Seewölfe Paket 31

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Sie warteten länger als eine halbe Stunde. Nichts tat sich.
„Zermürbungstaktik“, sagte Siri-Tong lakonisch. „Lasse deinen Gegner in Ungewißheit, und er wird immer nervöser.“
Als keine Kleinbrander mehr auftauchten, winkte der Wikinger die Jolle heran und enterte ab.
„Was hast du vor?“ fragte Siri-Tong.
„Ich will die Strömung peilen. Wir sitzen jetzt seit fast zwei Stunden fest. Entweder sacken wir noch mehr ab, oder die Flut hebt uns langsam hoch. Das will ich feststellen.“
Mit einem langen Bootshaken stocherte Thorfin am Rumpf des Schiffes herum. Er ließ sich einmal um den Schwarzen Segler pullen und stocherte mit geschlossenen Augen bis auf den Grund. Dabei konnte er sich besser konzentrieren.
„Hat sich nicht viel verändert“, sagte er wütend. „Aber die Strömung ist offenbar gekippt. Die Bastarde schicken auch keine Feuerinseln mehr herüber, weil es nicht geht. Vielleicht haben sie es ganz und gar aufgegeben.“
Er riß ein paar Fusseln aus seinem Fell, warf sie ins Wasser und stierte sie an. Dabei beugte er sich so weit über das Dollbord, daß er fast über Bord gegangen wäre.
„Keine Strömung mehr“, stellte er fest. „Damit haben wir von den Feuerinseln nichts mehr zu befürchten.“ Er lachte dröhnend und wischte die Feuchtigkeit aus seinem Bart.
Sie hatten aber doch noch etwas zu befürchten, denn die nordischen Schnapphähne schienen selbst im Nebel noch Luchsaugen zu haben.
Eine knappe Stunde später wurde der nächste Kleinbrander entdeckt. Diesmal trieb er von der anderen Seite ganz langsam heran, ein sicheres Zeichen, daß die Strömung gekippt war. Für Thorfin war das allerdings gleichzeitig der Beweis, daß sie bei Ebbe aufgebrummt waren. Daher war es nur noch eine Frage der Zeit, bis „Eiliger Drache“ wieder aufschwamm und manövrierfähig war.
Er sah sich nach allen Seiten um, doch der Nebel war immer noch so dicht wie zuvor. Es gab kein Anzeichen dafür, daß er sich bald auflösen würde.
Der Wikinger wirkte jetzt gelöster und grinste auch einmal, als sie mit der Jolle auf die Feuerinsel zuhielten. Sie war nur ein schwach orangefarbener Fleck im Nebel, von dem dunkler Rauch aufstieg.
Er ließ das Boot ganz dicht heranpullen, nahm dann den Haken und hielt das treibende Ding fest, um es einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.
Es war eine überaus einfache und simple Konstruktion. Ein brennendes kleines Floß, auf dem Reisig und Holz brannten. In der Mitte war ein Faß festgezurrt, das Schießpulver enthielt. Das Feuer brauchte eine Weile, bis es sich an das Faß herangefressen hatte. Es detonierte erst dann, wenn die Hitze zu groß wurde. Das konnte in fünf Minuten oder auch erst in einer Viertelstunde der Fall sein. Blieb diese Feuerinsel aber irgendwo unentdeckt unter dem Heck hängen, dann konnte die Explosion verheerende Folgen haben.
Thorfin war jetzt so nahe heran, daß er mit dem Haken das brennende Holz auseinanderreißen konnte. Dann wollte er das primitive Floß mit einem weiteren Ruck zum Kentern bringen.
In seinem Eifer verhedderte er sich jedoch mit dem Haken in der Verzurrung des Fasses.
„Mutter Maria“, sagte Diego Valeras, „das Faß ist ja schon ganz rot vom Feuer.“
Thorfin Njal verlor den Halt. Sein Körper streckte sich in die Länge, bis er eine Art Brücke zwischen Jolle und Feuerinsel bildete. Den Haken hielt er dabei immer noch in den Händen. Der Wikinger wurde länger und länger. Die beiden anderen versuchten verzweifelt, den schweren Poltermann in die Jolle zu ziehen. Es ging nicht, sie kriegten ihn nirgendwo zu packen.
Der Kleinbrander kenterte, das Faß flog ins Wasser. Es gab eine helle Stichflamme, und dann hörten sie den Wikinger lauthals fluchen.
Die Explosion fand zu Thorfins Glück nicht mehr statt. Das Wasser hatte rechtzeitig alles überdeckt. Dafür war Thorfin über Stag gegangen und zappelte jetzt in Nebel und Wasser herum.
Bis sie ihn endlich wieder an Bord hatten, mußten sie sich eine ganze Menge Gemeinheiten sagen lassen.
9.
Für die Arwenacks verliefen die nächsten Stunden so gespenstisch wie seinerzeit im Meer der toten Seelen.
Um sie her war alles grau in grau. Vom Meer brodelten immer wieder Dämpfe auf und bildeten neue Nebelwände.
Die Schebecke trieb dahin. Sie hatten jegliches Orientierungsvermögen verloren.
Hasard hatte schon beschlossen, vor Anker zu gehen, um den Nebel abzuwarten, doch es gab keinen Ankergrund. Das Meer unter ihnen war unendlich tief. Also ließen sie sich mit der sanften Strömung weitertreiben. Niemand wußte, wie weit sie von der norwegischen Küste entfernt waren. Sie konnte dicht vor ihnen, konnte aber auch noch sehr weit entfernt sein. Passieren konnte nicht viel, selbst wenn sie vor der Küste irgendwo aufliefen. Es würde bei der langsamen Geschwindigkeit nur ein sanfter Ruck werden.
„Seit mehr als einer Stunde ist absolut nichts mehr zu hören“, sagte Smoky. „Ich habe immer wieder gelauscht, doch der Kanonendonner, oder was immer das sein mag, hat sich nicht wiederholt.“
„Nein, nichts mehr zu hören“, meinte auch Batuti. „Es hat aufgehört. Wenn sich da zwei Schiffe beschossen haben, dann hat der Nebel sie inzwischen auseinandergetrieben.“
In regelmäßigen Abständen gingen sie wieder auf Horchposten, doch es tat sich nichts mehr. Vermutlich hatte Batuti recht.
An Bord herrschte Langeweile. Jeder wartete sehnsüchtig darauf, daß der Nebel sich auflösen möge. Es war entnervend, in dieser milchigen Suppe herumzukrebsen.
Die einzige Abwechslung bot eben der „Horchposten“, doch seit sich da nichts mehr rührte, begann das Interesse langsam zu erlöschen.
Einmal glaubte Dan O’Flynn Geräusche zu hören. Es klang wie ein dumpfer Fall in weiter Ferne. Aber das Geräusch wiederholte sich nicht, und so war Dan der Ansicht, der Nebel habe ihm einen Streich gespielt.
„Wir könnten ja wieder ein paar Kakerlaken fangen und ein neues Spielchen ersinnen“, schlug der Profos vor. „Das haben wir doch schon mal getan, und es war sehr lustig. Wir haben uns krank gelacht.“
Über den Vorschlag waren die meisten jedoch nicht sehr begeistert. Sie blickten den unternehmungslustigen Profos nur gelangweilt an.
„Na, dann nicht“, sagte Carberry und ließ sich auf die Stufen des Niederganges sinken. Dort blieb er lange ruhig sitzen und starrte in die trübselige Umgebung.
Die anderen Arwenacks standen ebenfalls gelangweilt herum.
Hasard wollte gerade das Achterdeck verlassen, um für einen Augenblick in seine Kammer zu gehen, als die Arwenacks jäh aus ihren trüben Betrachtungen gerissen wurden.
Ein bestialischer Krach dröhnte überlaut in ihren Ohren, und dann splitterte auch schon Holz. Über das Meer zog ein wilder Donner.
Im ersten Augenblick glaubten sie, ein Blitz habe eingeschlagen. Die Schebecke wurde durchgeschüttelt.
Hasard blieb so abrupt stehen, als habe ihn der Blitz selbst getroffen. Erstaunt sah er sich um und folgte damit den entsetzten Blicken der Arwenacks. Die starrten alle gleichzeitig auf den Handlauf des Steuerbordschanzkleides, von dem jetzt ein erst kürzlich neu eingesetztes Stück fehlte. Es war einfach herausgefetzt worden. Ein paar kleinere Holzsplitter lagen noch auf den Planken herum.
„Was war das denn?“ fragte Ferris Tucker verwirrt.
„Da hat jemand auf uns geschossen“, sagte Hasard lakonisch. „Hörte sich so an und sieht auch so aus. Das ist ja ein Ding.“
Die Seewölfe liefen zusammen. Gleichzeitig hielten sie nach allen Seiten Ausschau. Es gab nichts zu sehen, außer dem quirligen Nebel. Der Schuß hatte sie unvermittelt und wie aus dem Nichts getroffen.
Das war wirklich ein Ding. Ihre Verblüffung war echt. Sie starrten sich ziemlich ratlos an.
„Da soll doch der Satan dreinfahren“, empörte sich Carberry. „Da krebst hier irgendein Rübenschwein in Nebel herum und nimmt uns unter Feuer. Die Kerle können uns doch gar nicht sehen.“
„Nein, das können sie ganz sicher nicht“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Sie sind in dem Nebel so blind wie wir. Ich vermute, daß es dasselbe Schiff ist, dessen Kanonen wir vorhin hörten. Die Blödmänner feuern offenbar ziemlich wahllos in den Nebel hinein.“
„Wir sollten mal zur Warnung zurückfeuern“, schlug Al Conroy vor.
„Das halte ich für sinnlos. Dabei können zu leicht ein paar verirrte Kugeln großen Schaden anrichten. Außerdem wissen wir nicht, mit wem wir es zu tun haben.“
Jeden Augenblick waren sie jetzt darauf gefaßt, daß es wieder einschlug. Es war eine scheußliche Situation, nicht zu wissen, was um sie herum geschah und wer sie belauerte.
„Ganz ruhig bleiben“, sagte Hasard. „Wir wollen unsere Position nicht verraten.“
„Da knarren Riemen“, flüsterte Dan in die Stille hinein, die sich jetzt ausgebreitet hatte. „Eine Jolle ist ganz in der Nähe, und dann dürfte auch das Schiff nicht weit sein.“
„Beobachten und hinter dem Schanzkleid in Deckung bleiben“, raunte der Seewolf.
Die Jolle war nicht zu sehen, aber zu hören. Stimmen wisperten, dann war Stille. Die Riemen knarrten auch nicht mehr.
Ein paar Minuten später zeigte Dan aufs Wasser und raunte: „Sie haben uns entdeckt. Vier Kerle sind es, den Schatten nach.“
Ganz schwach wurde jetzt die Jolle sichtbar. Die Schatten darin waren kaum wahrzunehmen. Mehr als daß sie etwas sahen, spürten sie, daß die Jolle an der Schebecke anlegte und drei Kerle lautlos aufenterten, während der vierte im Beiboot blieb.
Sie waren noch nicht richtig über dem Schanzkleid, als die Arwenacks blitzschnell in Aktion traten.
Hasard riß den ersten Kerl mit einem wilden Ruck heran und donnerte ihm gleichzeitig die Faust bretthart unter das Kinn. Den zweiten räumte der Profos mit einem Volltreffer ab, und den dritten nahm Big Old Shane eisenhart in Empfang. Der Schatten empfing ein Ding an die rechte Schläfe, das ihn wie wild an den Mast trieb. Dort brach er zusammen.
Hasard riß den Kerl hoch und erstarrte. Es war der, dem er die Faust unters Kinn gesetzt hatte.
Der Seewolf war völlig perplex und fand keine Worte. Schluckend sah er auf den riesigen Mann, der jetzt mit einem Auge blinzelte.
„Der behelmte Nordpolaffe“, sagte Carberry andächtig. Er stieß die Luft aus und stimmte ein unbändiges Gelächter an.
Thorfins Blicke waren etwas glasig. Er stierte von einem zum anderen und kapierte die Vorgänge noch nicht so richtig. Sie hatten das dänische Schiff entern wollen, nachdem sie in den Nebel gefeuert hatten, aber das Schiff hatte plötzlich ganz anders ausgesehen. Und dann hatte Thors Hammer ihn offenbar voll getroffen.
Er starrte den Seewolf an, verdrehte die Augen, hieb sich dann mit der Hand vor die Stirn und wich einen Schritt zurück. Dann erst überfiel ihn das Licht der Erkenntnis, und er stieß einen Schrei aus, der höllisch an das Brüllen eines Elches erinnerte.
Jetzt dämmerte auch bei den anderen etwas. Die Arwenacks waren genauso verblüfft und verdattert. Der Kerl im Boot zuckte entnervt zusammen und wußte nicht, was da über ihm vorging.
Danach war auf der Schebecke die Hölle los. Ein Gebrüll und Gelächter erklang, das noch andere Auswirkungen hatte. Die dänischen Schnapphähne hörten es nämlich und hatten keine Erklärung dafür. Daher verholten sie ihr Schiff vorsichtshalber erst einmal um eine knappe Meile weiter nach Norden.
Eine der Gestalten war der Bostonmann, die andere der Stör, und der Mann im Boot war Bill, the Deadhead, der jetzt bei dem allgemeinen Gebrüll rasch aufenterte. Er war auch der einzige, der sich keinen harten Brocken eingefangen hatte.
Die Begrüßung war unbeschreiblich. Da wurden Hände geschüttelt und Schultern geklopft, daß die Knochen krachten.
„Hinter dir sind wir seit einer Ewigkeit her, Thorfin“, sagte Hasard. „Wir sind deinen etwas versengten Spuren gefolgt, und jetzt haben wir euch endlich erwischt. Ich denke, wir haben uns eine ganze Menge zu erzählen.“
Dem rauhen Wikinger standen Tränen in den Augen, die er verstohlen fortwischte.
„Verfluchter Nebel“, sagte er brummig, „da steht einem ja das Wasser im Bart. Aber du hast recht, Sir, wir haben uns verdammt viel zu erzählen. Wir liegen ganz in der Nähe vor der norwegischen Küste und werden von ein paar dänischen Schnapphähnen belauert, die sich mit mir angelegt haben. Wir sollten die Schiffe zusammenbringen. Dann können wir ein kleines Fest veranstalten. Siri-Tong ist auch drüben – und all die anderen, die ihr kennt.“
„Siri-Tong ist auch an Bord?“ fragte Hasard überrascht. „Dann stimmt es also doch, was wir in London gehört haben, daß eine Frau an Bord sei. Gut, wir legen uns zusammen, aber wo seid ihr? Findet ihr überhaupt selbst noch zurück?“
„Wir haben eine große Rolle Kabelgarn in der Jolle. An der brauchen wir nur zu ziehen, dann haben wir das Schiff. Wir wollten nämlich gerade die Schnapphähne ein bißchen aus der Nähe betrachten. Ich weiß aber nicht genau, wo sie liegen. Das ist ja ein toller Zufall.“
„Kein Zufall“, sagte Hasard. „Wir haben euch gesucht und sind euch immer hinterhergesegelt. Und jetzt treiben wir ausgerechnet auf euch zu. Liegt ihr vor Anker?“
„Wir sind aufgebrummt. Die Bastarde haben uns auf eine Sandbank gelockt. Aber wir haben bald Flut, und dann schwimmen wir wieder auf. Für euch besteht bei eurem Tiefgang keine Gefahr. Was ist das eigentlich für ein Schiff, das ihr da habt?“
„Eine Schebecke. Wir haben sie tunesischen Schnapphähnen abgenommen, aber davon später.“
Nicht lange, und die beiden Schiffe lagen nebeneinander. Durch das laute Gebrüll waren die anderen schon aufmerksam und sehr mißtrauisch geworden.
Jetzt ging das Gebrüll erst einmal weiter, denn die beiden Mannschaften hatten sich lange nicht mehr gesehen. Sie hatten aber gemeinsam so manchen harten Strauß ausgefochten, und schließlich gehörten sie dem Bund der Korsaren an.
„Du hast dich nicht verändert“, sagte Siri-Tong, als sie Hasard die Hand gab und ihn anblickte. Die Freude hatte ihre Wangen rot gefärbt. „Du hast inzwischen etwas silbergraue Schläfen bekommen, aber das läßt dich noch interessanter erscheinen. Ich denke, wir sollten unser Wiedersehen mit einem kleinen Fest feiern.“
„Einverstanden, Lady“, sagte Hasard lachend. „Das hat Thorfin auch vorgeschlagen. Was ist aber mit den Schnapphähnen?“
„Wir haben Wachen aufgestellt. Alle Kanonen sind geladen. Sie trauen sich nicht heran.“
„Dann werden wir uns gemeinsam um sie kümmern, wenn sich der Nebel etwas gelichtet hat. Ich glaube, du wirst jetzt eine Menge Fragen zu beantworten haben, Siri-Tong. Die Kerle bersten vor Neugier.“
Don Juan, Smoky und Old O’Flynn hatten schon glänzende Augen. Sie waren verheiratet und wollten natürlich wissen, wie es ihren Frauen und den Kindern ging.
Thorfin ließ den Laderaum für eine Bordfeier herrichten, damit auch alle Platz hatten. Dann wurden Getränke aufgefahren, und die Erzählerei wollte kein Ende nehmen. Die Arwenacks steuerten ein paar Fässer Bier und Wein bei.
Die irgendwo im Nebel lauernden Schnapphähne waren für die Wikinger jetzt Nebensache geworden. Er konnte sich über das Wiedersehen lange nicht beruhigen und verzieh Hasard den harten Brocken grinsend, den er eingesteckt hatte.
„Im karibischen Stützpunkt ist alles in Ordnung“, sagte die Rote Korsarin. „Wir haben ihn noch weiter ausgebaut und stärker befestigt. Dein Vetter Arne von Manteuffel hat uns kürzlich einen Besuch abgestattet. Sein Handelshaus in Havanna besteht ebenfalls noch. Es gibt nichts, was euch irgendwelche Sorgen bereiten könnte.“
Sie hoben ihre Mucks und Becher und stießen miteinander an. Dabei grinste der Profos wie ein Heupferd, wenn er Cookie ansah. Der Kerl schien nicht mehr ganz dicht im Schädel zu sein, denn er hatte sich eine mächtige Fischgräte in die Haare gebunden. Den Hintergrund erfuhr der staunende Profos erst später. Jetzt gab es Wichtigeres zu erzählen.
Old O’Flynn war ganz kribbelig und nervös.
„Wie geht es meiner lieben Snugglemouse und dem kleinen Windelpisserchen Edwin Shane? Der muß doch schon ziemlich gewachsen sein.“
„Beiden geht es gut. Edwin Shane ist ein strammer Bursche geworden, der uns allen Freude bereitet. Deine ‚Empress of Sea‘ hält Martin Correa in Schuß und segelt öfter mal nach Tortuga.“
„Und meine Kneipe, die Rutsche?“ fragte Old Donegal begierig. „Die steht doch auch noch, oder?“
„Aber sicher. Mary, Martin und der ehemalige Gouverneur bewirtschaften sie. Es ist eine wahre Goldgrube geworden.“
„Der dicke Ex-Gouverneur de Quintanilla – klaut der auch nicht?“ fragte Old Donegal. Es war ganz zappelig vor Freude und Aufregung.
„Nein, er hat sich völlig verändert. Ihr werdet ihn kaum wiedererkennen. Er ist ein bißchen schlitzohrig, aber ehrlich.“
Dann war Smoky an der Reihe, der sich natürlich sofort nach seiner Frau Gunnhild und dem Söhnchen David erkundigte.
Auch ihm konnte Siri-Tong nur Erfreuliches mitteilen, genau wie Don Juan, der mit der Eingeborenen Taina verheiratet war, aber noch keine Kinder hatte.
Dann wurden Einzelheiten gefragt, die den Stützpunkt betrafen. Dort war alles bestens und in Ordnung.
Das Frage- und Antwortspiel über den Stützpunkt Great Abaco nahm mehr als eine Stunde in Anspruch. Die Arwenacks fieberten geradezu danach, sich endlich wieder einmal an Ort und Stelle umzusehen.
Dann mußten die Arwenacks berichten, was inzwischen passiert war, und da gab es erneut eine Menge Gesprächsstoff, der nicht ausgehen wollte. Hasard gab einen groben Abriß über die Vergangenheit und die Geschehnisse.
„Wann segelt ihr denn in die Karibik zurück?“ fragte Siri-Tong. „Es hindert euch doch niemand, den Stützpunkt so schnell wie möglich anzulaufen.“
„So einfach ist das nicht. Wir haben der Königin von England eine Silbergaleone als Gastgeschenk mitgebracht, ein fettes Vögelchen, das wir unterwegs gerupft hatten. Dann erfuhren wir, daß ihr in England gewesen seid. Wir nahmen uns vor, euch zu sehen, denn euer Ziel war uns bekannt. Die Königin hat jedoch noch eine Bitte an mich, und die kann ich nicht abschlagen. Nach unserer Rückkehr werde ich erfahren, was sie will. Wie sieht denn nun genau eure Route aus?“
„So ähnlich, wie sie dir bekannt ist“, sagte Thorfin. „Wir wollen in Bergen, hier ganz in der Nähe, eine Ladung Eisenerz oder Eisenbarren kaufen. Das dürfte ohne Schwierigkeiten vor sich gehen. Ich nehme das Zeug aber erst auf dem Rückweg mit, denn wir wollen noch nach Island segeln. Dort will ich mich auf dem Thorgeyrschen Hof umsehen, ob alles in Ordnung ist, und was der Dinge mehr sind. Das Eisenerz nehme ich dann auf dem Rückweg mit.“
„Sagtest du gerade.“
„Ho, ich bin noch ein bißchen durcheinander vor Freude.“
„Wer hatte denn die Idee mit dem Eisenerz?“ wollte Hasard wissen.
„Hesekiel Ramsgate“, erwiderte Siri-Tong. „Er hat Überlegungen angestellt und ist zu dem Schluß gelangt, daß wir künftig auf Eisen nicht verzichten können, wenn wir unabhängig bleiben wollen. Er will es selbst schmelzen und verarbeiten.“
Der Seewolf nickte anerkennend.
„Eine gute Idee“, lobte er. „Hesekiel ist ein tüchtiger Mann, der weit vorausdenkt und plant. Eisen ist im karibischen Raum Mangelware. Hat er denn die Anlagen zur Verarbeitung schon gebaut?“
„Es ist noch im Anfang“, erklärte Thorfin. „Aber er hat uns versichert, daß es keine Probleme gäbe. Na ja, als ich das hörte, nahm ich sofort die Gelegenheit wahr. Schließlich bin ich ja für den hohen Norden zuständig und kenne mich hier aus. Außerdem wollte ich ganz gern einmal weg, um zu sehen, was hier los ist. Die Leute sind alle von meinem Schlag.“
„Ja, das fiel uns auf“, sagte Hasard trocken. „Fast überall konnten sie sich gut an dich erinnern. Wir trafen unter anderem auf die ‚Ragnhylt‘, einen Segler, der reichlich zerrupft war. Wir haben ihm geholfen und sein Schiff repariert. Er konnte sich ganz besonders gut an einen in Felle gekleideten riesigen Kerl erinnern, der ihm ein paar Brandfackeln in die Segel geworfen hat.“
Thorfin versteckte sein Gesicht hinter einem gewaltigen Humpen und grinste entschuldigend.
„Der hat mit mir Streit angefangen“, sagte er dumpf. „Da mußte ich ihm eine kleine Lektion erteilen.“
„Den drei Holländern im Skagerrak auch?“
„Die – ach ja, diese Holländer. Ein freches Völkchen. Man muß sich eben seiner Haut wehren, so gut man kann.“
„Und jetzt hast du dich mit einem dänischen Schnapphahn angelegt, der dich noch immer belauert“, sagte Hasard seufzend. „Nun, ich will dir keine Moral predigen, du bist schließlich für dich selbst verantwortlich. Aber auf unserem gemeinsamen nächsten Raid unterlassen wir die Rupferei von harmlosen nordischen Kauffahrern lieber.“
„Heißt das, du willst mit uns zusammen nach Island segeln?“ fragte Siri-Tong erfreut.
„Genau das heißt es. Wir haben vor, euch zu begleiten. Auf dem Törn können wir uns in aller Ruhe unterhalten. Es gibt noch viel zu erzählen.“
„Das freut mich wirklich“, sagte der Wikinger. „Dann begleitet ihr uns auch nach Bergen?“
„Wenn ihr wollt – gern. Deshalb sind wir euch ja auch nachgesegelt.“
Die Kerle klatschten in die Hände und freuten sich.
„Darauf, müssen wir noch einen trinken“, sagte der Wikinger und hob seinen Humpen.
Sie tranken ihm zu, und es gab wieder ein lautes Hallo. Auch der Profos hob seinen Humpen und blickte Cookie an. Dann grinste er.
„Ganz neue Mode, was, wie?“ fragte er und deutete auf die riesige Fischgräte, die ihm Köchlein von der Schulter baumelte. „Manche haben einen Ring im Ohr oder einen Knochen durch die Nase. Aber Fischgerippe habe ich noch nie im Haar gesehen. Was soll das also?“
Cookie grinste beschämt.
„Das ist eine neue Anordnung vom Kapitän“, sagte er kläglich. „Wenn man ihm den falschen Fisch serviert, kriegt man die Gräten drei Tage lang als Andenken.“
„Dem Geruch nach trägst du sie schon mindestens zwei Tage“, schätzte der Profos grinsend.
„Fällt bei ihm nicht auf“, sagte Thorfin. „He! Was war das denn?“
Durch „Eiliger Drache“ war ein leichter Ruck gegangen. Das Schiff begann ein wenig zu rucken und lag dann wieder still.
„Wir schwimmen auf“, sagte Siri-Tong. „Die Flut hebt uns langsam von der Sandbank herunter.“
Es dauerte aber nochmals eine halbe Stunde, bis der zweite Ruck erfolgte. „Eiliger Drache“ drehte sich ein wenig.
„Wir gehen besser an Deck“, schlug Hasard vor. „Du hast gesagt, ganz dicht vor uns befindet sich die Küste. Wenn sie felsig ist, müssen wir ja nicht unbedingt gleich wieder aufbrummen.“
An Deck war der Nebel immer noch sehr dicht. Hasard glaubte jedoch, daß es inzwischen ein bißchen heller geworden war.
„Wir sollten Anker setzen“, sagte Ben Brighton. „Vorhin glaubte ich einmal, ganz kurz die Küste gesehen zu haben. Die Flut schiebt zwar nur ganz schwach, aber sie kann uns trotzdem zur Küste hin versetzen.“
Der Anker wurde geworfen. Nach einer weiteren Viertelstunde begann der Wikinger zu grinsen.
„Wir sind aufgeschwommen“, teilte er mit. „Wir haben wieder ein paar Handbreiten unter dem Kiel.“
„Trotzdem können wir vorerst nicht weitersegeln“, meinte Don Juan.
Er hatte Siri-Tong schon zum x-ten Male nach seiner Taina gefragt und freute sich ebenfalls, sie bald wiederzusehen. Aber bis dahin war es doch noch ein weiter und langer Weg.
10.
Der Nebel riß nur zögernd auf. Hin und wieder entstand eine schmale Bresche in dem Zeug, das wie Milchsuppe aussah. Dann konnte man ein paar Yards weit sehen. Gelegentlich schloß sich die Bresche wieder, aber dafür tauchte eine andere auf. Lange Nebelfetzen wurden nach oben in die Höhe getrieben und begannen dort weiterzubrodeln.
„Wie weit stehen wir etwa vor Bergen?“ fragte Hasard den Wikinger.
Thorfin tat das, was Ferris Tucker und Edwin Carberry schon sehr lange vermißt hatten. Er starrte Hasard nachdenklich an und krümmte dann den Zeigefinger. Damit kratzte er wieder nachdenklich an seinem Helm herum.
Der Profos warf seinem Freund einen Blick zu und schüttelte den Kopf.
„Er tut es immer noch“, sagte er in komischer Verzweiflung. „Dieser Elch kratzt wie früher an seinem Helm, wenn er nachdenkt. Merkt der das denn gar nicht?“