Seewölfe Paket 31

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„Sollen wir nicht noch ein zweites Boot für die Goldkisten mitnehmen, Sir?“ fragte Edwin Carberry grinsend. „Nur für den Fall, daß die Dinger zu groß für unseren Nachttopf sind.“
„Notfalls können wir ja mehrmals fahren“, meinte Hasard sarkastisch.
„Ich wüßte nicht, was ich lieber täte, Sir“, sagte der Profos, und Jerry Pinewood nickte eifrig dazu.
Danach stieß Carberry das Boot von der Bordwand ab, und die Rudergasten legten sich auf sein Geheiß mächtig in die Riemen. So erreichte der kleine Trupp problemlos das Ufer, wo man das Boot auf das Geröll zog.
Der Seewolf warf zusammen mit Pinewood einen weiteren Blick auf den Plan.
„Der Fußweg ist eingezeichnet“, sagte er. „Nur läßt sich schwer abschätzen, wieviel Zeit er in Anspruch nehmen wird. Der Zeichnung nach dürfte es sich jedoch um einen ziemlich ausgedehnten Spaziergang handeln.“
Davon jedoch ließen sich die Arwenacks nicht abschrecken, der immer nervöser werdende Mann aus Grimsby schon gar nicht. Mit zielstrebigen Schritten stiegen sie den steilen Hang hoch. Das Gewicht der Waffen und anderen Utensilien erwies sich zumindest zu Beginn des Marsches noch nicht als beschwerlich.
Schließlich bedurfte man einiger Dinge, wenn man einen Schatz heben wollte. Die Arwenacks führten deshalb Taue, Grabwerkzeuge und Tranlampen mit. Die Kisten waren in einer Höhle unter Geröll vergraben, das hatte der alte McKayne Pinewood gegenüber versichert. Außerdem sollte es in der Höhle ziemlich dunkel sein. Eine entsprechende Vorsorge war deshalb nötig.
Als die Männer den Hang hinter sich gebracht hatten, winkten sie den Kameraden auf der Schebecke noch einmal zu. Danach setzten sie ihren Weg fort, der hoch über der Bucht mitten in die öde Felslandschaft führte.
Ein Stück vom Rand der großen Bucht entfernt wurde das Bild etwas freundlicher. Das erste Grün vermischte sich mit den tristen Farben des nackten Gesteins. Neben verschiedenen Gräsern fanden sich Silberwurz, Thymian, Hornkraut und dichte Bestände von Habichtskraut. Noch ein Stück weiter entfernt gesellten sich Schnee-Enzian und vereinzelte Birken hinzu.
Dem Profos wurde es offenkundig zu ruhig in der Landschaft.
„Hast du dir schon überlegt, was du mit all den Goldmünzen anfangen willst?“ fragte er Jerry Pinewood, als er auf gleicher Höhe mit ihm war.
Der schüttelte den Kopf. „Darüber habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Aber es wird mir schon etwas einfallen. Hauptsache, wir finden das Zeug erst mal. Grimsby ist zwar nicht groß, aber es hat auch seine Reize. Demzufolge könnte es durchaus sein, daß ich gar nicht mehr zur See fahre, sondern vielleicht einen Krämerladen eröffne. Oder ich übernehme die Kneipe des alten McKayne. Das wäre auch nicht schlecht. Ein bißchen Arbeit muß der Mensch ja haben, auch wenn er es gar nicht nötig hätte.“
„Sehr vernünftig“, lobte der Profos, „auch das ist ein Weg. Sicherlich verfällst du auch noch auf die Idee, die Schönste im Städtchen zu freien und mit einer ganzen Reihe von hübschen kleinen Windelpisserchen zu beglücken. Ein reicher Mann muß schließlich für Erben sorgen, nicht wahr?“
Pinewood grinste. „Das ist eine gute Idee. Vielen Dank, daß du mich darauf gebracht hast.“
„Gern geschehen“, antwortete der Profos mit erhobener Nase. „Unsereins hat schließlich seine Lebenserfahrung.“
„Und wie sieht’s mit deinen Erben aus, Mister Carberry?“
Der Profos schluckte. „Die – äh – um die werde ich mich später kümmern. In meinem Alter hat man dazu ja noch Zeit.“
Die Mannen unterdrückten ein Lachen und sahen sich lediglich grinsend an.
Nach einem Fußmarsch von einer guten Viertelstunde vernahmen die Männer plötzlich ein schwaches Pfeifen. Der Seewolf hob die Hand und stoppte den kleinen Trupp.
Doch jetzt herrschte wieder die gewohnte Stille. Lediglich die Laute der Vögel drangen vereinzelt an ihre Ohren.
„Vielleicht war das eine Schlange“, meinte der etwas denkfaule Paddy Rogers. „Hier zwischen den vielen Felsen muß es davon wimmeln.“
Ferris Tucker tippte sich mit dem Zeigefinger an die rechte Schläfe. „Schlangen pfeifen doch nicht, Paddy. Die zischen höchstens.“
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Bevor ihr eine größere Debatte beginnt, solltet ihr euch vor Augen führen, daß es auf Island überhaupt keine Schlangen gibt“, erklärte er. „Auf dieser Insel leben weder Amphibien noch Ameisen.“
Paddy klappte die Kinnlade nach unten.
„So was“, stieß er hervor. „Da kann man sich ja tatsächlich ins Gras setzen, ohne daß einen die kleinen Krabbeldinger in den Achtersteven zwicken. Außerdem …“
Paddy wurde von einem weiteren Pfeifton unterbrochen. Diesmal war der langgezogene Ton lauter und ging bald in eine monotone, fast klagende Melodie über.
„Ich werd’ nicht mehr“, entfuhr es dem Profos. „Das ist eine Flöte.“
„Und wo man Flöte spielt, da sind auch Menschen“, fügte der Seewolf hinzu.
Die Richtung, aus der sie die Töne hörten, war leicht festzustellen. Die Arwenacks verließen jetzt vorsichtig und ohne unnötige Geräusche zu verursachen den im Plan eingezeichneten Weg und hielten sich nach rechts.
Dort stoppten sie abrupt ihre Schritte, und zwar direkt an der Oberkante einer langgezogenen Felswand, die schroff und steil in eine kleine, versteckte Bucht abfiel, deren Existenz vom Ankerplatz der Schebecke aus nicht erkennbar gewesen war.
Doch nicht das war es, was die Männer augenblicklich verstummen ließ, sondern das merkwürdige, ja geradezu unheimliche Schauspiel, das sich tief unten, am Rand der Bucht, ihren Augen darbot.
An der Uferböschung war eine Gruppe von seltsamen Gestalten zu sehen, die offensichtlich rote, überwurfartige Umhänge trugen. Sie erinnerten an das Aussehen der Nordmänner auf dem Schwarzen Segler, wenn man von ihren außergewöhnlichen Kleidungsstücken absah. Unter den klagenden Tönen einer Flöte schoben die Männer ein schmales, schwarzes Boot ins Wasser, auf dem unverkennbar eine leblose Gestalt aufgebahrt war.
„Das ist ein Totenschiff“, sagte der Seewolf mit leiser Stimme. „Man hat den leblosen Körper auf einen im Boot aufgeschichteten Scheiterhaufen gelegt und seine Waffen, Werkzeuge sowie einige Eß- und Trinkgefäße mit an Bord gegeben. Sie sollen den Toten auf seiner Reise in die Unterwelt begleiten.“
Die Bestätigung seiner Worte erfolgte augenblicklich.
Eine bärtige Gestalt, die eine brennende Fackel in der Hand hielt, näherte sich dem Ufer und watete einige Schritte ins Wasser, um das Bestattungsfeuer zu entzünden. Während die Flammen in Sekundenschnelle hoch aufloderten, stieß man das Boot noch ein Stück in die Bucht hinaus.
Der gespenstische Anblick ließ die Arwenacks für einige Augenblicke ihr eigentliches Vorhaben vergessen, bis die Stimme Hasards sie in die Wirklichkeit zurückholte.
„Viele Isländer hängen noch immer dem uralten nordischen Götterglauben an“, sagte er, „obwohl die Christianisierung der Insel schon vor etlichen Jahrhunderten begonnen hat. Das läßt erkennen, daß eine solche Entwicklung sehr viel Zeit braucht, vor allem, wenn die alten Wurzeln recht tief sitzen. Das beste Beispiel dafür haben wir ja in Thorfin.“
„Richtig“, meinte Ferris, „der Bursche scheint mir auch noch an Thor und Odin zu hängen, warum soll es da bei den Isländern anders sein!“
„Nun, wie dem auch sei“, fuhr Hasard fort, „es scheint trotz der Unwirtlichkeit dieser Küstenregion irgendwo da unten eine menschliche Ansiedlung zu geben. Da wir die Gesinnung dieser Leute nicht kennen, ist es wahrscheinlich am besten, wenn wir so unauffällig wie möglich unsere Arbeit hinter uns bringen und dann wieder verschwinden. Es ist nie gut, gerade eine Schatzsuche an die große Glocke zu hängen.“
Das leuchtete den Männern ein. Gleichzeitig waren sie sich darüber im klaren, daß sie von jetzt an auf der Hut sein mußten, als sie ihren Weg fortsetzten.
„Halldor hat seine letzte Reise angetreten“, verkündete der bärtige Egill mit lauter Stimme. „Er wird von jetzt an dem Roß Sleipnir in den Kampf folgen, und Hugin und Munin, die Raben Odins, werden ihn auf ihren mächtigen Schwingen von Sieg zu Sieg tragen.“
Die Bestattungszeremonie war damit beendet. Das Totenboot trieb brennend im Wasser der versteckten Bucht, die zu einem unübersichtlichen Labyrinth gehörte. Halldor, der stumme Passagier, war nicht etwa im Kampf gefallen, sondern in Anschluß an ein wüstes Saufgelage in den Klippen zu Tode gestürzt.
Ein ausgiebiges Mahl, verbunden mit einem noch ausgiebigeren Umtrunk, gehörte natürlich zu einer Bestattungsfeier. Deshalb wandten sich Egill und seine Kumpane jetzt den am Ufer entfachten Lagerfeuern zu.
Doch da tauchte an der Einfahrt zum Schlupfwinkel der „Schwarzen Raben“ plötzlich ein Boot auf, das in respektvollem Abstand an dem Totenboot vorbeigepullt wurde und Kurs auf die Lagerstelle nahm.
Die beiden Rudergasten hatten es offenbar eilig. Sobald der geröllhaltige Sand unter dem Kiel knirschte, sprangen sie ins niedrige Wasser und eilten auf Egill zu. Einer von ihnen war der hagere Gestur.
„Ein Schiff ist in die große Bucht eingelaufen“, meldete er mit fliegendem Atem. „Es ist in der Nähe der Geröllhänge vor Anker gegangen.“
Egill horchte auf und stellte den mit Branntwein gefüllten irdenen Becher auf einen flachen Stein, der als Tisch diente.
„Was ist das für ein Schiff?“ fragte er schroff. „Seit wir uns hier niedergelassen haben, hat sich noch nie ein Schiff in dieser Bucht blicken lassen. Sind das etwa Schergen des dänischen Königs?“
Gestur zuckte hilflos mit den Schultern.
„Es ist ein sehr fremdartig aussehender Dreimaster mit Lateinersegeln. Eine Flagge haben wir nicht gesehen. Daß es sich um Dänen handelt, wäre immerhin möglich, aber wir konnten keine Soldaten entdecken.“
Der zweite Kerl nickte bestätigend.
„Es scheint eher, daß die Fremden hier etwas suchen“, fügte er dem Bericht Gesturs hinzu. „Sie haben jedenfalls sofort ein Boot mit sechs Mann zu den Geröllhängen geschickt. Die Kerle sind dort an Land gegangen und oben auf dem Plateau landeinwärts marschiert. Dabei hatte ich den Eindruck, daß sie ein bestimmtes Ziel ansteuern. Zwei unserer Leute sind ihnen unbemerkt gefolgt.“
„Gut so“, sagte Egill und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Von da oben aus gelangt man zu den Höhlen. Etwas anderes gibt es weit und breit nicht. Was aber suchen die Fremden dort?“
„Vielleicht einen Schatz, von dessen Existenz wir nichts wissen“, bemerkte Gestur.
„Hm“, meinte Egill. „So abwegig hört sich das gar nicht an. Es ist immerhin möglich, daß diese Gegend schon früher anderen Leuten als Unterschlupf gedient hat. Wie dem auch sei, wir müssen die Fremden weiter beobachten. Sollten sie tatsächlich einen Schatz bergen, dann werden wir uns höflich dafür bei ihnen bedanken.“
Der Anführer der „Schwarzen Raben“ lachte spöttisch. Dann erhob er sich von dem Steinbrocken, der ihm als Sitzplatz gedient hatte.
„Hört zu“, fuhr er fort. „Wir bilden jetzt zwei Gruppen. Die kleinere folgt Gestur hinauf zu den Höhlen, die größere bringt unter meiner Leitung die Schiffe auf Vordermann. Sobald Gestur die Burschen, die hier herumschnüffeln, geschnappt hat, holen wir uns das Schiff. Die Fremden dürfen auf keinen Fall jemals wieder die Bucht verlassen. Wir müssen verhindern, daß wir hier noch öfter Besuch erhalten.“
Das war ein Wort. Die wilde, kriegerische Schar stand voll hinter ihrem Anführer. Mit entschlossenen Gesichtern und haßerfüllten Augen griffen die „Schwarzen Raben“ zu ihren Waffen.
8.
Oben auf den Felsenplateaus wurde der Weg immer beschwerlicher für den kleinen Trupp der Seewölfe. Die mit verschiedenen Kräutern und niedrigem Strauchwerk bewachsenen Flächen wurden immer spärlicher und wichen schließlich ganz dem Geröll. Hinzu kam, daß der Weg kräftig anstieg. Nicht selten gerieten die Geröllmassen in Bewegung und ließen die Männer ins Rutschen geraten.
Edwin Carberry schüttelte verwundert den Kopf.
„Ich muß schon sagen“, knurrte er, „daß sich die Schnapphähne das Versteckspiel nicht gerade erleichtert haben. So langsam fühlt man sich nämlich wie ein frommer Pilgersmann, der nicht nur sein Ziel erreichen, sondern dabei auch noch Buße tun will.“
„Ein bißchen Buße kann dir nicht schaden“, meinte Ferris Tucker grinsend. „Und der Schweiß eines frommen Wanderers ist dem Herrn wohlgefällig.“
„Mir aber um so weniger“, entgegnete der Profos. „Außerdem war das Bußetun mit unserem Freund Pinewood in keiner Weise abgesprochen, abgesehen davon, daß unsereiner so was gar nicht nötig hat, wenn man sich eh schon Tag für Tag in christlicher Geduld damit abmüht, Sittlichkeit, Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit auf einem Schiff voller triefäugiger Seegurken und quergeriggter Affenärsche aufrechtzuerhalten.“
Die Mannen grinsten sich eins, und Dan O’Flynn sagte: „Wir werden’s noch erleben, wie unser allseits verehrter Mister Carberry in ein Kloster eintritt, um sich für den Rest seines Lebens frommen Übungen hinzugeben. Wir schauen dann ab und zu mal vorbei, damit uns Pater Edwin segnend die Hände aufs Haupt legt.“
Carberry warf Dan einen schrägen Blick zu. „Du würdest mir gerade recht sein, Mister O’Flynn. Dein Haupt würdest du mir auf jeden Fall umsonst hinhalten, weil ich dir meinen Segen mit spitzen Stiefeln ins Heck setzen würde.“
Als der Seewolf wieder einmal die Karte aufrollen wollte, um den eingeschlagenen Kurs zu überprüfen, meldete sich der in den letzten Minuten recht schweigsame Jerry Pinewood zu Wort.
„Weit kann es nicht mehr sein“, erklärte er. „Wie mir der alte McKayne sagte, muß diesen ansteigenden Geröllfeldern ein weiteres Plateau folgen, an dessen Ende sich die Höhlen befinden.“
Der Mann aus Grimsby sollte recht behalten.
Kaum hatten die Seewölfe die geröllübersäten Hänge hinter sich gebracht, lag das erwähnte Plateau vor ihnen. Am hinteren Teil wurde es von massiven Felswänden begrenzt. Dort mußte die Schatzhöhle zu finden sein.
Bis jetzt hatten sich die Lageskizzen, die Pinewood dem Seewolf übergeben hatte, genauso als richtig erwiesen wie die mündlichen Beschreibungen des früheren Schnapphahns McKayne. Die Männer zweifelten längst nicht mehr am Vorhandensein, der drei Kisten.
Der Weg wurde zügig fortgesetzt. Die unmittelbare Nähe des Ziels schien die Schritte der Mannen zu beflügeln.
„Es wird sicher Zeit, daß all die hübschen Golddublönchen mal wieder sortiert und aufpoliert werden“, sagte der Profos, und Paddy Rogers rieb die Knollennase immer häufiger, je näher sie den Felswänden gelangten.
Schließlich stoppte der kleine Trupp vor vier fast nebeneinander liegenden, haushohen Felsbrocken, die der eigentlichen Wand vorgelagert waren.
„Hinter dem zweiten Brocken von rechts muß der Höhleneingang liegen“, sagte Jerry Pinewood mit andächtigem Gesicht. Er kannte die Angaben auf der Skizze längst auswendig.
Er behielt wiederum recht.
Nach wenigen Schritten standen die Arwenacks vor dem etwa zehn Fuß hohen und fünf Yards breiten Eingang, der einen dunklen, gähnenden Schlund freilegte. Unmittelbar daneben befand sich ein steinerner Klotz, hinter dem sich eine abgrundtiefe Felsspalte auftat.
Carberry zitierte den biblischen Schöpfungsbericht: „Und der Herr sprach: Es werde Licht!“ Gleich darauf begann er eifrig mit Flint und Feuerstein zu hantieren, während Ferris schon die Tranlampe aus einem kleinen Segeltuchsack holte.
Auch Hasard verlor keine Zeit.
„Batuti, Sten und Paddy – ihr bezieht am besten hier vor dem Eingang Stellung“, sagte er. „Es ist zwar nicht zu erwarten, daß sich jemand für uns interessiert, aber Vorsicht ist die Mutter der Weisheit. In der Deckung der Felsbrocken läßt sich das Plateau gut überblicken.“
Als die Tranlampe schließlich brannte, drangen die Mannen in die Höhle ein. Das flackernde Licht reichte für eine notdürftige Beleuchtung aus und warf gespenstische Schatten auf die schroffen Wände.
„Geröll, Geröll, soweit das Auge reicht“, sagte Dan.
Dennoch war die Höhle recht geräumig, die Männer gelangten gut voran.
Nach etwa zwanzig Schritten begannen die im Plan vermerkten Abzweigungen. Sie waren enger und niedriger als der Hauptgang. Auch die Luft wurde jetzt schlechter. Es roch nach Moder und Fäulnis, zuweilen auch nach Feuchtigkeit.
„Die zweite Abzweigung links muß es sein“, sagte Jerry Pinewood, und seine Stimme klang dumpf in dem bizarren Gewölbe.
Hasard ging voran und hob die Lampe. Plötzlich verhielt er seine Schritte.
„Hier ist die zweite Abzweigung links“, sagte er und leuchtete, so gut es ging, hinein.
Die Mannen drängten sich hinter ihm, um ebenfalls einen Blick hineinwerfen zu können, aber sie sahen nichts außer einem hohen Geröllberg.
„Genau, wie der alte McKayne gesagt hat“, entfuhr es Pinewood. Der Mann war aufgeregt, seine Hände zitterten, und sein Atem hatte sich beschleunigt.
„Na, dann wollen wir mal“, meinte Hasard.
Pinewood und Dan packten die Schaufeln und begannen zu graben. Das war ausgesprochen leichte Arbeit, weil statt fester Erde nur die Geröllhalde abzutragen war.
Alle schwiegen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Und sie kamen.
Zunächst war es nur ein Stück Holz, das sichtbar wurde, dann aber wurde eine große, massive Kiste daraus, die an den Ecken und Kanten mit Eisen beschlagen war. An den Schmalseiten befanden sich eiserne Griffe, der Deckel war lediglich mit einem rostigen Riegel verschlossen.
„Dafür müßte der Großlord jetzt dem alten McKayne einen großen Humpen vom besten Rum spendieren“, sagte der Profos.
Jerry Pinewood hingegen betastete die Kiste mit zittrigen Händen. Doch es gab keinen Zweifel, sie war wirklich vorhanden, man war keinem Trugbild zum Opfer gefallen, und das Licht der Tranlampe war hell genug, um sie deutlich zu beleuchten. McKayne, der gute alte McKayne, hatte nicht gelogen, der Schatz war da.
Pinewood versuchte, den rostigen Riegel zurückzuschieben, aber er saß zu fest. Da holte er mit der scharfen Kante des Grabwerkzeugs aus und wuchtete sie gegen den Griff des Riegels. Wieder und wieder. Endlich gab er nach und wich mit einem häßlichen Knirschen zurück.
Was die Mannen nun sahen, war zwar das, was sie erwartet hatten, aber die Berge von funkelnden und glitzernden Goldmünzen verschlugen ihnen doch für einen Augenblick die Sprache.
Der Mann aus Grimsby stieß einen keuchenden Laut aus, ließ die Schaufel fallen und griff mit beiden Händen hinein in die randvolle Kiste. Auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen, seine Augen hafteten wie hypnotisiert an den Münzen.
Die Stimme des Seewolfs riß ihn aus seinem Rausch.
„Nun denn, Mister Pinewood, an diesen Anblick werden Sie sich bald gewöhnt haben. Ich schlage vor, daß wir diese Kiste schon mal nach draußen bringen, damit hier genug Platz zum Weitergraben bleibt. Zwei Kisten fehlen ja schließlich noch.“
„Da bringt das Maulwurf spielen ja richtig Spaß“, sagte Carberry und packte zusammen mit Ferris kräftig zu, um die Kiste hinauszuschleppen.
„Paßt nur auf, daß euch nicht die Klüsen aus dem Kopf fallen“, sagte er draußen zu Stenmark, Batuti und Paddy, die den Fund gebührend bestaunten. Die Kiste wurde auf dem Felsbrocken neben dem Eingang abgestellt, weil er eine ziemlich glatte Oberfläche hatte.
Als der Profos und Ferris zum Fundort zurückkehrten, war bereits die zweite Kiste freigeschaufelt. Die dritte ließ auch nicht mehr lange auf sich warten.
„Wir sollten gleich weitergraben“, meinte Dan. „Vielleicht gesellen sich noch eine vierte und fünfte hinzu.“
Die Männer lachten. Aber das Lachen verging ihnen in den nächsten Sekunden.
Von draußen drang plötzlich Lärm in die Höhle. Wenn auch nur gedämpft, aber doch deutlich vernehmbar.
„Verdammt, was ist da los?“ entfuhr es dem Seewolf, und schon eilte er, so schnell es ging, dem Höhleneingang entgegen.
Carberry, Dan und Ferris folgten sofort. Nur Jerry Pinewood konnte sich nicht von den beiden Kisten losreißen, die einen geradezu hypnotischen Bann auf ihn ausübten. Außerdem würden die Kisten, falls es Ärger gab, in der Höhle am besten aufgehoben sein.
Und es gab in der Tat Ärger. Ganz gewaltigen sogar.
Als die Männer den Höhleneingang erreichten, war er bereits in vollem Gange. Batuti, Paddy und Stenmark, die draußen hinter den Felsen in Deckung gegangen waren, rissen gerade die Musketen hoch und feuerten. Die Schüsse rollten wie Donner über das Plateau.
Doch nur eine der illustren Gestalten, die mit lautem Gebrüll und wehenden roten Umhängen auf die Höhle zustürmten, warf die Arme hoch und stürzte auf das Geröll. Die Kerle hatten sich über das ganze Plateau verteilt und liefen im Zickzack, so daß gezielte Schüsse kaum möglich waren. Nach einer raschen Schätzung Hasards handelte es sich um ein rundes Dutzend Nordmänner.
„Pistolen abfeuern!“ rief Hasard, seine Hand fuhr zum Gürtel. Er war sich darüber im klaren, daß die Schußwaffen kaum noch als solche einsetzbar waren, wenn die wilde Horde, die größtenteils mit Äxten, Schwertern und Speeren bewaffnet war, den Höhleneingang erst einmal erreicht hatte.
Gleich darauf krachten die Steinschloßpistolen. Wieder ging nur einer der Angreifer zu Boden. Die übrigen Kugeln wühlten nur das Geröll auf oder sirrten als Querschläger durch die felsige Landschaft.
Zeit zum Nachladen der Schußwaffen gab es nicht. Den Arwenacks blieb nichts weiter übrig, als die Degen, Messer und Cutlasse zu ziehen und sich den Nordmännern entgegenzuwerfen.
„Tod den fremden Hunden!“ brüllte ein hochaufgeschossener, hagerer Mann, der offenbar der Anführer der wüsten Horde war. „Odins Raben werden euch zerreißen!“
Im Handumdrehen entbrannte vor dem Höhleneingang ein harter Kampf – ein Kampf auf Leben und Tod. Waffen klirrten, hölzerne Schäfte brachen und splitterten, und das Geröll knirschte unter den Füßen der Kämpfenden.
Der Seewolf war dem Speerwurf des hageren Anführers geschickt ausgewichen und dem Kerl dann mit dem Degen entgegengetreten.
„So schnell entflieht man Gestur nicht!“ stieß der Mann mit haßvoll zusammengekniffenen Augen hervor und zog eine Axt aus dem mit Waffen bespickten breiten Gürtel.
„Wer redet denn von Ausreißen?“ rief Hasard zurück. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß man vor einem Kerl wie dir davonlaufen muß.“
Gestur hob die Axt, und zunächst hatte es den Anschein, als wolle er sich damit auf seinen Gegner stürzen. Doch dann begriff er wohl, daß dieser den Degen auf ihn gerichtet hatte, in den er damit geradewegs hineinlaufen würde. Er entschloß sich daher, die Axt als Wurfwaffe zu benutzen.
Der Seewolf hatte diesen Entschluß rechtzeitig registriert und unterlief blitzschnell das heranwirbelnde Wurfgeschoß. Noch bevor der Hagere einen Cutlass ziehen konnte, um damit einen weiteren Angriff zu starten, setzte der Degen des Seewolfs diesem Vorhaben ein Ende.
Ferris Tucker, dessen rotes Haar in der Sonne wie Kupfer schimmerte, hatte eine Muskete am Schaft gepackt und wehrte damit eine heimtückische Messerattacke ab.
Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, ließ seinen gefürchteten Morgenstern kreisen. Stenmark, Dan und Paddy kämpften mit den Degen, und Edwin Carberry wuchtete gerade einem der Nordmänner einen mächtigen Steinbrocken gegen die Brust, bevor dieser mit seinem uralten Kurzschwert zustoßen konnte.
„Von einem Rübenschwein wie dir lasse ich mich noch lange nicht mit der Schwertspitze kitzeln“, Schnaubte er.
Sekunden später verpaßte er einem verlottert aussehenden Burschen einen derartigen Tritt in den Hintern, daß dieser unaufhaltsam in das Messer eines seiner Kumpane flog. Jetzt erst zog der Profos seinen Degen und wandte sich dem nächsten Angreifer zu.
Der Kampf war bald zu Ende – der heimtückische Überfall der „Schwarzen Raben“ war anders verlaufen, als diese erwartet hatten. Die Arwenacks waren teils unverletzt und teils mit kleineren Blessuren davongekommen, die der Kutscher oder Mac Pellew rasch wieder in Ordnung bringen würde.
„Es gibt schon merkwürdige Zeitgenossen“, sagte der Seewolf mit einem Blick auf die roten Umhänge der Schnapphähne, auf deren Rückseiten schwarze Raben mit ausgebreiteten Schwingen eingestickt waren. „Wo ist denn unser Mister Pinewood abgeblieben?“