Seewölfe Paket 31

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„Sie haben einen Vorteil. Sie sind beweglich, während wir festliegen und uns nicht rühren können.“
Thorfin kratzte wieder an seinem Helm. Es gab ein leises schabendes Geräusch.
„Wir sollten jetzt nicht länger tatenlos warten“, erklärte er. „Bewaffnet euch mit Musketen und Pistolen. Ein paar Mann nehmen an den Drehbassen Aufstellung, und der Rest der Mannschaft bleibt bei den Kanonen. Der Nebel wird immer dichter. Jetzt ist die Küste kaum noch zu sehen.“
Die Karavelle war verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Gelächter oder Geräusche waren ebenfalls nicht mehr zu hören. Die Kerle belauerten sie und warteten auf eine günstige Gelegenheit.
Zwei Musketenschützen schickte Thorfin in den Großmars. Von dort aus sollten sie sofort feuern, wenn sich auch nur ein Schemen auf dem Wasser zeigte. Die anderen nahmen an den Schanzkleidern Aufstellung und blickten aufmerksam aufs Wasser, obwohl sie kaum etwas sahen. Über dem Wasser hing eine dicke Nebelschicht. Die vier Wikinger standen an den Drehbassen und lauerten auf einen unsichtbaren Feind.
Überall an Deck standen außerdem Messing- und Kupferbecken mit glühender Holzkohle herum. „Eiliger Drache“ war feuerbereit.
„Nur noch das Nötigste sprechen“, sagte Thorfin, „und dann auch nur leise. Veranstaltet keinen Krach. Wenn ich euch ein Zeichen gebe, dann feuert ihr sofort nach beiden Seiten. Irgendwie werden wir die Bastarde schon erwischen, und sei es nur durch Zufall.“
Er selbst ging langsam von vorn nach achtern und hatte die Faust um den riesigen Griff seines „Messerchens“ gelegt. Siri-Tong kontrollierte die andere Seite des Schiffes.
Sie achteten auf Geräusche, doch wenn mal ein Block knarrte oder das Tauwerk ächzte, wurden die Geräusche vom Nebel geschluckt und verzerrt.
Thorfin fühlte sich unbehaglich. Er sah seinen Gegner nicht, aber der Gegner konnte ihn auch nicht sehen. Allerdings hatte dieser Gegner den Vorteil zu wissen, wo das Schiff lag.
Angespannte Stille herrschte auf dem Schwarzen Segler, eine Ruhe wie in einer Gruft.
Eine halbe Stunde lang rührte sich nichts. Alle warteten. Das ständige Starren in den Nebel wurde zur Qual. Die Augen brannten, und alles verschwamm vor den Blicken.
Thorfin zuckte zusammen, als plötzlich Gelächter aufklang. Es hörte sich nach einer Horde Geister an, die dumpf im Nebel lachte.
Er fuhr herum, packte sein Messerchen und blickte nach vorn. Das Gelächter hörte wieder auf.
„Die wollen uns nur zermürben“, raunte der Bostonmann. „Wir sollen die Nerven verlieren.“
„Das war da vorn“, murmelte Thorfin, „oder täusche ich mich?“
Sie konnten sich über die Geräuschquelle nicht einigen. Einer behauptete, das Gelächter an Backbord gehört zu haben, ein anderer sagte, es sei mehr achtern gewesen und ein dritter glaubte zu wissen, es sei direkt aus der See aufgestiegen. Genau wußte es keiner. Es ließ sich wegen der Verzerrung auch nicht feststellen.
Die Gestalten an Bord waren unwirkliche Schemen in einer unwirklichen Welt. Kalt und feucht drang es von allen Seiten auf sie ein. Lange Schleier zogen vorüber.
Thorfin wollte nicht länger warten. Er sah den Bostonmann und gab ein Zeichen mit der rechten Hand.
Luntenstöcke senkten sich. Funken fraßen sich durch das Zündkraut, und dann schien „Eiliger Drache“ zu explodieren.
Der Nebel wurde aufgerissen. Diffuse Helligkeit verbreitete sich für einige Augenblicke, als die Stücke die schweren Fünfundzwanziger ausspien und rumpelnd auf ihren Lafetten zurückfuhren. Durch das Schiff ging ein harter Ruck. Es zitterte wie ein gestrandeter Wal. Unter dem Kielschwein hörte man schwach den Sand knirschen.
Den größten Krach schluckte der Nebel, der durch den Vorhang aus Qualm und Rauch noch dichter wurde. Fast schwarz war er jetzt. Mit dem Verklingen des Donners war ein Rauschen zu hören – Wassersäulen, die in der See entstanden und wieder in sich zusammenfielen.
„Jetzt die Drehbassen“, raunte der Wikinger und gab erneut das Handzeichen.
Eike, Arne, Olig und der Stör zündeten die schwenkbaren Drehbassen, die mit Grobschrot geladen waren.
Ein neuer Eisenhagel, einem tödlichen Gewitter gleich, fegte brüllend und fauchend über das Meer durch den Nebel. Im Wasser schlug es ein, als würden Steine nach allen Richtungen geworfen.
Thorfin lauschte wieder angestrengt und sah grimmig zu, wie in aller Eile die Kanonen und Drehbassen nachgeladen wurden.
Er hatte gehofft, irgendwo in dem dichten undurchdringlichen Vorhang Schreie oder Gebrüll oder das Splittern von Holz zu hören. Möglicherweise schlichen die Kerle gerade mit ihren Jollen heran.
Aber da war kein Geräusch mehr. Er hatte das Gefühl, ganz allein mit seiner Mannschaft auf der Welt zu sein, und um sie herum war alles in dichte Watteberge gepackt.
Die Stille war fast greifbar, wie vorhin schon. Eine Minute nach der anderen verrann in gespenstischer Lautlosigkeit.
Das Problem mit dem Nebel hatten die Arwenacks auf der Schebecke ebenfalls. Es zog wieder mal zu und wurde immer dichter. Das Navigieren wurde dadurch beträchtlich erschwert, und auch die Koppelnavigation ließ zu Dan O’Flynns Ärger immer mehr zu wünschen übrig.
Der Wind war fast eingeschlafen und schob sie nur noch mit schwacher Fahrt durch das Wasser.
Hasard ahnte mehr, als daß er sah, wie sie von einer schwachen Strömung langsam, aber unaufhaltsam nach Nordost versetzt wurden. Eine Gefahr bestand jedoch vorerst nicht. Die Küste von Norwegen war noch weit entfernt.
Smoky hatte einmal die Tiefe gemessen, doch das Lot fand keinen Grund.
„Wenigstens haben wir etwas gegessen“, sagte Paddy Rogers zufrieden. „Da erträgt man den verdammten Nebel gleich viel leichter.“ Für ihn war das offenbar wieder mal die Hauptsache.
Sie hatten eine Menge von den Heringen geräuchert. Ein paar Makrelen waren ebenfalls in den Rauch gehängt und mit zerstoßenen Pfefferkörnern eingerieben worden. Dem Kutscher und Mac hatte das eine Menge Anerkennung beschert, denn die Pfeffermakrelen, zart geräuchert, waren ihnen nur so aus den Händen gerissen worden.
Die Aale hatten es ebenfalls nicht überlebt. Mac Pellew war zu ihnen auf Distanz gegangen und behauptete steif und fest, sie würden sich im Magen noch winden, und wenn sie hundertmal geräuchert seien.
Jetzt hingen weitere Heringe in dem Räucherofen. Über die Decks verbreitete sich ein lieblicher Duft.
„Eigentlich brauchen wir den Räucherofen gar nicht“, sinnierte Bob Grey, der zusah, wie der Kutscher weitere Heringe aufspießte und sie in den Rauch hängte. „Ich meine, du könntest sie gleich in den Nebel da draußen hängen, der ist noch dichter als der Qualm im Räucherofen.“
Der Kutscher blickte kopfschüttelnd hoch.
„Der Vergleich stimmt in etwa, aber du kannst es gern mal versuchen. Ich bin davon überzeugt, daß sich der Geschmack ganz beträchtlich unterscheidet.“
„Klar, dann kriegt Bob künftig Nebelfisch“, meinte Stenmark. Er blickte in den Räucherofen und schloß dann die Tür. Darauf verharrte er in kniender Stellung und schien zu lauschen.
Der Profos blickte stirnrunzelnd auf ihn hinunter. Stenmark hatte das Ohr am Räucherofen, und blickte gleichzeitig starr auf die Planken.
„Unterhältst du dich mit ihnen?“ fragte er spöttisch. „Oder haben dir die Heringe was zu erzählen, Sten?“
Der blonde Schwede ging ganz auf die Planken und legte das Ohr daran.
„Da rumpelt etwas“, sagte er nach einer Weile. „Man hört es ganz deutlich, wenn man das Ohr an die Planken legt.“
„Das ist teredo navalis“, sagte der Kutscher grinsend.
„Teredo – äh?“ fragte der Profos. „Hört sich an, als würde ein Spanier in der Bilge sitzen. Aber ich weiß genau, daß kein Spanier in der Bilge sitzt.“
„Teredo navalis ist unser alter Freund, der Schiffsbohrwurm“, erklärte der Kutscher. „Der rumort wieder mal im Holz.“
„Das rumpelt aber nicht“, widersprach Stenmark.
„Vielleicht haben die Bildenfrösche gehustet“, sagte Carberry. „Sten hört ja sogar die eingelegten Seegurken flüstern.“
„Überzeugt euch doch selbst, ihr Spinner. An Deck hört man nichts, aber im Wasser um so deutlicher. Der Kutscher hat selbst gesagt, daß der Schall im Wasser wesentlich stärker trägt. Im Gegensatz dazu verschluckt der Nebel die Geräusche und verzerrte sie. Legt eure Lauscher doch selbst mal an die Planken.“
Carberry ließ sich auf alle viere nieder und legte sein Ohr ebenfalls an die Planken. Die anderen standen herum und grinsten, denn er bot einen komischen Anblick, wie er da mit seinem wüsten Narbengesicht angestrengt lauschte und es verblüfft verzog.
Old O’Flynn, an Bord immer für unerklärliche Dinge zuständig – ihm konnte ja was entgehen – ließ sich ebenfalls auf die Planken nieder. Als Schallverstärker legte er zusätzlich die Hand hinter das Ohr. Dann stierte er auf die Planken, als wolle er sie mit seinen Blicken durchbohren.
„Na?“ fragte der Profos gespannt. „Hörst du nichts?“
„Da grummelt was“, versicherte der Admiral. „So ähnlich wie ein kleines Seebeben.“
Auf dem mittleren Deck tat sich wieder mal was. Da Neugier schon immer ansteckend war, wollten auch die anderen nicht tatenlos dabeistehen.
Nach kurzer Zeit lagen ein knappes Dutzend Arwenacks wie hingemäht auf den Planken.
Vom Achterdeck aus nahm Hasard das mit einem leisen Seufzen zur Kenntnis. Seiner Ansicht nach schien sich der Profos wieder mal einen üblen Scherz zu leisten.
„Das ist der Räucherofen, der da bullert“, behauptete Sam Roskill. „Das Geräusch überträgt sich auf die Planken.“
„Oder auf deinen Affenarsch“, sagte Carberry. „Seit wann bullert denn ein Räucherofen, du triefäugiger Knurrhahn? In dem Ding qualmt es nur ein bißchen, von Bullern kann keine Rede sein.“
Die Zwillinge Hasard und Philip hörten das Geräusch ebenfalls, und etliche andere auch. Sobald sie sich aber erhoben, herrschte wieder die gewohnte Stille im Nebel.
Nach ein paar Minuten gab es das Geräusch nicht mehr. Es wiederholte sich jedoch eine Viertelstunde später erneut.
Old O’Flynn gelangte schließlich zu der folgenschweren Erkenntnis, daß es nordische Wassermänner seien, die da ihr Unwesen trieben. Vermutlich seien sie auf der Jagd oder würden Seekühe melken.
„Dann ist ja alles klar“, sagte der Kutscher. „Donegal hat das wieder mal auf Anhieb erkannt, und ihr zerbrecht euch die Köpfe. Klar, da werden Seekühe von nordischen Wassermännern gemolken. Ich für meine Person glaube bescheiden bemerken zu dürfen, daß es sich um weit entfernten Kanonendonner handelt. Irgendwo wird in unregelmäßigen Abständen gefeuert, und zwar aus ziemlich großkalibrigen Geschützen.“
Smoky kratzte sich das stoppelige Kinn und grinste verlegen. Roger Brighton und Al Conroy, die neben ihm standen, nickten zustimmend.
„Sehr richtig“, sagte der Stückmeister. „Genau das ist es. Es handelt sich um Schüsse. Man muß nur sehr genau hinhören. Es scheint auch noch sehr weit entfernt zu sein.“
Diese Theorie wurde schließlich fast ausnahmslos akzeptiert, außer von Old Donegal. Der blieb eisern bei seinen Wassermännern und setzte noch einen drauf, indem er behauptete, sämtliche nordischen Geister gäben sich auf dem Meeresgrund ein Stelldichein und feierten das Ende der Nebeltage.
Etwas später gingen ein paar Arwenacks in den Laderaum hinunter und lauschten dort. Das Geräusch war noch deutlicher geworden. In unregelmäßigen Abständen vibrierten ganz leicht die Bordwände der Schebecke.
In der Unregelmäßigkeit lag aber doch ein gewisser Rhythmus. Meist dauerte es eine Viertelstunde, bis das Rumpeln begann. Danach herrschte dann bis zu etwa zwanzig Minuten Stille, ehe es von neuem begann.
Auch der Seewolf überzeugte sich davon, als Batuti berichtete.
„Kein Zweifel“, meinte er, „es handelt sich um Kanonendonner. Wie weit er entfernt ist, läßt sich allerdings nicht abschätzen. Da wird doch wohl nicht unser lieber Freund Löcher in den Nebel schießen?“
Mit dem „lieben Freund“ war kein anderer als der Wikinger gemeint. Es war durchaus möglich, daß sich der Poltermann wieder mal mit einem anderen Schiff angelegt hatte und jetzt vielleicht in der Klemme steckte.
Wenn das wirklich der Fall war, dann konnten sie ihm in der jetzigen Situation ohnehin nicht helfen. Sie waren so gut wie manövrierunfähig und trieben in dem Nebel blind dahin.
8.
Der erste, der in dem zähen Nebel etwas sah, war der Stör. Er lauerte neben der Kanone und hatte sein langes Gesicht in die rechte Hand gestützt. Vom vielen Starren taten ihm die Augen weh, und er sah wieder die quirligen Nebelgeister, die über dem Wasser schwebten und sich ständig veränderten.
Dann zuckte er etwas zusammen, schluckte aufgeregt und stierte nach Backbord. Da schien mitten im Meer ganz zart die Sonne aufzugehen, so sah es jedenfalls im ersten Moment aus. Ein zaghaftes rötliches Leuchten war da, das sich langsam näherte und größer wurde. Kleine tanzende Kobolde schienen in dem Leuchten zu flackern. Sie wurden mal größer, dann kleiner oder breiter. In dem Nebel sahen sie wie unheimliche Geister aus, und so langsam sträubten sich dem Stör die Haare.
Er drehte sich um und winkte Thorfin heran, der in seinen rauchgrauen Fellen und mit dem Helm nur verschwommen erkennbar war und wie ein Relikt aus grauer Vorzeit wirkte. Erregt deutete der Stör ins Wasser.
Thorfin trat ans Schanzkleid und blickte finster in die Richtung. Dann schluckte auch der Nordmann heftig, denn was er sah, das ging nicht mit rechten Dingen zu.
Winzige Flammen züngelten hoch, aber sie waren verschwommen und sahen mehr nach einem Leuchten aus, das vom Meeresboden zu stammen schien. Der Wikinger hatte so etwas noch nie gesehen.
„Was ist das?“ fragte der Stör mit zuckenden Lippen. „Sind das Ägirs wilde Töchter?“
„Das ist die Meeresgöttin Ran, die die Krieger ins Walhall lockt“, sagte der Wikinger verunsichert. „Glaube ich jedenfalls.“
Mittlerweile hatten sich noch mehr eingefunden und starrten auf das düster leuchtende Gebilde. Es schien tausend Arme zu haben, mit denen es in den Nebel griff. Auch die Farbe veränderte sich ständig. Mal leuchtete es gelblichweiß, dann wieder orangefarben.
Den Kerlen lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, weil sich keiner das leuchtende Gebilde erklären konnte. Außerdem waren sie so gut wie alle abergläubisch.
Vom Satan war die flüsternde Rede, von Ägirs Töchtern und von Schwefelfässern, die Old Nick nach oben geschickt hatte. Die ersten wichen auch langsam vom Schanzkleid zurück, als das Leuchten sich weiter näherte und etwas heller wurde.
Selbst die Rote Korsarin war anfangs verblüfft.
„Das stammt von den Schnapphähnen da drüben“, sagte sie. „Damit wollen sie uns vermutlich ablenken. Seht euch vor!“
Thorfin blickte sich wild nach allen Seiten um, ob sich da irgendwo vielleicht schon ein Kopf an Deck zeigte. Er hatte sein Messerchen gezogen und hielt es in der Faust.
Das leuchtende Ding befand sich jetzt noch etwa sieben oder acht Yards vom Schiff entfernt und trieb ganz langsam auf die Bordwand zu. Offenbar lenkte es die leichte Strömung in diese Richtung. Im Nebel war Rauch zu spüren, als brenne es. Qualm war allerdings keiner zu sehen, denn der mischte sich mit dem Nebel.
„Das hat nichts mit übersinnlichen Dingen zu tun“, sagte Siri-Tong in die entsetzliche Stille hinein. „Das Ding ist ein Brander, ein kleiner Brander, den die Bastarde uns mit der Strömung geschickt haben. Da ist auch etwas zu erkennen, ein dunkler Gegenstand.“
Bevor noch einer der anderen etwas tat, handelte die Rote Korsarin. Sie griff nach einer Lederpütz und hievte sie nach einem kurzen Ruck wieder hoch. Dann hielt sie sie abwartend in der Hand und beugte sich über das Schanzkleid.
„Steht nicht so herum!“ fuhr sie die Kerle an. „Nehmt euch Pützen und beeilt euch! Auf dem kleinen Floß steht offenbar ein Faß voller Schießpulver.“
Die Kerle erwachten aus ihrer Erstarrung. Das Ding war jetzt etwas deutlicher zu erkennen. Den Umrissen nach zu urteilen, war es tatsächlich ein kleines Floß, das nur aus ein paar Stämmen bestand. Auf dem „Zwergbrander“ brannte aufgestapeltes Holz, und dieses glimmende und brennende Holz war um ein kleines dunkles Fäßchen gruppiert, an dem die Flammen leckten.
Der Wikinger holte einen langen Bootshaken und schwang ihn über Bord, um das brennende Gebilde abzustoßen. Es glitt jetzt bedrohlich nahe. Jeden Augenblick konnte das brennende Faß in die Luft fliegen.
Siri-Tong kippte den Inhalt der Pütz mit schnellem Schwung über Bord. Ein paar andere taten es ihr nach. Doch das Wasser erreichte den kleinen, aber wirksamen Brander nicht. Zwei Yards davor klatschte es in die See.
Ein ganz Schlauer handelte auf seine Art. Er war der großmäulige Pedro Ortiz, den Thorfin vor Jahren in einer Hafenkneipe auf Tobago aufgelesen hatte. Pedro sin obras nannten sie ihn – ein Großmaul, das alles mögliche versprach, aber nie etwas hielt. Pedro ohne Taten lautete sein Spitzname. Der hielt sich jetzt für den Retter der Welt, nahm die Muskete, zielte auf das dunkle Fäßchen und feuerte.
Es war wahrhaftig eine Heldentat. Die Kugel traf das Fäßchen, und das Fäßchen flog auch sofort in die Luft. Es war nur gut, daß „Eiliger Drache“ aus Eisenholz war.
Vor der Bordwand donnerte eine Explosion in den Himmel, ein grellweißer Blitz zuckte auf, und dann schien wieder einmal der Weltuntergang nahe zu sein. Die Druckwelle, brüllend heiß und den Nebel zerreißend, fegte alle Mann vom Schanzkleid zurück. Glühende Holzteile flogen durch die Luft und regneten nieder.
Der Wikinger setzte sich mit einem urigen Schrei auf die Planken. Der Stör kreiselte ihm nach, wollte sich festhalten und landete dann auf dem Wikinger, den er zum zweitenmal umriß.
Schauderhafte Flüche waren zu hören.
Auch Pedro sin obras hatte die Druckwelle erwischt. Er taumelte wie ein welkes Blatt über Deck und knallte dem Wikinger den Kolben der Muskete vor die Brust.
„Du Idiot!“ brüllte Thorfin und holte aus. Er klebte Pedro eine, die so hart war, daß er die Druckwelle als zartes Säuseln empfand. Der Kerl zischte ab, rannte und taumelte bis zum Vordeck und brach am Niedergang benommen zusammen.
„So ein Scheiß“, knurrte er, „ich wollte doch nur den Kahn retten.“
Zu allem Überfluß ertönte jetzt irgendwo in dem Nebel das homerische Gelächter der Schnapphähne. Sie sahen nicht, ob sie Erfolg hatten, aber sie hörten die Schreie und das Fluchen. Die höhnische Lachsalve verebbte nur langsam.
Thorfin blickte an der Bordwand hinunter. Das Holz hatte sich etwas schwärzlich verfärbt, aber das fiel nicht weiter auf, weil das Holz ohnehin schwarz war. Er zerbiß einen weiteren Fluch zwischen den Zähnen.
„Es ist nichts passiert“, sagte Siri-Tong. „Aber es hätte beinahe ins Auge gehen können. Wie kann man nur auf ein Faß voller Schießpulver feuern, wenn es auch noch zu brennen anfängt.“
Pedro sin obras mußte sich eine ganze Menge anhören. Sehr bedrückt nahm er wieder am Schanzkleid Aufstellung.
„Stellt überall Pützen bereit“, befahl Thorfin. „Nehmt auch Haken und paßt nach allen Seiten auf. Es kann sein, daß die Bastarde zu entern versuchen, wenn wir durch die kleinen Brander abgelenkt sind.“
Es verging etwa eine Viertelstunde, da entdeckte der Ausguck wieder ein rötliches Glimmen in der See. Es trieb auf den Bug von „Eiliger Drache“ zu und näherte sich langsam mit der Strömung.
Gerade, als er das an Deck meldete, wurde der nächste Kleinbrander entdeckt. Er loderte heller als der andere. Er trieb, etwas weiter zur Mitte des Schiffes versetzt, auf sie zu.
„Wir sollten die Jolle abfieren und die Kleinbrander noch weit vor dem Schiff abfangen, Thorfin“, schlug die Rote Korsarin zu. „Dort können wir sie wirksamer bekämpfen. Sind sie erst an die Bordwand herangetrieben, kann es zu spät sein.“
Der Wikinger, der sonst immer versuchte seinen eigenen Dickschädel durchzusetzen, nickte schnell.
„Der Vorschlag ist gut. Fiert die Jolle ab, nehmt Pützen und Haken mit. Die Kerle treiben mich noch zum Wahnsinn.“
Die anderen standen auf dem Sprung. Immer wenn Cookie sich hastig oder schnell bewegte, baumelte der Fischrücken wild hin und her und flog ihm um die Ohren.
„Kann ich das Ding nicht abnehmen?“ fragte er kläglich. „Es behindert mich sehr.“
„Hast du jetzt nichts anderes zu tun, als an deine verdammte Fischgräte zu denken?“ bölkte der Wikinger. „Das Ding bleibt dran, bis die drei Tage um sind.“
Vier Mann waren damit beschäftigt, die kleine Jolle abzufieren, während die anderen gebannt auf die herantreibenden Kleinbrander blickten. Auch Thorfin ließ sie nicht aus den Augen. Dabei gab er den anderen vier Wikingern sein schon bekanntes Handzeichen.
Vier Kanonen brüllten mit urweltlichem Getöse auf. Im Rumpf knirschte es wieder einmal. Die schweren Eisenkugeln jagten aus den Rohren und donnerten irgendwo in die See. Es klatschte laut, dann herrschte wieder Ruhe, und nur das leise Knistern der unheimlichen Lichter war zu hören.
Die Jolle war immer noch nicht abgefiert. Thorfin wollte die Kerle anbrüllen, doch eine gewaltige Detonation verschlang seine Worte.
Zwanzig Yards vor dem Bug stieg eine gewaltige Feuersäule in den Himmel. Es sah wie ein gigantisches Wetterleuchten aus, denn auch der Nebel wurde wieder blutigrot erhellt. Glühende Partikel wurden nach allen Seiten geschleudert. Ein paar Funken regneten über die Decks. Ein glühender Holzprügel fuhr ins Focksegel. Am Liek begann es sofort zu glimmen.
Hilo, ein hellhäutiger und sehr reizbarer Neger, von Thorfin ebenfalls auf Tobago eingesammelt, raste mit einem nassen Schwabber heran und schlug wie wild auf die Funken und glimmenden Ränder.
Die Glut fraß sich nicht mehr weiter, die Gefahr war vorerst gebannt.
Die Druckwelle hatte diesmal keinen Schaden angerichtet, weil das Faß vorzeitig explodiert war. Zum Glück konnten die Schnapphähne die Strömung nicht genau berechnen und auch nicht den Zeitpunkt der Explosion. Trotzdem gingen diese Feuerinseln dem Wikinger immer mehr auf den Geist.
Im Nebel trieben noch ein paar verkohlte und glimmende Holzstücke vorbei. Sie gossen Wasser darüber und sahen mit gemischten Gefühlen der nächsten Feuerinsel entgegen.
Inzwischen war auch das Beiboot abgefiert worden und lag jetzt neben der Bordwand im Wasser.
Tammy, Hilo und der Bootsmann Juan nahmen die Riemen auf und wollten dem nächsten Zwergbrander entgegenpullen. Im Boot hatten sie lange Haken und Lederpützen.
Der Wikinger sah sie durch den Rauch und Nebel gerade noch rechtzeitig. Sie hielten genau auf das glimmende Feuer zu.
„Zurück!“ brüllte er. „Es ist schon zu dicht dran! Das Faß kann euch jeden Augenblick um die Ohren fliegen!“
Die drei verharrten unschlüssig und sahen zu dem leuchtenden Fleck im Nebel, auf dem es flackerte und brannte. Das Feuer schien sich immer weiter nach den Seiten hin auszudehnen.
Dann war laut und deutlich ein scharfes Knistern zu hören.
„Habt ihr nicht gehört?“ fauchte Thorfin. „Ihr sollt sofort …“
Wieder wurden ihm die Worte von den Lippen gerissen. Die drei Kerle im Boot duckten sich jäh, als im Wasser eine mächtige Säule aus Feuer und Rauch aufwuchs. Wie ein riesiger Pilz raste sie in den Himmel und wurde gleichzeitig breiter.
Der Donner war diesmal so laut, daß sie fast taub wurden. Es mußte sich um ein großes Faß Schießpulver gehandelt haben. Dementsprechend stark war auch die Druckwelle.
Hilo, der sich gerade geduckt hatte, wurde von einer mächtigen Faust angehoben und in weitem Bogen in die See geschleudert. Die beiden anderen verschwanden zwischen den Duchten, als hätten Riesenfäuste sie ruckartig niedergeschmettert.
Eine heiße Druckwelle breitete sich nach allen Seiten aus. Sie überzog auch den Schwarzen Segler mit einem heißen Schwall, wobei sich alle Männer gleichzeitig duckten und hinter dem Schanzkleid in Deckung gingen.
Danach herrschte Ruhe. Sie fischten Hilo auf und legten sich mit der Jolle auf die Lauer. Der Neger wurde an Bord gebracht. Er fror entsetzlich. Ein anderer nahm seinen Platz ein, und dann pullten sie wieder jener Stelle zu, wo die Feuerinseln auftauchten.