Seewölfe Paket 31

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„Vergeßt nicht, die Wasserfässer zu füllen“, riet Old Donegal. „Wir wissen nicht, wann wir den nächsten Brunnen anlaufen.“
„Das Wasser von Hoyer ist gut!“ schrie der Seewolf.
Der Brunnen der Dörfler befand sich außerhalb des Kerns der Gebäude um den Hafen. Er schien sehr tief zu sein und wurde von einer Winsch, einem langen Tampen und einem großen, mit Steinen beschwerten Kübel betrieben. Das Wasser war weich und schmeckte ganz leicht, fast nicht spürbar, nach Salz.
„Na, das klappt doch alles bestens“, sagte Dan O’Flynn zufrieden und sah zu, wie die Mannen Fässer und Ballen ins trockene Schiff schleppten, die sie von den Dörflern gekauft hatten.
Ein Dutzend Seewölfe bearbeiteten das Holz des Schanzkleides. Eiserne Ziehklingen und solche aus geschliffener Bronze glätteten die relingartigen Teile oberhalb der Stützen und der Fachungen. Mit Stein und Raspeln wurden sie geglättet, dann erschien Bob Grey mit einem Farbquast und beizte das Holz.
„Die Schebecke wird schöner, als sie war“, bemerkte der Erste. „Wir könnten morgen weitersegeln und den Wikinger verfolgen, wenn der Sturm nicht gegen das Land stehen würde.“
„Ich will nicht, daß auf Kosten des verrückten Poltermanns einer von uns verletzt wird oder gar ertrinkt“, sagte Hasard mit Nachdruck. „Nichts ist so wichtig, daß wir ein unnötiges Risiko eingehen. Ganz abgesehen davon, daß wir nicht auf trockenem Schlick ins Meer hinausrutschen können. Laßt euch also Zeit, Freunde.“
Auf seine Leute und ihre Absichten und Überzeugungen konnte sich Philip Hasard Killigrew bedenkenlos verlassen.
Das Schiff war ihre Heimat, ihr Zuhause, die einzige Möglichkeit, zu überleben. Jeder von ihnen kannte seine, meist selbstgewählte oder in langen Jahren eingespielte Aufgabe. Es brauchte keine Worte, kein Befehl war nötig.
Ben Brighton, der Erste, lehnte sich schwer auf das Schanzkleid der Kuhl und nickte.
„Es ist ein Vergnügen, uns beim Arbeiten zuzusehen, nicht wahr?“ fragte er mit breitem Grinsen. „Jeder an Bord weiß, welche Ecke in seine Verantwortung fällt und was er zu tun hat. Mit etwas Glück sind wir morgen abend zum Ablegen bereit.“
Masten, Rahen, Segel, stehendes und laufendes Gut von achtern bis zum Bug waren geprüft, durchgesehen und erneuert, wo nötig.
„Wenn’s der Sturm zuläßt“, meinte Hasard und deckte, als er gegen die untergehende Sonne blickte, seine Augen ab, „aber es sieht nicht danach aus.“
Noch immer hing der stechende Geruch der dunklen Beize in der Luft, mit der das glattgeschliffene Holz des achterlichen Schanzkleides getränkt worden war. Das erneuerte Schanzkleid hob sich scharf von den vorhandenen Resten ab.
In einem Kessel am Steg steckten schon die Bienenwachswaben, die man morgen schmelzen würde. Mit dem Wachs sollten die Holzteile eingelassen und danach poliert werden.
„Unter Deck jedenfalls sieht es gut aus“, sagte der Seewolf. „Wir haben einmal mehr Glück gehabt, aber nur deswegen, weil uns kein Fehler unterlaufen ist.“
„Kein Wunder. Bei unserer Erfahrung!“ rief der Erste.
Die Kinder trieben die Schafe zurück in die Ställe. Plymmie balgte sich mit den wenigen Hunden der Dörfler herum. Auf der Ruderpinne saß, den Kopf unter den Flügeln, Sir John und schien zu schlafen. Unter den kleinen Kohlenfeuern der Schmiede hörten die Blasebälge zu fauchen auf.
Hasard musterte seine Söhne, die zusammen mit Carberry die Anker sicherten.
„Schluß für heute!“ rief er. „Wir wollen es nicht übertreiben. Teilt die Wachen ein und dann ab zu unseren Gastgebern.“
„Aye, aye, Sir“, tönte es aus allen Richtungen.
Der Sturm, der noch immer aus dem nordwestlichen Quadranten wehte, pfiff, heulte und wimmerte in ungebrochener Kraft.
Für ein paar Tage hatten sie Thorfin Njal vergessen. Jetzt schob sich das vorläufige Ziel ihrer Reise wieder in ihre Gedanken. Zwar gab es keinen Grund für panische Hast, aber langsam wurde dennoch die Zeit knapp. Das Wüten des Sturms blieb die beste Entschuldigung, noch länger in diesem gastfreundlichen Dorf zu bleiben.
Die Arwenacks wuschen sich am Brunnen und verteilten sich wieder auf die einzelnen Häuser.
6.
Als sich Heiner, der zwei große Krüge abgelagertes Bier mitgebracht hatte, an den Tisch setzte, fragte er: „Ihr seid unruhig, nicht wahr? Das Schiff ist so gut wie fertig, also wollt ihr ablegen.“
„Richtig“, erwiderte der Seewolf und verschränkte seine Hände vor dem Bauch. Das Essen war viel zu reichlich gewesen. „Seeleute sind nun einmal so. Sie haben immer ein Ziel, irgendwo hinter der Kimm.“
„Und wie sieht euer Ziel aus?“
Don Juan und Hasard berichteten, was sie vorhatten. Als sie den Wikinger erwähnten, schüttelten die Zuhörer die Köpfe. Sie konnten nicht glauben, daß sich ein Teil einer Sage bis in die heutigen Tage gerettet hatte. Sie kannten nichts anderes als ihre Gegend und das Meer und den nächstgrößeren Ort, in dem die Kirche stand und der reichlich einen halben Tagesmarsch entfernt war.
„London, die Karibik – für uns sind das wunderbare Gegenden. Aber wenn ihr jemanden auffordern würdet, mit euch zu segeln“, sagte Heiner und vertiefte sich in den Inhalt seines Bechers, „würde er hierbleiben. Wir haben Wurzeln geschlagen in unseren Deichen.“
„Jedem das seine“, meinte Don Juan. „Wir sind auch nicht mit einer Beschwörung des Magisters in Schafzüchter und Kühemelker zu verwandeln. Was sagen die Knochen und die Wetterkundigen?“
Berthold fuhr mit den Fingern durch seinen grauen Bart. „Morgen läßt der Sturm nach, sage ich. Die Fischer denken es auch, sie wollen ihre Boote suchen.“
Der Seewolf lachte. „Oder das, was davon übrig ist. Ich fürchte, wir brauchen einen Lotsen, wenn wir vielleicht übermorgen weitersegeln.“
„Ein Fischer begleitet euch sicher“, sagte Marthe. „Ihr zieht sein Boot hinterher, und übrigens gibt’s nur einen Weg. Aber der Sturm hat die Pricken herausgerissen.“
Der Kanal, der zur Entwässerung gegraben und später verbreitert und vertieft worden war, setzte sich jenseits der Ausfahrt einigermaßen geradlinig durch das Watt fort, wurde von einigen Prielen gekreuzt und führte auch bei Ebbe noch etwas Wasser. Im Uferbereich war er normalerweise gut zu erkennen, denn dürre Bäume, meist in Kalkwasser getaucht und mit Bändern gekennzeichnet, markierten seinen Verlauf. Der Sturm und die Wellen hatten sie weggerissen.
„Wir finden bei Flut schon wieder hinaus. Schließlich haben wir in tiefster Dunkelheit hierhergefunden“, versicherte Hasard.
„Ich sehe auch keine Schwierigkeiten.“ Der Schulze lachte breit.
„Habt ihr eigentlich Schwierigkeiten“, ließ Don Juan fragen, „mit euren Nachbarn, den dänischen Untertanen vom Vierten Christian?“
„So gut wie nie. Ihr müßt wissen, das Land ist ebenso leer wie unseres hier im Norden. Was sollte uns der König von Dänemark und Norwegen wegnehmen wollen? Das salzige Land?“
„Immerhin seid ihr wohlhabende Bauern und Fischer. Wir kennen die Unterschiede!“ betonte der Seewolf energisch. „Andernorts gibt es echte Armut Eure Kühe sind fett, die Schafe sind zahlreich …“
„Und die nächste Flut – habt ihr von der Manndränke gehört? – kann uns alle in die Armut stürzen oder viele umbringen. Ist alles schon passiert, an unseren Küsten.“
Diese Wahrscheinlichkeit, sagte sich Hasard nachdenklich, war hoch. Irgendwann würden die Siedler ihre Deiche ausbauen und höher aufschütten müssen. Und wenn das Land voller alter Wälder war, reich an Ackern und Kornfelder, würde es vermutlich einen Krieg geben, der selten die Burgen und Schlösser, stets aber das Land der Bauern verwüstete.
„Niemand weiß, was die Zukunft bringt“, versuchte der Spanier die Unterhaltung zu einem guten Ende zu bringen. „Wir zum Beispiel haben jede Stunde ein anderes Bild vor den Augen, wenn wir segeln. Fast niemals wissen wir, wie es am nächsten Morgen aussieht.“
„Und selbst das Meer sieht jeden Tag anders aus“, meinte der Seewolf. „Gottlob nur selten so wild wie vor Tagen.“
Der Abend verging in allen Häusern von Hoyer gleichartig. Die Bauern stellten ihre Fragen, und die Arwenacks spannen ihr Seemannsgarn. Die Unterhaltung verlief voller Gelächter, denn oft mußte mit Händen und Füßen geradebrecht werden. Küstenlatein, Brocken aus allen Sprachen entlang der Nordseeküste, mehr oder weniger richtige Zeichnungen und jeder andere Versuch, sich mit dem anderen zu verständigen – mit reichlich Bier war das eine vergnügliche Sache.
Die Nacht über tobte sich der Sturm aus.
Am Morgen sahen sich die Seewölfe einer Umgebung gegenüber, die sich völlig geändert hatte. So sah es auf den ersten Blick aus.
Der Wind wehte von Süd und Südwest. Er brachte unerwartet trockene Wärme mit sich.
Über dem Meer, das vom Platz vor den Haustüren nicht zu sehen war, erhoben sich schneeweiße Haufen von Wolken. Die Weiden und Felder hatten sich in ein helles Grün gefärbt, die meisten Halme schienen sich aufgerichtet zu haben. In den Abflußgräben, von denen die Landschaft in Quadrate eingeteilt wurde, gluckerte das Wasser.
Die Schafe, von klaffenden Hunden begleitet, sprangen übermütig aus den Gattern, die Rinder tappten hinterher. Plötzlich fanden sich auch die Vögel wieder ein: Möwen segelten über die Dünen, die Hühner, Enten und Gänse der Bauern schrien und schnatterten, in den Hecken zwitscherten unsichtbare Vögel.
Die Stimmung übertrug sich sehr schnell auf die Seewölfe, die an diesem Tag den Klüverbaum und den Bugspriet neu einsetzten und die Arbeiten am Schanzkleid und an den Decksplanken beendeten.
Batuti, der stets von einer kleinen oder größeren Kinderschar umgeben war, zeigte einem Jungen, wie mit Pfeil und Bogen umzugehen war.
„Wann geht es los, Sir?“ rief er und zog einen Pfeil aus Kristians Scheunentor.
„Wenn sich nichts ändert – morgen, bei Sonnenaufgang. Alles bereit?“ rief Philip Hasard Killigrew vom Steg hinüber. Rahen und Segel waren angeschlagen. Mindestens zehn Seewölfe polierten und strichen die Teile des neuen Schanzkleides.
„Alles bereit, Sir“, sagte Ferris Tucker, hob mit spitzen Fingern einige Hobelspäne auf und warf sie über Bord. „Wenn die Sonne untergeht, ist die Schebecke wieder einmal so gut wie neu.“
„So neu, wie sie aussieht.“
Im Schiffsbauch stapelten sich in den einzelnen Lasten wieder die Vorräte und die Ausrüstungen, durchgesehen, getrocknet und neu gepackt. Die Seewölfe hatten nicht nur alle Schäden beseitigt, sondern konnten sich zumeist am Nachmittag in die Sonne setzen und Daumen drehen.
Nur Dan O’Flynn versuchte, zusammen mit den Fischern, seine Karte zu verbessern oder zumindest sicherzustellen, daß das Wissen, das hineingezeichnet und geschrieben war, auch der Wirklichkeit entsprach.
Schließlich, dachte er, würden sie morgen abend entlang der dänischen Küsten segeln.
Die Schebecke war aus dem Hafen an den Kanal verholt worden. Nur ein Landtau verband sie noch mit den Pollern des Stegs. Am Heck schaukelte ein Fischerboot mit Mast und Segel an der Vorleine. Kristian und der „Plattfisch“ standen stolz im Bug.
Etwa zwölf Dutzend Leute aus Hoyer hatten sich versammelt und standen auf dem Steg, rund um den Hafen und gegenüber der Backbordseite auf dem Deich. Philip Hasard Killigrew trat aus dem Niedergang und sprang über die Planke an Land.
„Schulze Berthold, ihr alle aus Hoyer!“ rief er. „Wir Engländer haben die Tage bei euch in bester Erinnerung. Wir danken euch, für die Gastfreundschaft, das gute Bier und alles andere. Wenn wir den Fisch essen, denken wir an den Proviant, den wir von euch haben …“
Er machte nicht viele Worte und gab schließlich dem Dorfschulzen einen silbernen Trinkbecher, der reich mit goldenen Bändern verziert war. Bis zum Rand war er mit Münzen gefüllt.
Noch ehe sich Schulze Berthold von seinem freudigen Erstaunen erholt hatte und das Geschenk zurückweisen konnte, war der Seewolf zurück an Bord und rief: „Die Segel hoch! Werft die Leine los. Auf Wiedersehen, ihr alle!“
Ein paar Riemen waren ausgebracht worden. Die Schebecke stieß vom grasbedeckten Deich ab, der Südwind fing sich in den beiden kleinsten Segeln, und mit der Sonne im Rücken schob sich die Schebecke westwärts durch den Kanal.
Die Flut hatte ihren höchsten Stand erreicht, und die Strömung begann zu kippen. Winkend und mit viel Geschrei verabschiedeten sich die Seewölfe von den Leuten aus Hoyer, und Arwenack, von der Aufregung angesteckt, enterte die Wanten auf und ab und stieß wilde Schreie aus.
Die Fischer peilten die wenigen Landmarken und gaben die Richtung an. In fast gerader Linie befuhr die Schebecke den unsichtbaren Priel. Nur noch zwei abgebrochene Pricken bewiesen, daß der richtige Kurs anlag. Im Nordwesten tauchte Sylt auf.
„Heute müßt ihr die Insel runden, auf jeden Fall!“ rief der „Plattfisch“. Das Schiff krängte leicht nach Steuerbord, als Focksegel und Groß gesetzt wurden. „Seht ihr? Ab hier habt ihr tiefes Fahrwasser!“
„Wollt ihr umsteigen?“ Der Seewolf trug wieder seine gewohnte Segeltuchjacke.
„Noch nicht, Kapitän. Heute gibt es keine Seenot.“
„Habt ihr die Boote gefunden?“ fragte der Erste neugierig.
Der „Plattfisch“ nickte und antwortete halb betrübt, halb zuversichtlich: „Nur Trümmer. Aber dazu viele andere Trümmer. Wir haben Holz genug und werden neue, schwerere Boote bauen.“
Nach einer Stunde wechselten die Fischer in ihr Boot über, und die Schebecke ging, nachdem sie Sylt an Steuerbord passiert hatten, in einem weiten Bogen auf Kurs.
„Nordkurs, Luke!“ rief Hasard.
„Kurs liegt an, Sir“, rief Luke Morgan zurück, nachdem er die Pinne bewegt und den Kompaß mehrmals kontrolliert hatte.
„Kurs halten, wenn nichts dazwischenkommt“, bestimmte Hasard und überließ sich wieder den wiegenden Bewegungen des Schiffes.
Die Nordsee breitete sich bis zur Kimm als trügerisch glatte Fläche aus. Nur die Dünung, weich und mit kaum sichtbaren Wellenbergen, kräuselte sich bisweilen im südlichen Wind.
In den trockenen Segeln zeichneten sich die Spuren des salzigen Wassers ab. Sonne und Segelschatten lagen auf dem Deck. Es war, noch immer, erstaunlich warm. Die Segel waren auf Steuerbordbug ausgebaumt. An Steuerbord glitten auch die hellen Dünen von Sylt vorbei, der Rauch aus den Kaminen strebte dünn und zerfasert nach Nord.
Hasard stellte sich zu Ben Brighton auf dem Vorschiff.
„Wahrschau“, sagte er und lachte. „Wikinger voraus!“
„Unser lieber Polaraffe ist vermutlich schon in Bergen oder im nördlichen Eis“, gab der Erste lachend zurück. „Aber, ohne Scherz: natürlich wird der Nordsee-Orkan auch den Wikinger in eine sichere Bucht oder in einen Hafen getrieben haben.“
„Das will ich meinen“, pflichtete der Seewolf bei. „Und uns kann nichts Besseres passieren, als daß sich das Wetter hält. So und nicht anders.“
Der Erste schüttelte den Kopf und sagte zweifelnd: „Nicht in diesen Gewässern, Sir. Rechne besser mit schweren Wetter, und zwar schon bald.“
„Man wird sehen“, brummte Hasard. „Um das Schiff bereite ich mir keine Sorgen.“
Genau vor ihnen lagen die neuen Verstrebungen, der Klüverbaum und die lange, geschnitzte und mattglänzende Spiere des Bugspriets. Tauwerk und Holz, Schäkel und Taljen sahen vertrauenserweckend und wuchtig genug aus, um auch in einem härteren Sturm nicht zu splittern oder zu brechen.
„Mir weht noch der Bierdunst und der klare Schnaps der letzten Nacht zwischen den Ohren“, bekannte der Seewolf. „Ich gehe unter Deck und nehme eine Mütze voll Schlaf.“
„Wir holen dich, wenn’s ruppig wird, Sir“, versprach der Erste. „Gute Träume.“
„Alpträume werden es sein. Wahrscheinlich segelt Thorfin durch meinen Schlaf.“
Er grinste und bewegte sich langsam vom Bug bis zum Heck, wo er im Niedergang verschwand und sich auf seinem Lager ausstreckte. Unter der Führung Ben Brightons überwand die Schebecke das weitläufige Wattgebiet und blieb auf Kurs.
Fünfunddreißig Stunden lang wurden die Seewölfe vom selben Wind und von der See verwöhnt.
Der Wind aus Süden kam und ging, wurde stärker und nahm ab, die Tageszeiten schienen Richtung und Stärke zu bestimmen.
Die langgezogene Dünung blieb, aber in der Nacht gab es steilere Wellen unter einem Himmel, der mit einem riesigen weißen Mond und zahllosen Sternen aufwartete. Bisher hatte die Schebecke nur kurz den Kurs zu wechseln brauchen. Jetzt, am Mittag des übernächsten Tages, segelte sie wieder Nordkurs, und Piet Straaten stand am Ruder.
Wo waren sie?
Dan O’Flynn studierte die eintönige Landschaft aus Watt und Dünen, kleinen dunklen Wäldern und Inseln, die sich wie die buckligen Rücken von bemoosten Seeungeheuern aus der Nordsee emporstemmten.
„An Esbjerg sind wir wohl vorbei“, murmelte Dan und rechnete weiter. Er verglich seine Karten mit dem Gelände, das an Steuerbord vorbeizuziehen schien. „Nein! Voraus liegt wieder Blavands Huk. Ich bin sicher.“
Römö und Fanö lagen Steuerbord achteraus. Jetzt, nachdem er alles verglichen hatte, konnte Dan sicher sein. Trotzdem wandte er sich an Sam Roskill.
„Ich klettere mal in die Wanten. Ich muß mich vergewissern, daß ich mein Geschäft noch verstehe.“
„Schon gut. Ich passe auf deine rätselhaften Zeichnungen auf.“
Dan O’Flynn, der Mann mit den schärfsten Augen an Bord, enterte den Niedergang hinunter, lief über die Planken und zog sich in die Wanten hoch. Er sicherte sich mit einem eingehängten Arm, verhakte sein Knie, zog, nachdem er einen langen Rundblick getan hatte, das Spektiv und untersuchte jeden Punkt des fernen Ufers.
„Eindeutig Esbjerg“, sagte er zufrieden. „Und noch etwas anderes. Es lohnt sich doch, gründlich zu sein.“
Er rief hinunter in die Richtung des Rudergängers: „Genau Nordost dümpelt ein Schiff. Sieht aus, als ob es stark mitgenommen sei. Ich sehe die dänische Flagge. Kauffahrer wahrscheinlich.“
„Verstanden. Enter ab. Arwenack kann das Klettern besser.“
„Aber er sieht nicht so gut“, murmelte Dan O’Flynn und bemerkte, als er federnd an Deck landete, daß der Rudergänger nach einer Geste des Kapitäns die Pinne nach Backbord legte. Die Segelgasten rannten über Deck.
„Also“, sagte Dan. „Der Kurs bringt uns dorthin, wo wir frisches Wasser bunkern können. Natürlich im Hafen und an drei Stellen in der riesigen Bucht. Ich bin sicher …“
„Das Schiff“, unterbrach ihn Hasard ungeduldig.
„Das dänische Schiff, den Farben nach jedenfalls, schwimmt recht hilflos in der Einfahrt der Bucht. Oder dicht davor.“
„Liegt es vor Anker?“ wollte Hasard wissen. Mit der Kursänderung war er augenscheinlich einverstanden.
„Das konnte ich nicht genau sehen. Aber in einer guten Stunde wissen wir mehr.“
„Vermutlich. Das war das einzige Schiff in dieser gemütlichen Gegend?“ fragte Hasard. Auch diese Frage bestätigte Dan O’Flynn.
Noch immer mit achterlichem Wind schnitt der scharfe Bug der Schebecke durch die kleinen Wellen. Über der Bucht standen, fast unbeweglich, einige Raubvögel, und einige Dutzend Möwen schwebten mit sparsamen Flügelschlägen auf die Schebecke zu.
„Mister Conroy! Wachsamkeit ist der bessere Teil der Vorsicht!“ rief der Seewolf nach kurzem Nachdenken. „Vielleicht sollten ein paar Drehbassen und die eine oder andere Culverine feuerbereit sein. Zur Sicherheit, meine ich!“
„Aye, aye, Sir!“ rief Al und winkte seinen Helfern, den Söhnen des Kapitäns.
Dan verholte sich zum Bug und studierte durchs Spektiv das andere Schiff. Je näher ihm die Seewölfe gelangten, desto schärfer wurde das Bild, und Dan sah mehr Einzelheiten.
„Eindeutig ein Handelsschiff“, bestätigte er sich selbst. „Vielleicht eine Hansekogge unter dänischer Flagge.“
Das Schiff lag vor Anker, schwamm aber frei. Es hatte sich mit dem Bug in die Richtung des dänischen Hafens gedreht, also lief die Strömung mit der Ebbe.
Neben Dan tauchte der Seewolf auf.
„Sie haben keinen einzigen Fetzen Leinwand mehr an den Rahen“, sagte Dan. „Es sieht aus, als hätte er gebrannt.“
Die Schebecke segelte längst unter der englischen Flagge. Die Arwenacks hatten nichts zu verbergen und auch nicht vor, in diesen Gewässern jemanden zu täuschen. Sie segelten auf den Havaristen zu. Während sich die Wache lauthals über den seltsamen Fund unterhielten, sahen die beiden durch ihre Spektive, daß die Mannschaft des dickbauchigen Schiffes versuchte, das stehende und das laufende Gut herunterzuholen oder neu zu scheren. An den Rahen hingen geschwärzte Reste.
„Von wegen friedliche Nordseeküsten“, murmelte der Seewolf. „Feuer an Bord? Oder sollte jemand Brandpfeile in die Segel geschossen haben?“
Dan zeigte ein ungläubiges Gesicht und fragte: „Jemand, den wir kennen? Vielleicht einer, hinter dem wir her sind?“
„Ich würde es nicht ausschließen“, entgegnete der Seewolf. „Aber ich traue ihm jede Verrücktheit zu, unserem behelmten Polarschrat.“
Jetzt waren die Dänen auf das schnelle Schiff aufmerksam geworden, dessen Segel und Form an dieser Küste außergewöhnlich waren.
Die Kauffahrer winkten und schwenkten, was sie gerade zur Hand hatten, über ihren Köpfen.
„Ich glaube, wir sollten ihnen helfen“, sagte Hasard. „Ben! Wir gehen dicht hinter seinem Heck in den Wind. Klar bei Anker!“
„Verstanden.“
„Holt die Dänen an Deck. Es sind ihre Landsleute.“
„Schon hier“, antwortete Nils Larsen. „Was soll ich sie fragen? Was hast du vor, Sir?“
„Nichts besonderes. Es scheint, als hätten sie Probleme. Vielleicht können wir helfen. Zumindest bringen wir sie in den Hafen, wenn sie wollen.“
„Alles klar, Sir.“
Dan, der Däne und der Seewolf winkten freundlich zu dem Havaristen hinüber. Schon jetzt, als die Schebecke mit vollem Wind an Backbord vorbeirauschte und einen Abstand von weniger als einer Kabellänge hielt, erkannten die Seewölfe, die am Steuerbordschanzkleid standen, die Schäden am anderen Schiff.
Nils hob die Hände an die Lippen und brüllte hinüber: „Braucht ihr Hilfe?“
Der Kapitän, ein breitschultriger Mann in einer pelzbesetzten Jacke, stieß einen dänischen Fluch aus und schrie zurück: „Ein Wahnsinniger hat uns überfallen! Erst als wir ihm Wein, Bier und die Schiffskasse überließen, gab er sich zufrieden.“
„Einer mit Wikingerhelm und Hörnern dran?“ schrie Larsen.
Dan und der Seewolf grinsten einander kopfschüttelnd an.
Im selben Augenblick ging die Schebecke in den Wind, fuhr eine elegante Wende und rauschte hinter dem Heck des Kauffahrers aus. Als die Crew am Anker fragend den Kapitän anstarrte, winkte der Seewolf beschwichtigend.
„Habt ihr die Segel selbst angezündet?“
„Verrückt geworden?“ brüllte der Däne. „Dieser grölende Nordmann hat uns Fackeln in die Leinwand geworfen. Dann segelte er los und lachte wie ein Verrückter.“
Hasard legte Nils die Hand auf die Schultern und sagte: „Frage ihn, was ihm lieber ist. Hilfe an Ort und Stelle, was ich nicht so gern hätte, oder Abschleppen in den Hafen.“
Nils Larsen übersetzte und erhielt eine klare Antwort.
„Ihr werdet eure Segel selbst brauchen. Außerdem passen sie nicht auf unsere Rahen. Schleppt uns, aber nicht nach Esbjerg. Sie plündern einen aus mit dem Hafenzoll. Wir gehen nach Trondköbing. Ist auch näher.“
„Wir haben verstanden. Ein Tau am Bug ausbringen. Dann an einer Boje in die Strömung“, tönte es von der Schebecke.
Auch der Handelsschiffer der „Ragnhylt“ bewies erstklassige Seemannschaft. Ein dickes Tau wurde an ein leeres Faß geschäkelt. Das Auge befestigten die Danen am Fockmast, brachten Sorgleinen aus und belegten das Tau zusätzlich am Gangspill und am Vordersteven, ehe sie es über Bord stemmten und mit Bootshaken von der Bordwand freihielten.
Die Tonne tanzte auf den Wellen und bewegte sich langsam auf den Bug der Schebecke zu.
„Wir ankert nicht. Holt den Tampen“, sagte der Seewolf, „und zieht ihn bis zum Großmast.“
Schließlich fingen sie die Tonne ein, führten das Tau an Backbord bis zum Heck und hievten das nasse Tau über das neue Schanzkleid und die vor Sauberkeit funkelnden Planken bis zum Mast. Das Auge war zu klein, aber schließlich belegten sie das Tau mit mehreren Schlägen und sicherten es mit zwei dicken Spaken.
Wieder vollführte die Schebecke eine enge Wende, schor langsam am Kauffahrer vorbei und schnitt vor dessen Bug. Noch während sie die Segel neu trimmten, hörten sie die Kommandos und die rhythmischen Rufe des Ankerkommandos, das knarrende Quietschen des Gangspills und das Klirren das Kettenvorfachs.