Seewölfe Paket 31

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Bill sagte sich, daß die Kälte verging, wenn er sich schnell bewegte. Er drückte den Stock mit dem Stein fest ins Brett und zog den Ast hin und her. Brummend und mit leisem Pfeifen drehte sich der Stock, immer schneller und mit mehr Druck, und tatsächlich stieg aus dem Loch nach einiger Zeit beißender Rauch auf. Bill drückte noch stärker auf den Stein und riß den gekrümmten Ast hin und her, bis er knackte. Er schob blitzschnell etwas Moos in den Rauch, an die qualmende Stelle und blies darauf.
Seine Augen tränten, er mußte husten, aber er hörte nicht mehr auf. Schließlich, nach einer Viertelstunde, lag um das Brett ein kleiner Haufen Moos, und der Rauch wurde stärker.
Wieder blies Bill. Er blinzelte, als er das erste Flämmchen sah. Schnell schob er Späne und die Holzstücke hinterher, kratzte die Federn zusammen und sah, wie die Flamme größer wurde, daß es weniger rauchte, und schließlich brannte das Häufchen, das er vorsichtig mit immer mehr Holz und Abfall fütterte und langsam ins Innere des Holzstapels schob.
„Hoffentlich geht es nicht aus“, sagte er.
Er atmete schwer und war schweißgebadet. Der Wind trocknete den Schweiß, und schlagartig fror Bill wieder am ganzen Körper. Er merkte es nicht, denn er war in heller Aufregung und damit beschäftigt, sein winziges Feuer in Gang zu halten und es in Verbindung mit den dickeren, salzverkrusteten Hölzern zu bringen.
Die Flammen fraßen sich nach allen Richtungen, züngelten höher, verbrannten das Moos und leckten an den dünnen Holzstäben in die Höhe.
„Ich hab’s geschafft!“ schrie Bill.
Kreischend flogen ein paar Dutzend Lummen oder Alke auf.
Hastig packte Bill, was ihm an dünnen Hölzern unter die Finger geriet. Er warf sie in die Flammen, und sie breiteten sich aus. Schließlich brannten auch die ersten dickeren Teile des Treibholzes. Die Wärme, die Bill entgegenschlug, war wie ein Zeichen seines Sieges.
Bill sprang auf und brachte seine Habseligkeiten in Sicherheit. Dann rannte er aufgeregt hin und her und schleppte noch mehr Holz auf seinen Stapel.
„Beim ersten Versuch!“ rief er und peilte zum Himmel.
Die schwarzen Abendwolken verhießen nichts Gutes. Was konnte er unternehmen, daß er für die nächsten Tage Feuer und Glut hatte?
Er holte den größeren Topf und beulte ihn von innen mit einem doppelt faustgroßen Stein aus. Jetzt waren die Flammen schon hüfthoch, und hinter dem Felsen drang heller Rauch hervor und kräuselte sich in die Höhe. Nordwestwind riß ihn auseinander.
„Erst einmal Holz.“
Wieder überwand sich Bill und rannte, bis seine Knie schlotterten, zwischen der Höhle und dem Strand hin und her. Mit vollen Armen schleppte er Holz nach oben. Größere Stücke schleifte er hinter sich her und drohte mit der Faust den blöde starrenden Schafen, die an der Kante des Abhanges standen und blökten.
„Wartet nur!“ schrie er. „Bald gibt’s Hammelbraten!“
Bill schuftete und schleppte weit über seine Erschöpfung hinaus. Er sah jedesmal, wenn er wieder zum Strand stolperte, daß die Flammen höher wurden und nicht mehr ausgeblasen werden konnten. Der riesige Holzstapel brannte lichterloh. Die Flammen prasselten und heulten, Funken sprangen nach allen Seiten, der Ruß färbte den Felsblock schwarz.
Bill war zufrieden, als er die ersten dicken Scheite aus dem Haufen hervorzerrte und in den zerbeulten Topf steckte. Ein Teil des Haufens brach zusammen. Die Funken wirbelten in die Höhe.
Das Feuer wärmte und trocknete Bills nasses Zeug.
Der Lichtschein der Flammen und des Rauches würde weithin sichtbar sein. Vielleicht sah jemand das Zeichen und deutete es richtig.
Schließlich konnte Bill daran denken, irgendein Tier zu fangen und zu braten.
Er brachte es fertig, in den Eingang der Höhle so viel Glut zu schleppen und Holz darüberzuschichten, daß auch hier ein Feuer aufloderte. Als er sah, daß das Feuer auch ohne seine Hilfe weiterbrannte, rollte er sich auf dem Boden der Höhle zusammen, zog die Jacke über sich – sie stank nach Brackwasser und Rauch – und fiel in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.
Mitten in der Nacht, als ein schwerer Regenguß auf die Felsfläche niederbrach, wachte Blacky schlagartig auf. Von einem Herzschlag zum anderen war er hellwach. Im strömenden Regen kam er auf die Füße. Sein Körper war in der Kälte erstarrt, jede Bewegung war noch schmerzvoller als gestern während des Aufstiegs.
Sein Schädel dröhnte. Jeder Regentropfen schien auf der Haut eine neue Wunde zu schlagen. Blacky duckte sich und drehte sich einmal um sich selbst. Es war finster wie in einem Sack. Der Regensturm zerrte an seiner Kleidung, die in weniger Zeit völlig durchnäßt war. Hilflos stemmte er sich gegen den Sturm.
Die Vögel, die an den Rändern der Felsabstürze in ihren Gehegen kauerten, waren nur hellere Flecken in der nassen Schwärze. Ohne zu wissen, wohin er flüchten sollte, ging Blacky ein paar Schritte, stolperte und fing sich wieder. Dann suchte er sich in größter Vorsicht einen Weg, der von den Nestern der Vögel rechts und links begrenzt war.
Von hinten und von beiden Seiten ertönte abwechselnd das klatschende Dröhnen der Brandung. Blacky wankte vorwärts und stemmte sich gegen den Druck des Windes, der ihn von den Beinen reißen wollte. Er leckte und schlürfte das Regenwasser, das aus seinen Haaren über das Gesicht lief.
Der letzte Blick, ehe er eingeschlafen war, hatte ihm die ganze Länge der Hochfläche gezeigt. Er stapfte weiter geradeaus, durch nasses Gras, das den stechenden Geruch des Vogelkots ausströmte, durch den es besonders gut gedüngt wurde. Blacky merkte es kaum, denn auch seine Kleidung stank danach.
Als vor ihm viele Reihen heller Punkte auftauchten, wußte er, daß er das jenseitige Ende der welligen Hochfläche erreicht hatte. Unter seinen Füßen flatterten aufgeregte Vögel auf.
Wieder blieb er stehen, hob ratlos die Schultern und fühlte, wie das Wasser in den Kragen und die Stiefel rann. Er wußte nicht, was er tun sollte. Obwohl er ohne gebrochene Knochen überlebt hatte und sein neu geschenktes Leben als ein schieres Wunder empfand, scheute er vor den nächsten Schritten zurück. Oder gerade deswegen? Er wußte es selbst nicht und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, das zu brennen schien.
„Da ist auch ein Abgrund“, brummte er und ächzte. Jede Bewegung ließ ihn vor Schmerzen zusammenzucken. Bis jetzt eben hatte er den Hunger nicht gespürt. Das Knurren des Magens setzte ganz plötzlich wieder ein.
„Wird mich nicht umbringen“, sagte er und schüttelte sich.
Der Regen ließ nach und hörte schließlich auf. Nur noch das Brandungsgeräusch und die vielen Laute der Vögel mischten sich in das Heulen des Windes, das auf und ab schwoll. Der Himmel klärte sich, und aus der Finsternis tauchten, im Mondlicht deutlicher erkennbar, die langgestreckten Umrisse anderer Inseln auf.
Blacky brauchte nicht zu überlegen. Er war auf einer der vielen Färöer-Inseln an Land geworfen worden.
Im schwachen Mondlicht sah er, daß eine gute Kabellänge vor ihm, im südlichen Teil der Hochfläche, das Gelände stark abfiel. Im Norden und im Westen reckten sich lange, hügelige und zerklüftete Inseln aus dem Meer. Im Süden konnte Blacky nur das endlose Meer sehen.
Er wäre erschrocken, wenn dort ein Schiff mit brennenden Laternen kreuzen würde – so viel Glück gab es einfach nicht. Er ging zögernd zwischen den weghüpfenden Vögeln, die aufgeregt kreischten und schrien, näher an den Absturz heran und reckte den Kopf.
An keiner Stelle der anderen Inseln konnte Blacky, der schweigend die Hänge und die fernen Brandungslinien musterte, ein Licht entdecken. Ein Teil der Inseln war bewohnt, soviel wußte er, und irgendwo im Süden, im Mittelpunkt der Inselgruppe, lag auf der Insel Strömö der Ort Thorshavn.
Aber wo fand sich dieser Hafen?
„Kein einziges Licht“, brummte er und versuchte, die Nässe aus dem Stoff zu schütteln. „Schlafen die denn alle?“
Blacky, naß bis auf die Haut, fror und zitterte in der Kälte. Es gab keinen Platz, an dem er sich verstecken konnte. Er bückte sich, jagte ein paar Vögel aus den Nestern und aß, weil es nichts anderes gab, den glibbrigen Inhalt von warmen Eiern. In zwei Eiern waren undeutlich erkennbar kleine Vögel. Er ließ sie fluchend fallen und wischte sich, als sein Magen nicht mehr knurrte, die Hände am triefenden Gras ab.
„Gebraten und gekocht sind sie besser“, sagte er und schüttelte sich.
Entweder waren das Mondlicht heller und die Luft klarer geworden, oder Blackys Augen hatten sich besser an die Dunkelheit gewöhnt. Er sah jetzt genauer, daß der südliche Hang nicht steil abfiel, sondern aus einer grasbewachsenen schrägen Fläche bestand.
Blacky nickte sich selbst zu und versuchte, weil er nichts Vernünftigeres tun konnte, über das rutschige Gras abzuentern. Er ließ sich Zeit und setzte sich immer dann, wenn er auszurutschen drohte, auf einen Felsen, einen Stein oder ins Gras.
Auf diese Weise erreichte er schließlich, als es zu dämmern anfing, den Fuß des riesigen Hanges. Erst als er sich umdrehte und in die Höhe schaute, sah er, daß kaum weniger als tausend Fuß entfernt jene felsendurchsetzte Kante mit dem grauen Himmel verschmolz, über die er sich nach unten gewagt hatte.
Hinter ihm, drei Kabellängen entfernt, lief die Brandung auf den dunklen Strand.
Blacky stand inmitten großer Felsbrocken, mehreren Wällen aus Treibgut aller Art, zwischen unkenntlichen Trümmern und den gespenstischen Formen der weißen Holzteile, die ihre gekrümmten, entrindeten Äste salzverkrustet nach allen Richtungen streckten. Tangfäden hingen daran, und an vielen Stellen zeigte das Tageslicht die getrockneten Kadaver und Gerippe von Vögeln.
Blackys Augen tränten. Seine Nase juckte, und ab und zu stieß er ein gewaltiges Niesen aus. Als er an seine Stirn faßte, merkte er, daß sie glühend heiß war. Schmerz und Schwäche saßen in allen Gelenken, und auch der kalte Wind, der durch die Öffnungen der salzstarren Kleidung fuhr, half nicht gegen die Hitzewellen. Das Leder der Stiefel war von der Nässe und dem Salz gezeichnet, blieb naß und starr und schnürte die Füße ein.
„Krank“, murmelte Blacky und schleppte sich den Strand entlang auf der Suche nach einem Schlupfwinkel oder einem Fund, der ihm vielleicht weiterhalf.
Eine Gruppe Kormorane stürzte sich wie auf Befehl von einer tiefliegenden Felsengalerie, schwebte krächzend über den einsamen Seemann dahin und flog aufs Meer hinaus.
„Ich brauche ein Feuer. Mit viel Rauch“, sagte er und schaute sich suchend um. Holz gab es reichlich, aber als er in seinen Taschen kramte, gab es auch dort nichts zu entdecken, was ihm weiterhalf. Im Stiefelschaft steckte nur noch die Schneide des Messers. Der Griff war abgebrochen und verschwunden. Mit den Münzen, die er fand, konnte er sich hier nichts kaufen.
Im Gerümpel, das seit vielen Jahren an den Strand geschleudert worden war, sah er viele große Knochen, Holz in allen Größen und Formen, Tang und trockene Algen, Fischgräten und einen Fetzen moderiges Segeltuch. Das Fieber schüttelte ihn, während er zwischen den Felsblöcken herumstolperte und den Blick nicht vom Boden nahm.
„Muß einen Unterstand bauen“, murmelte er. „Wie war das, mit dem Feuer?“
Feuerstein und Schwamm – die waren an Bord. Dumpf erinnerte er sich, daß man Glut auch mit einem Stock erzeugen konnte, der schnell in einem anderen Holzstück bewegt werden mußte. Jetzt hatte er die Stelle erreicht, an der sich wieder senkrechte Felsen aus dem grünen Hang in die Höhe schoben. Mit einem Ast, den er als Gehstock benutzte, stemmte er sich am Rand des Vogelfelsens hinauf und wich den langen Wasserstrahlen aus, die über die glattgewaschenen Felsen sprudelten.
Tausende Vögel saßen auf den winzigen Vorsprüngen der Felsen. Er hatte sich bereits an die Tiere gewöhnt, die unablässig aufflogen und zurückkehrten, sich zankten und ihre Jungen fütterten oder auf den Eiern in den harten Nestern hockten. Ständig war die Luft voller Flügelschlagen und Geschrei aus unzähligen Kehlen.
Auf halber Höhe entdeckte Blacky eine winzige Höhle im ausgewaschenen Tuffstein. Sie war besetzt von rund zwei Dutzend Vögeln. Blacky verjagte sie mit dem Stock, scharrte den dreckigen Sand und die Reste von Eierschalen und Federn so gut er konnte zusammen und kippte alles aus dem Eingang. Die wütenden Vögel flatterten eine Weile um die Höhle herum, die zehn Fuß tief war und vier oder fünf Fuß an der höchsten Stelle maß.
„Besser als gar nichts“, murmelte Blacky und warf, nicht besonders gut gezielt und kraftlos, mit Steinen nach den aufdringlichen Vögeln. Sie glotzten ihn an und gaben es schließlich auf, nachdem er einige mit dem Stock erschlagen hatte.
Der Unterschlupf war windgeschützt und trocken.
Aber das war auch schon alles. Es gab kein Feuer, nichts Eßbares zwischen die Zähne – und keinerlei Hoffnung darauf, daß die Schebecke auftauchte, um ihn abzuholen.
Blacky kauerte sich im hintersten Teil der Höhle zusammen, fror und schwitzte abwechselnd und fiel in einen kurzen, unruhigen Schlaf.
4.
Dan O’Flynn wies zu der Silhouette der kleinen Insel, die wie ein spitzes Dreieck recht voraus aufragte.
„Nolsö liegt voraus, Sir.“
„Das heißt, daß an Steuerbord Thorshavn liegen muß. Die Färöer sind Fischer. Warum sehe ich keine Fischerboote?“
Der Seewolf warf Dan einen fragenden Blick zu. Sie standen auf dem Vordeck der Schebecke und hatten in den vergangenen Stunden das gleiche getan wie seit Tagesbeginn. Die Oberfläche des Meeres und jedes Stück Küste, das sich in den Spektiven zeigte, war abgesucht worden. Jetzt segelte die Schebecke mit raumen Winden auf die offene Bucht zu, die sich allmählich hinter den Felsvorsprüngen hervorschob.
In den Karten standen unterschiedliche Namen: Thorshavn, Thorshaven und Torshafen. Erst, als die Crew die grasgedeckten Dächer am Nordkap der kleinen Insel voraus entdeckten, sahen sie an Steuerbord auch die Häuser, die sich wie Klötze auf den Stufen einer Treppe über dem Wasser erhoben. In der Bucht ruderten und segelten Fischer. Schon seit einer Stunde strahlte die Sonne durch riesige Löcher in den Wolken, das Meer war ruhiger.
„Wahrschau!“ ertönte es vom Achterdeck. „Thorshavn Steuerbord voraus.“
„Wir laufen ein“, rief Hasard zurück. „Klar darauf zuhalten.“
„Aye, aye, Sir.“
Nils Larsen erschien auf dem Vorschiff und setzte zu einer längeren Erklärung an. Er hatte in Skagen offensichtlich gut zugehört.
„Eine Landzunge, Tinganes, teilt den Hafen in zwei Teile. Hier gab es in der Wikingerzeit das Thing, den Beratungsplatz. Daß die Inseln zu Dänemark gehören und von dort ausgebeutet werden, dürft ihr nur hier laut sagen, aber auch nur, wenn keine Uniformen zu sehen sind. Es dürfen keine anderen Handelsschiffe anlegen als dänische.“
„Die Häuser sehen nicht gerade ärmlich aus“, meinte Dan. „Sie kleben alle dicht beieinander.“
„Keine Siedlung ist weit im Inneren einer Insel zu finden. Keiner hat es weit bis zum Meer“, sagte Nils. „Die Färinger sind sehr fromm. Sie haben, berichtet man, an zweihundertachtzig Tagen im Jahr Regen. Auf allen Inseln gibt es zwischen viertausend und fünftausend Färinger, die mit niemandem handeln und keine eigenen Unternehmungen aufziehen dürfen. Wir werden es nicht leicht haben. Nicht einmal einen Pub oder einen Krug werden wir finden.“
„Das alles klingt nicht so, als wären es glückliche Inseln“, brummte der Seewolf. „Trotzdem gehen wir an Land. Wir haben keine andere Wahl.“
„Sie jagen die vielen Vögel. Na ja, eine Jagd ist es nicht gerade“, meinte Nils und grinste. „Sie fangen, je nach Jahreszeit, wahre Unmengen von Vögeln. Gegen die Federn tauschen sie beim dänischen Monopolhandel Salz und Zucker, Mehl, Branntwein und alles andere ein. Sie sind große Esser von Vögeln und Vogeleiern.“
„Nicht mein Geschmack“, murmelte Hasard.
Die Segel waren getrimmt worden. Die Seewölfe winkten den wenigen Fischern zu, die sich so weit hinausgewagt hatten. Die Boote dümpelten in der Dünung. Durch den engen Fjord zwischen Thorshavn und Eidi pfiff kurz ein kalter Wind hindurch, der die Schebecke weit nach Backbord überlegen ließ. Die Segel killten wenige Augenblicke, das Schiff nahm mehr Fahrt auf und glitt auf die Bucht zu.
Die Inseln und die Inselteile staffelten sich als Kulissen. Je näher sie waren, desto dunkler schienen sie. Bis zum Horizont wurden sie grauer und heller, bis sie mit den Wolken und den Regenschauern an der Kimm verschmolzen. Jeder Sonnenstrahl, der selten genug diese Felsenlandschaft beleuchtete, schien die satten Farben neu zu erschaffen. Es war und blieb ungemütlich kalt, und der nächste Regenguß stand kurz bevor.
„Sven und Nils, ihr müßt übersetzen“, ordnete der Seewolf an.
Die eigene Flagge flatterte an der Besangaffel, die englischen Farben waren unübersehbar.
„Selbstverständlich, Sir. Hoffentlich sind sie ein wenig hilfreich.“
„Beleidigen wir sie, wenn wir ihnen Geld anbieten?“ wollte Dan wissen.
Der Däne lachte laut.
„Ganz sicher nicht“, erwiderte er.
Die Fischer starrten zu dem schlanken, schnellen Schiff und ließen ihre Netze aus den Händen fallen. Daß die Luft nahezu an jedem Stück Felsenküste voller Seevögel war, daran hatten sich die Seewölfe schon gewöhnt. Sie fluchten nur, wenn die Biester ihren Kot auf die Planken oder in die Leinwand fallen ließen.
„Klar zum Anlegemanöver!“
„Wurfleinen klar!“
„Großsegel fieren!“ rief Ben Brighton.
Im Bereich des Hafens kräuselte ein schralender Wind die winzigen Wellen. An den wenigen Stegen lagen Fischerboote. Aus kleinen Löchern in den Dächern, auf denen sogar weidende Schafe zu sehen waren, quoll grauer Rauch in die Höhe.
Einige Männer und Kinder rannten auf die Stelle zu, an der sie das fremde Schiff erwarteten. Der Rudergänger fuhr ein gutes, ruhiges Manöver, das die Schebecke mit der Backbordseite an den Steg brachte, der niedriger lag als das Schanzkleid der Kuhl.
Im Bug stand Nils Larsen und erklärte den blonden Fischern, in welcher Notlage sie sich befanden. Auf dem achteren Grätingsdeck übersetzte Sven Nyberg, was Ben Brighton erklären wollte. Die Belegtaue wurden angezurrt und knirschten an den Pollern, die aus wuchtigen Treibholzstämmen bestanden.
Ein breitschultriger Mann mit langem, blondem Haar und einem riesigen Wikingerbart stapfte über die ächzenden Bretter.
„Ihr wollt keinen Handel treiben?“ dröhnte er.
Die beiden Dänen, Ben Brighton, Hasard und Dan O’Flynn enterten den Steg, bemühten sich, freundlich dreinzublicken und brachten Ordnung in die Fragen und Antworten.
Die Färinger erfuhren, daß die Schebecke ein englisches Schiff war, auf dem Weg nach England, und daß sie die Hilfe von ortskundigen Fischern brauchten. Die Seewölfe wollten auch ein Boot vorübergehend mieten, bis die beiden Kameraden gefunden waren – oder deren Leichen.
Ein paar Boote voller neugieriger Fischer glitten heran. Über hölzerne Treppen und breite Pfade stolperten Färinger zum Hafen hinunter. Ein Dutzend Stadtbewohner umstanden das Schiff und redeten wild durcheinander. Die beiden Dänen hatten Schwierigkeiten, den rauhen Dialekt der Insulaner zu verstehen.
„Schafbauern und Fischer, Vogelfänger und Eiersucher“, sagte Al Conroy zu seinem Nachbarn. Er und Batuti hockten auf dem verschnürten Geschützrohr und warteten auf den nächsten Regen.
„Du hast recht. Es sind arme Leute. Schau ihre Füße an. Ihnen müssen schon alle Zehen abgefroren sein.“
Es war wenig Leder zu sehen. Schaffell in allen Arten diente als Material für die Kleidung der meisten Männer.
Nils wandte sich an Hasard. „Sigurd Simonsen will wissen, ob wir sofort wieder ablegen und weitersuchen wollen?“
„Wenn er oder ein anderer als guter Lotse an Bord kommt, suchen wir sofort weiter“, antwortete der Seewolf, ohne zu zögern. „Und kläre die Frage, ob sie uns ein Boot leihen.“
Ein Teil des Hafens bestand aus einer Mole aus Bruchstein, alt und verwittert und kunstlos aufeinandergetürmt. Der nächste Sturm konnte sie auseinanderreißen. Dreißig Fuß breit war eine Art Straße, an der man den Versuch erkennen konnte, sie mit einem Steinpflaster zu versehen.
Dahinter stand eine Zeile schmalbrüstiger Häuser mit kleinen Fenstern, schmalen Türen und Grasdächern. Die Fronten waren zusammengesetzt aus unzähligen unregelmäßig geformten Brettern. Sie waren aus Treibholz gesägt worden und trugen Reste von Kalkanstrich.
Auf diesem Platz, zwischen Tauwerk, Hölzern, Fischkörben und Netzen, versammelten sich mehr und mehr Färinger.
„Sie sagen von sich selbst, daß sie halb Mensch und halb Fisch seien“, erklärte Sven halblaut. „Sie helfen uns. Dort kommt das Boot. Sir, hole deine Schiffskasse.“
„Gut. Sofort.“
Hasard musterte das Fischerboot, das sie in den nächsten Stunden als Pinasse benutzen würden. Es sah tüchtig aus, schwer und mit scharfem Bug, vier Riemen und einer langen Pinne. Die Zwillinge liefen zum Heck, um die Leine zu übernehmen.
Nach kurzem Nachdenken sagte Hasard zu Sven: „Erkläre den Fischern, daß sie für jeden Tag, den sie nach Blacky und Bill suchen, eine halbe Krone erhalten. Wer einen der beiden findet, empfängt zehn Kronen in Gold. Und wir brauchen einen oder zwei Lotsen.“
Nachdem Sven Nyberg übersetzt hatte, hob Sigurd Simonsen den Arm und erklärte: „Ich komme mit. Die Ebbe setzt gleich ein. Wir werden schnell im Norden sein.“
Er erklärte weiter: „Ich hole nur noch mein Zeug. Sagt den Fischern, daß das Zeichen zum Aufhören ein Schuß aus eurer Kanone ist. Man hört das Echo weit genug.“
„Ist klar, Sigurd.“
Der Kutscher und Mac Pellew ließen sich erklären, wo sie einen Teil des Frischwasservorrates erneuern konnten, ließen sich von einem halben Dutzend Arwenacks helfen und schleppten leere Fässer von Bord.
Nils Larsen beobachtete vom Steg aus, wie schließlich die Neugierde der Fischer siegte. Er schloß daraus, ohne nachzufragen, daß in Thorshavn nicht gerade viele Schiffe anlegten, schon gar nicht eine schlanke, große Schebecke, die in diesen Gewässern nahezu unbekannt sein mußte. Aus den verschiedenen Richtungen pullten und segelten die Fischer auf die Landzunge im Hafen zu.
Sven winkte und erklärte laut: „Hier, der Fischer Siltala will auch mit. Er sagt, er kenne die Strömungen und die Küsten der Nordinseln.“
„Nur an Bord mit ihm!“ rief Ed Carberry. „Gebt ihm ein Bier. Er sieht so verdammt nüchtern aus.“
Die Färinger hatten verstanden, daß die Fremden nicht zu handeln beabsichtigten. Vielleicht, sagten sie sich, ging unter der Hand etwas, wenn der dänische Amtmann nichts sah. Sie staunten die Seefahrer an und wunderten sich über die dreieckigen Segel und den ausgezeichneten Zustand des Schiffes.
Ein alter, zahnloser Mann humpelte heran und zog die Schaffellmütze über die Ohren. Old Donegal streckte die Hand aus und zog ihn an Bord.
„Frage ihn, ob er um die Färöer herum alles kennt. Alt genug ist er ja!“ rief der „Admiral“ dem Dänen zu.
„Nicht älter als du, sagt er“, wurde ihm übersetzt. „Er fischt seit dreiunddreißig Jahren hier um die Inseln.“
„Dann kennt er sie“, stellte Old Donegal fest. „Los, beeilt euch. Bald haben wir kein Tageslicht mehr. Und das mit dem einzelnen Schuß halte ich auch nicht für besonders geistreich.“
Hasard sprang auf die Kuhl hinunter und fragte sofort: „Warum nicht, Old Donegal?“
„Weil wir als Signal für Bill und Blacky schießen müssen. Das werden sie hören“, sagte der Alte aufgeregt. „Wenn sie noch leben.“
„Einverstanden. Wenn es ein paar Kronen mehr kostet, was soll’s! Aber wir müssen ablegen, Freunde.“
Sven Nyberg verhandelte mit dem Fischer, während das Boot mit zwei Leinen am Heck der Schebecke belegt wurde. Die Riemen lagen schon auf dem Grätingsdeck.
„Alles bereit?“ rief Hasard. „Klar zum Ablegen, Freunde?“
„Noch nicht.“
Die Wolken hatten sich zusammengezogen, aber der Wind blieb unverändert. Die Wasserfässer wurden unter Deck gebracht und festgezurrt. Mit langen Schritten stürmte Sigurd Simonsen vor den Häusern auf den Steg hinauf und zum Schiff. Auch er trug schwere, einfach zusammengenähte Kleidung aus verschiedenfarbigen Schaffellen.
„Ich bin bereit. Beeilt euch, dann erwischen wir den Ebbstrom zwischen Strömö und Österö!“










