Seewölfe - Piraten der Weltmeere 725

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Impressum
© 1976/2021 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-147-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Fred McMason
Blut klebt an den Perlen, die sie unter Zwang vom Meeresboden holen müssen
Surabaja, Februar 1600.
Der Name klang exotisch und verlockend, und er versprach Abenteuer.
Surabaja war aber alles andere als das. Seit sich herumgesprochen hatte, daß hier Gold gefunden worden war, hatten sich wie aus dem Nichts heraus überall verkrachte Existenzen niedergelassen.
Beachcomber, Abschaum der Meere, Gestrandete, Händler und Spieler.
Sofort waren auch die Schnapphähne da, und mit ihnen tauchten die liederlichen Frauenzimmer auf.
Surabaja war ein Sumpf, der sich zusammengebraut hatte und in dem es jetzt brodelte, denn jeder wollte seinen Anteil von der vermeintlichen Goldausbeute.
Bisher hatte jedoch noch niemand Gold vorweisen können, oder aber er behielt dieses Wissen lieber für sich, denn hier war man mit dem Messer schnell zur Hand.
Es starb sich leicht in Surabaja …
Die Hauptpersonen des Romans:
Bill Gordon – der Skipper eines Seelenverkäufers träumt vom schnellen Reichtum, aber andere sollen dafür arbeiten.
Ireen Williams – ist zwar hübsch und wirft dem Seewolf kokette Blicke zu, aber der bleibt reserviert und zeigt kein Interesse.
Edwin Carberry – futtert auf dem Markt von Surabaja Unmengen pikanter Tierchen vom Grill, doch dann vergeht ihm der Appetit.
Buster – ein Monster aus Gordons Mannschaft, das mit dem Profoshammer Bekanntschaft schließt.
Philip Hasard Killigrew – muß voller Grimm erkennen, daß er einem Lumpenkerl aus der Patsche geholfen hat.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Die Sonne war erst vor einer knappen Stunde aufgegangen, doch schon um diese frühe Zeit herrschte reges Leben in Surabaja.
Der Kutscher und Mac Pellew hatten erfahren, daß es gleich hinter dem schmuddeligen Hafen noch einen weiteren Markt geben sollte, einen weitaus größeren als den, den sie gestern aufgesucht hatten. So waren die beiden Köche schon frühmorgens losgezogen, um einiges zu ordnen. Später wollten sie auf die andere Gruppe treffen, die dabei war, das verkommene Städtchen näher zu erkunden.
Trotz der frühen Morgenstunde war es drückend heiß und die Luft von einem unheilvollen Miasma geschwängert.
Vom nicht sichtbaren Marktflecken drang ein Duft verschiedenartiger Gewürze herüber, der sich mit dem Brackwasser des Hafens mischte. Da roch es nach fauligem Tang, alten Hölzern, See- und Brackwasser, nach Teer und Fischen.
Für die Arwenacks war es ein seit langem vertrauter Duft, der sich da zusammenbraute und viele Häfen der Welt kennzeichnete.
Sie hatten Landgang, weil der Seewolf Philip Hasard Killigrew noch einen Tag in Surabaja dranhängen wollte, was Edwin Carberry dahingehend auslegte, daß es ruhig noch ein bißchen Spektakel geben konnte. Man gönnte sich ja sonst kaum etwas, war seine Devise.
Carberry reckte den gewaltigen Brustkorb. Er trug ein grobes Leinenhemd, das bis zum Bauchnabel offen war, und Leinenhosen mit Stiefeln. Die Ärmel hatte er aufgekrempelt, und so streifte manch scheuer Blick seine mächtigen Muskeln an den Oberarmen, die sich wie Stränge abzeichneten und unbändige Kraft verrieten.
Auch Smoky, Jan Ranse und das Bürschchen Clint Wingfield waren so gekleidet.
„Sehen wir uns erst mal den Hafen an“, sagte Carberry. „Später verholen wir uns dann zu dem Markt. Vielleicht gibt’s da irgendwo eine Pinte. Ein kühler Schluck ist bei dieser Bullenhitze nicht zu verachten.“
Das fanden die anderen auch, und so trieben sie sich erst mal am Hafen herum.
Da waren Kähne vertäut, daß es die Arwenacks grauste.
Eine offenbar verlassene und aus allen Nähten platzende alte Balor befand sich am Ende einer langen Pier. Dazwischen schaukelten kleine Fischerboote im Rhythmus der winzigen Wellen. Wo die Pier rechtwinklig weiterlief, lag ein Wrack auf Grund wie ein Gerippe, das seine ausgebleichten Knochen von der Sonne verdorren ließ.
Ein paar dürre und ausgemergelte Fischer hockten in ihren Kähnen oder flickten auf der Pier ihre Netze. Über ihnen kreischten Möwen, die hin und wieder blitzschnell auf das brackige Wasser niederstießen, sobald es dort silbrig aufblitzte.
Die Sonne war hinter Dunstwolken verborgen und nur schwach und gelblich zu erkennen. Dennoch strahlte sie große Hitze aus.
Carberry blieb stehen und deutete mit der rechten Hand nach vorn. Dort gab es eine weitere morsche Pier, und an der war ein Etwas vertäut, das sich nur mit größtem Wohlwollen als Schiff bezeichnen ließ.
Die Arwenacks blieben ebenfalls stehen, um das Ding erst mal aus der Ferne zu betrachten.
Irgendwann mochte es eine Galeone gewesen sein, in grauer Vorzeit vielleicht, als Noah gerade die Arche baute. Ursprünglich hatte es drei Masten gehabt. Zwei waren noch zu sehen. Der Großmast war auf ein trauriges Drittel seiner ehemaligen Höhe geschrumpft und ragte als unansehnlicher Pinsel aus dem Deck. Das laufende und stehende Gut war verwittert und so morsch, daß man nicht daran ziehen durfte, sollte es nicht augenblicklich zerbröseln. Der Kahn schien an allen Ecken und Enden auseinanderzufallen. Auch die Segel waren sehenswert. Sie waren unordentlich aufgetucht und bestanden nur aus Flicken, die einer neben dem anderen saßen. Zwischen den Flicken konnte man den morgendlichen Himmel sehen, denn da gab es auch noch zahlreiche Löcher.
„Mann, ist das ein Torfkahn“, sagte Smoky, „den sollten wir uns wirklich mal aus der Nähe ansehen. Da sind sogar, welche an Bord.“
„Wundert mich, daß die noch nicht durch die Planken gefallen sind“, äußerte Carberry grinsend.
Die anderen grinsten ebenfalls, denn der Torfkahn drohte wahrhaftig, jeden Augenblick auseinanderzufallen.
Die Sonne, der Wind und das Wasser hatten an den Planken genagt und sie ausgebleicht. Ein bißchen Teer hätte das vielleicht überdecken können, aber der Skipper sah nicht danach aus, als würde er sein gutes Geld in stinkenden Teer anlegen. Solange ihm der Eimer noch nicht unter dem Hintern absoff, schien er ganz zufrieden zu sein.
Die vier Arwenacks hatten sich jetzt dem seltsamen Schiff genähert und blieben abermals stehen, um die Eindrücke auf sich wirken zu lassen.
Heiliger Antonius, war das ein Kahn!
Aus unmittelbarer Nähe sah alles noch verkommener, noch verdreckter und vergammelter aus. Teilweise konnte man von außen nach innen in die Stauräume blicken.
„Wenn der nur noch eine Meile segelte“, sagte der Profos ehrfürchtig, „dann freß ich die vergammelte Schiebblinde mitsamt dem Skipper.“
„Da würde nicht mal Old Nick anmustern“, meinte das Bürschchen Clint schaudernd, womit er den Teufel meinte.
„Da hast du allerdings recht“, raunte Smoky, „und dem Skipper würde ich nicht mal ’ne leere Flasche borgen.“
Dieser Skipper, von dem er gerade sprach, musterte sie bereits seit einer Weile ausgesprochen interessiert. Neben ihm stand ein schmieriger Kerl mit fetten und strähnigen Haaren, der ebenfalls Interesse bekundete. Etwa dort, wo die Kuhl zum Achterdeck führte, stand ein einäugiges Monstrum mit schlenkernden Armen. Über die leere Augenhöhle war eine schwarze Klappe gebunden, die dem Kerl ein fürchterliches und angsteinflößendes Aussehen gab.
Spanier sind das nicht, dachte der Profos, Holländer und Portugiesen ebenfalls nicht.
In seine Überlegungen erklang eine Stimme. Der Kerl, der offenbar der Skipper war, blickte sie an.
Er hatte ein kantiges Gesicht mit hellen Augen, einer etwas zu breiten Nase und einem vorspringenden Kinn. Er war groß und muskulös und trug nichts weiter als eine zerschlissene Hose. Sein vom vielen Waschen ebenfalls graues Hemd hatte er ins Want gehängt. Der Mann erweckte einen verschlagenen und hinterhältigen Eindruck.
„Hey, Tschentlemänner“, sagte er im besten Londoner Cockney-Slang. „Was treibt euch denn so früh aus den Bunks?“
Ein Engländer also, dachte Carberry. Der Kerl sah wie ein abgefiederter Beachcomber aus. Unrasiert war er auch.
„Wollten uns mal ein bißchen umsehen“, erwiderte Carberry mit einem schiefen Grinsen. „Scheinen sich recht viele Engländer in Surabaja herumzutreiben.“
„Hier zieht es viele hin, Mister – äh …“
„Carberry, einfach Carberry, Mister – äh …“
„Bill Gordon.“ Der Unrasierte deutete auf sich. „Ich bin hier der Boss’n. Dieser hier ist mein Steuermann. Leach heißt er, und da achtern steht Buster.“
„Bißchen wenig für eine Mannschaft, was, wie?“ fragte der Profos.
„Ein paar Rabauken sind noch an Land, die anderen werden sich auch bald einfinden. Und ein paar kriege ich noch, bevor es losgeht. Ihr seid von der Schebecke da drüben, eh, Tschentlemänner?“
Ein Lauern lag in den Augen des Boss’n, als er die Frage stellte. Sein Blick wechselte von der Schebecke zu den Arwenacks.
„Richtig“, sagte Smoky, „war ja nicht schwer zu erraten.“
„Was zahlt denn euer Boss’n so?“ wollte Gordon wissen. Dabei rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander.
„Englisch Geld“, sagte Carberry vieldeutig. Sollte sich der Skipper darunter vorstellen, was er wollte.
„Boss’n ist gut“, meinte Smoky. „So haben wir unseren Sir noch nie angeredet.“
„Euren Sir?“ fragte Gordon langgezogen. „Läßt der sich etwa wahrhaftig mit Sir anreden?“
„Er ist ein Sir, ein echter Sir.“
Der Skipper lachte dreckig. Er schlug sich auf die Schenkel und prustete los wie ein Walroß.
„Der läßt sich mit Sir anreden!“ tönte er. „Habt ihr das gehört, Männer? Da gibt’s einen richtigen Sir!“
Die beiden anderen grinsten schmierig. Der Kerl, den Gordon als Leach und seinen Steuermann bezeichnet hatte, legte die Hand hinters Ohr und riß die Futterluke auf.
„Hab ich nich verstann, Boss’n“, krähte er.
„Der ist manchmal so taub wie ein Fisch“, erklärte Gordon geringschätzig. „Manchmal hört er auch was. Aber meistens ist er taub.“
„Dann sollte er sich mal auf den Markusplatz in Venedig verholen“, schlug Carberry vor. „Da braucht er nichts zu tun. Die ernähren die Tauben dort auf Staatskosten.“
„Mann, ist das ein uralter Witz“, murmelte Smoky. „Das kapiert der doch im Leben nicht.“
„Ja, Tschentlemänner“, sagte Gordon, nachdem er sich beruhigt hatte. „Euer Sir zahlt also englisch Geld. Tu ich auch, sogar Gold oder Silber, je nachdem. Ihr seid verdammt gut in Form, gerade die richtigen Kerle, um bei Bill Gordon anzuheuern. Sagt eurem Sir good by und kommt zu mir. Gute Hands fehlen mir noch. Ihr werdet schneller reich sein, als ihr euch das vorstellen könnt.“
„Wo willst du denn mit dem prachtvollen Schiffchen hinfahren?“ erkundigte sich Carberry. „Wenn das Galeönchen Wind um die Nase kriegt, dann fällt es doch auseinander.“
Der Skipper schien nicht beleidigt zu sein. Er lachte nur stoßartig und wischte die Bemerkung mit der Hand weg.
„Das sieht nur so aus. Das Schiff ist gut und seetüchtig. Überlegt euch mein Angebot. Ich brauche mindestens zehn Männer. Ich zahle euch anteilmäßig in Perlen aus.“
„In Perlen?“ fragte Jan Ranse erstaunt. „Wo nehmt ihr denn die kostbaren Perlen her?“
„Von drüben.“
Gordon drehte sich halb um seine Achse und zeigte zum nördlichen Horizont. Dort war schwach der Umriß von Land zu erkennen, das noch im frühen Morgendunst lag. Es war eine größere Insel, wie sie von Dan O’Flynn wußten.
„Und die liegen da einfach so herum?“ wollte Carberry wissen.
„Jede Menge“, versicherte der Boss’n großspurig. „Dort gibt’s Perlen wie Sand am Meer. Man hüpft ins Wasser, holt die Muscheln herauf und öffnet sie, und schon ist in jeder eine Perle.“
Der Steuermann Leach nickte bekräftigend, obwohl er kein Wort verstanden hatte. Offenbar wußte er aber, was mit der Handbewegung gemeint war.
„Dann frage ich mich, warum ihr nicht längst drüben seid und die Perlen geholt habt“, sagte Smoky.
„Ich kann nicht mit zwei Kerlen nach Madura segeln, Tschentlemänner, das müßt ihr doch einsehen. Mein Schiff ist zwar nicht das größte, aber ein knappes Dutzend Leute brauche ich schon. Na ja, acht Mann würden vielleicht auch reichen, oder vielleicht sechs? Notfalls würde ich auch mit euch vier Mann rübersegeln. Ist ja nicht weit.“
„Tut mir leid, Mister“, sagte Ed, „aber wir haben eine gute Heuer und ein gutes Schiff. Das läßt man nicht so einfach sausen.“
„Bei mir verdient ihr das Hundertfache und noch mehr. Und alles ohne großen Aufwand. Man braucht nur ins Wasser zu greifen, und schon ist man ein reicher Mann. Hört zu“, beschwor er die vier Arwenacks eindringlich. „Wir sind heute abend im ‚Roten Mond von Surabaja‘. Das ist eine ganz edle Hafenspelunke. Da kann ich vielleicht noch zusätzlich ein paar Leute press … ich meine, äh, anheuern. Ich lade euch zu einem kräftigen Schluck ein, und wir besprechen alles noch mal gründlich.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Carberry grinsend. „Wir sehen uns erst mal das Kaff an, und dann überlegen wir es uns vielleicht.“
„Einverstanden. Wollt ihr einen kleinen Vorschuß? Handgeld sozusagen, aber dann müßt ihr auch andocken.“
„Wir haben noch etwas“, sagte Carberry. „Vielen Dank.“
Der Boss’n sah ihnen mit einem dreckigen Grinsen nach, als sie die altersschwache Pier verließen und Kurs auf den Markt nahmen.
„So ein optimistischer Schwachkopf“, sagte der Profos naserümpfend, als sie außer Hörweite waren. „Der hat vielleicht einen sonnigen Humor, hat der. Nur ins Wasser greifen, und schon ist man ein reicher Mann. Der spinnt doch, der Boss’n. Als ob wir nicht wüßten, wie schwer es ist, auch nur eine Handvoll Perlen zusammenzukriegen. Und dann will er mit dem Nachttopf aufs Meer hinaus.“
„Vermutlich hat ihm jemand einen Floh ins Ohr gesetzt“, sagte der Holländer Jan Ranse, „und den hört er jetzt husten. Der Kerl ist ein Beachcomber, vielleicht sogar ein Deserteur von irgendeinem englischen Schiff, der jetzt mit Gewalt reich werden will. Seine beiden Macker scheinen auch ziemlich bescheuert zu sein.“
„Na ja, wenigstens haben wir jetzt die Adresse einer Kneipe, die wir uns heute abend ja mal ansehen können.“
„Da sollten wir aber gewaltig aufpassen, daß uns keiner was ins Bier kippt“, warnte Smoky. „Der Boss’n scheint das Anheuern sehr großzügig auszulegen. Möglicherweise wachen wir später auf und befinden uns an Bord dieser prächtigen Galeone.“
„Der – und uns shanghaien?“ Der Profos lachte laut. „Das halte ich für einen köstlichen Witz. Wir wissen ja, wie wir dran sind und werden schon aufpassen.“
„Manchmal geht das schneller, als man denkt“, murmelte Jan.
Aber da grinste der Profos nur.
Sie schlenderten weiter, wobei sich Carberrys Augenmerk ganz besonders auf Kneipen richtete. Es dauerte auch nicht lange, dann standen sie vor einer verkommenen Bude mit einer „Veranda“, einem Holzzaun und Bambusstangen, die einfach in die Erde gesteckt waren. Dort konnte man tagsüber sitzen. Für den nächtlichen Betrieb empfahl sich die Kneipe durch eine luftige und windschiefe Tür.
Ein in der schwachen Brise hin und her schaukelndes Brett verkündete in holländischen Schriftzügen, daß es sich hier um die Kneipe „Roter Mond von Surabaja“ handele. Der rote Mond bestand aus einem großen Lampion und war nicht zu übersehen. Nachts wurde in das Ding wahrscheinlich eine Kerze oder eine Ölfunzel gesteckt, und bei Nacht sah hier auch sicher alles ganz anders aus.
In dem Anbau hockten zwei Kerle mit grauen und übernächtigten Gesichtern, die dumpf vor sich hin stierten. Sie hatten jeder eine Schale mit einer undefinierbaren Flüssigkeit vor sich stehen.
Die Kneipe selbst war leer, bis auf einen schmierigen Burschen, der lustlos mit einem Reisigbesen die Dielen fegte.
Carberry ging weiter, als hätte er die Pinte glatt übersehen.
„Wolltest du nicht einen Schluck nehmen?“ fragte Smoky.
„Später, hier ist ja nichts los. Sehen wir uns erst mal den Markt genauer an. Da gibt es sicher auch was.“
Der Markt war nicht weit entfernt. Stimmengewirr und hin und wieder auch mal lautes Geschrei wiesen ihnen den Weg.
Sie passierten eine palmengesäumte Gasse, in der rechts und links hingeduckt schiefe Hütten standen.
Ein paar streunende Köter beschnupperten sie neugierig, setzten aber schnell zur Flucht an, als Smoky sich laut räusperte.
Gleich darauf tat sich vor ihren Blicken ein malerischer Marktplatz auf, viel größer und bunter als der andere, den sie flüchtig kannten.
Ein unbeschreiblicher Duft umfing sie, eine Mischung aus allerlei Gewürzen, nach duftendem Reis, gebackenem Fisch und Obst, das manche Arwenacks nicht mal vom Sehen kannten.
An kleinen Ständen wurde gekocht und gegrillt. Der Geruch legte sich betäubend und atemberaubend über sie wie eine Dunstwolke.
Gleich am ersten Stand, einer winzigen Stellfläche, blieb Carberry neugierig stehen und schnüffelte wie ein Jagdhund.
„Hm, das riecht aber fein“, äußerte er. „Was ist das eigentlich? Sieht wie winzige Kaninchen aus.“
Smoky wußte es nicht, Jan auch nicht, und Clint Wingfield zuckte nur mit den Schultern.
Auch die Befragung des Händlers ergab kein Resultat. Der alte und zahnlose Bursche erklärte zwar gestenreich, was das sei, aber er tat es in einer Sprache, die sie ebenfalls nicht verstanden.
„Das kriegen wir noch raus“, sagte der Profos. „Hier gibt es noch mehr von diesen offenen Küchen.“
An einem anderen Stand löschten sie zunächst ihren Durst und tranken eine grünliche Flüssigkeit, die sehr erfrischend schmeckte. Sie wurde aus verschiedenen Früchten mit einer Handpresse hergestellt.
Die Menge der Händler, Händlerinnen und Kauflustigen nahm unaufhaltsam zu. Vermutlich war der Markt nur in den frühen Morgenstunden geöffnet, wenn die Sonne noch nicht so heiß herabbrannte. In der großen Mittagshitze würde diese Stelle einsam und verlassen sein.
„Da drüben steht der Kutscher“, sagte Clint, „und am anderen Stand hält sich Mac auf.“
„Dann gehen wir mal hinüber“, entschied Carberry.
Sie hatten Mühe, sich einen Weg durch die drängende und schiebende Menge zu bahnen.
Mac kehrte auch schon von seinem Stand zurück und entdeckte sie, gerade als sie den Kutscher erreichten.
„Na, da seid ihr ja“, sagte er strahlend. „Wir haben hier für die Weiterfahrt eine Menge Früchte und anderes Zeug geordert. Später bringt man es in ein paar Karren an Bord.“
„Schöne, saftige Früchte“, schwärmte der Kutscher, „mit einem undefinierbaren und köstlichen Aroma. Die Leutchen feilschen auch nicht so lange wie anderswo.“
Carberry starrte auf ein altes, runzeliges Weib, das hinter ihrem Stand auf einem Bambusschemel hockte. Vor sich hatte die Alte eine Auswahl von duftenden Früchten liegen.
„Was sind das für Dinger?“ fragte er gespannt.
„Mangopflaumen“, erwiderte der Kutscher. „Probier sie doch mal, sie schmecken hervorragend.“
Carberry stützte sich mit beiden Pranken auf den Stand, um die Früchte besser betrachten zu können.
Da geschah es auch schon. Der Profos hatte sich entweder an seinem eigenen Gewicht verschätzt oder an der Stabilität der Platte.
Gerade als er eine der Mangopflaumen aus dem Sortiment klauben wollte, gab die Platte mit einem berstenden Krachen unter ihm nach.
Mit dem Kopf voraus sauste Carberry in die Früchte, alles mit sich reißend und unter sich begrabend.
Da lag er nun mit ziemlich verdattertem Gesicht zwischen duftenden Mangos und anderen Köstlichkeiten, und natürlich war da auch einiges zu Matsch gegangen.
Zwei Mangopflaumen fielen ihm noch auf den Kopf. Danach herrschte für Augenblicke entsetztes Schweigen.
Carberry rappelte sich auf, konnte dabei aber nicht verhindern, daß er in dem Matsch ausglitt und dabei noch mehr zertrampelte. Ein erneuter Sturz in das glitschige Zeug war die Folge.
„O Gottchen“, sagte Mac Pellew anklagend. „Mit diesem Mensch kann man sich wirklich nirgendwo blicken lassen. Der wird nie ein feiner Mann.“
Die Alte sah mit gefletschten Zähnen fassungslos auf den riesigen Kerl, der sich da in ihren Früchten herumwälzte und sich mit verkniffenem Gesicht mühsam aufrappelte. Dazu rollte dieses Ungetüm mit dem riesigen Kinn noch fürchterlich mit den Augen.
„So ein Mist“, knurrte der Profos. „Das ist mir auch noch nie passiert. Muß wohl ausgerutscht sein.“
„Du hast dich zu stark auf den Stand gestützt“, sagte Smoky. „Oh“, setzte er im selben Atemzug hinzu, „die Mutter scheint verdammt sauer zu sein.“
Die Alte sah sich um ihren Verdienst geprellt und wurde jetzt wütend, noch bevor die Arwenacks das kleine Mißgeschick klären konnten.
Zuerst stieß sie einen empörenden Schrei aus, dann begann sie zu zetern und zu keifen wie die Londoner Marktweiber und Kräuterhexen.
„Ja, ja“, sagte Carberry hastig und wischte sich etwas saftiges Fruchtfleisch aus dem Gesicht. „Wir bezahlen den Schaden ja, nur keine Sorge, old Lady.“
Die alte Lady aber verstand ihn nicht. Außerdem mußte der Profos fürchterlich niesen.
Sie regelte das auf ihre Art und griff in die matschigen Überreste der tropischen Kollektion.
Zuerst feuerte sie eine matschige Mangofrucht ab, und die kriegte der verstörte Carberry genau ins Auge, wo sie mit einem satten Knall zerplatzte.
Instinktiv hob der Profos den Arm vor das Gesicht, aber da traf ihn bereits eine ebenfalls sehr matschige klebrige Marau auf der Stirn. Es hagelte noch zwei lädierte Gurken und ein paar Bananen, dann hatte sich die Alte vom ersten Schrecken erholt.
Inzwischen bildete sich um den zertrümmerten Stand ein Menschenauflauf. Überall waren grinsende Gesichter zu sehen.
Mac Pellew, sonst ein sauertöpfischer Mensch, grinste ebenfalls bis zu den Ohren, weil er das einfach köstlich fand, wie der gute Ed völlig bematscht und unglücklich dastand.
Aber die Alte legte sein Grinsen als Provokation aus. Diesmal wählte sie von dem Zeug, das noch heil geblieben war, und das waren zwei Körbe voller Seegurken. Sie waren sehr weich und sahen auch nicht besonders appetitlich aus. Dem auf der Stelle flüchtenden Zweitkoch flog eine Seegurke an den Hinterkopf, die zweite empfing er ins Kreuz. Alle beide zerbarsten mit einem satten Geräusch.
Da verging auch Mac Pellew das Grinsen.
Der Kutscher behielt Würde und verbiß sich das Lachen nur mühsam. Er holte ein paar Silbermünzen aus der Hosentasche, verbeugte sich vor dem Marktweib mit spanischer Grandezza und überreichte ihr die Münzen.
Ganz plötzlich strahlte die Alte, nickte zufrieden vor sich hin und strich die Münzen ein.
„Na also“, sagte der Kutscher erleichtert, „jetzt scheint ja alles wieder in bester Ordnung zu sein.“
Carberry warf dem Marktweib einen galligen Blick zu. An seinem Kopf klebten noch fruchtige Reste, und auf dem einen Auge sah er so gut wie nichts. Die alte Vettel hatte besser getroffen als ein Kanonier und nicht mal halb solange Maß genommen.
„Wo willst du denn hin?“ fragte Smoky, als der Profos ihnen den Rücken kehrte.
„Zum Wasser, mir das klebrige Zeug aus dem Gesicht waschen. Das pappt ja schlimmer als Kleister.“
Sie verließen den zertrümmerten Stand und warteten an einer anderen Ecke, bis der Profos wieder zurückkehrte. Jetzt sah er schon wesentlich manierlicher aus.