Seewölfe Paket 31

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„Hinterher!“ brüllte er wieder. „Ich laß mich doch nicht an der Nase herumführen. Wir jagen die Halunken so lange, bis wir sie haben.“
„Es sieht eher so aus, als jagen sie uns“, meinte Siri-Tong. „Sie halten uns ein bißchen hin, lassen uns aufholen, feuern und verschwinden dann wieder. Ich habe das Gefühl, als wollten sie uns an die Küste locken.“
„An der Küste erwische ich sie“, versicherte der Nordmann finster. „Dann ist es aus mit der Piratenbande.“
„Möglicherweise haben sie irgendwo an der Küste noch ein paar weitere Schiffe liegen, ähnlich wie wir im Stützpunkt. Dann fallen sie alle auf einmal über uns her.“
„Mir egal. Wir haben die stärkeren Geschütze. Was würdest du denn an meiner Stelle tun?“
„Ich würde diese Jagd abbrechen, weil sie nichts einbringt“, erwiderte die Rote Korsarin. „Die Schnapphähne haben vielleicht ein bißchen Ladung an Bord, aber es lohnt ganz sicher nicht, deswegen hinter ihnen herzusegeln. Am Ende lachen sie sich eins ins Fäustchen.“
„Die Jagd wird nicht abgebrochen“, erklärte Thorfin grimmig. „Jetzt erst recht nicht. Die Jagd ist hiermit eröffnet.“
„Deine Sache“, erklärte Siri-Tong kühl. „Du willst immer mit dem Kopf durch die Wand. Manchmal bleibt man darin stecken.“
„Ich habe meinen Helm auf, ich bleibe nicht stecken.“
Vernünftigen Argumenten war der Schrat nicht mehr zugänglich. Jetzt hatte er sich die Karavelle in den Kopf gesetzt, und von der würde er nicht mehr ablassen – so oder so.
„Es ist ein Kreuz mit ihm“, sagte Siri-Tong zu dem kreolischen Bootsmann Juan, der ihr treu wie ein Hund ergeben war. „Das bringt doch überhaupt nichts ein.“
Der vierschrötige Mann, anderen gegenüber oft unehrlich oder verschlagen, nickte langsam und so vorsichtig, als könne ihm dabei der Kopf abbrechen. Auch mit dem Denken tat er sich schwer und mußte immer lange überlegen.
„Ganz recht, Madam“, sagte er dann.
Siri-Tong hatte auch keine andere Antwort erwartet und wandte sich ab. Sie blickte zu der Karavelle hinüber, die Kurs auf eine dichte Nebelbank nahm und darin verschwand.
Der Wikinger segelte unter groben Flüchen hinterher, bis der Nebel das Schiff von allen Seiten wieder einhüllte und die Sicht so schlecht wurde, daß vom Vorschiff nichts mehr zu sehen war.
„Wir sollten uns ein wenig vorsehen“, warnte jetzt auch der Bostonmann. „Die Kerle kennen sich hier aus, die sind hier zu Hause und können uns jederzeit in eine Falle locken.“
„Ich bin hier auch zu Hause und kenne mich aus“, polterte der Wikinger. „Halt dein Maul und den Kurs. Ich weiß, was ich tue.“
Der Bostonmann zuckte mit den Schultern und sagte nichts. Verbissen starrte er in die Nebelfetzen, die alles einhüllten.
Thorfin hatte sein Sesselchen verlassen und stand auf der Kuhl. Von dort aus versuchte er den Nebel mit seinen Blicken zu durchdringen.
Dann gab, es ein fauchendes Geräusch, ein Heulen, dem ein urweltliches Krachen und Donnern folgte.
Der Poltermann zog das Genick ein und duckte sich. Den Blitz hatte er nicht gesehen, aber er sah die noch rauchende Eisenkugel, die den Großmast getroffen hatte, abgeprallt war und nun auf die Planken fiel. Der schwere Mast wackelte ein bißchen, das war alles. Die Eisenkugel hüpfte ein paarmal auf und nieder und rollte zum Schanzkleid, wo sie liegenblieb.
Dem Hartholz hatte der Treffer nicht geschadet, und den eisenharten Planken ebenfalls nicht. Thorfins Schiff war aus allerhärtestem Holz gebaut und hatte schon so manches Bombardement heil überstanden. Die Kugel hatte auch nicht mehr die richtige Geschwindigkeit draufgehabt. Außerdem mochte es ein Zufallstreffer gewesen sein.
Aber Thorfins Gemüt hatte die Kugel geschadet. Er benahm sich, als hätte sie seinen Helm getroffen.
Er brüllte und schrie herum, rannte zu der einen Drehbasse an Backbord und feuerte eine Ladung Grobschrot blindlings in den Nebel. Dann stand er mit grimmigem Gesicht da und wartete.
Es schlug nirgendwo ein, er hörte jedenfalls kein Bersten oder Krachen, und so ließ er voller Wut noch zweimal mit den großen Geschützen in den Nebel feuern.
Als der gedämpft klingende Donner verhallt war, tat sich zu seinem Ärger auch weiter nichts. Alles blieb still und unheimlich ruhig.
Dann hörte er von allen Seiten gleichzeitig – so glaubte er jedenfalls – hämisches und schadenfrohes Gelächter. Dieses höhnische Kichern und Lachen ertönte aus allen vier Himmelsrichtungen und ließ sich nicht einmal ungefähr orten.
Die Schnapphähne, welche die Schüsse des Viermasters gehört hatten, lachten ihn aus.
Thorfin packte in wilder Wut die immer noch auf den Planken liegende Eisenkugel. Sie war noch glühendheiß, doch das störte ihn nicht. Mit aller Kraft schleuderte er sie in die Richtung, wo er jetzt zum zweiten Male das höhnische Gelächter zu hören glaubte. Das schien auf der Steuerbordseite zu sein.
Ein leises Aufklatschen im Meer war zu hören, dann trat wieder beängstigende Stille ein.
Der Nebel wurde jetzt so dicht und kompakt, daß Thorfin nicht einmal mehr erkennen konnte, wer am Ruder stand. Er sah nur einen Schemen, der völlig konturlos war und mehr einem Gespenst als einem Menschen ähnelte.
Die gedrungene Gestalt Barbas trat auf ihn zu. Das narbige Monstrum lachte hohl.
„Ein Vorschlag, Nordmann“, sagte er. „Wir sollten diese Nebelbank verlassen, und zwar ganz schnell. Wenn wir draußen sind, haben wir eine günstigere Position und können sehen, wenn die Kerle heraussegeln. Dann lassen wir die Kuh fliegen, denn damit rechnen sie nicht.“
Thorfin wischte mißmutig und ärgerlich über seinen Bart.
„Nicht schlecht, dein Vorschlag, Barba“, sagte er. „Hier krebsen wir doch nur herum und sehen nichts. Einmal haben die Bastarde uns schon getroffen, wohl mehr aus Zufall. Gut, dann übernimm du jetzt das Ruder und löse den Bostonmann ab. Wenn wir nach Backbord steuern, gelangen wir aus der Suppe heraus.“
Barba löste den Bostonmann ab, der vom ewigen Starren in den Nebel schon rötliche Augen hatte, und legte den neuen Kurs an.
Da erlebte Thorfin die nächste Überraschung.
Die Kerle auf der Karavelle hatten bereits gehandelt und erwarteten ihn. Der Bug des Schwarzen Seglers war noch nicht richtig aus dem Nebel heraus, als es weiter drüben auch schon zweimal hintereinander aufblitzte.
Thorfin Njal blieb die Luft weg.
„Feuer!“ brüllte er.
„Wir können nicht feuern“, sagte der Stör kläglich. Er duckte sich, als zwei dicke Säulen nur ganz knapp vor der Bordwand aus dem Wasser wuchsen und ein Zischen und Rauschen zu hören war. „Wir müssen erst wieder nach Steuerbord drehen.“
Thorfin riß seinen Helm vom Kopf, warf ihn auf die Planken und stülpte ihn wieder auf. Er war außer sich vor Wut und pfiff Barba an, endlich mit dem verdammten Torfkahn auf den anderen Bug zu gehen.
Die Karavelle entfernte sich schon wieder, in wenige Nebelfetzen gehüllt wie ein Schemen, und törnte weiter nordwärts. Aber das Gelächter, das von drüben erklang, schnitt dem Wikinger schmerzhaft in die Ohren.
„Eiliger Drache“ war nicht so wendig wie die Karavelle, das mußte der Nordmann zähneknirschend zugeben. Bis sie auf dem neuen Bug lagen, war die dänische Karavelle bereits außer der Reichweite ihrer Kanonen.
„Diese verdammten Mistböcke!“ wetterte der Nordmann. „Die freuen sich zu früh. Ich erwische sie noch, diese lausigen Bastarde.“
Seine Nerven wurden immer ärger strapaziert, und auf dem Schiff ging ihm jeder aus dem Weg, denn er sah so aus, als wolle er rücksichtslos alles zerschmettern, was ihm die die Quere geriet.
Die dänischen Schnapphähne aber nervten ihn weiter. Sie steuerten jetzt wieder östlichen Kurs und führten ihn langsam, aber sicher immer weiter an die Küste heran.
„Willst du den Unsinn immer noch nicht aufgeben?“ fragte Siri-Tong. „Das führt doch zu nichts.“
„Jetzt erst recht nicht. Ich will die Kerle haben, und ich kriege sie auch.“
„Du stehst wieder mal mit beiden Beinen auf den Wolken“, erklärte die Rote Korsarin. „Aber das merkst du erst dann, wenn es wieder mal zu spät ist. Wir vertrödeln nur unsere Zeit. Die Kerle haben etwas vor, das ich noch nicht durchschaue, denn sie tun es nicht aus reiner Freude. Dahinter steckt eine ganz bestimmte Absicht.“
„Mir können sie nichts wollen. Wenn ich dicht genug dran bin, kriegen sie was in den Rumpf geballert, und dann sacken sie ab!“
„Du wirst nicht dicht genug herangelangen, Thorfin. Sie lassen es gar nicht zu.“
Der Nordmann blieb stur und dickschädelig. Er winkte nur ab, zum Zeichen, daß er die Diskussion nicht fortzusetzen gedenke.
Da erst gab Siri-Tong auf. Es war zwecklos, dem Wikinger etwas auszureden, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.
„An der Kimm ist die Küste zu sehen“, meldete der Bostonmann. „Ein kaum sichtbarer Strich im Nebel. Die Kerle halten genau darauf zu.“
Thorfin nahm das nickend zur Kenntnis. Er ließ sich das Spektiv geben und blickte hindurch.
Ja, da war die Küste zu sehen, ganz schwach nur, etwas bergig und im Dunst liegend, der langsam wieder zunahm. Er hielt nach anderen Schiffen Ausschau, doch er sah keine. Dann legte er das Spektiv weg und starrte mißmutig in den Nebel, der an vielen Stellen so dicht schien wie eine kompakte Wand.
Die Karavelle drehte weiter ab und hielt genau auf den schmalen Landstrich zu. Sie segelte ein paar langsame Schläge, damit „Eiliger Drache“ etwas aufholen konnte.
Thorfin sah verbiestert aus. Er schätzte die Entfernung und knuffte dann dem Stör in die Seite.
„Gib ihnen eins zwischen die Hörner“, sagte er grob. „Laß das Eisen raus und sieh mich nicht so dämlich an.“
„Wir sind zu weit weg“, murmelte der Stör. „Wir verschwenden nur Pulver und Kugeln und treffen sie doch nicht.“
„Soll ich dir erst die Löffel langziehen?“ fragte Thorfin drohend. „Du sollst feuern, habe ich gesagt. Oder willst du einen Tritt in den Hintern?“
Der Stör sah nervös auf die gewaltigen Riemenlatschen des Wikingers und verzichtete auf den Tritt. Wenn Thorfin diese Tritte verteilte, dann sah man alt und krank aus, und dann wurde nicht nur der Achtersteven durchgeschüttelt. Das ging immer bis ins Mark.
Die Kerle zeigten jetzt gerade ihre Breitseite. Thorfin fand, daß die Gelegenheit äußerst günstig sei.
Der Stör zündete die Kanone und verzog das Gesicht, als das riesige Stück auf brüllte und auf der Lafette zurücksauste. Die Brooktaue fingen es mit einem harten Ruck ab. Der Blitz schien hundert Yards lang zu sein, und der Knall hörte sich an, als sei der Himmel eingestürzt.
Thorfin linste durch den Qualm und Rauch.
Die Kugel donnerte ins Wasser. Die See schien an jener Stelle zu kochen, wo sie eingeschlagen war. Ein riesiger Wasserschwall erhob sich für einige Augenblicke.
Um mindestens zwei Kabellängen lag der Schuß zu kurz, wie der Nordmann verärgert feststellte.
„Ich habe ja gleich gesagt …“
„Halt’s Maul!“ rief Thorfin grob. „Und erzähle mir nicht, was du gleich gesagt hast. Du hast eben nicht getroffen, weil du ein mieser Schütze bist.“
„Ich bin kein mieser Schütze“, begehrte der Stör auf. Er hatte heute offenbar seinen energischen Tag und gab dem Nordmann Kontra. „Die Entfernung ist zu groß, das ist alles.“
Thorfin hob schon den rechten Fuß an, doch da zuckte er zusammen. Auf dem Dänen sprangen die Kerle an Deck herum und lachten im Chor, daß es weit über die See dröhnte. Sie lachten ihn aus.
Die Karavelle steuerte die nächste Nebelbank an, doch Thorfin folgte ihr nicht blindlings, als sie in dem quirligen Dunst verschwand.
„Wir legen uns jetzt auf die Lauer“, verkündete er grimmig. „Wir runden diese Nebelbank solange, bis die Rattenschwänze wieder auftauchen, und dann geht es ihnen an den Kragen.“
Die Nebelbank zog sich auf eine knappe halbe Meile hin und stand wie eine langgestreckte Wolke in der See. Vom Ausguck aus war sie in ihrer gesamten Länge zu überblicken.
Thorfin verließ sich nicht auf seine Ausgucks. Er enterte selbst auf und schärfte Barba ein, sofort seine Kommandos auszuführen. Dann hatte er den Ausguck im Großmars erreicht und blickte in den Nebel.
„Diesmal entwischen sie nicht“, sagte er. „Das war ihr Fehler, in diese Wand hineinzusegeln. Kannst du sie sehen?“ fragte er Arne.
„Nicht mal die Mastspitzen, sie stecken offenbar mitten drin.“
Thorfin ließ einen Schlag nach Norden segeln und hielt von der Nebelbank einen Abstand von zwei Kabellängen.
Als sie die Höhe erreicht hatten, ließ er auf Westkurs gehen und die Nebelbank in ihrer ganzen Ausdehnung runden. Immer wieder stierte er in die weißliche Masse, ohne etwas erkennen zu können.
„Verdammt, die können doch nicht ewig da drin stecken“, grollte er.
Es dauerte endlos lange, bis sie die Bank gerundet hatten. Von der Karavelle zeigte sich keine Mastspitze. Es schien, als habe der Nebel das Schiff verschlungen.
Thorfin enterte nach einer geraumen Weile ab. Seine Stimmung hatte sich noch weiter verschlechtert. Er sah zum Fürchten aus.
„Wir segeln jetzt genau durch die Mitte der Nebelbank mit Kurs auf die Küste“, befahl er. „Und wenn wir mitten drin sind, dann gibt es nach allen Seiten Zunder. Die Bastarde werden sich wundern.“
Barba schnitt die Nebelbank an und segelte mitten hinein, wie Thorfin befohlen hatte. Er war nicht gerade davon begeistert, aber der Nordmann wollte es so, auch wenn es zwecklos und unsinnig war.
Dichter Nebel hüllte sie von allen Seiten urplötzlich ein. Selbst der Ausguck konnte nichts mehr erkennen.
Die Geschütze waren feuerbereit. Als Thorfin den Eindruck hatte, daß sie mitten in der Nebelbank steckten, ließ er nach beiden Seiten feuern.
„Eiliger Drache“ spie lange Flammenzungen nach Backbord und Steuerbord.
Jedesmal, wenn ein Fünfundzwanziger auf die Reise ging, bebte das Schiff in allen Verbänden. Donner grummelte über die See, es hallte nach im Nebel, aber das Echo war nur schwach.
Als das Brüllen verklang, lauschte Thorfin nach allen Seiten. Er legte die Hände an die Ohren und lauerte auf das Splittern und Bersten von Holz. Es gab jedoch kein derartiges Geräusch. Es war nichts weiter zu hören als das leise Murmeln des Wassers, das an den Schiffswänden vorbeifloß.
Der Poltermann haute mit der flachen Hand wütend aufs Schanzkleid, daß die anderen erschreckt zusammenfuhren.
Barba segelte weiter in Richtung der felsigen Küste, und als sie aus der Nebelbank heraus waren, erwartete sie die Karavelle und eine Meute homerisch brüllender Kerle, die ihnen zuwinkten und sich vor Lachen kaum halten konnten.
Die Karavelle ergriff die Flucht und zeigte das Heck.
Thorfins Flüche waren bis an die ferne Küste zu hören.
7.
Die seltsame Verfolgung ging weiter, jetzt in Küstennähe, nachdem die dänische Karavelle auf nördlichen Kurs gegangen war.
Der Küstenstreifen war felsig und unbewohnt. Kein einziges Nest war in der Nähe zu sehen, auch gab es weit und breit kein anderes Schiff.
Thorfin blickte immer wieder durch das Spektiv, denn ihm klangen noch die Worte der Roten Korsarin in den Ohren, daß irgendwo dicht unter der Küste andere Schiffe liegen könnten und sie auf diese Art in eine Falle liefen.
Er sah jedoch nichts und schöpfte auch weiterhin keinen Verdacht. Er ärgerte sich nur über die „Bastarde“, die ihn ganz offensichtlich zum Narren hielten.
Jetzt befanden sie sich zwischen Nebelbänken, wabernden Fetzen oder langen Schleiern dicht unter der Küste. Thorfin belauerte die Karavelle wie ein Fuchs seine Beute und hielt dann wieder nach vorspringenden Landzungen Ausschau, hinter denen sich gute Verstecke anboten. Der Ausguck gab jedoch keine Meldung an Deck.
„Der nimmt zwei Segel weg“, sagte der Bostonmann erstaunt. „Was mag das zu bedeuten haben?“
„Das alte Spiel“, knurrte Thorfin. „Er segelt etwas langsamer, bis wir aufgeholt haben, und wenn wir auf Schußweite heran sind, segeln die Halunken wieder unter vollem Preß. Aber die können segeln, solange sie wollen, ich bleibe ihnen auf den Hacken.“
Mißtrauisch sah er zu, wie weiter vorn die Segel weggenommen wurden und die Karavelle bis auf knapp drei Kabellängen unter die Küste ging.
Die Schnapphähne feuerten gleichzeitig einen Schuß aus der achteren Drehbasse ab, über den der Wikinger höhnisch lachte.
Dann verging ihm das Lachen allerdings schlagartig.
Er wollte sich gerade wieder in seinem Sesselchen niederlassen, als ihn eine Riesenfaust packte und hart nach vorn schleuderte. Er segelte über das Deck, krachte auf die Planken und verlor seinen Helm.
Er war aber nicht der einzige, der so überraschend den Halt verlor. Auch Barba wurde von der unbekannten Kraft gepackt und auf die Planken geschleudert. Ein paar andere Kerle gingen ebenfalls fluchend auf die Schiffsplanken.
Der Bug von „Eiliger Drache“ bäumte sich auf. Eine harte Erschütterung durchlief das Schiff von vorn bis achtern. Die schwarzen Masten wackelten bedrohlich. Dann ein Knirschen, ein Schaben und ein weiterer Ruck.
Dem Wikinger dämmerte die Erkenntnis, daß sie aufgelaufen waren. Das Schiff war auf eine Untiefe gebrummt und saß fest.
Auf der Karavelle schrien sie sich die Kehlen heiser, brüllten, tobten und sprangen schadenfroh an Deck herum. Die Hölle war da drüben los, und die Kerle konnten sich kaum beruhigen.
Weiß vor ohnmächtigem Zorn mußte der Wikinger mit ansehen, wie sie sich über ihn lustig machten. Er rappelte sich auf, nahm seinen Helm und stand dann wie ein nordischer Rachegott an Deck.
Drüben drehten ihm die Bastarde lange Nasen und krümmten sich immer noch vor Lachen.
Jeder an Bord erwartete jetzt einen Tobsuchtsanfall des Wikingers. Er würde wie ein Faß Schießpulver explodieren und dann wie ein Berserker herumtoben. Doch nichts dergleichen geschah.
Thorfin Njal war sehr kleinlaut geworden, und er blickte auch sehr belemmert drein, zumal noch der sehr spöttisch-überlegene Blick der Roten Korsarin ihn traf.
Er hatte seinen Helm aufgestülpt und sah finster auf die Planken.
„Verdammter Scheiß“, brummte er. „Das ist mir auch noch nicht passiert. Aber daran ist natürlich der Ausguck schuld. Der Himmelhund hätte die Sandbank sehen müssen, und zwar rechtzeitig.“
„Natürlich ist der Ausguck schuld“, sagte Siri-Tong. „Einer muß ja schuld sein, wenn du störrischer Ochse auf eine Sandbank segelst. Der Ausguck sieht von oben noch weniger als du auf dem Achterdeck. Er starrt nur auf den Nebel, der über dem Wasser schwebt.“
Barry Winston, der Ausguck hatte, enterte auf eine Daumenbewegung des Wikingers langsam ab. Er strich über seine Glatze und stand verlegen vor dem Wikinger herum.
Thorfin blickte auf seine linke Kopfhälfte, wo das Ohr fehlte. Statt dessen war da nur etwas, das wie eine verunstaltete Muschel aussah. Sein linkes Ohr hatte er bei einem Enterkampf in der Karibik gelassen. Winston bedauerte das noch heute. Nicht wegen des Ohrs, sondern wegen des schweren Ohrrings daran, der auch in der Karibik geblieben war.
„Du Elchbullenarsch“, sagte der Wikinger. „Hast du keine Augen in deinem verwanzten Strohkopf? Du hättest die Sandbank sehen und mich sofort wahrschauen müssen. Wieder gepennt, du Hundesohn, was?“
„Von oben ist nicht einmal das Wasser zu sehen“, verteidigte sich Winston. „Wirklich, ich sah nur die Nebelschleier, die immer dichter wurden. Ich konnte nur weit voraussehen, aber nach unten war alles verhüllt.“
„Such nicht wieder nach einem Schuldigen, wenn keiner da ist“, sagte die Rote Korsarin und sprang für Winston in die Bresche. „Er konnte wirklich nichts sehen, ich habe mich vorhin selbst davon überzeugt.“
„Aber die Bastarde lachen sich krank über uns. Ihr Freudengeheul ist meilenweit zu hören.“
„Natürlich. Sie haben dich ganz bewußt auf diese Sandbank gelockt, weil sie den Küstenverlauf genau kennen. Du bist ihnen stur gefolgt, und jetzt haben sie genau das erreicht, was sie wollten. Kein Wunder, daß sie vor Schadenfreude fast platzen.“
„Du meinst, das war kein Zufall?“
„Ganz sicher nicht. Es war Absicht, und du bist darauf hereingefallen, wie sie es geplant haben.“
Thorfin sah immer noch vernagelt aus und kratzte mit dem gekrümmten Zeigefinger am Helm. Ein Zeichen, daß er nachdachte.
„Gut, wir sitzen also fest“, knurrte er. „Ich bin in meiner Wut den Bastarden auf den Leim gegangen. Zum Glück ist es nur eine Sandbank, und wenn wir bei Ebbe aufgelaufen sind, schwimmen wir nach ein paar Stunden auch wieder auf. Aber was, bei Odins Raben, wollen sie damit bezwecken? Nur, damit sie über uns lachen können?“
„Sie haben etwas vor“, erwiderte die Rote Korsarin nachdenklich. „Es kann sein, daß sie jetzt ihre Kumpane alarmieren und dann gemeinsam versuchen, uns auszuplündern. Es sind zweifellos Nordmeerpiraten.“
„Weiß ich selbst. Man sieht es ihnen ja an. Aber mit dem Ausplündern werden sie trotzdem kein Glück haben. Sie gelangen gar nicht an uns heran, weil der Schwarze Segler eine schwimmende Festung ist. Ich kann nach allen Seiten ballern – und weiter als die Kerle. Irgendwie ergibt das keinen richtigen Sinn.“
„Warten wir es ab. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, daß uns noch ein paar unangenehme Stunden bevorstehen. Noch unangenehmer wird es natürlich, wenn wir bei Flut aufgelaufen sind. Dann sitzen wir nicht nur für ein paar Stunden fest.“
Thorfin sah wieder zu der Karavelle hinüber. Sie war noch etwas dichter unter Land gesegelt und hatte die Segel aufgepackt. Jetzt setzten sie in sicherer Entfernung gerade den Anker, und sie taten das sehr unbekümmert. Auch ein Beiboot fierten sie ab und vertäuten es neben dem Schiff.
Für den Nordmann war diese Handlung ein einziges Rätsel. Er begriff den Sinn nicht, der dahintersteckte und grübelte weiter.
Alle Augenblicke sah er mißtrauisch hinüber.
Inzwischen hatten zwei Männer in den unteren Räumen nachgesehen und meldeten, daß „Eiliger Drache“ keinerlei Beschädigungen aufweise. Der Poltermann nickte dazu, als habe er es nicht anders erwartet. Schließlich bestand das Schiff ja auch aus allerbestem Holz.
„Da geht sowieso nichts kaputt“, behauptete er. „Mich interessiert viel mehr, was die Bastarde vorhaben. Wenn ich das nur wüßte.“
Auf der Karavelle tat sich danach nicht mehr viel. Das Beiboot war vertäut worden, und ein paar Kerle schienen nichts anderes zu tun zu haben, als grinsend zu ihnen zu starren.
Zu Thorfins Ärger begann nun auch der Nebel langsam, aber sicher immer dichter zu werden. Die Küste war noch zu sehen, aber sie verschwamm mitunter zu einem bizarren Gebilde, das in den Himmel zu rücken schien.
„Sie werden uns im Nebel überfallen“, sagte Barba. „Wenn wir nichts mehr sehen, dann lassen sie die Kuh fliegen.“
„Bestimmt werden sie uns im Nebel überfallen“, meinte auch Cookie sehr eifrig, um sich bei dem Wikinger wieder einzuschmeicheln. „Ja, ich glaube es ganz bestimmt.“
Cookie bot eine lächerliche Figur. Die Riesengräte des Kabeljaus baumelte noch immer achtern von seinem Schädel hinunter wie ein großer, quergestellter Zopf.
„Dich hat überhaupt niemand gefragt“, ranzte Thorfin den Grätenträger an. „Verzieh dich in deine Kombüse und kümmere dich um den Fraß, den du Essen nennst.“
Cookie verzog sich in auffallender Eile, tat einen Kratzfuß vor dem Wikinger und grinste entschuldigend.
Das große Rätselraten, was die Schnapphähne wohl planen mochten, ging inzwischen an Deck weiter.
„Ich will aber keine Vorwürfe mehr hören“, sagte Thorfin mit einem Blick auf die Rote Korsarin. „Jeder soll nur überlegen, was sie wohl tun werden.“
Für Siri-Tong gab es nicht viel zu überlegen. Sie blickte zu der Karavelle, sah aber nur noch einen verschwommenen Strich. Drüben war auch alles auffallend ruhig.
„Sie haben eine Aktion im Nebel vor, wie Barba schon sagte. Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Wir müssen vorn, achtern und an allen Stellen bewaffnete Wachen postieren, wo jemand an Bord klettern kann.“
„Die Vorstellung behagt mir trotzdem nicht“, sagte Thorfin. „Es sind nicht einmal so viele Kerle wie wir. Sie haben selbst im Nebel den Nachteil, daß sie sich bei uns an Bord nicht auskennen. Sie müssen damit rechnen, daß sie sofort abgeräumt werden.“