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Über die konkrete Ausgestaltung des Landesausbaus der Klöster in den inneren Alpentälern wissen wir wenig Bescheid. Die Form der klassischen Grundherrschaft mit zentralen Fron- und Dinghöfen unter der Führung von Meiern oder Ammännern, wie wir sie aus dem Mittelland kennen, wird sich im Alpenraum nur teilweise durchgesetzt haben. Die Wirtschaftsweise unterschied sich vom Mittelland. Der Ackerbau war zwar präsent, aber von geringerer Bedeutung. Die sogenannte Verzelgung des Landes, das heisst die Einführung der Dreizelgen-Brachwirtschaft mit Sommerfeld, Winterfeld und Brachfeld wird sich allenfalls an den Rändern zum Mittelland etabliert haben. Den klimatischen Bedingungen angepasst, war der Ackerbau im Alpenraum in einer Feld-Gras-Wirtschaft organisiert, das heisst in einer weniger geregelten Wechselwirtschaft von Acker- und Grasland. Allerdings betrieb man Ackerbau in weit höheren Regionen als wir uns das heute vorstellen. Extensive Viehwirtschaft wird schon früh eine wichtige Rolle gespielt haben, rund um die Gewässer auch die Fischerei; die Abgabenstrukturen der Klöster, die wir aus frühen Grundbesitzverzeichnissen kennen, deuten darauf hin. Zu den Abgaben gehörten unter anderem Milchprodukte (Käse, Ziger), Kleinvieh (Schafe, Ziegen) und je nach Ort Fische. Hinweise auf Grossvieh sind in der Zeit um 1200 selten. Die persönliche Bindung des Einzelnen an den Grundherrn im Rahmen der klösterlichen Genossenschaft wird zumindest teilweise bestanden haben. Den Gotteshausleuten, wie die klösterlichen Genossen genannt wurden, waren Heiratsverbote ausserhalb der Genossenschaft und Erbschaftssteuern (Fall oder Ehrschatz) auferlegt. Gerichtlich gehörten sie dem Personenverband des Klosters (oder auch eines Adligen als Vogt) und nicht einem kommunalen Verband an. Wie dieses theoretische System der Grundherrschaft im konkreten Fall ausgestaltet war, wissen wir aber kaum. Zugehörigkeit zu einer klösterlichen Genossenschaft bedeutete nicht Rechtlosigkeit. So stammten die führenden Familien der inneren Orte in der Regel aus der Gruppe der klösterlichen Ammänner. Typisches Beispiel dafür sind die Gotteshausleute des Fraumünsters in Uri, die nur mehr lose Bindungen nach Zürich hatten. Mit dem Verkauf des Besitzes des Klosters Wettingen an das Land Uri im Jahr 1359 erhielten die Wettinger Gotteshausleute den gleichen Status wie jene des Fraumünsters, waren mit anderen Worten weitgehend frei von personalen Bindungen.
Eine schwache Präsenz des Adels
Die mittelalterliche Feudalgesellschaft, vereinfacht gesagt die Differenzierung zwischen abhängigen Bauern und adligen Herren, scheint im Alpenraum wenig ausgeprägt gewesen zu sein. Dies mag damit zusammenhängen, dass die intensivere Besiedlung des Raums relativ spät erfolgt und vor allem durch die Klöster vorangetrieben worden war. Wie schon beschrieben, ist innerhalb der klösterlichen Organisation eine Führungsgruppe entstanden, die durchaus Berührungspunkte zum Adel haben konnte. Ländliche Potentaten, klösterliche Ammänner und Adlige sind oft schwer auseinanderzuhalten. Sie standen meist in verwandtschaftlichen Verbindungen untereinander und zum Adel im Mittelland und gehörten im weiteren Sinn zum Dienst- oder Ministerialadel («Milites»), der sich im Lauf des 13. Jahrhunderts im Umfeld grosser geistlicher und weltlicher Herrschaften entwickelte.
Die Angehörigen des alten Adels, das heisst die «Nobiles», die Hoch- oder Edelfreien, die sich direkt aus der Königsgefolgschaft rekrutierten, waren im Alpenraum schwach vertreten. Im mittelländischen Vorland gehörten zum Beispiel die Freiherren von Regensberg oder die Herren von Eschenbach, Vögte des Klosters Interlaken, dazu. Die Freiherren von Sellenbüren, Gründer des Klosters Engelberg, waren wahrscheinlich ebenfalls Teil dieser Adelsgruppe. Eine grosse, schwer durchschaubare Gruppe waren die Grafen von Rapperswil, die vor allem in Uri und Schwyz eine starke Stellung hatten und mit Adelsgeschlechtern im Bündner Gebiet, etwa den Herren von Vaz, verbunden waren.8 Die Hunwil in Luzern und später in Ob- und Nidwalden gehörten vielleicht auch dazu. In Obwalden präsent waren die Herren von Wolhusen. In Uri erreichten die Herren von Attinghausen-Schweinsberg, mit verwandtschaftlichen Verbindungen ins Emmental und den Aareraum, in der Zeit um 1300 eine grosse Bedeutung.
Tschudi schreibt in seiner Schweizer Chronik, dass dies «herren und edelknecht […] selbs mittlantlüt und mittregierer» waren. Das heisst, der Adel war Teil der kommunalen Körperschaft. Damit wird er nicht unrecht gehabt haben. Sie gehörten zur Führungsgruppe, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts bei der Konstituierung der Waldstätte eine bedeutende Rolle spielte, vor allem auch weil sie ein grosses Interesse daran hatte, den Frieden nach innen und damit auch ihren Besitz zu schützen.
Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass der Alpenraum im Vergleich zum Mittelland oder anderen Reichslandschaften schwach feudalisiert war. Dies gilt nicht nur für die Innerschweiz, sondern für den Alpenbogen generell. Ein paralleles Beispiel sind die Südalpentäler in der französischen Dauphiné beidseits der heutigen französisch-italienischen Grenze, in der sich im Lauf des 13. und 14. Jahrhunderts mit den «Escartons de Briançon» ähnliche, kommunal verfasste Strukturen entwickelten. Die Landeshoheit verblieb aber mit dem Übergang der Dauphiné an Frankreich im Jahr 1349 beim französischen König.
Mit dem besseren Zugang zu den zentralen Alpenpässen und der wachsenden Bedeutung des Warenverkehrs von Nord nach Süd und umgekehrt geriet aber der Raum an Gotthard und Simplon verstärkt in den Fokus einerseits der Reichs- und Italienpolitik der Könige und ihrer Gefolgschaft, und wurde andererseits Teil des Wirtschaftsraums der den Handel dominierenden Städte, allen voran Mailand.
Die Pässe der Zentralalpen werden wichtig
Der Hildesheimer Bischof Gotthard, 1038 gestorben und 1113 heiliggesprochen, war Schutzpatron einer 1230 vom Mailänder Erzbischof geweihten Kapelle auf dem Monte Tremolo am Südhang des Gotthards. Er wurde zum Namensgeber des Passübergangs, der in den Jahrzehnten zuvor mit der Öffnung der Schöllenenschlucht besser zugänglich und damit für den Warenverkehr nutzbar geworden war. Auch die Kirche von Simplon ist 1235 dem heiligen Gotthard geweiht worden, dem Schutzpatron für Passkirchen. Die religiöse Versorgung der Passrouten deutet darauf hin, dass diese stark an Bedeutung zugenommen hatten. Hinweise zum Umfang des Warenverkehrs kennen wir erst aus der Zeit um 1300 von der savoyischen Zollstelle in Saint-Maurice und der habsburgischen in Luzern. Das Warenaufkommen am Gotthard scheint etwa doppelt so hoch wie am Simplon gewesen zu sein, war allerdings Schwankungen unterworfen. So haben zum Beispiel die nach dem Tod König Rudolfs von Habsburg im Sommer 1291 ausgebrochenen Konflikte den Verkehr am Gotthard deutlich beeinträchtigt und für eine starke Zunahme am Simplon und am Grossen St. Bernhard gesorgt.9 Die wachsende Bedeutung der Alpenpässe ist ohne die Rolle der Städte nicht zu verstehen. Dabei ist nicht nur die weit entwickelte Wirtschaftskraft der lombardischen Städte, besonders Mailands, zu betonen. Auch nördlich der Alpen entwickelte sich die Städtelandschaft seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert rasant. Es ist wohl kein Zufall, wenn König Friedrich II. Bern und Zürich nach dem Aussterben der Zähringer 1218 zu Reichsstädten aufwertete. Die Impulse von Bevölkerungszunahme und wirtschaftlichem Wachstum im 12. und 13. Jahrhundert brachten im Raum zwischen Bodensee und Genfersee eine dichte Städtelandschaft hervor. Zu den alten, in spätrömischer Tradition stehenden Orten wie Genf, Lausanne, Sitten, Solothurn, Basel, Zürich, Konstanz und Chur, oft auch Bischofssitze, kamen Dutzende mehr oder weniger erfolgreiche Neugründungen hinzu. Grössere und kleinere Adelsgeschlechter versuchten damit, ihren Machtbereich zu konsolidieren und wirtschaftlich aufzuwerten. Die Zähringer Gründungen Freiburg und Bern sind frühe Beispiele dafür. Dabei ging es um regional ausgerichtete Wirtschaftszentren, wie die Kyburger Städte Winterthur oder Frauenfeld im Thurgau oder die Habsburger Städte Brugg oder Bremgarten im Aargau. Die Gründung von Liestal, Olten und Zofingen im späten 13. Jahrhundert durch die Grafen von Froburg ist hingegen nur vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der Strasse über den Hauenstein als Zugangsweg von Basel nach Luzern und zum Gotthard zu verstehen.
Nicht zu unterschätzen ist auch der verstärkte kulturelle Austausch dank dem besseren Zugang über Simplon und Gotthard nach dem Süden. Die adlige Gefolgschaft lernte auf den Italienzügen der staufischen Könige und in deren Auseinandersetzungen mit den lombardischen Städten die weit urbaner geprägte und wirtschaftlich weiter entwickelte Kultur Italiens kennen und wird diese auch zum Vorbild genommen haben. Baute der Adel noch in der Zeit um 1200 in grosser Zahl Burgen, konzentrierte er sich Ende des 13. Jahrhunderts weit stärker auf seine Städte, förderte sie und baute dort feste Wohnsitze. Im militärischen Gefolge des Adels zogen auch der Ritteradel und die ländlichen Führungsgruppen mit nach Italien. Die Schwyzer Landleute, die im Jahr 1240 vor Faenza von Kaiser Friedrich II. ein Reichsprivileg erhielten, werden nicht als ungeordneter Haufen nach Süden gezogen sein, sondern unter der Führung eines Adligen, vielleicht eines Grafen von Rapperswil oder gar zusammen mit Rudolf IV. von Habsburg. Und sie erwarteten eine Entschädigung. Von der Königsgefolgschaft zum Reichsprivileg und zum Solddienst war es ein kurzer Weg.
Die Bewohner des zentralen Alpenraums lebten zu Beginn des 13. Jahrhunderts nicht mehr in einem peripheren Raum, sondern standen in wachsendem Austausch mit dem mittelländischen Vorland und dem nunmehr besser zugänglichen Süden.
… und die alte Freiheit?
Die frühere Forschung hat versucht – von einem Freiheitsbegriff des 19. Jahrhunderts geprägt –, in der Innerschweiz möglichst viele, sogenannt freie Leute dingfest zu machen. Schon für Wilhelm Oechsli 1891 und dann vor allem für Karl Meyer 1927 war die Existenz von freien Leuten, die keinem Grundherrn, sondern nur dem Landesherrn beziehungsweise direkt dem König verantwortlich gewesen seien, eine Voraussetzung für die Bildung von kommunalen Organisationen, die sich direkt König und Reich verpflichtet gefühlt hätten.10 Sie argumentierten dabei unter anderem mit der Rodungsfreiheit. Adel und Klöster hätten als Entgelt für Rodung und Landesausbau diesen Gruppen individuelle Freiheit verliehen. Auch für Tschudi waren diese «frijen landtlüt» von zentraler Bedeutung. Sie seien in der Nachfolge der römischen Kolonisatoren schon immer da gewesen. Der Adel habe sie dann bedrängt und zu unterwerfen versucht.
Diese Argumentation wird durch die vorhandenen Quellen nicht gestützt. Es ist tatsächlich so, dass auch noch das berühmte Habsburger Urbar, das grosse Besitzverzeichnis aus dem frühen 14. Jahrhundert, sogenannt freie Vogtleute erwähnt. Diese gab es, mehr oder weniger zahlreich, auch im Mittelland. Sie standen aber, wenn sie nicht im Dienstadel aufsteigen konnten, im 13. und 14. Jahrhundert oft auf der Verliererseite. Ohne Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe eines Klosters oder eines Adligen waren sie von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt. Es gibt denn auch zahlreiche Beispiele dieser freien Vogtleute, die sich freiwillig in die Abhängigkeit eines Herrn begeben haben, um letztlich dort Karriere zu machen.
Was für das Mittelland gilt, wird auch für die Alpentäler nicht falsch gewesen sein. Wie oben beschrieben waren die späteren Waldstätte geprägt von grossen Gruppen von den Klöstern zugehörigen Gotteshausleuten. In Unterwalden und Uri wohl mehr, in Schwyz wahrscheinlich weniger. Aber: Die Zugehörigkeit zu diesen klösterlichen Genossenschaften war wahrscheinlich schon im 13. Jahrhundert schwach oder ist im Lauf der Zeit schwächer geworden. Für die Leute des Fraumünsters in Uri ist dies offensichtlich. Für die politische Entwicklung zu den kommunalen Organisationsformen, die sich in der Zeit um 1300 ausbildeten, ist die Frage ob frei oder nicht frei aber nicht von Bedeutung. Die kommunalen Strukturen wurden an Ort von den Führungsgruppen aufgebaut, die selbst in unterschiedlichsten Abhängigkeiten zueinander und gegen aussen standen. Ländliche Potentaten, klösterliche Ammänner und Adlige bildeten diese Gruppe, die eine eigenständige Politik gegen aussen zu entwickeln begannen. Darunter wird es auch einige Altfreie gegeben haben …
Keiser Fridrich belegert die statt Faventz in Italia, begert von den waltstetten Uri, Switz und Underwalden hilff, dera si bewilgtend, doch mit andingung [der Bedingung], das er inen brief und sigel geb, das si frije völcker sigind und uss frijem willen sin und des richs beherrschung angenommen hettend und vom rich niemer verendert söltind werden.
[…] Der keiser versampt [versammelt] ein hör [Heer], die abfelligen stett gehorsam ze machen und des papsts ungestüme ze tämmen, schickt ouch harumb sine erbre botten zuo den drijen waltstetten Uri, Switz und Underwalden umb hilff, liess inen anzeigen, wie unbillich und on alle redliche ursach der papst inne understuonde underzetrucken, und wie er in Italia ein hör versampt, in willen die stat Faventz ze belegern, und so si im jetz ir hilff erzeigtind, weit ers in guotem alzit gegen inen erkennen. Die waltstett gabend antwurt, si sigind von irn vordem har frije völcker und allein dem rich in tütschen landen verpflicht gewesen, aber übel geschirmpt worden, und so verr er inen brief und sigel geben, das si frij sigind und das si uss frijem unbezwungnem willenb sich under sin und des römischen richs beherrschung undergeben und si ze jeden ziten schützen und schirmen, ouch vom rich niemermer verendern welle, so wellind si imm und is dem rich gehorsame leisten und inne für irn herren erkennen, ouch alsdann die begerte hilff umb gebürende besoldung in Italiani tuon. (Aegidius Tschudi, Chronicon Helveticum, nach Stettler 2, 1974, 120f.)
Königsdienst und Reichsfreiheit – die Waldstätte im 13. Jahrhundert
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Kaiser Friedrich belagert im Jahr 1240 die Stadt Faenza in der Nähe von Ravenna und begehrt von den Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden Hilfe, welche diese bewilligen, jedoch mit der Bedingung, dass er ihnen mit Brief und Siegel bestätigt, dass sie «frije völcker sigind und uss frijem willen sin und des richs beherrschung angenommen hettend». So beschreibt Aegidius Tschudi die Erlangung des Reichsprivilegs der Schwyzer – nur der Schwyzer. Es gilt, neben dem Reichsprivileg von Uri aus dem Jahr 1231, das nicht im Original erhalten ist, gleichsam als der Ritterschlag für die späteren Behauptungen der Waldstätte, sie seien von alters her frei gewesen. Dies umso mehr, als die Originalurkunde bis heute im Staatsarchiv Schwyz beziehungsweise im Bundesbriefmuseum sorgsam gehütet wird. Die Bedeutung dieser Urkunde ist nicht zu unterschätzen, auch weil sie schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts zur Konstruktion einer gemeinsamen Vergangenheit der drei Waldstätte diente. Gegenüber König Ludwig dem Bayern haben es Schwyz, Uri und Unterwalden geschafft, sich 1316 und in der Folge eine gemeinsame Rückbesinnung auf das Jahr 1240 bestätigen zu lassen, wie weiter unten zu zeigen sein wird, obwohl einzig Schwyz eine solche Urkunde noch heute vorweisen kann. Tschudi hat diese Konstruktion in seiner Schweizer Chronik untermauert beziehungsweise als selbstverständlich angenommen. Um diese Vorgänge zu verstehen, muss das Umfeld der staufischen Aktivitäten in Norditalien um 1240 und vor allem der in dieser Zeit anbrechende Kampf zwischen Kaiser und Papst genauer beleuchtet werden. Und in diesen Jahren treten auch die Habsburger auf das politische Parkett der Innerschweiz.11
Privilegien für Uri und Schwyz
Die Neuordnung der Verhältnisse nach dem Aussterben der Zähringer im Jahr 1218 brachte den Raum zwischen Genfersee und Bodensee in Bewegung. Der Stauferkönig Friedrich stärkte seine Position, indem er einige der zähringischen Reichslehen zu seinen Handen nahm, neben den Städten Bern und Zürich zum Beispiel das Haslital, aber auch die Täler Blenio und Leventina südlich des Gotthards. Dies deutet darauf hin, dass der Gotthardpass in diesen Jahren an Bedeutung gewann. Durch das Aussterben der mächtigen Dynastien der Lenzburger und Zähringer stand der Kaiser einer Vielzahl von Ansprechern an Reichslehen gegenüber, neben den Adelsgeschlechtern wie den Kyburgern, Habsburgern, Savoyern, Rapperswilern und anderen auch die Talschaften wie Uri, Urseren oder Hasli. Wie diese Talschaften verfasst waren, ob bereits kommunale Strukturen gelebt wurden, wissen wir nicht.
Nach 1218 scheinen die Habsburger im Besitz der Reichsvogtei Uri gewesen zu sein, ob als Pfand oder Lehen ist nicht bekannt. Wir können dies indirekt daraus schliessen, dass Friedrichs Sohn, König Heinrich (VII.), 1231 im elsässischen Hagenau diese Verleihung oder Verpfändung gegenüber dem Habsburger Rudolf III. rückgängig und Uri zur reichsfreien Talschaft machte. Dies wird nicht ohne Entschädigung abgelaufen sein, die Urner werden sich ausgekauft haben. Allerdings ist eine originale Urkunde zu diesem Vorgang nicht mehr erhalten und nur durch Tschudi überliefert. Das Land Uri beruft sich Mitte des 14. Jahrhunderts – wieder nach Tschudi – auf diese Tradition, und zwar in der Privilegienbestätigung von Kaiser Karl IV. vom Oktober 1353 in Zürich.12 Die Überlieferungsgeschichte zum Land Uri ist, wahrscheinlich unter anderem wegen eines Archivbrandes im Jahr 1799, dünn. Tschudi notiert aber zu 1353 für Uri eine andere Privilegienreihe als für Schwyz und Unterwalden.13 Dies deutet darauf hin, dass er die Urkunde von 1231 tatsächlich gekannt und abgeschrieben hat. Die historische Einbettung dieser Rücknahme ans Reich ist durchaus schlüssig. Etwa zur gleichen Zeit wird das Urserental als Reichsvogtei den Rapperswilern, unter anderem Herren von Göschenen, verliehen. Das Tal war bisher unter der Herrschaft des Klosters Disentis stark auf den Ost-West-Verkehr zwischen dem Vorderrheintal und dem Oberwallis ausgerichtet gewesen. In den 1230er-Jahren häufen sich aber Nachrichten zum Nord-Süd-Passverkehr über den Gotthard. Die staufischen Könige werden dieser neuen Bedeutung des Gotthards Rechnung getragen und ihren Einfluss am Passweg verstärkt haben.
Das Reichsprivileg von Kaiser Friedrich II. vom Dezember 1240 in Faenza könnte man in einen ähnlichen Kontext stellen: Privilegierung einer Talschaft am Weg zum Gotthard. Man kann es aber auch ganz anders lesen. 1239 war der Konflikt zwischen Kaiser und Papst wieder aufgeflammt. Und die Habsburger, Landgrafen im Aargau und westlichen Zürichgau mit Ansprüchen bis nach Unterwalden und Schwyz, hatten ihren Besitz aufgeteilt. Rudolf III., genannt der Schweigsame, hatte dabei die Ansprüche in der Innerschweiz übernommen. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Habsburger Linie, die sich nach ihrem Stammsitz später Habsburg-Laufenburg nannte, auf dem Meggenhorn am Vierwaldstättersee mit der Neu-Habsburg ein neues Herrschaftszentrum aufbauen wollte. Ein Vorhaben, das aber in den Anfängen steckenblieb. Die Reste der Neu-Habsburg wurden von der Stadt Luzern 1351 im Konflikt zwischen Habsburg-Österreich und Zürich zerstört. Rudolf III. schlug sich 1239 auf die päpstliche beziehungsweise antistaufische Seite. Sein Neffe Rudolf IV., Sohn seines Bruders Albrecht IV., der wahrscheinlich 1239 von einem Kreuzzug ins Heilige Land nicht mehr zurückkehrte, war hingegen staufertreu. Der Legende nach soll König Friedrich II. gar sein Taufpate gewesen sein. Rudolf IV. übernahm 1240 Verantwortung für den Besitz seines Familienteils, wozu unter anderem der Raum Brugg-Bremgarten, Zug, das Fricktal und Besitz im Elsass dazugehörten. 1240 war unter den Habsburgern deswegen eine innerfamiliäre Fehde ausgebrochen, die auch gewalttätige Aktionen gegeneinander umfasste. Rudolf IV. hielt sich im Mai 1241 im kaiserlichen Gefolge vor Faenza auf. Es ist gut möglich, dass er und die Schwyzer im kaiserlichen (Sold-)Dienst gleichzeitig und mit denselben Interessen vor Faenza beim Kaiser gewesen waren.14
Der Kampf um das staufische Erbe
Ob die Habsburger je konkret vogteiliche Rechte über Schwyz und Unterwalden ausgeübt haben, bleibt fraglich, die Indizien sind schwach. Sie haben wahrscheinlich versucht, während der Wirren um das staufische Erbe ihre Ansprüche durchzusetzen. Rudolf III. hielt sich im Mai 1242 bei Kaiser Friedrich in Capua in Süditalien auf. Er scheint sich vorübergehend wieder mit dem Kaiser versöhnt zu haben, wandte sich aber spätestens nach der Absetzung Friedrichs durch den Papst 1245 wieder der gegnerischen Seite zu. Ein päpstliches Dokument von Ende August 1247 weist darauf hin, dass die Leute von Schwyz und Sarnen nach wie vor dem Staufer treu und von Rudolf III. von Habsburg-Laufenburg abgefallen seien. Die Geschichtsschreibung hat daraus einen Aufstand der Schwyzer und Obwaldner gegen den Habsburg-Laufenburger gemacht. Als Beweis der Vogteiherrschaft der Habsburger über Schwyz wird gern eine Urkunde von Juni 1217 herangezogen. Gemäss diesem Dokument schlichtete Graf Rudolf II. von Habsburg, genannt der Alte, als «von rechter erbeschaft rechter voget und schirmer der vorgenanden luten von Swiz» einen Konflikt zwischen dem Kloster Einsiedeln und den Landleuten von Schwyz im Rahmen des immer wieder aufflammenden Marchenstreits. Die Urkunde ist nur als deutsche Übersetzung in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts überliefert und wird heute als Fälschung gewertet.15 Zusammengefasst: Die später immer wieder reklamierten und hochstilisierten Rechte der Habsburger in der Innerschweiz aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entpuppen sich bei näherem Hinsehen als nebulös, kaum greifbar und können höchstens als Ansprüche benannt werden. Ähnlich nebulös wie der Übergang von ehemals kyburgischem Besitz in der Innerschweiz an die Habsburger im Jahr 1273. Darauf wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein.
In den Wirren der 1240er-Jahre bis zum Tod von Kaiser Friedrich II. 1250 und der anschliessend definitiven Wende gegen die Staufer blieb auch das Mittelland nicht von Konflikten verschont. Die Stadt Bern, seit 1218 Reichsstadt, blieb staufertreu. Sie vertrat mehr und mehr Interessen über das eigene Stadtgebiet hinaus, hatte zum Beispiel 1224 von König Heinrich (VII.) den Schutz des Klosters Interlaken übertragen erhalten, der Anfang einer bernischen Interessenpolitik im Oberland. 1243 erneuerte Bern ein offenbar älteres Bündnis mit dem seit 1218 kyburgischen Freiburg, das zur antistaufischen Koalition zählte. Die beiden Städte wollten damit Konflikten vorbeugen. Neben Bern waren auch die anderen Reichsstädte Zürich und Konstanz staufertreu und beteiligten sich zum Beispiel 1247/48 an der Belagerung des päpstlich orientierten Luzern. Bern soll dabei an der Spitze der «Eidgenossen im Burgund» vor Luzern erschienen sein.16
Für Luzern bedeutete die erfolglose Belagerung durch die staufertreuen Städte das Ende einer konfliktreichen Zeit. Ab 1252 söhnten sich die allermeisten Gegenparteien aus, auch die verfeindeten Habsburger Familienteile. Die Stadt Luzern, hervorgegangen aus der Propstei St. Leodegar des Klosters Murbach im Elsass, scheint um 1250 bereits eine respektable Grösse erreicht zu haben und wird seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts vom wachsenden Verkehr über den Gotthard profitiert haben. Stadtherren waren nominell die Habsburger, Vögte des elsässischen Klosters. Eine Aussöhnung fand auch in der Stadt selbst statt, in der offenbar päpstliche und kaiserlich gesinnte Bevölkerungsteile gegeneinander gestanden hatten. Der Papst hatte 1247 im selben Dokument, in dem er den Leuten von Schwyz und von Sarnen den Kirchenbann angedroht hatte, dasselbe auch Luzern in Aussicht gestellt, falls sie sich dem Staufer zuwenden würden. 1252 beeidete die Luzerner Bürgerschaft den sogenannten geschworenen Brief, einen Stadtfrieden, der ähnlich tönt wie der Bundesbrief von 1291 zwischen Uri, Schwyz und Unterwalden. Die Luzerner sollten untereinander Frieden halten und sich auch nicht in Fehden ausserhalb der Stadt, insbesondere um den See und unter den «Waldleuten», den «Intramontanes», einmischen.17
Rudolf von Habsburg im Vormarsch
Das Abflauen der Konflikte um das Staufererbe nach 1252 war aber nicht das Ende einer gewalttätigen Zeit. Die Jahre bis zur Wahl von Rudolf IV. von Habsburg zum König des Heiligen Römischen Reichs 1273 werden gemeinhin als Interregnum bezeichnet, als Zeit zwischen der Königsherrschaft oder als königslose Zeit. Dies stimmt der Form nach nicht. 1245, nach der päpstlichen Absetzung von Kaiser Friedrich, wählten seine Gegner mit Heinrich Raspe einen Gegenkönig, nach dessen Tod mit Wilhelm von Holland erneut einen Kontrahenten, gesetzt gegen Friedrichs Sohn Konrad IV. Wilhelm von Holland war wenig präsent im Reich, und seine beiden 1257 gleichzeitig gewählten Nachfolger, Richard von Cornwall, der Bruder des englischen Königs, und Alfons von Kastilien, glänzten vollends durch Abwesenheit. Die königslose Zeit war in diesem Sinn eine Zeit mit Königen in Abwesenheit.