrten Wissenschaftler nicht richtig durch. Atmet man das Zeug aber längere Zeit ein, dann wirkt es tödlich.“
„Und wie lange dauert das?“
Während sie redeten, holten sie immer wieder tief Luft, bis ihnen die Lungen zu bersten drohten.
„Manchmal dauert es stundenlang, mitunter geht es aber auch sehr viel schneller. Das liegt an der Konzentration der Gase oder deren Gefährlichkeit. Wenn wir wieder an Bord sind, hängen wir uns nasse Hemden vor Mund und Nase. Sobald einer merkt, daß ihn die Müdigkeit übermannt, müssen wir sofort verschwinden.“
„Dann sollten wir das bei den anderen auch tun“, schlug Mac vor. „Möglicherweise hilft es ja.“
„Zumindest vorübergehend oder für den Augenblick“, schränkte der Kutscher ein. „Meine ganze Hoffnung ist, daß die Schebecke bald wieder aufschwimmt. Dann verschwinden wir so schnell wie möglich aus der Bucht.“
Mac sah den Kutscher an, als hätte der den Verstand verloren.
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß wir beide den Kahn wieder flottkriegen und damit lossegeln können?“
„Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation und verfügen dementsprechend über wesentlich mehr Kräfte. Wir beide werden uns doch wohl zutrauen, eine der verdammten Rahruten hochzuhieven, wenn wir uns ins Zeug legen. Und wenn wir sie nur zur Hälfte hochkriegen. Dann übernimmt einer die Pinne.“
„Du hast noch was vergessen, Kutscher. In der Bucht rührt sich kein Lüftchen. Da können wir alle Segel setzen und es wird sich nichts tun, rein gar nichts.“
Der Kutscher biß sich auf die Lippen.
„Daran habe ich nicht gedacht“, gab er zerknirscht zu. „Verdammt noch mal, wir müssen jetzt wirklich bald handeln, bevor alles zu spät ist.“
„Wir haben noch die großen Riemen“, sagte Mac. „Schließlich kann man die Schebecke ja auch pullen. Haben wir schon getan, allerdings mit wesentlich mehr Leuten“, fügte er kleinlaut hinzu.
Der Kutscher schlug dem dürren Mac auf die Schulter.
„Natürlich, das geht. Es geht langsam, weil erst das träge Moment des Schiffes überwunden werden muß. Wenn es jedoch einmal in Bewegung ist, dann kriegen wir es auch aus der Bucht. Los, wir versuchen es!“
Mac grinste und sah dabei wieder aus wie ein Clown, der abgeschminkt zu einer Beerdigung gehen soll. Aber er war erleichtert, und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sie es nicht schafften. Ausnahmesituationen, so hatte der Kutscher ganz richtig gesagt, verliehen einem ungewöhnliche Kräfte.
Frisch gestärkt pullten sie wieder in die Bucht.
Sie gingen jetzt ganz zielstrebig vor. Geändert hatte sich überhaupt nichts. Es war alles noch so wie zuvor.
Die Jolle wurde sorgfältig vertäut, und dann sah der Kutscher erst einmal nach, wieviel Wasser sie noch unter dem Kiel hatten.
„Die Flut steigt ganz langsam“, sagte er. „Wahrscheinlich bewegt sich der Schlorren schon in einer halben Stunde wieder.“
Sie holten Lappen, Tücher und Hemden, die sie mit Wasser tränkten, bis alles vor Nässe triefte. Dann pützten sie Wasser und gossen es den Schläfern über die Köpfe.
Kein einziger erwachte bei dieser Prozedur. Der Kutscher stellte allerdings besorgt fest, daß bei einigen der Atem ziemlich flach ging, während andere ganz normal vor sich hin schnarchten. Vermutlich hatte der eine oder andere zuviel von dem Zeug eingeatmet.
Die nassen Lappen drückten sie den Arwenacks so um die Gesichter, daß sie im Schlaf gezwungen waren, durch sie zu atmen. Vielleicht half es doch vorübergehend.
Dann brachten sie aus dem Laderaum zwei Langriemen an Deck und schoben sie durch die Ruderpforten im Schanzkleid. Probehalber bewegten sie die schweren Dinger und sahen sich besorgt an.
„Wird schon werden“, sagte der Kutscher zuversichtlich, obwohl Mac noch nicht so sehr davon überzeugt war.
Dann gingen sie leise fluchend daran, das Focksegel zu setzen. Das erwies sich als ein großes Problem, und sie kriegten kaum Luft, weil sie ebenfalls durch das nasse Zeug atmeten.
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