Seewölfe Paket 31

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Die Abstimmung war rasch vollzogen. Alle Arwenacks waren für den Umweg, den der Abstecher an die Südostküste mit sich bringen würde. Sogar Old Donegal hatte die Hand gehoben – wenn auch nur zögernd und mit unschlüssigem Gesicht.
„Wie Sie sehen, kann Ihrer Bitte entsprochen werden, Mister Pinewood“, sagte Hasard. „Wir werden lediglich noch den Kapitän unseres Begleitschiffes davon in Kenntnis setzen müssen, damit er weiß, daß wir etwas später als er am vereinbarten Ziel eintreffen.“
Jerry Pinewood zeigte sich hocherfreut über den Ausgang der Verhandlungen und nahm erst jetzt zur Kenntnis, daß in einiger Entfernung ein fremdes Schiff dem Kielwasser der Schebecke folgte.
„Was ist das für ein Schiff?“ fragte er.
„Das sind gute Freunde, die dasselbe Ziel haben wie wir“, sagte Hasard. „Sie haben Bekannte und Verwandte, die auf Island leben.“
Pinewood gab sich damit zufrieden. Zum einen hatten ihm diese Männer das Leben gerettet, und zum anderen bestand für ihn jetzt wieder die Aussicht, die drei Kisten doch noch bergen zu können.
Die Arwenacks gingen wieder auf Stationen. Pinewood begleitete den Kutscher zur Kombüse, um zur weiteren Kräftigung noch eine Muck Fleischbrühe in Empfang zu nehmen.
„Ich will mich keineswegs bei euch durchfuttern und auf die faule Haut legen“, sagte er auf dem Weg dorthin. „Da ich harte Arbeit gewohnt bin, packe ich gern mit an.“
„Kein Problem“, erwiderte der Kutscher. „Sie können mir fürs erste ein wenig in der Kombüse zur Hand gehen, wenn Sie sich kräftig genug dazu fühlen.“
„In Ordnung. Aber lassen wir ruhig den Mister weg. Ich bin ein einfacher Decksmann und kein feiner Schnösel. Im übrigen heiße ich Jerry.“
Kurze Zeit später, als Jerry Pinewood dem Kutscher und Mac Pellew beim Fleischschneiden und Gemüseputzen half, fragte er plötzlich: „Wie heißt noch mal euer Kapitän? Killigrew?“
„Ganz richtig, Meister“, erwiderte Mac mit griesgrämigem Gesicht.
Pinewood legte die Stirn in Falten. „Diesen Namen habe ich schon gehört. Heißt nicht auch der legendäre Seewolf so, der im Auftrag der Königin den Spaniern so mächtig einheizt?“
Mac nickte mit todernstem Gesicht. „Kann sein, daß der auch so heißt.“
Pinewood winkte ab. „Lassen wir das. Was sollte der Seewolf schon im Nordmeer. Hier gibt’s ja keine Dons!“
„Eben“, meinte Mac und holte eine riesige Zwiebel aus dem irdenen Behälter.
6.
Von gleichmäßigen Riemenschlägen vorangetrieben, bahnte sich das winzige Boot einen Weg durch die Dünung.
Die Sicht war gut, denn der Himmel war seit Stunden blau und wolkenlos. Die Frühjahrssonne überschüttete die Wasserfläche mit gleißendem Licht. Das zum Teil hochaufragende vulkanische Gestein der kleinen Eilande, die zur Gruppe der sogenannten Westmännerinseln gehörten und der isländischen Südküste vorgelagert waren, konnte an der südlichen Kimm deutlich wahrgenommen werden.
Dem alten Bjarni stand trotz der frischen Brise der Schweiß auf der Stirn, als er zusammen mit Loki, der Frau Leifur Gunnarssons, das kleine Fischernetz an Bord hievte. Freya und Hildrun, zwei weitere Frauen vom ehemaligen Hof der Gunnarssons, bedienten die Riemen.
Die anderen waren auf dem Trümmergrundstück zurückgeblieben und kümmerten sich um die Kinder und den immer noch stark geschwächten Hofherrn. Irgendwann, sobald Leifur Gunnarsson wieder auf den Beinen war, wollte man die Gegend, die alle Überlebenden des Überfalls nur noch an Tod und Verderben erinnerte, verlassen und nach Nordwesten ziehen, wo Lokis Familie einen großen Hof besaß.
Vorerst aber hatte der treue Knecht Bjarni aus den Holzresten des Wohnhauses und der Stallungen einige Notunterkünfte errichtet, denn die Nächte waren noch kalt und windig auf Island.
Im Netz zappelten Dorsche und einige Heilbutte. Der Fang war spärlich, aber er würde ausreichen, um die beiden Männer sowie die Frauen und Kinder an diesem Tag zu ernähren.
„Die anderen werden schon auf uns warten. Wir sollten jetzt umkehren, Bjarni“, sagte Loki. Sie war eine schlanke, hochgewachsene Frau, deren langes, blondes Haar zu einem Zopf geflochten war.
Der grauhaarige Alte nickte zustimmend. „Die Kinder haben bestimmt schon Hunger. Wenigstens hat sich unsere Arbeit einigermaßen gelohnt.“
Freya und Hildrun schwiegen. Früher hatten die Frauen vom Gunnarsson-Hof oft bei der Arbeit gesungen – seit jenem verhängnisvollen Tag aber waren sie schweigsam geworden.
Noch war die Erinnerung an den gnadenlosen Überfall der „Schwarzen Raben“ zu frisch, und jene Stunde, in der sie mit der Hilfe Bjarnis ihre Männer und Söhne begraben mußten, stand noch zu deutlich vor ihren Augen.
Jetzt griffen auch Loki und Bjarni zu den Riemen, um das Boot zu wenden.
Da war plötzlich die helle Stimme Hildruns zu hören.
„Ein Schiff!“ rief sie und zeigte mit ausgestrecktem Arm nach Osten.
Die Blicke der anderen wanderten sofort in die angezeigte Richtung. In der Tat schob sich dort ein riesiger Segler hinter der Kimm hervor.
Bjarni wischte sich über die Augen, als könne er dadurch besser sehen. Doch er war alt, und sein Sehvermögen hatte bereits viel von seiner früheren Schärfe verloren.
„Ist es ein großes Schiff?“ wollte er wissen.
Loki nickte. „Nach allem, was man bis jetzt sehen kann, ist es ein großer Rahsegler. Wenn ich mich nicht irre, ist das Schiff völlig schwarz.“
„Es ist tatsächlich schwarz“, bestätigte die etwas kleine, rundliche Freya. „Merkwürdig, selbst die Segel sind es.“ Ihre Stimme klang etwas ängstlich.
Der alte Bjarni horchte auf. „Wie? Das Schiff ist schwarz? Und die Segel auch?“ Er zog den Riemen an Bord, erhob sich und überdachte die Augen mit den Händen. Dennoch dauerte es eine Weile, bis er selber Einzelheiten erkennen konnte.
„Bei Thor und Odin!“ entfuhr es ihm dann. „Das ist der Schwarze Segler!“
„Aber Bjarni“, sagte Loki mit leisem Tadel. „Du sollst nicht immer die alten heidnischen Götter anrufen!“
Der Knecht überging den Einwand. „Aber schau doch, Herrin. Das ist der Schwarze Segler!“ Seine Stimme klang plötzlich freudig erregt. „O ja, er ist es“, fügte er noch hinzu. „Wir müssen uns sofort bemerkbar machen. Das Schiff müßte bei seinem jetzigen Kurs in einer Entfernung von ein oder zwei Kabellängen hier vorbeisegeln …“
„Ich weiß nicht, was du damit sagen willst, Bjarni“, unterbrach ihn Loki verwundert. „Kennst du denn dieses Schiff?“
„Aber natürlich, Herrin“, verkündete Bjarni. „Das ist das merkwürdige schwarze Drachenschiff Thorfin Njals. Ich habe ihn vor einigen Jahren kennengelernt, als ich noch auf dem Hof der Halgrims war. Die Halgrims waren mit den Thorgeyrs befreundet, die weit oben im Isafjord leben. Thorfin Njal wiederum hat eine Frau vom Thorgeyr-Hof geheiratet. Wir müssen zusehen, daß sie uns bemerken, Herrin. Wenn uns Thorfin Njal entdeckt, nimmt er uns bestimmt nach Olafsvik mit.“
Die Frauen atmeten erleichtert auf. Wenigstens schien von diesem düster aussehenden Schiff keine Gefahr auszugehen. Schließlich ließen sie sich sogar von Bjarni dazu überreden, ihre dunklen Umhänge als Signalfahnen zu benutzen.
Der Knecht selber befestigte sein abgetragenes Lederwams an einem Riemen, wandte sich dem dicht unter der Küste heransegelnden Viermaster zu und schwenkte das Kleidungsstück hoch über dem ergrauten Kopf.
Seit Steuerbord voraus die bizarren Felsmassive der isländischen Küste aufgetaucht waren, hatte sich die Laune des Wikingers beträchtlich gehoben.
„Eiliger Drache über den Wassern“ segelte auf ausdrücklichen Wunsch Thorfin Njals dicht unter der Küste nach Nordwesten. Er selber thronte wie ein nordischer Gott auf seinem heißgeliebten „Sesselchen“ und genoß den überwältigenden Anblick der an Steuerbord vorbeiziehenden Berglandschaft.
Ja, das war es – sein „Thule“, das Land der Ahnen, die Heimat der brüllenden Stürme, des Schnees und des ewigen Eises!
Bei seinem „Sesselchen“ handelte es sich um einen riesigen Stuhl aus schwarzem Holz, der fest in den Planken des Achterdecks verankert war und von dem aus man das ganze Schiff gut überblicken konnte.
In den Augen des Wikingers lag ein seltsamer Glanz, das bärtige Gesicht wirkte verträumt, und von Zeit zu Zeit umspielte ein Lächeln seine Lippen. Jeder an Bord gönnte ihm den Genuß, den der Anblick des Nordlandes wohl mit sich brachte, und niemand wäre das Risiko eingegangen, ihn ausgerechnet jetzt mit irgendwelchen Nichtigkeiten zu stören.
Lediglich der Stör glaubte, eine wichtige Meldung nicht länger zurückhalten zu können.
„Kapitän“, sagte er, „unsere Tranvorräte gehen zur Neige. Zumindest behauptet das Muddy. Für den Fall, daß wir vielleicht – äh – an einer Handelsstation vorbeisegeln …“
Der Wikinger wandte das behelmte Haupt von „Thule“ ab und tauschte den Anblick der märchenhaften Landschaft gegen das langgezogene Gesicht des Störs ein.
„Was sagst du da, du krummbeinige Filzlaus?“ polterte er mit Donnerstimme.
„Der – der Tran wird langsam alle“, stotterte der Stör und hielt wohlweislich einen gebührenden Abstand zum „Sesselchen“.
Thorfin schnaubte wie ein Walroß.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ brüllte er. „Kaum hat man sich dem Anblick dieses Landes hingegeben und hört schon fast die Stimmen der Götter von den Bergwipfeln herüberdröhnen, da tauchst du Ziegenbock auf, um mir was von stinkendem Tran zu erzählen. Da soll sich Muddy gefälligst rechtzeitig um das Zeug kümmern. Wenn du mich damit noch ein einziges Mal nervst, tauche ich dich in das Tranfaß und zünde dich als Fackel an!“
„Bergwipfel dröhnen – stinkender Muddy – Fackel im Tranfaß“, wiederholte der Stör eifrig und brachte dabei die Reihenfolge etwas durcheinander.
Da er den in Riemensandalen steckenden Füßen des Wikingers ebenso wenig traute wie dessen mächtigen Fäusten, rückte er vorsichtshalber noch ein wenig vom „Sesselchen“ ab, bevor er einen neuen Vorstoß wagte.
„Wenn – wenn aber der Tran alle ist, dann …“
„Dann wird es eben zappenduster, du eisverkrusteter Polaraffe!“ unterbrach ihn Thorfin Njal.
„Zappenduster – Eiskruste – Polaraffe“, tönte es aus dem Mund des händeringenden Störs. „Und das alles nur wegen des verdammten Trans. Soll sich doch von mir aus der verlotterte Muddy mit einer Kerze in der Hand auf das Achterdeck stellen und einen Leuchter spielen, wenn das Faß leer ist!“
Die immer hitziger werdende Trandebatte wurde von einem Ruf aus dem Ausguck beendet.
„Boot Steuerbord voraus dicht unter der Küste!“ lautete die Meldung des dunkelhäutigen Hilo.
„Was kümmert uns ein Fischerboot, du Räucherhering?“ rief Thorfin zurück. „Demnächst meldest du noch jede Möwe, die dir was aufs Haupt fallen läßt.“
Der von der Insel Tobago stammende Hilo ließ sich jedoch nicht so einfach abschmettern.
„Ob es ein Fischerboot ist, weiß ich nicht!“ rief er mit lauter Stimme. „Wenn ich recht sehe, sind vier Männer an Bord und winken wie verrückt mit irgendwelchen Tüchern.“
Der Wikinger konnte das jetzt schon selber von seinem „Sesselchen“ aus erkennen. Dennoch setzte er das Wortgefecht mit Hilo fort.
„Die freuen sich wohl, endlich mal ein richtiges Schiff zu sehen!“
„So sieht das aber nicht aus“, entgegnete Hilo. „Mir scheint eher, daß sie unbedingt auf sich aufmerksam machen wollen … Oh, verdammt, da sind ja Frauen dabei!“
Das wiederum war dem Wikinger neu, weil er das von seinem „Sesselchen“ aus nicht unterscheiden konnte. Er erhob sich, um nach dem Spektiv zu greifen, das ihm Eike reichte.
„Hilo hat recht“, sagte in diesem Augenblick eine Frauenstimme. Sie gehörte zu Siri-Tong, die lächelnd hinter seinem thronartigen Stuhl aufgetaucht war. „Vielleicht sind die Leute in Not und brauchen Hilfe. Wie sie sich gebärden, sieht das nicht nach einem freundlichen Winken aus.“
„Na ja“, brummte Thorfin. „Weiber halten zu Weibern, das ist der Lauf der Welt. Was schlägst du vor?“
„Fahrt wegnehmen und die Leute einfach fragen, was sie wollen“, erwiderte die Eurasierin knapp.
Jetzt grinste der Wikinger. „Da hast du recht. Daß einem die Weiber aber auch immer sagen müssen, wie es am einfachsten geht. Und ich Ochse wollte schon die Stückpforten öffnen lassen.“ Er lachte dröhnend. Gleich darauf ließ er die Segel ins Gei hängen und die Fahrt stoppen.
Als die Bootsinsassen, die sich endgültig als drei Frauen und ein Mann entpuppten, das sahen, hörten sie auf zu winken, griffen nach den Riemen und pullten auf den Schwarzen Segler zu.
Sobald das Boot auf Rufweite heran war, richtete sich der einzige Mann an Bord auf.
„Ich bin Bjarni, Knecht auf dem Gunnarsson-Hof!“ rief er mit hoher Greisenstimme. „Ich kenne den Kapitän dieses Schiffes – er heißt Thorfin Njal. Darf ich an Bord kommen?“
„Erlaubnis erteilt!“ brüllte Thorfin verwundert zurück und ließ sofort eine Jakobsleiter ausbringen. „Merkwürdig“, fügte er leiser hinzu. „Da segelt man wieder einmal nach Island, und schon trifft man auf Bekannte.“
„Hihi!“ kicherte der Stör. „Womöglich steigt noch eines der Weiber an Bord und behauptet, sie sei deine Tochter.“
Wenig später betrat der alte Bjarni die Kuhl des Schwarzen Seglers und wandte sich zielstrebig an den Wikinger.
„Du wirst dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern, Kapitän“, sagte er. „Es ist schon Jahre her, seit du einmal Gast bei den Halgrims warst. Ich war damals Knecht auf diesem Hof.“
„Bei den Halgrims?“ entfuhr es Thorfin. „Das ist aber ein ziemliches Stück von hier entfernt.“
„So ist es“, fuhr der alte Mann fort. „Inzwischen bin ich zum Hof der Gunnarssons gekommen, der dort drüben – ein Stück landeinwärts – lag.“ Er deutete zur nahen Küste hinüber.
Thorfin konnte sich noch an den Besuch bei den Halgrims erinnern, und nach kurzem Nachdenken kehrte auch Bjarni „unter seinen Helm“ zurück.
„Du warst der Knecht, der die Mucks ständig mit Branntwein auffüllte“, sagte Thorfin. „Stimmt’s?“
„Das stimmt, Kapitän. Ich freue mich, daß du dich noch an mich erinnerst. Heute war ich mit den drei Frauen hier draußen, um zu fischen. Wir wollten schon zurückpullen, da sahen wir dieses Schiff an der Kimm auftauchen. Ich habe es – Thor sei gedankt – wiedererkannt.“
„Hm“, meinte der Wikinger. „Seit wann fischen hier denn die Weiber?“
„Das möchte ich dir gern erzählen, Kapitän, denn damit hängt auch der Grund für mein Kommen zusammen.“
Bjarni berichtete in allen Einzelheiten von dem Überfall der „Schwarzen Raben“ auf den Hof der Gunnarssons und von den Schwierigkeiten, die sich jetzt für die Überlebenden daraus ergeben hatten.
„Außer den Frauen und Kindern, die sich in den Bergen versteckt hatten, überlebten nur Leifur Gunnarsson und ich“, sagte Bjarni. „Aber mein Herr ist noch nicht wieder bei Kräften. Wir können unmöglich zu Land die Reise nach Olafsvik antreten, und das einzige Boot, das uns verblieb, ist viel zu klein für alle. Ich habe deshalb beschlossen, dich um Hilfe zu bitten, Kapitän.“
„Das war ein guter Entschluß, Bjarni“, sagte der Wikinger. „Für uns ist es kein Problem, euch bis nach Olafsvik mitzunehmen. Wir brauchen dazu nicht einmal unseren Kurs zu ändern.“
Die Hilfsaktion war auch für Siri-Tong eine Selbstverständlichkeit. Es wurde sofort Anker geworfen, und sie fierten Boote ab.
Jetzt gab es alle Hände voll zu tun für die Mannen. Dennoch dauerte die ganze Aktion nicht länger als einen halben Tag. Die Frauen und Kinder wurden an Bord gebracht, ebenso der verletzte Leifur Gunnarsson.
Viel Habe, die es wert war, mitgenommen zu werden, gab es nicht mehr auf dem Trümmerfeld des ehemaligen Hofes, wenn man von den wenigen Milchziegen absah, die den Gunnarssons verblieben waren.
„Wir werden zunächst bei der Familie meiner Frau unterkommen“, sagte Leifur Gunnarsson zu Thorfin Njal und Siri-Tong. „Sobald ich wieder richtig auf den Beinen bin, werden wir neu anfangen.“
Die dringlichsten Probleme der Gunnarssons waren gelöst, als der Schwarze Segler wieder Fahrt aufnahm und auf Nordwestkurs ging.
7.
Ben Brighton blinzelte in das helle Sonnenlicht. „Dem Wetter nach könnte man fast meinen, in der Karibik zu sein.“
Der Seewolf rollte die Karte zusammen und warf ebenfalls einen Blick in den strahlend blauen Himmel.
„Nur die Wärme zieht nicht ganz mit“, meinte er. „Außerdem vermisse ich das üppige Grün. Wie ein Paradies sieht die öde Felslandschaft da vorn jedenfalls nicht aus.“
In der Tat erinnerten die kühle Luft und der zeitweise recht scharfe Wind nachhaltig daran, daß sie weit von den warmen Gefilden der Karibik entfernt waren.
Der Bug der Schebecke pflügte in zügiger Fahrt das kabbelige Wasser. Je näher die wuchtigen Felsmassive der Südostküste heranrückten, desto erwartungsvoller wurden die Blicke der Männer an Bord.
Das Aufspüren eines Schatzes – das war so richtig was nach dem Geschmack der Arwenacks. Kein Wunder, daß die Stimmung an Bord hervorragend war und sich auch auf die Tiere übertrug, die fest zur Besatzung gehörten.
Sir John, der Aracanga-Papagei, genoß die Sonne sichtlich und gab sich in den letzten Stunden ziemlich redselig. Zudem glaubte er wohl, dem Profos beim Fluchen wieder einmal kräftig Schützenhilfe leisten zu müssen, damit niemand auf die Idee verfiel, die Hände in den Schoß zu legen.
„Nicht so müde!“ krächzte er in der Tonlage Carberrys. „An die Brassen, ihr Transusen! Hurtig, hurtig!“ Während er einige Male hin und her flatterte, ließ er noch einige ausgewählte englische und spanische Flüche vom Stapel, und niemand mußte sich den Kopf darüber zerbrechen, wer hier der Lehrmeister gewesen war.
Der Schimpanse Arwenack bekräftigte die Befehle des Vogels mit einem lauten Keckern, und Plymmie, die Wolfshündin, quittierte das plötzliche Gekicher, das Sir John anstimmte, mit einem leisen Knurren.
„Willst du wohl das Lästermaul halten, du Sumpfeule?“ nörgelte Mac Pellew, der gerade an Lee eine Pütz voll Küchenabfälle über Bord gab.
Die Antwort des Vogels blieb nicht aus. „Luv an, du Essiggurke!“ krächzte er und schlug mit den Flügeln.
Von jetzt an aber wandte er seine Aufmerksamkeit den Möwen zu, die mit lautem Geschrei über die Abfälle herfielen. Daß sich die weißen Vögel irgendwo an Bord niederließen, duldete Sir John auf keinen Fall, notfalls verteidigte er sein Revier mit wuchtigen Schnabelhieben.
Philip Hasard Killigrew gab Pete Ballie, der beim letzten Glasen wieder seinen Platz am Ruder eingenommen hatte, letzte Anweisungen und wandte sich Jerry Pinewood zu.
„Wir liegen auf dem richtigen Kurs“, sagte er. „Die schmale Einfahrt der Bucht ist bereits mit bloßem Auge zu erkennen.“
„Also stimmt die Skizze mit Ihren Seekarten überein“, sagte der Mann aus Grimsby erfreut. „Ich bin fest davon überzeugt, Sir, daß wir die Kisten finden.“
Hasard lächelte. „Mitunter ist es ganz nützlich, ein Optimist zu sein. Lassen wir uns also überraschen, Mister Pinewood.“
„Ich – äh – ich habe da noch eine Frage, Sir“, rückte Pinewood heraus.
„Verschlucken Sie sich nur nicht daran“, erwiderte Hasard trocken.
Pinewood grinste verlegen. „Die Frage ist nämlich die, Sir, wie ich mit meinen eineinhalb Kisten Goldmünzen nach England gelangen soll.“
„Darüber habe ich allerdings auch schon nachgedacht“, sagte Hasard. „Sie können sich wohl schlecht damit in Ihr winziges Boot setzen und in die Heimat pullen, zumal Sie unterwegs für all das viele Geld nicht einmal etwas Eßbares kaufen könnten. Ich dachte mir deshalb, daß Sie wohl nichts dagegen haben werden, an Bord unseres Schiffes zu bleiben, bis wir wieder nach England zurücksegeln.“
„Wirklich, Sir?“ Jerry Pinewood strahlte.
„In der Regel meine ich auch, was ich sage“, bestätigte Hasard.
„Oh, vielen Dank, Sir. Meine Schuld Ihnen gegenüber wird immer größer. Ich habe noch selten einen Kapitän irgendeines Handelsschiffes erlebt, der so großzügig ist …“
„Wer spricht denn von einem Handelsschiff?“ unterbrach ihn Hasard. „Wir haben nichts zu verkaufen, mein Freund.“
„Wie – was dann?“ Pinewood geriet ins Stottern.
„Ich sagte doch schon, daß wir Freunde und Bekannte auf Island besuchen wollen“, fuhr Hasard fort. „Im übrigen sind wir meist im Auftrag Ihrer Majestät, der Königin, unterwegs.“
Pinewoods Kinnlade klappte nach unten.
„Im Auftrag der Königin?“ wiederholte er und schluckte. „Wie – wie war doch gleich Ihr Name, Sir?“
„Philip Hasard Killigrew.“
„O Gott!“ stöhnte Pinewood. „Also doch. Sie – Sie sind der Seewolf. Daß ich Dorftrottel aber auch nicht früher draufgekommen bin!“
„Was würde das an der Situation ändern?“ fragte Hasard. „Wir haben eine faire Absprache miteinander getroffen, und an die werden sich beide Seiten halten, sofern wir tatsächlich die Kisten finden.“
„Aber – aber natürlich, Sir, so meinte ich das auch gar nicht“, stammelte Pinewood. „Ich bin nur etwas überrascht, ausgerechnet von Ihnen und Ihren Männern aus Seenot gerettet worden zu sein. Im übrigen fühle ich mich – bei all dem Guten, was ich über Sie gehört habe – nirgends sicherer als an Bord Ihres Schiffes. O Lord, wenn ich das dereinst in Grimsby erzähle, glaubt mir niemand auch nur ein einziges Wort!“
„Das allerdings ist Ihr Problem“, entgegnete Hasard lachend.
Danach wandte er sich zusammen mit dem immer noch ziemlich verdatterten Pinewood der imposanten Einfahrt der Bucht zu, die wie ein riesiges Tor zwischen den hohen Felswänden klaffte.
Die Schebecke glitt elegant durch dieses Tor, und ihre Besatzung fand sich plötzlich in einer großen Bucht wieder, die auf der entgegengesetzten Seite von den Felsmassiven der eigentlichen Küste begrenzt wurde.
Die Segel erschlafften, und die Fahrt verlangsamte sich, weil es in diesem riesigen Kessel ziemlich windstill war. Das helle Sonnenlicht überflutete die Bucht, und ließ das Grau sowie das helle und dunkle Braun des jahrtausendealten Gesteins spielerisch aufleuchten.
„Bei diesem Wetter sieht selbst die tristeste Einöde noch wie ein verträumtes Kleinod aus“, bemerkte Ben Brighton. „Im übrigen ist diese Bucht der beste Schlupfwinkel, den man bei einem Sturm überhaupt finden kann.“
Old O’Flynn, der auf dem Achterdeck erschienen war, nickte mit nachdenklichem Gesicht. „Selbst das Jüngste Gericht könnte man hier überleben.“
„Na, na, Donegal“, meinte der Seewolf, „bis dahin wird es ja wohl noch seine Zeit dauern.“
„Sag das nicht, Sir“, fuhr der Alte unbeirrt fort. „Niemand weiß, wann und wie der Großlord seinen Zorn über die Erde ausschütten wird. Er hat seine Beobachter überall – vielleicht sogar hier.“
Die Arwenacks grinsten – wie immer, wenn Old O’Flynn einen Blick hinter die Kimm warf. Diesmal aber ahnte niemand von ihnen auch nur im entferntesten, daß sie längst beobachtet wurden, wenn auch nicht gerade von den Helfern des „Großlords“. Dafür aber von zwei merkwürdig aussehenden Nordmännern, die hoch oben im Gestein des mächtigen Felsentores hockten.
Die beiden Männer waren mit Musketen bewaffnet und trugen leuchtendrote Umhänge, auf deren Rückenpartien das Bildnis eines schwarzen Raben zu sehen war.
Die Schebecke fand bald einen Ankerplatz in der Nähe eines mit Geröll übersäten Hanges.
„Das ist genau die Stelle, die der Plan für einen Landgang vorsieht“, sagte Hasard überrascht.
„Viel mehr Möglichkeiten sind auf Anhieb auch gar nicht zu erkennen“, sagte Ben Brighton, „obwohl sich das Labyrinth durchaus noch weit landeinwärts fortsetzen kann. Doch dazu müßte man die ganze Bucht absuchen.“
Jerry Pinewood war reichlich kribbelig geworden.
„Wozu aber, Mister Brighton?“ fragte er mit besorgter Stimme. „Es genügt ja, wenn wir die im Plan vermerkte Stelle gefunden haben. Sie entspricht auch der Beschreibung Mister McKaynes.“
Ben nickte mit einem breiten Lächeln. „Da haben Sie auch wieder recht, Mister. Es ist ja zu verstehen, daß Sie so schnell wie möglich die Kisten finden möchten.“
Der Seewolf ließ ein Boot abfieren und mit sechs gutbewaffneten Crewmitgliedern bemannen. Dazu gehörten Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti, Dan O’Flynn, Stenmark und Paddy Rogers. Hinzu kam noch Jerry Pinewood, und Hasard selber übernahm das Kommando. Die Verantwortung für das Schiff würde während seiner Abwesenheit Ben Brighton übernehmen.