Seewölfe Paket 31

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„Ja. Da trefft ihr mich abends auch.“
Nils erkundigte sich, ob jemand aus Skagen in der vergangenen Nacht das riesige Feuer an der Rabjerg Mile gesehen hätte. Nur der Leuchtturmwärter, erhielt er zur Antwort, und der habe sich gewundert, weil er dachte, dort verbrenne ein Schiff.
Der Hafenkommandant fuhr fort: „Wir haben von einem schwarzen Schiff gehört und von einer Mannschaft wilder Burschen, von denen sich einige offenbar für Wikinger halten.“
Plötzlich wirkte Bo Soderholm gar nicht mehr gemütlich. In sein rundes, bärtiges Gesicht trat ein Ausdruck überraschender Härte.
„Wir waren einige Tage lang in Waffen und warteten. Aber der schwarze Segler traute sich nicht in den Hafen. Oder aber er zog es vor, Niederländer zu plündern. Wir hätten die angeblichen Wikinger mit blutigen Köpfen über den Skagerrak gejagt, da könnt ihr sicher sein.“
„Ich glaube es dir. Wie viele Bewaffnete könnt ihr aufstellen?“
„Einige hundert werden es sein. Wir sind gutmütige Fischer, aber wenn man uns reizt, sind wir ungenießbar. Es soll sogar Dänen geben“, jetzt lachte Bo Soderholm wieder, „die sich als Piraten versuchen. Erfolgreich, wie mir berichtet wurde.“
„Tatsächlich? Wir kennen die Dänen nur als gastfreundliche Fischer und Bauern“, erklärte Hasard, und Nils übersetzte.
„Aber nur, wenn man uns nicht ärgert.“
Die Seewölfe hatten auf den vielen Seemeilen dieser Reise einige der Dänen kennengelernt, von denen Bo sprach. Der Schiffbrüchige war einer davon gewesen: so groß wie Hasard, breitschultrig, mit dicken Muskeln und riesigen Pranken. Sich mit solchen Wikingererben anzulegen, konnte selbst die Seewölfe in Schwierigkeiten bringen.
„Sollten wir auf solche wütende Dänen stoßen, oder sie auf uns“, meinte Hasard in guter Laune, „dann weiß ich, was ich zu tun habe. Gehst du mit in den Krug, Bo? Einen Humpen Bier können wir uns gerade noch leisten.“
„Geht voraus.“ Bo stand auf und vollführte Bewegungen, als wolle er Hühner verscheuchen. „Ich komme nach. Skagen wird euch gefallen. Wir fürchten keine Fremden, nur die Sturmfluten.“
Hasard öffnete die Tür und empfand den frischen Luftzug als große Erleichterung.
„Uns geht es nicht anders“, versicherte er in holpriger Sprache. „Sehen wir uns um.“
Nils Larsen und er gingen zurück zum Schiff, berichteten und schließlich erklärte der Seewolf: „Geht an Land und schaut euch um, wenn ihr Lust habt. Eine Wache muß unter allen Umständen an Bord bleiben. Ich bin in ein paar Stunden wieder zurück.“
„Aye, Sir.“
Skagen am Kap Skagen, von schätzungsweise tausend Leuten bewohnt, gruppierte sich mit etwa zwölf Dutzend größerer und kleinerer Häuser um die Bucht. Die Gebäude, Straßen und der kleine Marktplatz wirkten sauber und gepflegt. Die Straßen waren gepflastert. Je mehr man sich der Stadtgrenze näherte, nahm die Anzahl und die Größe der Bauernhöfe zu. Der Rundgang war schnell beendet, und die kleine Gruppe der Seewölfe stand auf dem Kamm einer Düne.
Unter ihnen erstreckte sich ein flacher, weit vorgeschobener Strand. Er lief in eine Spitze aus. Dan O’Flynn deutete nach rechts und links und erklärte den Arwenacks, was er in der Stadt erfahren hatte.
„Hier treffen sich Skagerrak und Kattegat. An die Spitze von Grenen – wir stehen sozusagen darauf – prallt die jeweilige Stromrichtung, in der Regel Ost- oder Weststrom. Dort vorn könnt ihr es sehen.“
„Auch Dänemark ist voller Wunder“, brummte Carberry.
Sie gingen ohne Eile zum Hafen zurück, kehrten im Krug ein und fragten Bo Soderholm nach allem, was sie wissen mußten, wenn sie sich wieder auf die Spuren des nordischen Schrats hefteten.
Kurz bevor im ersten Sonnenlicht die Fischer und Bauern ihre Stände aufschlugen, die Bretter auf die Schragen stellten und ihre Waren ausbreiteten, schleppte sich ein Fleute von Osten her in den Hafen. Der Kutscher, Mac Pellew und Bill verließen das Schiff und bewegten sich gähnend auf den Markt zu. Jeder hielt eine große Lederpütz in der Hand.
„Du verstehst mehr von gutem Fisch, Mac“, meinte der Kutscher. „Laß dir ja keine Gräten andrehen.“
„Ich brauche deinen Rat, Mann“, brummte Mac. „Und du machst deine Augen auch auf, Bill, verstanden?“
Im Krug hatten sie nicht viel getrunken, aber es war sehr spät geworden. Die Sonne, die gerade über die Kimm stieg, war zu grell. Die Morgenluft kämpfte gegen den Schlafdunst der Seewölfe. Jeder Möwenschrei war aufdringlich laut wie ein Musketenschuß. Am Ende des Kais blieben sie wie auf ein unhörbares Kommando stehen und schauten nach links.
„Niederländer“, meinte Pellew.
„Nicht mehr ganz seeklar, wie?“ murmelte Bill und gähnte dreimal hintereinander.
„Helfen wir ihm?“ fragte der Kutscher. „Er will vor uns vertäuen.“
„Wir helfen. Kostet nichts.“
Die Takelage und das Deck der niederländischen Fleute waren in Ordnung. Die Crew bewegte sich schnell und geschickt. Daß das Schiff so tief im Wasser lag, verwunderte die Seewölfe trotz ihrer getrübten Köpfe nicht, denn es kam aus Osten und mußte schwer geladen haben.
Die Seewölfe stellten ihre Pützen ab, fingen die Wurfleinen auf und zogen die dickeren Festmacher hinterher.
Als das Schiff festlag, rief der Kutscher: „Habt ihr Ärger, Schlickrutscher?“
„Ein Leck!“
„Trockenfäule? Oder hat euch ein Sägefisch ein Loch geschnitten?“
Vom Achterdeck ertönte ein vermutlich wüster Fluch und die Antwort: „Wir haben oben im Norden einen schwarzen Piraten gesichtet, mit Hörnern am Kopf. Wir sahen zu, ihm unser Heck zu zeigen, und da hat uns ein Felsen tatsächlich gefunden.“
„Die Skagener helfen euch schon“, sagte der Kutscher, schnappte sich seine Pütz und ging weiter, dem Lärm, der Musik und dem Geschrei nach. Die Hafengasse stieg zwischen den Hausfronten steil an, statt der Steine gab es Sand und Lehm voller Löcher und Pfützen. Der Platz weitete sich, und alle eßbaren Schätze von Skagen und Umgebung waren ausgebreitet. Würste, Schinken, allerlei Gemüse und Eier, Brot – und Fisch. Viel Fisch. Große und kleine Fische, Fische mit und ohne sichtbare Gräten, gesalzene Fische und solche, die nach Kräutern und nach altem Fisch rochen. Stockfisch, geräucherter Fisch, jede Art von Fisch.
Hunderte Einwohner gingen von einem Stand zum anderen, prüften hier und kauften dort, scherzten mit den Bauern und ließen die Flüche der Fischer über sich ergehen, wenn sie nichts kauften.
„Wie wollt ihr euren verdammten Fisch?“ fragte Mac Pellew.
„Gebraten. Und auf jeden Fall ohne Gräten“, erwiderte Bill. „Ich kenne deine verdammte Kocherei. Immer muß man die Gräten zwischen den Zähnen rauspuhlen.“
Mac packte Bill am Arm und schob ihn auf einen Stand zu, an dem ein Fischerpaar wahrhaft riesige Stücke Fisch verkaufte.
„Hier. Suche deinen verdammten stinkenden Fisch selbst aus. Und dann beklage dich nicht. Und du hilfst ihm, klar?“ sagte er zum Kutscher.
Er deutete über seine Schulter und knurrte: „Ich kaufe Würste, die sich ein paar Tage halten. Denkt daran. Wir sind mehr als fünf Leute. Sie wollen alle Fisch haben. Klar?“
„Aye, Mister Pellew.“
Mac Pellews Gesichtsausdruck hatte vom Grämlichen ins Wütende gewechselt. Zusammen mit der Müdigkeit wirkte er wie der Schrecken aller Meere. Er ging von einem Tisch zum anderen und schaute sich an, was angeboten wurde. Hinter ihm feilschten die beiden Kameraden um große Stücke Fisch ohne Gräten. Die Fischer, die immerhin begriffen, was die Seewölfe wollten, schnitten und hackten an ihren halbierten Fischen herum und stapelten sie in die Pützen.
„Und was fangen wir mit dem Rehfleisch an?“ brummte Mac und sagte sich schließlich, daß früher oder später alles, was in der Nähe der Kombüse gebunkert wurde, verputzt werden würde. Schon allein deshalb, weil es nichts anderes mehr gab. Und wenn das Zeug gammelte, ging es über Bord zu den Fischen.
„Alles wird gekocht, gebraten und verschlungen“, sagte er grämlich und beendete mit einem Sack voll Gemüse seine Einkäufe. Er blieb hinter seinen Kameraden stehen und sah verblüfft, wie viele Fischstücke sie gekauft hatten.
„Wollt ihr bis Bergen noch etwas anderes essen als Fisch?“ fragte er.
„Das reicht gerade bis heute abend“, widersprach Bill. „Fertig?“
„Ich bin fertig.“
Sie schleppten ihre Einkäufe zur Schebecke zurück, und als sie mit den Vorbereitungen einigermaßen fertig waren, schlug die Glocke im Kirchturm. Es war Mittag, und die Niederländer hatten längst angefangen, ihre Lasten zu entladen. Ein Stück Segeltuch war von außen über das Leck gezogen worden.
Mac Pellew schaute sich um, hob gottergeben die Schultern und sagte zum Kutscher: „Aye! Heute gibt’s also Fisch. Reichlich Fisch. Mit dem grünen Zeug. Das ist gut, dann fallen die Zähne nicht aus.“
„Der Geruch wird sie alle überzeugen.“
Sie nahmen die größten Pfannen und schnitten große Brocken gelbe Butter hinein. Der Kutscher verrührte Milch und Ei miteinander. Die Fischstücke wurden mit Salz eingerieben, mit geriebenem Pfeffer bestreut und in die gelbglibbrige Soße getunkt. Dann wälzte der Kutscher sie im groben Mehl und legte die in die erhitzte Butter. Es zischte und dampfte.
Über das Deck drangen Schwaden aus Rauch, Dampf und Bratenduft. Sie wälzten sich über die Kuhl, wurden aufs Achterdeck und zum Bug getrieben und verbreiteten sich über den Kai. Die Niederländer schauten mißtrauisch zur Schebecke hinüber. In den Pfannen brutzelte und schmorte es.
„Backen und Banken! Einer nach dem anderen!“ schrie Bill und roch an seinen Händen. Sie rochen stark nach Fisch. Um es genauer zu sagen: sie stanken nach Fisch.
Ein paar von den Arwenacks halfen den Niederländern. Ferris Tucker hantierte mit seinem Werkzeug.
„Wollen die etwa auch bei uns essen?“ erkundigte sich der Kutscher mit einer abwehrenden Geste.
Mac schüttelte energisch den Kopf. „Ich glaube nicht. Ich bin vielmehr ganz sicher, daß sie keinen Fisch mögen.“
Nach einigen Atemzügen, in denen sich seine Lungen mit dem Geruch von dunkel gebräunter Butter und Fisch füllten, setzte er etwas leiser hinzu: „Ich weiß auch, warum sie keinen wollen.“
Während die Arwenacks nacheinander an Deck der Schebecke erschienen und ihre Portionen in Empfang nahmen – es gab dazu dünnes dänisches Bier –, brieten und brutzelten der Kutscher und Mac Pellew die großen Fischstücke. Ab und zu fluchte einer der Kameraden und zog dünne Gräten zwischen den Zähnen hervor.
„Nie wieder Fisch“, brummte Don Juan und schüttelte den Kopf. „Man kann sich innerlich aufspießen an diesen Harpunen aus Knochen.“
„Das ist das Wenigste“, fauchte Ben Brighton. „Jahrelang wird die Schebecke innen und außen nach dem Zeug stinken.“
„Wer hat sich eigentlich Fisch gewünscht?“ regte sich Edwin Carberry auf. „Irgendein Affenarsch vom Vorschiff?“
Hasard hob seinen Humpen, peilte den Profos über den Rand an und erklärte ruhig, aber unüberhörbar: „Ich.“
Carberry zuckte zusammen, schaute aufs Hafenwasser hinaus und zu den schuftenden Niederländern hinüber, dann pfiff er leise durch die Zähne und erklärte: „Fisch soll ja bekanntlich enorm gesund sein. Man kriegt keinen dicken Hals, billig ist er, wenigstens in Skagen, und mit den dicksten Gräten“, er zog ein fingerlanges Ding zwischen den Backenzähnen hervor und stierte es an, „kann man sich die Fingernägel reinigen oder Löcher bohren. Ist schon richtig, Sir.“
„Das will ich meinen“, sagte Hasard mit feinem Lächeln und senkte den Kopf.
Während sich der Geruch oder Gestank, je nach Empfindlichkeit der Arwenacknasen, unterhalb der Planken bis in den letzten Winkel ausbreitete, aßen die Seewölfe hungrig und teilweise begeistert die riesigen Portionen. Als der Kutscher schließlich das schwarzgebrannte Fett aus der Pfanne im hohen Bogen ins Hafenwasser schüttete, stieg zischend eine Dampfwolke in die Höhe.
„Nie wieder einen solchen Fisch“, sagte Big Old Shane. „Aber unsere Köche haben ihr Bestes gegeben.“
„In Zukunft könnt ihr Zwiebeln fressen“, versprach schimpfend der Kutscher. „Die stinken noch mehr. Fisch ist nahrhaft und gesund.“
„Man riecht’s!“ schrie Batuti und ließ erkennen, daß er die goldbraune Kruste am meisten mochte.
Sie beruhigten sich nur langsam.
Die Kombüsencrew wurde auf einstimmigen Beschluß hinüber an den nächsten Strand geschickt. Sie sollte mit Sand und reinigendem Seewasser ihre Pfannen und Töpfe säubern und schrubben und nicht eher zurückkehren, bis der Gestank aus dem Geschirr gewichen war.
Als sie sich über die viele Arbeit beklagten, schickte der Seewolf seine Söhne und Blacky als Träger und Hilfskräfte mit.
Die Schreieule Sir John war vor den Rauchschwaden in den Masttopp geflüchtet, schlug dort mit den Flügeln und beschimpfte äußerst sprachgewandt die Arwenacks mit allen gelernten Sprüchen, Flüchen und Hinweisen zur Schiffsführung.
„Eins weiß ich genau“, sagte Paddy Rogers zufrieden, strich über seinen Bauch und goß den Rest Bier in seine Kehle. „Ich werde Skagen nie vergessen.“
Der Kutscher und Mac Pellew wechselten in verzweifeltem Einverständnis einen langen, schweigenden Blick.
„Du weißt Bescheid?“ fragte Mac. „Alle meine teuren Londoner Gewürze können daran nichts ändern.“
„Morgen oder übermorgen nehmen wir uns den Rehbraten vor“, murmelte der Kutscher. „Ein undankbares Volk hier an Bord.“
Sie zuckten mit den Schultern. Es stank noch immer nach Fisch.
„Wir müssen etwas tun.“
Der Kutscher zeigte auf das Fäßchen, das zwischen Spanten und Stringern mit mehreren Schlägen eines Stropps belegt war.
„Wir haben diesen dänischen Schnaps. Jedem einen großen Becher?“
„Einverstanden. Dann sind sie friedlicher.“
Als sie sich mit ihren Bechern und Tabletts an Deck wagten, waren sie mehr als überrascht. Es gab keine Reste. Niemand hatte von dem leckeren goldbraunen Fisch etwas übriggelassen, auch nicht von dem Grünzeug, das dazu gekocht worden war.
„Guter Schnaps, das“, sagte kehlig Bob Grey.
„Lebenswasser“, sagte der Kutscher bedächtig und hoffte, daß ihm nicht jemand eine Schale oder das Messer nachwerfen würde. „So heißt es hier.“
„Aqua vitae“, dozierte Dan O’Flynn, der die Sorgen und Befürchtungen der Kombüsencrew längst erkannt hatte. „Der Genuß führt oft dazu, daß man beispielsweise Gnomen und Elfen tanzen sieht, wo gar keine sind.“
Sofort goß ihm Mac Pellew den Becher erneut voll. Sie zwinkerten sich wie Verschwörer zu.
„Es war ein ausgezeichnetes Essen!“ rief Philip Hasard Killigrew, stand auf und stellte sein Eßgeschirr ab. „Es macht stark und kräftig. Und deswegen helfen wir jetzt den Niederländern und ziehen, zusammen mit den Fischern an ihrer Fleute.“
Die Niederländer konnten sich selbst helfen, wenn es gelang, die schwere Fleute in der einsetzenden Ebbe so weit auf die Seite zu legen, daß das Leck frei wurde und die Planken repariert werden konnten.
Am späten Abend erschien der Niederländer an Bord der Schebecke, übergab dem Kapitän ein wohlgefülltes Faß und bedankte sich.
Es roch noch immer nach Fisch. Überall – an Deck und besonders unter Deck.
Als die Flut ihren höchsten Stand erreicht hatte, lösten sie die Leinen, schwangen die Schebecke herum und stakten sie mit den Riemen aus dem kleinen Hafen.
Der frische Wind aus dem südlichen Quadranten packte die Leinwand, als sie gut von Land frei waren. Der Morgen würde sie weit draußen im Skagerrak und auf Nordwestkurs finden.
Ohne Eile wurde das Schiff aufgeklart. Das Fäßchen des Niederländers war zur Hälfte geleert.
Die ersten Nordseewellen hoben und senkten den Bug. Hasard schlief tief und fest in seiner Kammer. Dan O’Flynn stand achtern und flüsterte die Kommandos an die Wache. Als die Schebecke gut auf Kurs lag und die wenigen Lichter Skagens kleiner wurden und schließlich blinkend verschwanden, lehnte sich Dan zurück und schnüffelte.
„Ich wollte es nicht glauben“, sagte er zu Al Conroy, der wieder einmal an der Pinne stand. „Aber der Geruch des gesunden Essens wird uns wohl bis hoch in den Norden begleiten.“
„Der Fisch war gut“, bestätigte der Stückmeister. „Aber man sollte ihn wirklich nur an Land braten.“
Dan O’Flynn hob die Schultern, wischte sich den Gischt eines Seewasserspritzers aus dem Gesicht und meinte: „Je länger wir segeln, je älter wir werden, desto mehr lernen wir. Und ganz besonders gilt das für Fisch.“
Al lehnte sich schwer auf die Pinne, peilte den Kompaß an und sagte mit Grabesstimme:
„Und er stinkt doch.“
ENDE

1.
Die beiden Fischer waren keine furchtsamen Naturen, aber sie waren abergläubisch wie die meisten Fischer und Seeleute. Daß die See ihre Geheimnisse barg, das wußten sie, aber mitunter wurde so ein Rätsel gelöst, wobei sich auch eine meist einfache Erklärung fand.
Diesmal schien es keine einfache Erklärung zu geben, denn das „Ding“ war zu unheimlich und zu fremd.
Dem vier Jahre jüngeren Olaf kroch eine Gänsehaut über den ganzen Körper, und er fühlte, wie sich seine Nackenhaare langsam aufzurichten begannen.
Knut, der ältere von beiden, schluckte hart und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen. Sie sahen sich kurz und schweigend an und ließen sich dann vorsichtig auf der Ducht des kleinen Kahns nieder. Dabei tastete Knut nach einer Aalgabel.
Es kroch weiter aus dem Nebel auf sie zu, dieses schwarze, immer größer, immer verzerrter und unheimlicher werdende Gebilde, das monströse Ausmaße annahm.
Vor dem Ding wuchs eine helle Nebelwand in die Höhe, einer quellenden Rauchwolke vergleichbar. Dampf, der aus dem Meer brodelte wie aus einem gigantischen Kessel. Das alles verschmolz jetzt zu einem in den Himmel wachsenden Schatten, dessen Dimensionen man nicht mehr beurteilen oder abschätzen konnte.
Keiner der beiden rührte sich. Sie hockten nur da und starrten in die wallenden Vorhänge. Knuts Arm mit der Aalgabel war wie erstarrt.
Wieder waren die geisterhaften Stimmen zu hören, dann das entsetzliche Knarren und Ächzen, als wälze sich ein verwundetes Untier hilflos über das Meer.
„Nimm das Ding weg“, flüsterte Olaf mit zuckenden Lippen und deutete auf die Aalgabel. „Es ist besser, wir sind unbewaffnet. Dann tut es uns vielleicht nichts.“
„Es“ schob sich noch näher heran. Die verzerrten Geräusche waren deutlicher zu hören. Das Untier schien zu schmatzen und zu keuchen. Es zerteilte das Wasser mit mächtigen Armen. So wie die Nebel den schattenhaften Umriß vergrößerten oder verzerrten, schien es direkt auf sie zuzugleiten.
Knuts Arm mit der Aalgabel senkte sich langsam. Vielleicht war es wirklich besser, das unbekannte Etwas nicht mit einer Art Waffe zu provozieren. Die Aalgabel war außerdem ein lächerliches Ding, mit dem er nicht viel ausrichten konnte.
Der schwarze Nebel ragte jetzt wie ein Turm vor ihnen auf. Zwischen der unheimlichen Schwärze waberten weiße Riesenköpfe, die immer wieder ihre Form veränderten.
Ihre Blicke saugten sich angstvoll an dem Ding fest. Sie starrten so angestrengt in den Nebel, daß sich rote Kreise vor ihren Augen bildeten.
Dann war das Ding urplötzlich weg, verschwunden in einer quirligen Wolke aus Dampf, der alles mit sich nahm.
„Was war das?“ fragte Knut tonlos. „Ich glaube, es stieg von ganz tief unten aus dem Meer auf. Aber ich habe es nicht erkennen können.“
„Es war der Satan persönlich“, hauchte Olaf. „Unser Großvater hat gesagt, daß er alle zehn Jahre erscheint. Er reitet auf einem riesigen Schwefelfaß und verschlingt alles, was in seiner Nähe ist. Los, wir setzen die Fock und verschwinden schnell.“
Die Angst und das Grauen vor dem Unbekannten stand immer noch in ihren Gesichtern, als sie die Fock klarierten. Knut übernahm die Pinne, dann segelten sie in aller Eile weiter, so schien es jedenfalls. Der Wind wehte jedoch nur schwach, und nach einer Weile, die ihnen wie eine Ewigkeit erschien, wurde das Segel schlaff.
Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wie weit sie von dem „Ding“ entfernt waren.
Mit angespannten Sinnen lauschten sie weiter angstvoll in den Nebel, der immer dichter wurde.
„Es – es taucht wieder auf“, flüsterte Knut. „Ich spüre es ganz deutlich. Es ist wieder in unserer Nähe. Wir können vor dem Teufel nicht fliehen.“
Ja, da war es wieder, das anfangs ferne Raunen und Ächzen, das jetzt fast unmerklich anschwoll. Alles schien sich zu wiederholen. Das Ding kreuzte erneut ihren Kurs, oder sie trieben darauf zu.
Zuerst wollten sie nach den Riemen greifen, um aus der Gefahrenzone zu pullen. Dann unterließen sie es, denn der Riemenschlag würde in dieser entsetzlichen Stille nur Aufsehen erregen. Sie blieben auf der Ducht sitzen und hofften, daß das Ding endlich vorbeiglitt, ohne daß sie jemand bemerkte.
Es kam jedoch alles ganz anders, als sie dachten.
Der Nebel verfinsterte sich wieder und wurde fast pechschwarz. Auch die riesige Wand war wieder da. Ein Poltern war zu hören, dann verzerrte Stimmen, die der Nebel zerfaserte.
Knut und Olaf Thorsten wurden immer kleiner. Die Fischer hockten wie verängstigte Kinder auf der Ducht und starrten leichenblaß in den fürchterlichen schwarzen Nebel. Seine Ausmaße wurden noch gewaltiger.
Vier schwarze Säulen schoben sich aus dem Nebel. An den Säulen hingen gewaltige Rahen, und an diesen Rahen bewegten sich schwach Tücher, von denen feuerspeiende Drachenköpfe stierten. Diese monströsen Drachenschädel spien gewaltige Flammenzungen nach allen Richtungen. Das alles war wie ein Spuk, aber dieser Spuk zog keinesfalls lautlos an ihnen vorbei. Da waren Stimmen, Flüstern, ein unheimliches Raunen, das sich mit Knirschen, Ächzen und Knarren vermischte. Außerdem war da noch das unheimliche Gurgeln und Schmatzen von Wasser.
Das Geisterschiff – jetzt schwarz wie die Nacht – schob eine Welle vor sich her, die sich wie ein Rauschebart auftürmte und immer größer zu werden schien.
Olaf schloß für ein paar Augenblicke krampfhaft die Augen, um das entsetzliche Bild fortzuwischen. Als er sie wieder öffnete, war alles nur noch schlimmer geworden.
Dieses Satansschiff schien den Nebel mit sich zu nehmen, denn er zog in einem riesigen Schleier mit dem Schiff fort. Hin und wieder riß der Nebel jedoch an einigen Stellen etwas auf, und da sahen sie zum ersten Mal die grauenhaften Gestalten an Bord.
Einige von ihnen schienen ohne Leben zu sein – Verdammte, die dazu verurteilt waren, ruhelos über das Meer zu ziehen, oder Diener des Satans, die zur Bewegungslosigkeit erstarrt waren.
Sie wußten nicht einmal, ob sie von den Gestalten bemerkt wurden, denn niemand war neugierig oder starrte sie direkt an. Diese Diener des Teufels schienen leblose Marionetten zu sein.
Für die Thorsten-Brüder war das alles wie ein fürchterlicher Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Ewigkeiten lang sahen sie das unheimliche Schiff und seine leblose Besatzung. Das schwarze Schiff zog in einer fließenden Bewegung ganz dicht vorbei und nahm dabei gewaltige Nebelmengen mit sich, oder aber der Nebel stammte direkt von dem Schiff, so genau ließ sich das nicht unterscheiden. Es ließ sich überhaupt nichts mehr unterscheiden, denn die ganze Welt war angefüllt von diesem grauenhaften Schiff.
Das Schlimmste folgte aber noch, als sie das Achterdeck des Geisterschiffes sahen. Den beiden Fischern setzte fast das Herz aus. Durch ihre Adern lief Eiswasser.
Auf diesem Achterdeck, wo ebenfalls alles in Schwarz gehalten war, hockte auf einem gewaltigen Thron oder Sessel der Teufel selbst. Es konnte niemand anderer sein, das stand für die Fischer fest.
Natürlich hatte er wieder eine seiner vielfältigen Verkleidungen gewählt, damit ihn niemand auf Anhieb erkannte. Auch davon hatte der Großvater der beiden Brüder immer zu berichten gewußt.
Seine Hörner hatte er geschickt unter einem gewaltigen Helm aus poliertem Kupfer verborgen, damit sie niemand sah. Und einen rötlich-grauen riesigen Bart hatte er sich ebenfalls zugelegt. Der Unheimliche war in rauchgraue Felle gehüllt und hatte die mächtigen Arme auf die Lehnen des Sessels gestützt. Er trug die gleichen Riemensandalen wie die alten Wikinger, und er hatte auch ein großes Schwert an seiner Hüfte.