Seewölfe Paket 31

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Seine Frau winkte die beiden an den Tisch und füllte die Becher mit Bier.
„Mehr als acht Fuß“, erwiderte Philip.
„Das reicht und ist genau richtig“, sagte der Schulze. „Und ihr, habt ihr schon ein trockenes Plätzchen?“
„Ja. Nebenan, bei Heinrich, dem mit den blonden Töchtern“, erklärte Will. „Aber – wir kommen von draußen. Der Sturm wird nicht schwächer. Eure Bäume krachen und knarren, als ob sie in Stücke gerissen werden.“
Der Schulze hob die Hände. „Was sollen wir tun? Jetzt, in der Nacht? Bei Sonnenaufgang sehen wir, was der Sturm angerichtet hat.“
„Sehr heiter wird der Anblick wohl nicht sein“, murmelte der Seewolf und gähnte. „Ich glaube, es reicht für heute.“
Will und Jung Philip bedankten sich für das Bier. Sie erzählten noch, daß der Fischer „Plattfisch“ mit einer Laterne aufgebrochen sei, um die Familien der drei anderen Fischer zu benachrichtigen und zu beruhigen.
„Plattfisch rechnet feet damit, daß die beiden Boote hier irgendwo angetrieben werden“, sagte Will.
Der Schulze nickte und sagte: „Wäre nicht das erstemal. Aber in welchem Zustand sie sich am Strand wiederfinden, hat er nicht gesagt, wie?“
„Er hofft, daß sie noch zu gebrauchen sind.“
Hasard stand auf, zog den Kopf unter den Deckenbalken ein und dehnte seine Muskeln. „Morgen fangen wir an, die Schäden am Schiff zu reparieren. Wir sollten uns alle aufs Ohr hauen, Freunde.“
„Es ist wirklich Zeit. Die anderen haben sich schon zwischen die Decken verholt“, bestätigte Will Thorne.
Er schwenkte die Laterne, nickte den Personen um den Tisch zu und schloß leise die Tür hinter sich. Der Schulze Berthold nahm Don Juan am Arm und führte ihn am Kamin vorbei auf eine schmale Tür zu, stieß sie auf und winkte dem Seewolf.
Marthe brachte die Laterne. Auf einem breiten Strohlager waren Felle und Decken ausgebreitet. Im dunklen Hintergrund des abgetrennten Stalles standen Rinder und Schafe. Hühner hockten auf einer Stange. Es war warm und ruhig.
„Schlaft euch aus. Nichts ist eilig“, sagte Berthold. „Ihr werdet schon von allein aufwachen.“
Die Stiefel waren längst mit Wolle und trockenen Tüchern ausgestopft worden und hingen in der Nähe des Kamins. Don Juan und Hasard bedankten sich, entkleideten sich halb und streckten sich auf der weichen Unterlage aus. Binnen weniger Atemzüge waren sie eingeschlafen und wachten irgendwann auf, ohne Alpträume gehabt zu haben und völlig ausgeschlafen.
Neun Stunden lang tobte unverändert und in gleicher Stärke der Nordseesturm.
Er verwandelte die See, als die Ebbe abzulaufen begann, in ein Chaos aus Wasser und Gischt. Wehe dem Schiff, das jetzt dort segeln wollte. Es war undenkbar, daß selbst der beste Segler in diesem halben Orkan überlebte.
In einzelnen Schritten, die seit Generationen immer gleich abliefen, erwachte das kleine Dorf hinter den Dünen und Deichen zum Leben. Das Vieh blieb in den Ställen, einzelne Gruppen von Männern brachen auf, um nachzusehen, wie groß die Schäden waren.
Die ersten Blicke derjenigen Seewölfe, die sich angezogen und den starken Tee der Dörfler getrunken hatten, galten dem Hafen und ihrem Schiff.
Das Wasser war gefallen, aber der rasende Sturm hatte so viel Wasser in den Kanälen aufgestaut, daß der Schlick einige Fuß hoch mit Wasser bedeckt war. Die Schebecke hatte aufgesetzt, aber die drei Masten deuteten noch senkrecht in den Himmel. Vor einem grauen Hintergrund jagten schwarze Wolken nach Osten.
Big Old Shane und Ferris Tucker standen auf dem knarrenden Steg, musterten den Bewuchs an den Pfosten und Pollern und betrachteten die Schäden an der Schebecke.
„Bugspriet und Klüverbaum, das Schanzkleid und allerlei Tauwerk“, brummte der Schiffszimmermann und stopfte sein rotes Haar unter den Schlapphut zurück. „Das ist schlimm, läßt sich aber reparieren. Was denkst du, Old Shane?“
„Sehen wir uns erst einmal die sogenannte Werft an. Mir wäre Flensburg drüben an der anderen Küste lieber.“
„Was soll’s! Wir sind in Hoyer“, sagte Ferris Tucker, blickte sich um und fügte hinzu: „Vor dem Sturm sind sogar die Möwen ausgerissen.“
Über das flache Land raste ungehindert der Sturm. Das Wasser in den Kanälen blieb unruhig. Der Bewuchs der Dämme legte sich fast waagerecht an den Boden. Die Halme der aufgegangenen Saat auf den Feldern wurden ebenso hin und her gepeitscht wie die Kronen der Laubbäume und die Zweige und Blatter der Hecken.
Tatsächlich war nicht ein einziger Vogel zu sehen, als die Männer zwischen den Häusern, den Bauerngärtchen und den Zäunen auf die Werft zustapften, sich gegen den Sturm stemmten und zusahen, wie der Rauch aus den Kaminen waagerecht davongerissen wurde.
Von einem halb offenen Gebäude, das rund eine Kabellänge vom Hafenende entfernt stand, führte ein Kiesweg hierher. Halbmorsche Balken bildeten ein grobes Gleis. Neben dem langgestreckten Haus blieben die beiden Seewölfe stehen und musterten die Felder, die am flachen Landhang der Deiche anfingen und sich, von Weiden und Wiesen unterbrochen, bis zum Horizont dehnten. Bin Waldstreifen stand schwarz wie eine Mauer da. Ein einzelner Kirchturm ragte in die Höhe, fünf Seemeilen weit hinter den Bäumen.
„Ob es ein Vorteil ist, daß dieses Dorf so weit und so einsam liegt?“ fragte Ferris.
„Sie werden es schon gewußt haben.“
Bretterstapel, ein Haufen Treibholz mit Bearbeitungsspuren, das Spantenwerk eines Ruderbootes und etwa ein Dutzend Fischerboote, die meist kieloben auf Bohlen lagen – das war der erste Eindruck von der Werft. Beim Näherkommen entdeckten sie allerlei Werkzeug, das gut in Schuß gehalten war, dazu viele Holzstücke, an denen zu erkennen war, daß sie eingebaut werden sollten. Farbtöpfe, ein Ofen für Leimtöpfe, Sägemehl und Hobelspäne in Körben – niemand arbeitete hier.
„Auf mich macht das alles hier einen guten Eindruck“, meinte Ferris Tucker und ging von einem Boot zum anderen. Als er sich der Eingangstür näherte, die nach Westen aufging und von einem hölzernen Vorbau windgeschützt war, klappte ein Laden auf.
Nils Larsen schaute heraus und rief: „Kommt herein! Ich kann übersetzen. Die meisten hier sprechen recht gut dänisch.“
Die Tür öffnete sich, und schnell schlüpften sie am Hausherrn vorbei ins Innere.
„Ich bin Hansjörg“, stellte sich der weißhaarige Mann vor. „Über euer Schiff haben wir schon gesprochen. Ich habe alles gesehen. Zufrieden mit unserer Werft?“
„Ich bin Schiffszimmermann“, erwiderte Ferris, schüttelte Hände und nickte zufrieden. Bald waren sie einig. Vier andere Männer würden, wenn sie von den Deichen zurückkehrten, dem Tischler helfen. Hansjörg brachte Bier und Becher. Es gelang den Seewölfen, ihm genau zu erklären, was sie brauchten, und daß selbstverständlich jeder aus der Crew, der etwas von Holzbearbeitung verstand, mithelfen würde. Daß während der Unterhaltung einige Silbermünzen – als Anzahlung für Leim und abgelagertes Holz – den Besitzer wechselten, verbesserte die Stimmung ungemein.
„Gut. In drei Stunden beim Schiff. Komm mit, wenn du deinen Schinken gegessen hast, Nils.“
„Wartet noch. Habt ihr schon den Bierbrauer gesehen?“
„Nein. Zuerst das Schiff, dann das Bier, Nils“, sagte Ferris Tucker.
„Hast recht. Nichts läuft uns weg. Die meisten sind ohnehin auf den Deichen.“
Die Natur hatte auch hier die Menschen und ihre Gebräuche geprägt. In den dickwandigen Häusern, die ausnahmslos auf einer natürlichen oder künstlich geschaffenen Anhöhe standen, konnten die langen, schwarzen Nächte und die eisigen Stürme überstanden werden.
Die Menschen an dieser Küste zogen sich zurück und richteten ihr Leben als Kampf gegen das Meer aus, dem sie Nahrung und Land abtrotzten. Bis aus trockengelegtem Watt und kahlen Sanddünen Ackerland, Weiden und Wald wurden, dauerte es Generationen, und nur mit ununterbrochener, zäher Arbeit aller Familien war es möglich, daß die Küstenbewohner ein einigermaßen gutes Leben führten.
Als Ferris Tucker und die beiden anderen das Schiff erreichten, befand sich mindestens ein Dutzend Seewölfe auf dem Deck und klarte auf. Plymmie tobte mit den kläffenden Hunden der Dörfler über die Deiche, und Arwenack, der Schimpanse, hockte unter einem Bündel Decken am Mastfuß und blickte gelangweilt um sich.
„Alles laufende Gut sowie Rahruten und Segel – herunter damit!“ rief Ben Brighton. „Breitet das Zeug auf dem Gras dort drüben aus.“
Wieder wurde die Lenzpumpe betätigt. Das Wasser, das sich aus allen Teilen des Rumpfes in der Bilge gesammelt hatte, floß in den Hafen. Im heulenden Sturm gingen die Seewölfe daran, die Anordnung auszuführen.
Ferris Tucker enterte unter Deck, holte seine Werkzeugkiste und bemerkte, daß der nächtliche Sturm bei den offenen Luken das Schiffsinnere bestens ausgelüftet und getrocknet hatte.
„An die Arbeit!“ rief er gutgelaunt. „Bauen wir die schäbigen Reste am Bug ab!“
Je mehr die Seewölfe abbauten, desto genauer sahen sie die Schäden. So behutsam wie möglich sägte, stemmte und hackte Tucker mit seinen Helfern am Holzwerk von Klüverbaum, Bugspriet und den verzapften und verfugten Verbindungen herum, bis die einzelnen Reste am Bug lagen. Am stehenden Gut entdeckten die Seewölfe einige Enden, die überdehnt waren. Einzelne Kardeele waren gerissen.
„Wenn das auf See im Sturm passiert wäre“, sagte Batuti und zeigte ein fünf Finger dickes Tau, das er aus der Talje gezogen hatte, „hätten wir einen neuen Fockmast gebraucht. Schöne Aussichten.“
Die Ausrüstungsteile stapelten sich bald auf dem Steg. Ferris Tucker schickte Piet Straaten, Nils Larsen und Jan Ranse mit den ausgebauten und teilweise zersplitterten Trümmern zur Werft.
„Gebt dem Hansjörg das Maß des Klüverbaums!“ rief er. „Er soll sein bestes Holz nehmen.“
Mac Pellew und der Kutscher brachten ihr Geschirr an Deck und schleppten es scheppernd und Klirrend ins drittnächste Haus. Dort wartete heißes Wasser, wie die Hausfrau versprochen hatte. Ben Brighton entdeckte ein Faß gutes englisches Bier und ließ es auf einem Holzbock am Ende des Steges aufstellen.
Inzwischen beschäftigte sich Ferris Tucker mit den übriggebliebenen Stücken des achterlichen Schanzkleides.
Zwei Teams sahen die Brooktaue der Lafetten und die Geschütze nach. Es hallte wider von Befehlen, Antworten, Hammerschlägen, den Hieben der Schiffsäxte und dem Kreischen der Taljen. Das geordnete Durcheinander auf den Planken und unter Deck ließ erkennen, daß jeder der Arwenacks wieder einmal alle jene Griffe wiederholte, die dazu notwendig waren, das Schiff aufzuklaren und in den besten Zustand zu bringen.
Bob Grey ließ sich im Bootsmannsstuhl zum Fockmasttopp hochhieven und klopfte jede Fingerbreit des Mastes an, schmierte Fett in die Taljen und half, die Taue durchzustecken. Will Thorne entdeckte Risse an den Säumen des kleinen Focksegels und schleppte die Reservesegel ins Freie. Die Schäden am Schanzkleid waren beträchtlich.
„Heute abend haben wir die Stücke ausgebaut!“ rief der Schiffszimmermann dröhnend von Achterschiff. „Die Nordsee hat uns übel zugerichtet.“
Einige Planken waren aus dem Grätingsdeck herausgerissen oder in langen Splittern abgebrochen. Pete Ballie watete hinter dem Heck in Wasser und schwarzem Schlick und kontrollierte das Ruderblatt und die Zapfen und Lager.
Mit Bertholds Frau war Big Old Shane mittlerweile zum Schmied unterwegs. Zwar war fast jede Familie in der Lage, nahezu alle wichtigen handwerklichen Tätigkeiten selbst vorzunehmen, aber einzelne Männer hatten bessere Kenntnisse und das Arbeitsmaterial, wichtige Tätigkeiten zu erledigen.
Big Old Shane wollte sich genau ansehen, ob er in der Schmiede arbeiten konnte.
Auch für ihn gab es Arbeit: die Nordsee hatte die Schebecke wirklich übel zugerichtet. Aber nur an einigen Stellen.
Alles war zu reparieren.
4.
Berthold hob den Kopf, schlug den Kragen am Hals zusammen und stemmte sich gegen den Sturm.
„Da siehst du, Kapitän, wie es hier bei schlechtem Wetter zugeht.“
Zusammen mit ein paar anderen Männern aus dem Dorf standen sie auf der höchsten Stelle des Deiches. Vor ihnen erstreckte sich eine ununterbrochene Wasserfläche, schwarz und ausgefüllt mit riesigen Wellen, die einander zu jagen schienen. Riesige Wolken türmten sich auf. Die unregelmäßige Linie der Deiche verlor sich rechts und links am Horizont, der durch die schrägen Bahnen von schweren Regengüssen unsichtbar geworden war.
„Zur Zeit ist es ganz besonders schlecht“, erwiderte der Seewolf.
Nur wenige Schritte vor seinen Stiefelspitzen prallten die gischtenden Ausläufer der Brecher gegen den Deich. Die Steine, der Sand, das Gras und das Gestrüpp – alles zitterte und bebte unentwegt. Aber wenn sich die Wellen zurückzogen, lag die Oberfläche des seewärtigen Deiches unzerstört da. Die Luft war voller Salzwassertropfen, vom Watt war nichts zu sehen. Es gab nur die tobende Nordsee.
„Wird noch schlechter“, meinte ein Dörfler. „Heute nacht, sage ich euch, sollten wir unsere Dächer festhalten.“
„Wahrscheinlich hast du recht“, sagte Stefan. „Aber die Deiche halten.“
Der Seewolf wußte, daß die äußersten Deiche sehr alt waren. Vor zwei Jahrzehnten hatte man sie auf eine Höhe von fünfzehn Fuß gebracht. In den Prielen, die während der Ebbe fast alle trockenfielen, stand acht Fuß hoch das Wasser, das sich auch über das Watt erstreckte. Zur Stunde hatten die Bauern den höchsten Stand der Flut errechnet.
„Abends, wenn die Ebbe abläuft“, erklärte der Schulze, „sehen wir weiter.“
Auf dem kochenden Meer war, wie erwartet, kein Schiff zu sehen. Sämtliche Boote waren hoch und trocken in Sicherheit gebracht worden. Die Familien der vier Fischer überschlugen sich vor Dankbarkeit und Freude, als die Gruppe auf dem Rückweg nach Hoyer Andreas, Kristian, Pieter und Niklas, den Plattfisch, besuchten.
„Wir werden euch, bevor wir weitersegeln, noch ein paar Fische abkaufen“, versicherte der Seewolf, nachdem er die getrockneten, geräucherten, sauber eingesalzenen und in Lake schwimmenden Fische gebührend bewundert hatte. „Aber so schnell, fürchte ich, werden wir die Leinen nicht loswerfen.“
Die Gehöfte der Fischer lagen an einem schmalen Kanal, der weitaus niedrigere Böschungen und kleine Sperrschieber aufwies. Hasard begriff, als er die Gräben sah, die auf diese Durchlässe zuführten: hier wurde nasses Land allmählich trockengelegt. Später würden sie es pflügen und Pflanzen darauf anbauen, die salzigen Boden vertrugen.
„Gehen wir“, sagte er und wehrte ab, als Niklas, der Plattfisch, mit dem Schnapskrug auf ihn trat. „Danke. Wir müssen heute noch hart arbeiten.“
Der Abschied war lang und überaus herzlich.
Mit dem Sturm im Rücken, der ihre Schritte schneller werden ließ, stolperten der Seewolf und seine neuen Freunde über die Deiche und durch saftige Weiden auf das Dorf zu. Die Halme waren dicht an den Boden gepreßt, Nässe war bei jedem Schritt zu spüren. Das Vieh war nicht aus den Ställen hinausgelassen worden. Der Sturm war noch eisiger geworden, aber es gab keinen Schnee in der Luft.
„Morgen sind wir klüger!“ schrie der Schulze.
„Wir haben es zwar eilig“, erwiderte der Seewolf, „aber so eilig, daß wir es mit dieser See aufnehmen, haben wir es wirklich nicht.“
Bis sie die schützenden Hecken, einen Streifen Jungwald und die ersten Scheunen erreichten, erklärten ihm die Bauern, was „Trutz, blanke Hans!“ bedeutete. Angesichts des Wütens von Sturm und Wogen verstand er dieses Wort, das nur von mutigen und starken Leuten ausgesprochen werden konnte.
Jack Finnegan ließ den Griff des Holzes los, das im Spill steckte.
„Fertig, Smoky?“ fragte er. Das Tauwerk, das den Fockmast hielt, war in jeder Einzelheit, bis zu den Rüsten hinunter, überprüft und neu gezurrt worden. Als Smoky mit dem Belegnagel dagegenschlug, summte das Ende.
„Kannst zu schwitzen aufhören, Seemann“, sagte Smoky. „Fertig. Wird den nächsten Sturm überstehen.“
„Die Wanten sind klar“, versicherte auch Roger Brighton zufrieden. „Schaffen wir noch den Großmast?“
Die Seewölfe, die Ferris Tucker beim Abbau auf dem Vorschiff geholfen hatten, arbeiteten schon in der Werft. Im Heck lagen die meisten Teile, die noch zu verwenden waren und zum Schanzkleid gehörten. Am Steg arbeitete Ferris Tucker an den ausgebrochenen Planken des Heckteiles.
Paddy Rogers sägte und hackte die Reste zu handlichen Kloben, die von den Köchen gebraucht werden konnten. Der Segelmacher hantierte mit Takelgarn und Segelgarn und seiner Ahle.
Hasard schob sich an der Gruppe von Dörflern und Seewölfen vorbei, die das halbleere Faß umlagerten und englisches Bier tranken.
„Arbeitet nicht so schnell“, sagte er und schlug seinen Arwenacks auf die Schultern. „Wir sitzen hier noch ein paar Tage fest.“
„Das Schiff ist tatsächlich reichlich mitgenommen“, sagte Ben Brighton zu ihm und gab ihm einen Becher Bier. „Die Leute hier sind wirklich einzigartig. Mittags haben sie uns alle wieder zum Essen eingeladen. Sie helfen wo sie können.“
„Das weiß ich. Wir werden uns auch entsprechend bedanken“, erwiderte Hasard. „Und wie sieht es unter Deck aus?“
„Leidlich trocken. Aber es gibt noch jede Menge Wuhling.“
Ben Brighton und Hasard verschwanden unter Deck. In den dunklen Teilen des Schiffsbauches brannten Laternen. Auch hier arbeiteten die Arwenacks, besserten kleine Schäden aus und zerrten in die schmalen Gange hinaus, was feucht geworden war.
„Wahrscheinlich gibt es heute noch starken Regen!“ rief der Seewolf durch die Kammern. „Laßt das wichtige Zeug im Schiff.“
Die Köche beschäftigten sich damit, ihre Gewürze, das Salz und die Vorräte neu zu verstauen und aufzuklaren. Becher hingen wieder an den Haken, die Schalen und Teller waren in den Racks festgezurrt und mit gespannten Netzen und in Schwalbennestern gesichert. Es roch nach verschüttetem und feuchtem Gewürz.
„Noch einmal eine solche Wuhling, und ich koche nicht mehr“, beschwerte sich Mac Pellew.
Hasards Kammer war von seinen Söhnen aufgeklart worden. Prüfend strich der Seewolf über die Planken, die Nähte und die hölzernen Verkleidungen. Er fand keine Nässe, kein Salz, nur feuchte Ecken. Er stapelte die feuchten Decken übereinander und fand heraus, daß die beiden Seemannskisten dicht geblieben waren.
„Sagt es weiter“, erklärte er und bückte sich, als er zum Niedergang stapfte. „Wer heute im Schiff schlafen will, soll es ruhig tun. Aber es wird schwer sein, den Leuten von Hoyer das zu verklaren.“
„Sie lieben uns“, sagte Dan O’Flynn grinsend, der im Licht von zwei heißgebrannten Lampen vor seinen Karten saß und um sich die gewohnte peinliche Ordnung verbreitet hatte.
„Schon möglich. Ich will heute den Alchimisten besuchen. Sollte dich interessieren, Mister Navigator.“
„Bin gern dabei“, versicherte Dan und besorgte seine Eintragungen in der Seekarte, die dieses Gebiet abdeckte.
Neben dem Niedergang stieß Hasard mit Pete Ballie zusammen.
„Mit dem Ruder alles in Ordnung?“ fragte er sofort.
Pete Ballie nickte und brummte: „Ich habe nichts gefunden. Im Wasser war nicht viel zu sehen. Über Wasser ist kein Schaden.“
„Wir sehen nach, wenn der Sturm das Wasser nicht mehr in die Priele drückt“, versprach Hasard.
Die tägliche Arbeit, vom Füttern der Tiere, Ausmisten der Ställe und Melken der Kühe und Schafe bis zur Hausarbeit, dem Kochen und zu den anderen Pflichten im Haus und in den Scheunen, beschäftigte die Dörfler. An einem Dach nagelten sie Bretter über die frisch befestigten Reetbündel, die der Sturm davongefetzt hatte. Angebrochene Äste wurden aus den Bäumen gesägt. Aus der Schmiede war das Gehämmer von mindestens drei Arbeitern zu hören.
Hasard trug sein nasses Zeug zu Frau Marthe und bat sie, es zu trocknen.
„Bald können eure Leute nicht mehr arbeiten“, sagte Marthe mit gutmütigem Lachen. „Es wird dunkel, Kapitän. Setzt euch zu uns, erzählt von den Küsten, die unsereins niemals sehen wird, und von den Schatzinseln.“
Ein breites Lächeln glitt über Hasards Gesicht, in dem die Bartstoppeln sprossen.
„In einer Stunde habt ihr mehr steif gefrorene, hungrige und trinkfeste Seeleute, als euch lieb ist“, sagte er. „Übrigens, heute nacht. Stellt ihr Sturmwachen auf? Wir helfen euch natürlich. Wir brauchen nur klare Anweisungen.“
„Da sollt ihr mit Berthold sprechen“, antwortete sie. „Milch und Honig ist fertig, wenn du kommst, Kapitän.“
„In einer Stunde“, wiederholte er und ging zurück zur Schebecke, um seinen Leuten zu helfen. Er sah, wie Roger und Will die Rahen und Segel in einer trockenen Scheune in Sicherheit brachten. Die ersten Laternen wurden angezündet und ausgebracht. Gegen Mitternacht würde sich zeigen, ob tatsächlich die Ebbe richtig ablief und die fraglichen Kanäle, Hafenbecken und Priele trockenfielen.
Vier Stunden vor Mitternacht: Außerhalb der Häuser herrschte uneingeschränkt die pechschwarze Finsternis der Nacht. Der Mond war nicht zu sehen, nicht ein Stern funkelte. Durch Tür- und Fensterladenritzen drang schwache Helligkeit. Der Sturm heulte lauter und schneidender als je zuvor in diesen Tagen.
Der Seewolf tat einen langen Schritt und schloß die Tür hinter sich. Der schwere Eisenriegel zerrte in seiner Hand. Der Sog des Sturms schmetterte die Tür in den Rahmen.
„Du hast recht, Berthold“, sagte Hasard. „Das wird eine schlechte Nacht für eure Hausdächer.“
Der Seewolf trug die fast knielange Jacke, die er dem Dorfschulzen oder besser Frau Marthe abgehandelt hatte. Bewußt hatte er nicht geschachert und mehr bezahlt, als der Schulze nach langem Sträuben verlangt hatte.
Die Jacke war aus den besten Stücken der gegerbten und weich gearbeiteten Teile von Schafsfellen zusammengenäht. Viele Taschen, große Knöpfe aus Horn, Ledersäume und ein Kragen, den man bis über die Ohren hochklappen konnte, sowie lange Stulpen, in denen die Finger vor der Kälte geschützt blieben, hatten den Seewolf bewogen, dem Schulzen mehr für die Jacke zu bezahlen.
Trotz des rasenden Sturms, der eisige Kälte und feinen Wassernebel mit sich brachte, war es unter der Jacke heimelig warm.
„Wenn es zu arg wird, läuten wir die Sturmglocke“, sagte Berthold und zeigte auf das Türmchen aus Bohlen, Brettern und Eisenwinkeln, das am Ende seines Hauses auf das Strohdach aufgesetzt war.
„Los! Ich bin neugierig, ob wir mit mehr Gold zurückkehren, als wir bei uns haben!“ rief Dan O’Flynn.
Don Juan de Alcazar lachte in sich hinein. Sie wollten den Alchimisten besuchen und vielleicht Heiner, dem Bierbrauer, einen Besuch abstatten.
Hasard warf einen langen Blick hinunter zur Schebecke, über deren Deck drei Lampen schaukelten und die Gestalten der Wache zeigten, die dick vermummt in windgeschützten Winkeln hockten.
„In Ordnung“, murmelte er und stapfte weiter. Der Wind packte sie, als sie den Windschatten des Hauses verließen und den Kiespfad betraten, der sich schwach im Licht der Laterne abhob.
Mit dem Sturm im Rücken eilten sie fast zwischen den Häusern und Ställen entlang. Losgerissene Blätter und die abgestorbenen Ästchen des Vorjahres wirbelten um ihre Köpfe. Das Licht zuckte und flackerte, aber Schulze Berthold wußte genau, wohin er zu gehen hatte. Aus einigen Ställen ertönte das angstvolle Brüllen der Rinder. Die Tiere schienen zu spüren, daß eine ganz besondere Nacht anbrach.
Der Rauch und die Funken aus den Kaminen trieben dicht über dem Boden dahin.
In der Nähe der kleinen Brauerei roch es nach Maische und saurem Bier. Aus den nassen Weiden stieg ein bitterer, salziger Geruch auf. Als die Männer vor dem vergleichsweise großen Haus des Magisters standen, schlug ihnen ein Gestank in die Nasen, den sie nicht deuten konnten: es roch nach vielerlei üblen Dingen.
Schulze Berthold ließ den eisernen Klöppel, der wie der Kopf eines Fabelwesens geschmiedet war, gegen den fünfzackigen Stern fallen. Im Haus dröhnten die Schläge fast lauter als außerhalb. Nach einer Weile wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet.
Berthold hob die Laterne und rief: „Fremde Seeleute wollen den Magister besuchen! Du hast es versprochen, Cedomir. Laß uns hinein!“
Cedomir von Emch, ein riesiger Mann mit schlohweißem, langem Haar, öffnete wortlos und schaute ängstlich in die Richtung seiner Experimentierstube, ob der Wind dort nicht etwas umwarf oder eine der vielen Flammen auslöschte. Aus der Tür drangen Qualm, noch üblere Gerüche und ein riesiger Staubwirbel ins Freie. Nacheinander schoben sich die Besucher ins Innere.