Seewölfe Paket 31

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Als er ihn packte und zum Wasserrinnsal stolperte, scheuchte er die Vögel auf, die seinen Weg mit Geschrei begleiteten. Jeder Laut, jedes Geräusch verursachten in seinem Schädel stechende Schmerzen.
Blacky ließ Wasser in den Napf rinnen, trank gierig und zerschnitt sich die Lippen an den scharfen Kanten. Als er über sein Haar strich, rieselte grauer Staub herunter. Seine Nase fühlte sich geschwollen an. Er hatte also nicht einmal gerochen, daß sein Haar angesengt war.
Den Hunger spürte er auch nicht mehr, aber von Stunde zu Stunde wurde er schwächer. Er riß einen Vogel aus einer Spalte, tastete im Nest herum und packte ein Ei, das zwischen seinen Fingern knackte.
„Es gibt nichts anderes“, brummte er und würgte das Innere von vier Vogeleiern herunter, bis es ihm davor grauste. Wieder schüttete er eiskaltes Wasser in seine Kehle und schüttelte sich.
Er dachte an das Feuer und daran, wie leicht es ausgehen konnte. Im ungewohnten flackernden Licht torkelte er zum Strand und sammelte soviel Treibholz auf, wie er tragen konnte. Den halben Krug schob er in sein Hemd, das zum größten Teil aus Brandlöchern bestand.
Noch während er im Zickzack auf das Licht zukletterte, fielen die ersten Tropfen. Er nahm noch einmal seine Kraft zusammen und trug das Holz bis vor den Eingang zum Höhlenspalt. So vorsichtig wie möglich schob er die wenige Glut und die brennenden Holzstücke halb im Eingang der Höhle zusammen und baute einen Kegel aus Holz um das Feuer, während der Regen auf seine Schultern und seinen Rücken prasselte.
Er kroch am Feuer vorbei in den Schutz des Unterschlupfes. Die Wärme drang in den klammen, feuchten Felsspalt.
Als er am Feuer vorbeiblickte, sah er die Reste seiner Jacke. Es war nicht viel mehr als ein halber Ärmel übriggeblieben.
Der Regen fiel fast senkrecht. Nur wenige Tropfen zischten ins Feuer. Das Wasser, das sich an der Felswand niederschlug und in zahllosen kleinen Rinnsalen sammelte, lief als dicker Bach seitlich am Spalt vorbei und hinunter in die Richtung des Strandes.
Blacky saß so nahe an der Hitzequelle, wie es möglich war, ohne versengt zu werden. Er hatte die Arme um die Knie gelegt und schüttelte sich im Fieber. Sein Kinn ruhte auf den Knien, seine Zähne klapperten aufeinander. Er schlief und war gleichzeitig hellwach.
In seinen Fieberträumen sah er unzählige Fischerboote, die zwischen den Inseln herumsegelten und Laternen ausgebracht hatten, deren Licht rotweiß flackerte. Die Männer riefen einander Worte in einer unbekannten Sprache zu.
Der Traum verwirrte sich, die suchenden Boote verschwanden und machten anderen Spukgestalten Platz.
Blacky vergaß alles, und als er aufwachte, war es immer noch dunkel. Aber sein Feuer brannte noch recht kräftig.
6.
Der Regen hörte ganz plötzlich nach Mitternacht auf.
Die Dampfwolken, die aus der heißen Asche aufstiegen, krochen am Boden entlang, und der Dampf schlug sich an Bills Stiefeln nieder. Bills Gesicht, seine Hände bis hinauf zu den Unterarmen, die Hose und Teile der Stiefel glänzten. An diesen Stellen haftete das Fett der Bratenstücke.
Er hatte sich die fettigen Hände immer wieder irgendwo abgewischt. Drei Riesenstücke Braten, die er hin und wieder mit Salzwasser besprüht hatte, befanden sich jetzt in seinem Magen. Er fühlte sich so wohl wie nie seit dem Augenblick, als er mit Blacky zusammen über Bord gekippt war.
Mit einem zugespitzten Holzstück stocherte er in seinen Zähnen und sah zu, wie die Knochen in den Flammen ausglühten.
Das Rauschen des Regens wurde vom Heulen des auffrischenden Windes abgelöst. Bill stand auf und stapfte einige Schritte vom Feuer weg, in die Dunkelheit hinaus. Der Wind wirbelte die Funken in seine Richtung. Er wich aus und legte den Kopf in den Nacken.
Zwischen den treibenden Wolken erschienen überraschend klar die Sterne. Irgendwo hinter den Felsen versteckte sich noch der Wind. In weniger als einer drittel Stunde war das Firmament völlig wolkenfrei. Die Sterne waren hell und funkelten nicht einmal.
Schweigend studierte Bill die Sternbilder und sagte sich, daß seine Vermutungen richtig gewesen waren.
Er stand am südlichsten Punkt der Insel und schaute nach Süden. Selbst am Horizont, fast an der Kimm, erschienen Sterne. Er blinzelte.
„Die Luft ist völlig klar geworden“, sagte er im Selbstgespräch. „Die Sicht geht weit heute nacht.“
Noch immer blendete das Feuer in den Augenwinkeln. Bill ging an die leere Stelle am Strand. Dort hatte das meiste Holz gelegen, das er verbrannt hatte.
Diese Sterne – waren keine Sterne!
Sie standen unterhalb der Kimm. Und sie bewegten sich. Zwar glitten sie sehr langsam aufeinander zu, aber es gab keinen Zweifel. Eine wilde Freude durchzuckte Bill, aber er blieb mißtrauisch.
„Also doch! Sie suchen uns!“ stieß er hervor.
Er peilte die schwachen Lichter an. Nach einigen Minuten bestand kein Zweifel mehr. Am Rand der Entfernung, die man nachts mit bloßem Auge sehen konnte, wenn man nicht gerade Dan O’Flynn hieß, segelten Boote. Vielleicht sogar die Schebecke. Und ein anderes Boot dazu. Aber sie rückten nicht näher, wenigstens gab es dafür kein Zeichen.
„Wartet, Freunde!“ rief Bill, lief zum Feuer und riß den großen, halb verbrannten Ast aus den Flammen. Er schwenkte ihn hoch über dem Kopf und vergaß die Funken, die seine Haut trafen und sich einbrannten. Er hastete den Hang hinauf und schwenkte den Balken hin und her, bis die Flammen hell aufloderten und in der Dunkelheit einen Halbkreis beschrieben.
Bill nahm zuerst den rechten Arm, dann, als er müde wurde, den linken. Er kletterte einige Dutzend Fuß höher, vergaß, wie er schwitzte und schwer atmete, und schwenkte immer wieder das schwere Holz über seinem Kopf. Schließlich ließ er es fallen und hoffte, die Flammen würden das Gras anzünden und bis hinauf zum Hangabsturz anbrennen.
Im nassen Gras zischte die Holzglut auf. Er schirmte die Augen ab und versuchte, die Lichter wiederzufinden. Erst nach langer Suche, als sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er sie. Nur noch zwei Handbreiten waren sie voneinander entfernt. Eins war größer geworden als das andere, zumindest leuchtete das an Steuerbord heller.
„Wenn ich jetzt schreie, bin ich morgen heiser“, sagte er. „Und jetzt nutzt es nichts.“
Er hob den Ast wieder auf und fuhr damit fort, sein Signal zu geben. Die Lichter näherten sich scheinbar einander, verschmolzen kurz zu einem, dann trennten sie sich wieder.
„Männer! Fischer! Hier bin ich“, ächzte Bill. „Ihr müßt hierher schauen.“
Als der brennende Ast in zwei Teile zerbrach und seine Schulter versengte, besann sich Bill.
Er eilte wieder hinunter zu seinem Feuer und warf den Holzrest hinein. Je größer das Feuer wurde, desto eher sahen es die Fischer. Sie wußten, welche Insel bewohnt war und welche nicht.
Er zog das Treibholz aus dem wüsten Wall des Schwemmgutes, wo er es fand. Die Äste und Stämme schleppte er an die Flammen und schichtete sie auf einen Haufen, der schneller größer wurde, als er verbrannte. Knapp eine Stunde später konnte er sich dem glühend heißen Feuer nicht mehr recht nähern. Es war fünfundzwanzig Fuß hoch, und ein riesiger Schauer aus Funken vermischte sich mit dem Rauch, der, von unten in leuchtendes Rot getaucht, in der Nacht unsichtbar wurde.
„Blinde Fischer? Gibt’s die?“ fragte er sich und hörte auf, weiteres Holz in das gewaltige Feuer zu werfen. Bei dieser klaren Nacht sah jeder, der nicht schlief, diese Flammen bis nach Thorshavn.
„Aber jetzt sehe ich nichts mehr“, sagte Bill, entfernte sich von den blendenden Flammen und ging erschöpft bis zu der Stelle, an der die Brandung ausrauschte. Das Wasser war zurückgeflutet, jetzt stieg es wieder.
„Wo sind sie?“
Bill blinzelte, schloß die Augen, und als er sie wieder öffnete, tauchten aus der Dunkelheit wieder die beiden Lichter auf.
Sie waren deutlich größer und schärfer geworden. Bill überlegte, was er noch tun sollte, um die sich nähernden Fischer auf sich hinzuweisen. Er ging nach rechts, bis er genau zwischen den Laternen der Fischer und den Flammen stand. Unruhig bewegte er sich hin und her und hoffte, daß er die Flammen so weit verdeckte, daß er eine Art lebendes Blinksignal bildete. Er wartete, und seine Ungeduld wurde immer größer. Wenn er versuchte, ruhig über alles nachzudenken, dann kam er sehr schnell darauf, daß er unglaubliches Glück gehabt hatte.
Mehr als das. Er war wiedergeboren worden. Es war ein Geschenk des Himmels. Bis auf einen Körper voller Flecken und Abschürfungen und ein paar wirklich schmerzhafte Prellungen hatte er alles überstanden.
Die Fischerboote näherten sich tatsächlich.
Im schwachen Widerschein des Mondlichts und der Sterne erkannte Bill deutlich zwei gar nicht so kleine Boote als winzige Silhouetten. Sie hielten auf das Feuer zu. Wieder ging er hin und her, und jetzt antworteten sie auf dieselbe Weise.
„Endlich!“ schrie er und sprang von einem Bein aufs andere. „Jetzt haben sie’s gemerkt!“
Sie würden ihn an Bord nehmen und zur Schebecke bringen. Wie und wann und auf welche Weise – das war jetzt völlig unwichtig. Er war schon so gut wie herunter von dieser Schafinsel. Er wartete und winkte, ging hin und her, starrte auf die Lampen der Boote und winkte wieder, schaute auf die steigende Flut und wußte bald nicht mehr, woran er vor Aufregung, Freude und Ungeduld denken sollte.
Philip Hasard Killigrew wurde wach, als Plymmie bellte und er das Quietschen des Gangspills hörte. Einige Atemzüge später, als er seinen heißen Tee schlürfte, unterschied er andere Geräusche: halblaute Kommandos, Schritte, das Knarren und Knirschen von laufendem Gut und Rahruten, das Flattern der Leinwand und die Echos von den Felswänden.
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