Seewölfe Paket 31

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Die Distanz der beiden Schiffe verringert sich, nachdem der Bostonmann den Kurs nach Steuerbord geändert hatte. Sie waren jetzt noch etwa vier Kabellängen von der Karavelle entfernt. Sie war jetzt auch deutlich zu sehen – ein rankes, schlankes und schnelles Schiff, das leicht und wendig durchs Wasser lief. Der Däne war auch gut bestückt. Auf seiner Backbordseite waren sechs Rohre zu erkennen. Zudem hatte er eine Menge Drehbassen an Bord.
Drüben hatte man den Schwarzen Segler ebenfalls bemerkt, behielt aber den eingeschlagenen Kurs bei.
„Es könnte ein dänisches Kriegsschiff sein“, warnte Siri-Tong. „Denk mal an die letzten Tage und Wochen. Die Dänen sind nicht gerade gut auf uns zu sprechen.“
„Ich auf die Dänen auch nicht“, knurrte der Nordmann. „Immerhin haben uns drei Dänen angegriffen.“
„Mit dir ist doch nicht mehr zu reden!“ rief die Korsarin erbost. „Die drei Schiffe waren Niederländer, und sie haben nicht uns im Skagerrak beschossen, sondern wir sie.“
„Das kann man auch anders sehen.“
Abrupt wandte sich Siri-Tong ab. Sie wollte in ihre Kammer gehen, denn jeder weitere Wortwechsel mit dem Querkopf war zwecklos und ärgerte sie nur.
Gerade als sie sich umdrehte, blitzte es bei der dänischen Karavelle grell auf. Eine Feuerlanze zuckte gelbrot herüber. Der rollende Donner folgte sofort danach. Vor der Karavelle hing ein Vorhang aus dunklem Rauch wie ein Todesschleier.
Fassungslos drehte die Rote Korsarin sich um. Sie blickte auf die Stelle im Wasser, wo die Kugel eingeschlagen hatte. Jetzt spritzte dort eine Gischtfontäne hoch, stand für einen Augenblick wie eine Säule im Meer und fiel dann rauschend zusammen.
Der Wikinger blickte direkt verzückt drein und grinste dabei diabolisch. Sein Gesicht drückte Triumph aus, und der Schuß aus der Kanone war Wasser auf seine Mühle und Balsam für seine Seele.
„Diese Bastarde“, sagte er kehlig, „diese dreimal verfluchten Bastarde! Ich habe es ja gleich gesagt. Schnapphähne, lausiges Piratenpack, das friedliche Handelsschiffe überfällt. Von wegen Kriegsschiff!“ höhnte er. „Sehen diese Galgenvögel etwa wie Soldaten aus mit ihren ausgefransten Plünnen?“
Bevor die Rote Korsarin etwas erwidern konnte, brüllte erneut eine Kanone auf. Ein wilder Blitz, ein Röhren, und schon entstand die nächste Wassersäule. Etwa fünfzig Yards entfernt vor der Steuerbordseite des Schwarzen Seglers versank sie in der See.
„Drauf auf die Halunken, und sofort hinterher!“ brüllte Thorfin. Sein Gesicht war vor Zorn und Wut knallrot angelaufen, und er fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum.
Eike, Arne, Olig und der Stör gingen sofort zur Sache. Die Kanonen waren geladen, die Luntenstöcke sprühten Funken.
Vier der zwölf Steuerbordgeschütze spien ihr Eisen aus. Durch „Eiliger Drache“ ging ein spürbarer Ruck. Das Aufbrüllen der Fünfundzwanzigpfünder übertönte jedes andere Geräusch. Durch den langsam verwehenden Nebel stachen lange Feuerzungen. Eine Wolke aus grauem Qualm zog bis aufs Achterdeck.
Die Karavelle hatte nach dem zweiten Schuß abgedreht und zeigte dem total verbiesterten Nordmann das schmale Heck. Er hob wütend die Faust und brüllte ihnen einen wilden Fluch nach. Einen zweiten Fluch ließ er vom Stapel, als er sah, daß die Kugeln viel zu weit lagen. Die Entfernung war mittlerweile größer geworden.
Vier mächtige Wassersäulen verdeckten das Heck der Karavelle für ein paar Augenblicke.
„Bastarde – Höllenhunde – Rattenschwänze – dreckiges Lausepack!“ brüllte der Wikinger voller Zorn. „Wenn ich euch kriege, wickel ich jeden einzelnen zehnmal ums Bratspill! Und eure verdammten Schädel klopf ich zu Mus, ihr lausigen Torfköppe!“
Er, der sonst wirklich nicht zimperlich war und gern mal kräftig zulangte, war mächtig empört und in Braß, daß es ein verdammter Bastard gewagt hatte, ihn unter Feuer zu nehmen. Das blieb in Thorfins rauchgrauen Fellen hängen und erfüllte ihn mit berstender Wut.
„Das scheinen tatsächlich Schnapphähne zu sein“, sagte Siri-Tong nach einem Blick durch das Spektiv. „Nach Soldaten sehen sie wahrhaftig nicht aus. Da hast du also recht gehabt, Thorfin.“
„So was hat ein Wikinger im Gefühl“, tönte der Nordmann. „Aber sobald ich die Kerle habe, such ich mir einen heraus und hänge ihn an die Rah, damit er weiß, mit wem er es zu tun hat. In einer knappen Stunde haben wir die Bastarde.“
„Eiliger Drache“ segelte versetzt im Kielwasser des Dänen nach, der hin und wieder bewußt eine Nebelbank ansteuerte und darin verschwand.
Thorfin konnte sein Versprechen jedoch nicht einlösen. „Eiliger Drache über den Wassern“ tat seinem Namen zwar alle Ehre an, aber die Karavelle war doch schneller als der riesige Viermaster.
Thorfin fühlte sich von den Kerlen außerdem auf den Arm genommen, und das wurmte ihn ganz besonders. Sie ließen ihn einmal ein wenig aufholen, aber auf Schußweite gelangte er nicht heran, und das Stück, das er aufgeholt hatte, war er nach einer Weile wieder los.
Da half auch sein Fluchen nicht.
„Und ich kriege sie doch“, knurrte er wild.
5.
Der Nebel hatte die Arwenacks schon tagelang genervt, und auch jetzt hatte sich nicht viel daran geändert.
Das Meer sah aus, als sei es mit riesigen Wattebergen gespickt. Der Nebel formte die bizarrsten Gebilde. Mal waberte er wie ein langgezogener Schleier über das Wasser, dann wieder bildete er riesige Wolkenberge oder türmte Gebirge auf.
Kimm und Himmel waren nicht zu sehen, alles war weißgrau, feucht, klamm und voller Nebel. Auch der Wind blies nur schwach und schob die Schebecke langsam über das Meer.
„Ich weiß nicht, ob es richtig war, sich auf diesen Törn einzulassen“, sagte der Seewolf. „Gewiß, wir wollten ein paar Informationen über unseren Stützpunkt, aber ob wir Thorfin noch erwischen, scheint mir immer fraglicher zu werden. Wir krebsen nur noch im Nebel herum.“
„Deine Entscheidung war schon richtig, Sir“, sagte Ben Brighton. „Wir wissen nicht, wann wir wieder in die Karibik zurückkehren, und da ist es ganz gut, wenn wir ein paar Informationen erhalten.“
„Thorfin krebst auch im Nebel herum und kann sich nicht schneller bewegen“, meinte Dan O’Flynn. „Wir sind dem nordischen Rabauken ganz dicht auf den Fersen. Er hat ja überall Spuren hinterlassen, von der ‚Ragnhylt‘ über die Holländer, den Runensteinen und den Feuern. In etwa zwei oder drei Tagen müssen wir ihn erwischen. Thorfin trödelt bekanntlich im Norden immer herum, weil er sich hier wohl fühlt.“
„Sehr wohl offenbar“, sagte Hasard sarkastisch. „Der Riesenschrat rupft hier und dort ein bißchen, hält hin und wieder ein kleines Besäufnis ab und trödelt weiter. Aber das entspricht eben seiner Art, und niemand wird es ändern können.“
„Ich freue mich trotzdem, den behelmten Nordpolaffen wieder mal zu sehen“, meinte Carberry. „Dann gibt es wieder was über seine dämlichen Angewohnheiten zu lachen. Ob er wohl immer noch an seinem Helm kratzt, wenn er überlegt?“
„Ganz sicher“, sagte Ferris Tucker lachend. „Er wird auch noch seine nordischen Riesenläuse unter dem polierten Kübel züchten. Darauf halte ich jede Wette.“
Der Wikinger gab wieder mal Stoff her für saftige Gespräche. Wenn er die Vermutungen alle gehört hätte, würde es ganz sicher unter seinem Helm zu läuten beginnen.
Die angeregte Unterhaltung wurde unterbrochen, als Dan O’Flynn mit dem Finger nach Steuerbord voraus zeigte.
„Ein Fischerboot“, sagte er, „der Ausguck hat es noch nicht bemerkt. Ich habe es auch nur durchs Spektiv gesehen.“
Etwas später meldete es auch der Ausguck. Es war eine kleine Nußschale mit einer Fock. Zwei Männer waren zu erkennen, die ihre Netze über Bord gehängt hatten, jetzt aber untätig warteten und zu der heransegelnden Schebecke starrten.
„Große Helden scheinen die beiden nicht zu sein“, meinte Hasard lachend. „Sie treffen Anstalten, die Netze einzuholen und zu türmen. Sie haben offenbar Angst.“
„Oder schlechte Erfahrungen hinter sich“, sagte Ben.
Die Untätigkeit der beiden Fischer war vorbei, oder sie waren aus ihrer Erstarrung erwacht. Ziemlich eilig holten sie das Netz ein, in dem eine Menge silbriger Leiber zappelten. Es war ein großer Fang, mit dem sie offenbar nicht gerechnet hatten.
„Wir halten Kurs auf sie“, sagte Hasard. „Vielleicht können wir von ihnen etwas erfahren.“
„Wir könnten ihnen Fische abkaufen“, schlug der Kutscher vor. „Sicher haben sie Kabeljau, Schellfisch oder Butt gefangen.“
„Oder Heringe“, setzte Mac Pellew verträumt hinzu. „Die stärken die Manneskraft, besonders Räucherheringe.“
„Wirst du wohl wieder mal nötig haben“, flachste Matt Davies.
Big Old Shane dachte seufzend an die geräucherten Heringe, die sie damals in Bornholm gekauft hatten. Später hatten sie sie dann in einem Räucherofen selbst geräuchert, und die ganze Mannschaft war hellauf begeistert gewesen.
Dem Ex-Schmied von Arwenack lief das Wasser im Mund zusammen.
„Wir haben doch noch eine ähnliche Konstruktion an Bord“, sagte er eifrig. „Das Ding ist gleich zusammengebaut. Was haltet ihr von geräucherten Heringen?“
Welche Frage! Die Kerle stimmten fast ein Geheul an.
„Ein guter Vorschlag“, sagte Hasard. „Dann versuchen wir es.“
Die beiden Fischer hievten immer noch an dem gefüllten Netz. Ihre Angst vor dem fremden Schiff war offenbar groß, aber ihre gewaltige Beute wollten sie denn doch nicht im Stich lassen.
„Sag ihnen ein paar freundliche Worte, Nils.“
Der fröhliche Däne Nils Larsen, der außer seiner Muttersprache noch Spanisch, Schwedisch und Deutsch beherrschte, trat ans Schanzkleid und winkte den Fischern zu. Die beiden blickten bei ihrer Arbeit kaum auf und zerrten weiter heftig an dem Netz. Sie hatten ihren Fang immer noch nicht an Bord.
Nils Larsen legte die Hände trichterförmig an den Mund und brüllte laut hinüber: „Wir wünschen euch einen guten Fang, Freunde! Ihr sollt euch nicht ängstigen, wir möchten euch nur ein paar Fische abkaufen! Wir sind friedliche Handelsfahrer auf dem Weg nach Bergen!“
Jetzt blickten beide hoch und unterbrachen ihre Arbeit. In den Gesichtern lag ehrliche Überraschung.
„Dänisches Schiff?“ fragte einer der beiden. „Wir haben so eins noch nie gesehen.“
„Engländer!“ rief Nils zurück. „Aber ich bin Däne. Seid ihr damit einverstanden, uns den Fang zu verkaufen? Wir zahlen gut.“
Die beiden wirkten sehr erleichtert und nickten gleichzeitig.
„Wollt ihr alles?“ wurde gefragt.
Hasard nickte Nils zu. Der Däne antwortete, daß sie gern alles haben wollten, den ganzen Fang.
Damit war der Bann gebrochen. Die beiden waren einverstanden, setzten das Focksegel und gingen mit der Schebecke auf Parallelkurs.
Hasard ließ Tuch wegnehmen, gerade so viel, daß die Schebecke schwache Fahrt lief und die Fischer keine Schwierigkeiten beim Anlegen hatten. Das Netz hatten sie jetzt an Bord, und sie musterten neugierig die Arwenacks.
Der Kutscher sah mit Vergnügen, daß das Fischerboot fast abgeladen war. Seiner Schätzung nach waren es mindestens sechs Zentner Fisch, die sich in dem Kahn befanden.
Als sie längsseits lagen und vertäut waren, handelte der Kutscher den Preis aus. Er feilschte nicht herum und bezahlte anständig. An der Küste hätten die beiden bestenfalls den halben Preis erhalten, und so waren beide Seiten zufrieden.
„Was gibt es an Neuigkeiten?“ ließ Hasard über Nils Larsen fragen, nachdem der Fang an Bord war.
Hasards Söhne, Mac Pellew und Stenmark verstauten die Fische vorerst in leeren Fässern und ein paar Kisten. Den Rest ließ der Profos vorübergehend in die Waschbalje packen, weil kein Platz mehr war, und die Gefahr bestand, daß die zappelnden Fische durch die Speigatten rutschten.
„Hier gibt’s nie viel Neuigkeiten“, sagte der eine. „Aber wir haben vor ein paar Tagen etwas Unheimliches gesehen. Wir sind nämlich die Thorstenbrüder und fahren am weitesten zum Fischen hinaus. Ich bin Knut, und das ist mein Bruder Olaf.“
„Ein Schiff etwa?“ fragte Hasard. „Ein unheimliches Schiff vielleicht, das ganz plötzlich auftauchte?“
„Ah, ihr habt es also auch gesehen!“ rief Olaf. „Aber es ist kein richtiges Schiff, es ist ein – ein Geisterschiff, und immer wenn es vor den Küsten erscheint, passiert ein Unglück.“
„Dann erzähl doch mal“, forderte der Seewolf die beiden auf.
„Es erscheint alle paar Jahre. Unser Großvater hatte es schon gesehen, und jetzt sahen wir es selbst. Es ist pechschwarz und schwebt ein Stück über dem Wasser. Selbst die Segel sind schwarz auf diesem Höllenschiff. Es hat feuerspeiende Ungeheuer an Bord, Dämonen, Trolle und erstarrte Kobolde.“
„Und der Teufel ist persönlich an Bord“, wußte Knut zu berichten. „Das Schiff ist ein riesiges Schwefelfaß, das vom Meeresgrund aufsteigt. Der leibhaftige Satan kommandiert es. Wir haben ihn selbst auf dem Achterdeck gesehen.“
Hasard ließ sich nicht anmerken, daß er sich amüsierte. Die Fischer waren abergläubisch und spannen gern ihr Garn. Und so wurde aus einem harmlosen Schiff schon bald ein Teufelskahn, der über dem Wasser schwebte.
Der Kutscher amüsierte sich ebenfalls und ließ den beiden Männern ein Wässerchen einschenken, das sie gierig tranken.
„Soso“, sagte Hasard ernst. „Dann treibt sich das Geisterschiff womöglich noch vor den Küsten herum.“
„Und verschlingt alles“, versicherte Olaf. „Den ganzen Norden.“
„Fast glaube ich, daß die den Wikinger gesehen herben“, meinte Dan. „Nur ihre Phantasie geht mit ihnen etwas durch.“
„Schon möglich, natürlich übertreiben sie gewaltig. Aber die feuerspeienden Ungeheuer könnten die Segel gewesen sein, auf die Thorfin wüste Drachen genäht hat.“
„Habt ihr das Schiff bei Tage oder nachts gesehen?“ fragte Nils.
„Morgens, bei ganz dichtem Nebel. Es war in schwarzen Nebel gehüllt, und wir hatten fürchterliche Angst, als es ganz dicht in unserer Nähe vorbeizog. Den Teufel sahen wir auch für ein paar Augenblicke ganz klar und deutlich. Es war fürchterlich.“
„Wie sah er denn aus?“
Olaf Thorsten schüttelte sich bei dem Gedanken an das Bild, das sich in seine Seele eingebrannt hatte.
„Er saß auf einem schwarzen Thron in einer unheimlichen Verkleidung. Er verkleidet sich immer, damit ihn niemand erkennt. Diesmal trug er zottige Felle und einen gewaltigen Bart aus Feuer. An seiner Hüfte hing ein Schwert, das größer als ein Mann war.“
„Hatte er denn keine Hörner?“ wollte Nils wissen und verbarg seine Heiterkeit hinter einem betont ernsten Gesicht.
„Doch, er hatte Hörner, aber die versteckte er unter einem gewaltigen blinkenden Helm, der ebenfalls aus Feuer war. Zur Tarnung hatte er sich zwei Kuhhörner an den Helm geklebt.“
Als Nils Larsen das übersetzt hatte, begann der Profos brüllend zu lachen. Er konnte einfach nicht anders und lachte so schrecklich, bis ihm die Seiten wehtaten.
„Der behelmte Nordpolaffe!“ bölkte er los und konnte sich kaum beruhigen.
Die Thorstenbrüder sahen sich entsetzt an. Sie glaubten wohl, daß der Narbenmann plötzlich verrückt geworden sei, denn so benahm sich nur ein Irrer, wenn vom Teufel die Rede war.
Zu ihrer grenzenlosen Verwunderung begann aber auch bei den anderen ganz plötzlich das große Feixen. Erst grinsten einige dieser eigenartigen Kerle, dann lachten sie, und schließlich wieherten die Kerle wie die Hengste los und krümmten sich vor Lachen.
Da konnte auch Nils Larsen nicht mehr an sich halten. Er prustete los und lachte laut.
Für die beiden Thorstenbrüder war damit alles klar. Die Kerle machten sich über den Satan und sein schwebendes Schwefelfaß lustig, und das konnte ganz fatale Folgen haben, denn Old Nick verstand absolut keinen Spaß und würde sie alle zur Rechenschaft ziehen und bestrafen.
Während die Kerle alle noch brüllten, sich auf die Schenkel hieben oder die Bäuche hielten, enterten Knut und Olaf in rasender Eile ab.
Hasard wollte sie noch aufhalten, doch da sah er das Entsetzen in den Gesichtern und mußte selbst lachen.
Für die beiden war das das Zeichen, daß auch der Kapitän dieses seltsamen Schiffes nicht mehr alle Mucks im Schapp hatte. Die ganze Besatzung schien verrückt zu sein.
Der behelmte Nordpolaffe hatte eine Kettenreaktion ausgelöst. Mit einem letzten entsetzen Blick sah Olaf Thorsten, daß ein riesiger Hund laut zu bellen begann und hin und her flitzte. Ein Affe hüpfte kreischend und keckernd an Deck herum, und ein großer buntschillernder Vogel fluchte in Englisch wie ein Rohrspatz.
„Bleibt noch hier!“ rief Hasard. „Wann ist euch denn dieser Satan begegnet?“
Er erhielt keine Antwort mehr, und als Nils übersetzte, da sprangen die Fischer in ihr Boot, lösten mit zitternden Händen die Leine, legten völlig verängstigt ab und setzten die Fock. Zusätzlich pullten sie noch, um nur ja schnell das seltsame Schiff hinter sich zu lassen.
Hasard sah ihnen nach. Er hätte gern noch erfahren, wann die Begegnung erfolgt war, aber auf die Antwort mußte er verzichten. Die beiden Pullermänner hauten ab, so schnell sie konnten.
Die Kerle beruhigten sich nur langsam. Hin und wieder war immer noch Gelächter zu hören, und dem Profos liefen die Tränen über die Wangen, die er schluchzend abwischte.
„War ja sehr lustig“, sagte Hasard. „Aber daß man den Wikinger mit dem Teufel vergleicht, habe ich auch noch nie gehört. Die beiden haben ein hübsches Garn gesponnen und alles aufgebauscht.“
„Aber sie sind ihm begegnet“, sagte Don Juan de Alcazar. „Daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen. Der Beschreibung nach war es einwandfrei der Wikinger, der hier seine Bahn zog und wieder mal die Leute erschreckt hat.“
„Natürlich war er es, kein Zweifel. Aber diese Beschreibung war einfach zu köstlich. Wir sind ihm also wieder ganz dicht auf den Fersen. Das Erlebnis hat die beiden sichtlich mitgenommen, sie wirkten noch ein bißchen verstört. Es kann also höchstens zwei oder drei Tage her sein, seit sie dem Schwarzen Segler begegnet sind. Ich kann mir das Entsetzen der beiden abergläubischen Kerle gut vorstellen, als unvermittelt Thorfins schwarzer Kahn aus dem Nebel auftauchte. Die ganze Umgebung und die Stimmung haben das bewirkt, und da begann es in den Köpfen der beiden ein bißchen zu spuken.“
„Vielleicht war doch etwas Wahres dran“, erklärte Old O’Flynn wieder einmal, der von dem Gehörten ebenfalls beeindruckt war. „Solche Geisterschiffe mit dem Teufel an Bord gibt es ja.“
„Hast du schon mal eins gesehen?“ fragte Smoky.
„Etliche schon“, sagte Old Donegal.
„Daran ist der kleine grüne Wurm schuld“, sagte Carberry.
„Was für’n kleiner grüner Wurm?“ Old O’Flynn zeigte sichtliches Interesse.
„Den hat jeder im Gehirn“, tönte der Profos. „Ein kleiner grüner Wurm. Den hat man schon bei der Geburt im Kopf, aber meist ist er unsichtbar. Er leuchtet immer nur dann auf, wenn man dem Satan begegnet oder Geisterschiffe sieht. Dann leuchtet er grünlich.“
„Habe ich noch nie gehört“, staunte Old O’Flynn. „Hast du denn auch einen?“
„Ich hatte mal einen, aber gerade als er zu leuchten anfing, flog eine Möwe an – und schwupp! hat sie ihn rausgezogen. Seither sehe ich den Teufel nicht mehr und auch keine Geisterschiffe.“
„Ich sehe immer noch welche.“
„Klar, weil du den kleinen grünen Wurm noch hast.“
„Darf ich höflichst daran erinnern, daß wir noch Fische zu putzen haben“, meldete sich der Kutscher. „Wenn sie noch lange herumliegen, entwickeln sie bekanntlich einen abenteuerlichen Geruch, und den kann wiederum der kleine grüne Wurm in euren Köpfen nicht vertragen. Dann gibt’s ’ne Meuterei in dem Zeug, was ihr als Gehirn bezeichnet. Ich darf dann also um freundliche Mithilfe bitten. Schließlich wollt ihr ja auch alle geräucherte Heringe haben.“
„Ich kann keine Fische putzen“, behauptete Carberry. „Da wird mir immer ganz schlecht dabei.“
„Beim Essen merkwürdigerweise nicht. Falls du es vorziehst, dich nicht daran zu beteiligen, Mister Carberry, ziehe ich es vor, dich vom Essen auszuschließen. Liegt ganz an dir.“
„Na schön, du sitzt am längeren Hebel“, murrte der Profos. „Aber wenn mir schlecht wird, hast du die Schuld.“
„Habe ich immer“, entgegnete der Kutscher gelassen. „Aber der Herr in seiner großen Güte hat mir immer vergeben.“
Der Fang, der immer noch zappelte und zuckte, bestand aus einer Menge Heringe. Etliche Plattfische waren dabei, große Kabeljaus und noch größere Schellfische. Zwei große Aale waren den Fischern ebenfalls ins Netz gegangen, oder sie hatten sie mit Grundleinen geangelt.
Als Mac die Aale sah, hellte sich sein Essiggurkengesicht auf.
„Meine Lieblingsfische, außer Räucherheringen“, erklärte er. Er langte in das Faß und packte blitzschnell einen der Aale. Als er ihn triumphierend in die Höhe hielt, wand sich der Aal zwischen seinen Fingern hindurch. Mac Pellew konnte ihn nicht mehr halten. Da half alles Zupacken nichts.
Aber der Aal schien eine Vorliebe für Mac Pellew zu haben. Er flutschte ihm von oben ins Hemd – und da war die Hölle los.
Zunächst sah es nach einem altenglischen Tanz aus, was Mac Pellew dort auf die Planken legte. Er zitterte los, wackelte mit den Hüften, hob das rechte Bein und stieß ein langgezogenes „Aiiihhh“ aus.
„So ähnlich wie der Bauchtanz in Istanbul“, sagte Old O’Flynn. „Aber was will er damit andeuten?“ Er hatte nicht mitgekriegt, was da soeben passiert war.
„Er hat einen Aal im Hemd“, sagte Blacky.
„Und zu was soll das gut sein? Ich meine, das muß doch irgendeine Bedeutung haben.“ Old O’Flynn sah interessiert zu, als Mac jetzt beide Hände hob und einen weiteren markerschütternden Schrei ausstieß.
„Ein Aal im Hemd hat nie eine Bedeutung“, erläuterte Blacky. „Der ist ihm nur einfach so da reingeflutscht, verstehst du?“
Old Donegal verstand zwar nicht, aber er nickte zustimmend.
Mae Pellew grapschte verzweifelt ins Hemd, um seinen Lieblingsfisch zu packen. Aber der verstörte Aal beulte inzwischen den Hemdrücken aus und äugte kurz einmal über den Kragen, bevor er wieder verschwand. Mac wand sich nach allen Seiten und unternahm die wildesten Verrenkungen, doch den Aal erwischte er nicht.
So raste er wie ein Derwisch über das Deck, von vorn nach achtern und wieder zurück. Es sah aus, als würde er von einer wilden unsichtbaren Meute verfolgt.
„Mac ist und bleibt ein Unglücksrabe“, sagte Hasard kopfschüttelnd. „Was er anpackt, geht meistens schief.“
Er griff zu, als Mac Pellew mit einem Affenzahn an ihm vorbeitobte und hielt ihn fest. Mac schrie noch lauter und schüttelte sich vor Entsetzen.
„Er beißt mich!“ kreischte er. „Das Mistvieh beißt mich!“
Hasard öffnete Macs Hemd, packte dann am Kragen zu und hielt es in der Hand. Der Aal flutschte auf die Planken und wand sich auf die Bordhündin Plymmie zu, die zähnefletschend zurückwich.
Philip junior erwischte den Aal schließlich und warf ihn geschickt in die kleine Tonne zurück.
Mac Pellew hing die Zunge aus dem Hals. Er japste nach Luft und keuchte angstvoll. Mit nacktem Oberkörper stand er da und blickte sich gehetzt um.
„Alles vorbei“, sagte der Profos. „Dein Tänzchen ist beendet. Es war wirklich sehr originell. Beim nächsten Mal paßt du eben ein bißchen besser auf.“
„Ich fasse nie wieder einen Aal an“, jammerte Mac. „Nur noch geräucherte, die können nicht mehr beißen.“
Der Kutscher sah nach den „Bißwunden“, die es natürlich nicht gab und nur in Mac Pellews Phantasie existierten.
„Da ist gar nichts“, sagte er. „Ich habe auch noch nie gehört, daß Aale wie Schlangen beißen.“
„Na klar, die beißen“, versicherte Mac mit Trauermiene. „In der Südsee ist auch mal einer auf mich losgegangen. Der war mindestens zwei Yards lang und wollte …“
„Das war kein Aal, du Hirsch, das war eine Muräne, und das ist immerhin ein kleiner Unterschied. Zieh dich wieder an.“
Aber Mac zog das Hemd nicht mehr an. Er holte sich ein frisches. Als es dann ans Ausnehmen der Fische ging, schlug er um die Aale einen großen Bogen.
6.
Den Wikinger plagten zur Zeit ganz andere Sorgen.
Die Kerle auf der Karavelle hielten ihn ganz offensichtlich zum Narren und trieben ein lausiges Spielchen mit ihm. Thorfins Zornesader schwoll noch mehr an, als er sah, daß die schlanke Karavelle den Kurs änderte und nach Osten törnte.