Seewölfe Paket 31

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„Anscheinend nicht“, sagte Ferris. „Vielleicht gibt er seinen nordischen Riesenläusen unter dem Helm auch nur ein Zeichen, daß sie weiterbrüten können. Wer weiß, was sich unter dem Topf im Laufe der Jahre so alles angesammelt hat.“
Die beiden lachten und hieben sich auf die Schenkel. Der Wikinger hörte mit dem Kratzen auf.
„Etwa zwanzig Meilen, grob geschätzt“, sagte er. „Wenn der Nebel heute wirklich noch aufreißt, können wir es gut schaffen.“
Der Nebel riß zu ihrer Freude schneller auf, als sie erwartet hatten. Ein dünner Lichtfinger tastete sich durch die Waschküche und erweiterte die Gasse, die den Blick auf die Wasseroberfläche freigab.
Der Stör fuhr herum und zeigte nach Norden.
„Dort liegen die Bastarde“, sagte er. „Sieht so aus, als wollten sie gerade ankerauf gehen.“
„Dann tun wir es auch“, meinte der Wikinger. „Die Kerle haben mich genug genervt. Denen werde ich es zeigen. Sie haben mir Brandinseln rübergeschickt, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wären wir in die Luft geflogen.“
Für ein paar Minuten wurde die Karavelle wieder in ein milchigweißes Laken gehüllt.
Als sie dann erneut zu sehen war, hatte sie alle Segel gesetzt und den Anker gelichtet. Sie drehte von der Küste ab und ging langsam auf westlichen Kurs, wobei sie einen kleinen Bogen beschrieb.
Danach wurde sie wieder unsichtbar. Dafür hörten sie gleich darauf rollenden Donner, der jetzt viel weiter über die See hallte. Weit vor ihnen war in der See das Einschlagen der Kugeln zu hören.
„Die fangen wieder mit demselben Scheiß an“, schimpfte Thorfin. „Sie verschwinden im Nebel, nehmen uns unter Feuer und drehen ab. Und sie sind nicht zu fassen, diese dänischen Bastarde.“
„Aber sie haben offenbar keine Angst, es mit zwei Schiffen aufzunehmen“, meinte Hasard. „Mal sehen, ob wir sie nicht ein bißchen in die Enge treiben können.“
„Willst du ihnen eins verbraten, Seewolf?“ fragte Thorfin.
„Nur ein bißchen ärgern“, versicherte Hasard. „Ich habe es auch nicht gern, genarrt zu werden, und ich kann es ebenfalls nicht ausstehen, im Nebel plötzlich getroffen zu werden. Du hast uns auch so ein Ding verpaßt, als wir nicht darauf vorbereitet waren.“
„Das war von mir? Oh, dann muß ich mich entschuldigen. Ich habe nur nach allen Seiten gefeuert und wußte nicht …“
„Schon gut“, meinte Hasard. „Es ist ja weiter nichts passiert und niemand hat Schaden erlitten. Das bißchen bessert Ferris mit links aus. Reden wir nicht mehr davon.“
Sie lösten sich vom Schwarzen Segler. Mit schwacher Fahrt segelten sie auf südlichem Kurs an der Nebelwand vorbei und gingen dann auf einen langen Schlag nach Norden.
„Eiliger Drache“ törnte in den Nebel hinein und wurde nach wenigen Sekunden restlos von ihm verschluckt.
Dann sahen sie übergangslos die Dänen. Die Karavelle tauchte langsam aus der Nebelbank auf. Sie hatte die Schebecke noch nicht richtig gesichtet, als drüben auch schon drei Stücke aufblitzten. Dumpf rollte der Donner über die See.
„In die Nebelbank hinein“, sagte Hasard zu Pete Ballie. „Voll hinein und dann auf gleicher Höhe bleiben.“
Die Schebecke verschwand im Nebel und zeigte nur noch das Heck. Die drei Schüsse waren wirkungslos ins Wasser gegangen.
„Jetzt müßten wir ziemlich dicht dran sein“, sagte Dan nach einer Weile, „und auch die Höhe dürfte in etwa stimmen, wenn mich mein Gefühl nicht täuscht.“
Hasard nickte. Auch er war davon überzeugt, daß die Höhe stimmen mußte. Er verließ sich ganz auf sein Gefühl.
„Sie dürften höchstens dreihundert Yards entfernt sein“, sagte er. „Laß die Backbordseite sprechen, Al.“
Sechs Kanonen auf Backbord waren ausgerichtet. Zu sehen war allerdings nichts, nicht einmal die Umrisse der Karavelle. Sie würden blind in den Nebel feuern, und es war sehr fraglich, ob sie einen Treffer erzielten.
Die sechs Culverinen spien ihre eiserne Ladung aus. Donnern, Brüllen, ein paar lange Flammenzungen. Die Schebecke legte sich leicht nach Steuerbord über, als reite sie eine Dünung ab.
„Westkurs“, befahl der Seewolf. „Da hat was gekracht, wenn mich mein Gehör nicht im Stich läßt.“
Das Geräusch schien sehr weit entfernt zu sein, doch das täuschte.
Die Karavelle hatte zwei Treffer empfangen, wie die Arwenacks sahen, als sie jäh aus dem Nebel vorstießen und jene Stelle erreichten, wo das Wasser wieder zu sehen war.
Eine Kugel hatte achtern alles kurz und klein geschlagen und offenbar das Ruderblatt erwischt, aber so genau ließ sich das nicht erkennen. Ein zweiter Treffer befand sich eine Handbreite über der Wasserlinie etwa mittelschiffs. Der Däne lief aus dem Kurs. Er ging mit killenden Segeln erneut in die Waschküche hinein und verschwand wie ein Spuk vor ihren Augen.
„Zwei Treffer“, sagte Al Conroy, „das habe ich deutlich gesehen. Die anderen sind zu den Fischen gegangen. Aber sie hat einen Ruderschaden, da bin ich ganz sicher.“
„Stimmt“, sagte Hasard. „Sie haben Probleme mit dem Manövrieren.“
Noch einmal wurde das Nebelgebiet gerundet, wobei sie auf Thorfin trafen. Der Nordmann hatte die Karavelle gesichtet und zeigte zur Küste hin. Der Däne gierte von einer Seite zur anderen und lief immer wieder aus dem Kurs. Er hielt scharf auf die Küste zu. Die Kerle verstanden ihr Handwerk trotz Ruderschaden. Sie manövrierten mit den Segeln und konnten ihr Schiff einigermaßen auf Kurs halten.
Im spitzen Winkel jagten jetzt „Eiliger Drache“ und die Schebecke auf die Karavelle zu.
Thorfin feuerte ihr einen Schuß ins Achterkastell. Dort zersplitterte ein Teil des Hecks. Die Bleiglasfenster flogen in einem Trümmerregen auseinander. Eine Drehbasse wurde über Bord gewirbelt und versank aufklatschend im Meer.
Die Schnapphähne konnten sich auf kein Gefecht mehr einlassen, dazu waren sie zu lahm.
Aber sie wollten ihre Haut retten, denn jetzt saß ihnen offenbar die Angst im Nacken, als sie von zwei Seiten attackiert wurden.
Hasard segelte auf „Eiliger Drache“ zu.
„Laß sie laufen!“ brüllte er zu dem Wikinger hinüber. „Dicht unter der Küste sind Riffe und Muschelbänke. Wenn du da aufbrummst, nutzt dir auch dein Eisenholz nichts mehr. Die rennen ihr Schiff allein in Grund und Boden.“
Thorfin zog wieder mal einen Flunsch. Es paßte ihm nicht, den Gegner jetzt laufenzulassen. Er wäre gern weiter hinterhergesegelt und hätte ihn zu Kleinholz verarbeitet.
Er tat so, als höre er nichts.
„He, du behelmter Nordpolaffe!“ brüllte der Profos mit Donnerstimme. „Hast du wieder Seegurken in den Ohren? Du kannst auf den Riffen sitzen bleiben, bis dein Bart ans Kielschwein wächst.“
Jetzt erst drehte Thorfin mißmutig ab.
„Man muß nur liebevoll mit ihm reden“, sagte Carberry. „Das versteht er.“
Für den eifrigen Nordmann erfolgte die Warnung gerade noch rechtzeitig.
Stenmark hatte die Muschelbank rechtzeitig entdeckt. Aber Thorfins Ausguck hatte sie nicht gesehen.
Die Schnapphähne versuchten durch eine schmale Lücke durchzusegeln, aber Hasard sah jetzt schon, daß es nicht langte. Mit einem intakten Ruder hätten sie es sicherlich geschafft.
Die Karavelle brummte von der Seite her auf und krängte hart über. Der Fockmast ging mit Getöse über Bord. Das Schiff fiel zurück und setzte erneut hart auf. Dann hörten sie ein wüstes Knirschen und Krachen, als sich die Karavelle den Rumpf an der Muschelbank aufriß. Damit war das Schiff erledigt. Es würde nie wieder segeln.
Die Schnapphähne ließ der Seewolf laufen. Er drehte ab und gab dem Wikinger das Zeichen zum Folgen. Die Dänen sollten sehen, wie sie klarkamen. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun.
Ein paar Stunden später liefen sie in Bergen ein.
Hasard und Thorfin meldeten sich beim Hafenkommandanten. Der vermittelte sie gleich weiter und verkaufte ihnen eine Ladung Eisenerz und Eisenbarren zum günstigen Preis. Die Ladung wurde bezahlt und sollte auf der Rückfahrt abgeholt werden.
„Dann sehen wir uns heute mal das Städtchen an“, schlug der Seewolf vor. „Es gibt immer noch eine Menge zu erzählen und zu berichten. Ich schlage vor, daß wir morgen weiter nach Island segeln.“
Der Vorschlag wurde mit Begeisterung angenommen, und so verbrachten sie den Tag in der norwegischen Hafenstadt Bergen.
Am anderen Morgen segelten sie los. Die See wurde wieder einmal recht kabbelig, aber das waren sie längst gewohnt …
ENDE

1.
Die milde Witterung hatte die Bewohner des einsam gelegenen Hofes ins Freie gelockt. Die Sonne ließ die Farben der bizarren Felsenlandschaft aufleuchten, und die klare Luft schien die schneebedeckten Berggipfel der Insel in greifbare Nähe zu rücken.
Leifur Gunnarsson und die anderen Männer seiner Sippe hatten heute schon früh die Boote an Land gezogen und den Fang in großen Weidenkörben zum Hof geschleppt. Es war ein recht ergiebiger Tag gewesen. Man würde einen Großteil der Dorsche, Schellfische, Rotbarsche und Seelachse durch Trocknen und Räuchern haltbar machen.
Während man mit den Vorbereitungen dazu begann, nutzten einige jüngere Männer das trockene Wetter für längst überfällige Reparaturen an den mit Erde, Gras und Steinen bedeckten Hausdächern.
Auf dem Hof hatten die Frauen ein offenes Feuer entfacht. Dem riesigen, gußeisernen Kessel, der darüber baumelte, und den Spießen, die von den Mägden geduldig gedreht wurden, entströmte der Duft von gebratenem Fisch und Seehundfleisch.
Die Stimmung war gut auf dem Hof der Gunnarssons – wie immer, wenn es einen guten Fang gegeben hatte. Zudem hatte Leifur Gunnarsson versprochen, nach dem Mahl einige Flaschen „brennivin“, jenes isländischen Schnapses, zu öffnen, der seines „Heizvermögens“ wegen nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen besonders beliebt war.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Die hohe, keifende Stimme des alten Bjarni ließ die Gunnarssons aufhorchen. Der grauhaarige Alte lief den holprigen Pfad hinunter, der von den mannshohen, die Hänge überwuchernden Buschwäldern zum Gehöft führte.
„Die Raben, die Raben!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme und deutete heftig gestikulierend in die Richtung, in der die kleine Bucht lag.
Leifur Gunnarsson, ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit dichtem, blondem Bart, setzte einen Weidenkorb ab und blickte dem keuchend herantorkelnden Knecht verwundert entgegen.
„Was ist los, Bjarni?“ fragte er. „Seit wann hast du Angst vor Raben?“
Der Alte schüttelte den Kopf.
„Es sind keine Vögel“, japste er. „Es sind die ‚Schwarzen Raben‘ Odins. Sie sind mit einem Zweimaster in die kleine Bucht eingelaufen. Ich habe sie deutlich erkannt, Herr. Ihre roten Umhänge waren nicht zu übersehen. Es ist eine schlimme, mordlüsterne Bande. Ich habe schon damals auf dem Hof der Halgrims einen ihrer Überfälle miterlebt. Sie rauben, morden und plündern ohne Erbarmen …“
Das angstvolle Flackern in Bjarnis Augen und seine zitternden Hände überzeugten Leifur Gunnarsson davon, daß die Warnung ernst genommen werden mußte. Er hatte zwar schon einmal von jenen Schnapphähnen gehört, die weit entfernt, an der Ostküste, ihr Unwesen treiben sollten, doch hatte er die Geschichte für eine jener Legenden gehalten, die man sich an langen Winterabenden am wärmenden Feuer erzählte.
Hier im Süden waren diese merkwürdigen Burschen jedenfalls noch nicht in Erscheinung getreten. Sollten sie ihre Streifzüge tatsächlich bis hierher ausgedehnt haben? Gunnarsson spürte ein Unbehagen in sich aufsteigen und entschloß sich zur Vorsicht.
Die Bucht, von der Bjarni gesprochen hatte, lag nicht weit vom Hof entfernt. Man durfte deshalb keine Zeit verlieren.
„Nehmt eure Waffen, Männer!“ brüllte er über den Hof. „Wenn Bjarni sich nicht getäuscht hat, müssen wir mit einem Überfall rechnen.“
Die Sippe der Gunnarssons geriet augenblicklich in Bewegung. Während die Männer die Arbeit unterbrachen, um ihre Waffen aus den Häusern zu holen, eilten die Frauen erschreckt mit den Kindern davon, um sich in der zerklüfteten Felsenlandschaft zu verstecken.
„Wie viele dieser Halunken hast du gesehen, Bjarni?“ fragte Gunnarsson. Er schnallte einen Gürtel um, an dem ein Schwert baumelte, dann griff er nach einer Muskete, um sie zu laden.
Bjarni wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Ich hatte keine Gelegenheit, sie zu zählen, Herr. Die Schaluppe warf gerade den Anker, als ich sie entdeckte. Es waren jedoch viele Männer an Bord. Ich habe mich gleich auf den Weg begeben …“
„Schon gut, Bjarni“, unterbrach ihn Leifur Gunnarsson. „Du hast richtig gehandelt. Sollten diese Heiden tatsächlich die Hände nach unserem Hof ausstrecken, werden wir ihnen im Namen Jesu Christi Einhalt gebieten.“
Für den bärtigen Gunnarsson gehörten die alten Götter der Vorfahren längst der Vergangenheit an. Er war – wie die meisten Isländer – im Christenglauben erzogen worden und blickte den Dingen, die da kommen sollten, furchtlos entgegen.
Und die Dinge kamen – schneller als Leifur Gunnarsson erwartet hatte. Er, seine jüngeren Brüder, die erwachsenen Söhne und die vier Knechte, die es außer dem alten Bjarni noch auf dem Hof gab, schafften es nicht mehr, die Vorräte und die wertvollsten Teile ihrer Habe oder sogar die Tiere, die sich teils in den Stallungen und teils auf der Weide befanden, in Sicherheit zu bringen.
Kaum hatten sie die notwendigsten Waffen zusammengetragen und die Musketen und Pistolen aufgeladen, tauchten auch schon die ersten Gestalten aus westlicher Richtung zwischen den mächtigen Steinblöcken auf.
„In Deckung – sie kommen!“ brüllte Gunnarsson, riß seine Muskete an sich und lief auf die wuchtigen Holzbauten der Stallungen zu.
Die „Schwarzen Raben“ quittierten das mit höhnischem Gelächter. Sie waren es offenkundig gewohnt, daß ihr Auftauchen für die nötige Aufregung sorgte. Und in der Tat – diesen wilden Haufen schien die Hölle ausgespuckt zu haben.
Die wüsten, bärtigen Gesellen, die haßerfüllt und voller Habgier den christlichen Isländern den Kampf angesagt hatten, nannten sich in Anlehnung an die legendären, gefiederten Begleiter ihres Gottes Odin „Schwarze Raben“ und boten überall, wo sie auftauchten, einen furchterregenden Anblick.
Dafür sorgten allein schon die halblangen, leuchtendroten Umhänge, die sie über der üblichen Kleidung trugen. Auf den Rückseiten der Gewänder waren auf Veranlassung ihres Anführers, der Egill genannt wurde, riesige schwarze Raben eingestickt worden.
Egill hatte es vor Jahren verstanden, die wilde Horde von entlaufenen Sträflingen, die sich ständig auf der Flucht vor den Häschern des dänischen Königs befunden hatte, fest in den Griff zu kriegen.
Egills bärtiges Gesicht drückte Spott und Verachtung aus.
„Verkriecht euch nur in eure Rattenlöcher!“ dröhnte seine tiefe Stimme über den Hof der Gunnarssons. „Gleich werden euch die Raben fressen!“
Unmittelbar darauf zerrissen die ersten Musketenschüsse die Stille der nordischen Landschaft.
Die bis an die Zähne bewaffneten „Schwarzen Raben“ nutzten die Deckung des Gesteins, um die Schußwaffen sofort nachzuladen. Die Schwerter, Speere, Messer und Äxte, die sie mit sich schleppten, waren für die eigentliche Offensive bestimmt.
Einige Hofbewohner erwiderten das Feuer. Noch boten ihnen die Gebäude ausreichenden Schutz. Die Kugeln ihrer Musketen prallten jedoch wirkungslos gegen die Felsen und sirrten dann als Querschläger durch die Gegend.
„Hört sofort auf zu schießen!“ befahl Gunnarsson. „Wir brauchen die Schußwaffen, wenn die Kerle versuchen, den Hof zu stürmen. Solange sie sich in der Deckung der Felsen aufhalten, ist es schade um jede Kugel.“
Das leuchtete den Männern ein. Diejenigen, die ihre Musketen bereits abgefeuert hatten, begannen sie eiligst nachzuladen.
Aus den Reihen der „Schwarzen Raben“ dröhnte abermals ein nervenaufreibendes Gelächter herüber. Offenbar gehörte es zur Einschüchterungstaktik dieser Bande.
„Was ist los?“ ließ sich die tiefe Stimme ihres Anführers vernehmen. „Ist euch das Blei ausgegangen, oder habt ihr schon die Hosen voll?“
„Du kannst ja mal rüberkommen und nachsehen!“ brüllte Leifur Gunnarsson zurück. Zu seinen Leuten sagte er: „Laßt euch nicht provozieren. Wir schießen erst, wenn sie die Deckung verlassen.“
Die Gunnarssons hielten sich daran – auch als die Schnapphähne eine weitere Salve abfeuerten, und die Kugeln in die Holzwände der Gebäude schlugen.
Für kurze Zeit blieb nun alles still.
„Weiß der Teufel, was die Kerle jetzt aushecken“, bemerkte einer der Söhne Gunnarssons. „Man müßte eine Kanone haben, damit könnte man das Gesindel aus den Felsen schießen.“
„Wir haben aber keine“, sagte Gunnarsson. „Außerdem werden sie uns bestimmt nicht lange über ihre weiteren Pläne im unklaren lassen.“
Kaum hatte der Hofbesitzer diese Worte ausgesprochen, zischten zwei Brandpfeile in sanftem Bogen über die Hoffläche und bohrten sich mit einem dumpfen Geräusch in das Holz eines Schuppens.
„Oh, verdammt, das hat uns gerade noch gefehlt!“ stieß Gisi, einer der Brüder Gunnarssons hervor. „Wir müssen die Pfeile aus der Wand reißen, sonst haben wir im Handumdrehen den schlimmsten Brand.“ Er lehnte seine Muskete gegen die Rückseite des Gebäudes, das ihnen als Deckung diente, und lugte vorsichtig um die Ecke.
„Laß das“, herrschte ihn Leifur Gunnarsson an, „es ist zu gefährlich!“
Aber der etwas hitzköpfige Gisi stürmte bereits zu dem nahegelegenen Schuppen hinüber und griff blitzschnell nach einem der Pfeilschäfte. In diesem Moment blitzte es in den Felsen zweimal auf. Gisis Körper wurde wie von einer unsichtbaren Faust geschüttelt. Während ein qualvolles Stöhnen über seine Lippen drang, brach er zusammen. Den aus der Holzwand gerissenen Pfeil, dessen Spitze immer noch brannte, hielt er in der rechte Hand. Gisi war tot.
Leifur Gunnarsson biß in ohnmächtiger Wut die Zähne zusammen. Zum erstenmal wurde ihm bewußt, daß es sehr schwer werden würde, den Überfall dieser Mordbuben abzuwehren. Zugleich aber bestärkte ihn gerade dieser Vorfall in seinem Entschluß, den Hof und seine Bewohner bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
Ähnlich dachten auch die übrigen Gunnarssons. Lediglich die Knechte zuckten nervös zusammen, als die bereits bekannte Baßstimme abermals zu ihnen herüberdröhnte.
„Da steckt noch ein zweiter Pfeil in der Wand!“ brüllte Egill. „Will den niemand herausziehen?“
Gunnarsson wurde bleich vor Wut. „Schert euch zum Teufel, ihr Bastarde!“
Mit höhnischem Lachen verdeutlichten die „Schwarzen Raben“ den Hofbewohnern, daß sie solche Aufforderungen nicht im geringsten beeindruckten.
Einer der Söhne Gunnarssons deutete stumm zum Schuppen hinüber. Unter dem Rand des Daches züngelten Flammen hervor. Beißender Qualm hob sich in einer grauen Wolke in den Himmel. Doch den Männern waren die Hände gebunden.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt war es unmöglich, etwas gegen den beginnenden Brand zu unternehmen, das hatte das sinnlose Sterben Gisis nur allzu deutlich gezeigt. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das im Schuppen gelagerte Holz, die Fischernetze, Karren und Werkzeuge abzuschreiben.
Während die Gunnarssons mit schußbereiten Musketen und Pistolen auf den offenen Angriff der Odinanbeter warteten, breitete sich das Feuer rasch aus. Schon in erstaunlich kurzer Zeit stand der gesamte Schuppen in hellen Flammen. Die sich betreten anblickenden Männer verspürten die sengende Hitze am eigenen Leib.
„Wir müssen endlich etwas unternehmen“, sagte einer der Gunnarssonbrüder. „Wenn es den Burschen einfällt, schießen sie den ganzen Hof in Brand.“
„Das glaube ich nicht“, erwiderte Leif ur. „Bei diesen Heiden handelt es sich um Schnapphähne, die Beute schlagen wollen. Wenn der Hof jedoch abbrennt, gibt es für sie nichts mehr zu holen.“
Damit sollte er sich nicht getäuscht haben, denn während er noch redete, setzte der Sturm der „Schwarzen Raben“ auf seinen Hof ein.
Urplötzlich, wohl mit einer gewissen Ablenkung durch das brennende Gebäude rechnend, brach die wilde Schar aus ihrer Deckung hervor. Die leuchtendroten Umhänge verliehen den Angreifern ein beinahe gespenstisches Aussehen.
„Musketen und Pistolen abfeuern!“ brüllte Leifur Gunnarsson. Gleich darauf krachte ein gutes Dutzend Schüsse hinter den Gebäuden hervor.
Aber die Gunnarssons zählten nicht gerade zu den besten und geübtesten Schützen. Nur zwei der Angreifer brachen von Musketenkugeln getroffen zusammen. Da zum Nachladen der Schußwaffen keine Zeit blieb, war damit ein mörderischer Kampf Mann gegen Mann nicht mehr zu umgehen.
Im Handumdrehen war auf dem Platz vor den Häusern der Teufel los. Das blanke Metall von Schwertern, Äxten, Speeren und Messern blitzte im hellen Licht der Mittagssonne. Während sich die Gunnarssons entschlossen zur Wehr setzten, nutzte der wüste Haufen Egills seine Übermacht erbarmungslos aus.
Außer dem klirrenden Geräusch der aufeinanderprallenden Waffen überlagerten laute Flüche und anfeuerndes Gebrüll die sonst so friedliche Landschaft. Gnadenlose Axtkämpfe lagen in ständigem Wechsel mit heftigen Schwertduellen und Messerattacken.
Mit zusammengepreßten Lippen sah Leifur Gunnarsson, wie einer seiner Brüder und zwei Knechte von Speeren getroffen zusammenbrachen. Niemand hatte Zeit, sich um sie zu kümmern. Er selber warf sich Egill, dem verkommen aussehenden Anführer der „Schwarzen Raben“, mit dem Schwert entgegen.
„Stirb, du gottloser Halunke!“ brüllte er, aber Egill wich seinem wuchtig geführten Schwerthieb geschickt aus.
Gunnarsson wirbelte flink herum und drang erneut mit kraftvollen Hieben auf den Oberschnapphahn ein. Dieser wehrte die heftigen Ausfälle zunächst erfolgreich ab, geriet aber bald durch die wilde Entschlossenheit Gunnarssons in ziemliche Bedrängnis. Dennoch kehrte das spöttische und hinterhältige Grinsen bald wieder in sein Gesicht zurück – dann nämlich, als ihm einer seiner Kerle zu Hilfe eilte.
Für Gunnarsson nicht sichtbar, näherte sich ihm ein hochaufgeschossener, hagerer Bursche von hinten und hob die Faust mit dem Messer. Gunnarsson nahm ihn aus den Augenwinkeln heraus als Schatten wahr und versuchte noch, sich mit einem Sprung zur Seite aus der direkten Gefahrenlinie zu bringen, aber zu spät.
Die Klinge des Messers fuhr mit einem brennenden Schmerz irgendwo zwischen seine Schulterblätter. Er spürte noch, wie sich seine Hand kraftlos vom Griff des Schwertes löste, dann glaubte er in ein endlos tiefes und dunkles Loch zu stürzen.
Der Kampf um den Gunnarsson-Hof ging unerbittlich weiter. Die Chancen für seine Verteidiger würden von Minute zu Minute aussichtsloser. Je mehr die kleine Schar zusammenschmolz, desto verzweifelter wurde ihre Lage.
Schon eine Stunde später standen alle Gebäude des Hofes, einschließlich der Stallungen und Vorratsschuppen, in Flammen. Die Plünderungsaktion der „Schwarzen Raben“ war bereits abgeschlossen. Alles, was Egill und seinen Kerlen brauchbar erschienen war, hatten sie auf dem Platz vor den Häusern zusammengetragen.
Darunter waren die Waffen der Toten, die Vorräte an gepökeltem und luftgetrocknetem Fleisch, die geräucherten Fische und natürlich auch die zahlreichen Branntweinflaschen. Die Schafe, Ziegen und Schweine hatten die Schnapphähne, noch bevor sie den Hof in Brand steckten, aus den Ställen getrieben, um damit ihre Frischfleischvorräte zu ergänzen.
Nachdem die „Schwarzen Raben“ schließlich mit mehreren Transportmärschen ihre Beute zu der kleinen Bucht gebracht hatten, in der ihr Schiff vor Anker lag, erinnerten nur noch schwelende Trümmerhaufen an den Gunnarsson-Hof.
Der einzige männliche Hofbewohner, der den Überfall ungeschadet überstanden hatte, war der alte Knecht Bjarni. Zu schwach für einen harten Kampf, hatte er sich zu dessen Beginn im Gestein hinter dem Hof versteckt.
Während die gnadenlosen Verbrecher zum Plündern in die Gebäude eingedrungen waren, hatte er es gewagt, seinen schwerverletzten und besinnungslosen Herrn, den er zunächst für tot gehalten hatte, mit letzter Kraftanstrengung in sein Versteck zu schleifen. Dort hatte er sofort damit begonnen, die blutende Wunde Gunnarssons mit dessen Hemd notdürftig zu verbinden.