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„Hallo, Oscar!“, begrüßte ihn Hansi freudestrahlend. Hansi war ein Nachbarhase und zwei Jahre älter als Oscar. „Was machst du denn hier? Ich dachte deine Ausbildung ist erst im nächsten Jahr beendet?“
„Das stimmt ja auch“, bestätigte Oscar. „Aber mein Vater ist krank und ich darf als Aushilfe seine Tour übernehmen.“
„Das ist ja toll. Dein Vater wird ganz stolz auf dich sein!“, rief Hansi und klopfte dem Jüngeren anerkennend auf die Schulter. „Was hast du denn für eine Route? Zeig doch mal deinen Tourplan“, sagte er zu Oscar. Auf dem Plan waren, wie jedes Jahr, die Häuser der Menschen und ihre Namen eingezeichnet, die beliefert werden sollten.
„Oh je, du musst zu Familie Hempel in die Oststraße!“, rief Hansi erschrocken nach einem kurzen Blick auf den Plan.
„Was ... was ist denn da so Schlimmes?“ Oscar war kein Angsthase, aber der Ausruf seines Freundes hatte ihn schon erschreckt.
„Die haben einen großen Hund, der auf ihrem Grundstück frei herumläuft. Mein Onkel hat mir mal erzählt, dass er diese Tour hatte und sich bei der Flucht vor dem Hund verletzt hat“, erklärte Hansi. In diesem Moment erklang auch schon das Signal zum Aufbruch. „Tut mir leid Oscar, aber wir müssen jetzt los. Ich wünsche dir viel Glück!“, rief der Freund und hoppelte davon.
Alle anderen Osterhasen machten sich auch schon auf den Weg. Nur Oscar stand noch da und dachte mit Schrecken an den großen Hund von Hempels. Doch er wollte die Kinder nicht enttäuschen, die bald aufstehen und ihre Ostereier suchen würden. Also fasste er sich ein Herz und begann ebenfalls mit seiner Tour.
Nach zwei Stunden Arbeit hatte er nur noch die Familie Hempel auf dem Plan. Bis jetzt war alles ganz gut gelaufen, aber die Aussicht auf die Begegnung mit einem Hund, machte Oscar nervös.
Vorsichtig näherte er sich der Hecke, die das Haus umgab, und schlich sich in gebückter Haltung hindurch. Er legte ein Ei behutsam auf der Wiese ab und hoppelte auf eine andere Stelle zu, die ihm geeignet erschien, um erneut ein Osterei abzulegen.
Da geschah es. Mit lautem Gebell sprang ein großer, schwarzer Hund um die Ecke, genau auf Oscar zu. Seine Zähne waren gefletscht und ekliger Sabber lief ihm aus dem Maul. So schnell er konnte, hüpfte Oscar mit großen Sprüngen in Richtung Hecke davon, um im letzten Moment die rettende Straße zu erreichen. Der Hund war glücklicherweise zu groß, um durch die Hecke zu passen und so stand er noch auf der anderen Seite und kläffte wild.
Oscar war völlig außer Atem. Bei dem Sprung durch die Hecke hatte er sich außerdem noch an der Hinterpfote verletzt, die ihm jetzt höllisch wehtat.
„Mir ist das Gleiche passiert wie dem Onkel von Hansi“, dachte Oscar verzweifelt. „Wie soll ich denn jetzt meinen ersten Auftrag erfolgreich beenden?“
„Soll ich dir helfen?“, erklang plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihm. Verblüfft drehte sich der junge Hase zu dem Sprecher der Stimme um. Vor ihm stand ein Mann und schaute ihn mitleidvoll an. Drei Dinge waren seltsam, bemerkte Oscar. Wie konnte sich ein Mensch, einem Hasen so weit nähern, ohne dass dieser ihn witterte? Warum konnte dieser Mensch die Hasensprache? Warum kam der Mann ihm so bekannt vor?
Auf alle diese Fragen wusste er keine Antwort, aber der Mann machte einen sehr freundlichen Eindruck. „Kannst du mir denn helfen?“, fragte Oscar deshalb vertrauensvoll.
„Natürlich kann ich das. Ich hab gerade Urlaub und helfe immer gerne!“, rief der Mann und lachte. Ohne irgendwelche Anzeichen von Angst machte er sich mit den letzten Eiern aus dem Korb auf den Weg durch das Eingangstor, aus sicherer Entfernung von Oscar beobachtet. Mit einer Seelenruhe verteilte der Mann die Eier, immer gefolgt von dem großen Hund, der sich freudig schwanzwedelnd von ihm streicheln ließ.
„Vielen Dank“, sagte Oscar staunend zu dem seltsamen Mann, als dieser mit dem Verteilen der Eier fertig war.
„Keine Ursache, hab ich doch gern gemacht für einen Kollegen!“ Dabei lachte er wieder, setzte sich eine rote Zipfelmütze auf den Kopf und ging zu einem Schlitten, der gezogen von Rentieren gerade auf der Straße gelandet war. „Es war mir eine Ehre die Aushilfe für dich zu sein, Oscar“, sagte er zum Abschied und flog in seinem Schlitten mit einem lauten „Ho, ho, ho!“ davon.
Armin Niederhäuser ist 45 Jahre alt, glücklich verheiratet und wohnt mit seiner siebenköpfigen Familie und einem kleinen Hund im schönen Westerwald. Wenn es die Zeit erlaubt, liest und schreibt er gerne Geschichten.
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Der Hase mit der Schnupfennase
Auf einem kleinen Acker versteckt unter der Erde lag der Bau von Fridolin Hase. Eigentlich wohnen Hasen ja nur in einer Mulde. Doch Fridolin hatte diese Art des Wohnens noch nie gemocht. Er bevorzugte die Wohnweise seiner Verwandten, der Kaninchen. So konnten ihm weder Kälte noch Hitze etwas anhaben und er und sein Schaffen blieben unentdeckt.
Fridolin Hase hatte sich gemütlich eingerichtet. Es gab eine kleine Schlafstube, eine winzige Küche und ein großes Arbeitszimmer. Dort standen an den Wänden hohe Regale und in der Mitte ein großer Tisch. Überall lagerten bunte Tiegel und alte Dosen mit dicken und dünnen Pinseln. In der hintersten Ecke schloss sich eine große Kühlkammer an. Sie war von oben bis unten gefüllt mit frischen Eiern vom nahe gelegenen Hühnerhof.
Gerade stand Fridolin darin und griff nach einem der Eierkartons, da begann seine Nase schrecklich zu jucken und im gleichen Augenblick musste er heftig niesen. „Hatschiiii!“, schallte es durch den Bau und noch einmal: „Hatschiiiii!“ Fridolins ganzer Körper zuckte dabei. Die Eier kullerten aus dem Karton und fielen auf den Boden. „Ach, auch das noch!“, schimpfte er, eilte hinaus und machte sich auf die Suche nach dem Putzzeug.
Eine Stunde später hatte Fridolin Hase schon eine ganz rote Nase vom ständigen Schnäuzen und immer wieder erbebte der Hasenbau unter seinem Niesen.
Plötzlich stand Frau Spitzmaus mit einem besorgten Gesicht in der Tür. „Du bist aber schrecklich erkältet, mein Lieber!“ Sie schaute ihn kopfschüttelnd an. „Ich mache dir jetzt erst einmal einen heißen Tee. Und dann legst du dich sofort wieder ins Bett.“
„Aber das geht doch nicht!“, protestierte Fridolin. „Übermorgen ist Ostern. Die Kühlkammer ist voller Eier, die ich noch hübsch anmalen muss. Ich habe keine Zeit, mich krank ins Bett zu legen!“
Frau Spitzmaus warf einen prüfenden Blick auf den Arbeitstisch. Dort lagen einige Eier, an denen der Hase wohl bis eben gemalt hatte. Die Farben waren ineinander gelaufen und die Muster ungleichmäßig. „Die Eier kannst du sowieso nicht in die Nester legen. Da ist dein Ruf für die nächsten hundert Jahre verdorben!“, meinte sie ehrlich.
Fridolin schaute betreten. „Ist es ... Hatschiiiiii ... so schlimm?“
„Schlimmer! Und jetzt leg dich endlich hin. Der Tee ist gleich fertig.“ Frau Spitzmaus setzte den Wasserkessel auf den Herd und wenig später hielt der Hase eine Tasse mit dampfendem Kräutertee in der Hand.
„Der riecht aber komisch …“, murmelte Fridolin. Aber tapfer trank er Schluck um Schluck und schlief kurz darauf ein.
Als sein Schnarchen gleichmäßig durch den Bau zog, nickte Frau Spitzmaus zufrieden. Eilig huschte sie hinaus und kam wenig später mit ihren drei Kindern und deren Freunden zurück. „Dass ihr mir ja leise seid!“, mahnte sie am Eingang des Hasenbaus noch einmal. „Der Osterhase ist sehr krank und nur, wenn er sich jetzt gut ausruht, kann er am Sonntag seine Arbeit machen.“
„Aber klar doch!“, antwortete der Wühlmausjunge. „Ist echt cool! Ich mal mir heute meine eigenen Ostereier …“ Er stieß die kleine Feldmaus neben sich an.
„Aua!“, quietschte diese erschrocken und Frau Spitzmaus sah die beiden böse an. „Was habe ich euch eben gesagt?“
Die Mäusekinder senkten ihre Köpfe. „Leise sein …“
Als Fridolin nach zwei Stunden erwachte, traute er seinen Augen kaum. In seinem Arbeitszimmer drängten sich ganz viele Mäuse und malten die Eier bunt. Ein munteres Flüstern erfüllte den Raum und er hätte gerne noch ein wenig gelauscht, wenn er nicht schon wieder hätte niesen müssen. „Hatschiiii!“
Die Mäuseschar drehte sich erschrocken um. Frau Spitzmaus drängelte sich durch. „Herr Hase! Waren wir zu laut?“
„Nein! Ist schon in Ordnung! Aber, was machen Sie denn da? Meine kostbaren Eier. Die brauche ich doch am Sonntag!“
„Ich weiß!“, antwortete Frau Spitzmaus spitz. „Ich hoffe, die Kinder werden bis dahin fertig.“
„Die Kinder?“ Fridolin war verwirrt.
„Fridolin Hase!“ Frau Spitzmaus stemmte die Hände in die Hüften und sah den Osterhasen streng an. „Die Kinder malen sehr schön. Du ruhst dich aus und trinkst noch einen Tee. Nur dann kannst du am Sonntag deine Arbeit machen!“
Fridolin hatte keine Wahl. Brav legte er sich wieder hin und trank den Kräutertee. Er schmeckte bitter, aber er half.
Schon am Samstagabend musste Osterhase Fridolin kaum noch niesen und am Sonntag konnte er wirklich den Korb aufsetzen und die vielen wunderschönen Eier verteilen. Frau Spitzmaus und die Mäusekinder hatten tolle Arbeit geleistet. Fridolin war ihnen sehr dankbar und versteckte in ihren Nestern noch eine kleine Papierrolle. Wie groß war bei allen die Überraschung, als sie lasen:
Ein jedes Ei gemalt so schön.
Ich hab die Kinder staunen sehn,
haben sich recht gefreut und froh gelacht.
Das habt ihr wirklich gut gemacht!
Ich danke sehr und lad euch ein,
auch nächstes Jahr dabei zu sein.
Es grüßt euch lieb der Osterhase,
der Fridolin mit roter Nase!
Martina Decker wurde 1964 in Bremen geboren. Sie lebt in Hackenheim in der Nähe von Bad Kreuznach. Wenn sie nicht arbeitet oder schreibt, genießt sie das Leben mit Familie und Freunden, spielt in einer Laienspielgruppe Theater oder liest ein Buch. Sie veröffentlichte bisher Haiku, Gedichte und Kurzgeschichten in diversen Anthologien.
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Warum wir dieses Jahr Ostern feiern können
Im Garten strecken sich die ersten Grashalme durch den Schnee. Marlon hockt sich nieder und versucht den tauenden Schnee zu greifen. „Das wird kein Schneemann mehr“, stellt er enttäuscht fest. „Der Schnee ist zu matschig.“
„Ich wollte sowieso nur schaukeln“, antwortet Merle, seine kleine Schwester. Sie geht zur Schaukel, die unter einem dicken Ast des riesigen Baumes in ihrem Garten steht, schaut hoch und freut sich: „Guck mal, Marlon! Die ersten Blätterknospen wachsen! Dann ist es jetzt Freuling!“
Marlon schüttelt den Kopf: „Merle, es ist Frühling! Ich werde den schönen Schnee vermissen.“
Marlon möchte Merle auf die Schaukel helfen, als es plötzlich hinter dem dicken Stamm des großen Baumes zu rascheln beginnt. Merle will hinrennen, doch Marlon hält sie fest.
„Psst“, flüstert er und legt ihr den Zeigfinger auf die Lippen. „Vielleicht ist es ein Vogel? Wir müssen leise sein und langsam schleichen, wenn wir ihn sehen wollen!“
Vorsichtig tapsen beide über die Wiese und schauen neugierig um den Baumstamm.
„Eiersalat! Riesen Eiersalat! So was von Eiersalat!“, schimpft eine zarte, wütende Stimme hinter dem Baumstamm.
Marlon und Merle trauen ihren Augen nicht! Dort sitzt ein Hase, der Marlon gerade bis zu den Knien reicht, er trägt dicke Schneestiefel, eine bunte Hose, eine Winterjacke und auf seinen Rücken einen leeren Korb. Rund um ihn herum liegen lauter zerbrochene Eier.
„Der Osterhase“, ruft Merle begeistert und klatscht in die Hände. Marlon will gerade „Psst“ rufen, da hat der Hase die Kinder schon bemerkt.
„Oh nein, oh nein! Das darf doch nicht sein!“, fiepst der Hase aufgeregt und versucht wegzuhoppeln, rutscht auf der Eierpampe aus und landet – RUMS – auf seinen Hasenpopo.
„Können wir dir helfen? Du brauchst keine Angst vor uns zu haben“, versucht Marlon den Hasen zu beruhigen.
„Mir helfen? Mir helfen können nur noch Elfen!“, bemerkt der Hase in einem sehr verärgerten Ton. „Ihr dürftet mich gar nicht sehen, darf hier nicht mehr stehen! Wenn meine Familie das erfährt, ist es um mich beschert!“
Marlon reicht dem aufgewühlten Hasen die Hand, hilft ihm beim Aufstehen und versichert ihm: „Wir verraten nichts. Versprochen!“
„Sollen wir die Eier wieder reparieren?“, fragt Merle. „Ich kann Klebe holen.“
„Aber die Eier können wir nicht kleben, Merle“, erklärt Marlon.
„So ein Eiersalat!“, schimpft der Hase weiter. „Ich dürft nichts verraten von meinen Taten! Sollte bemalen die ganzen Eier, ohweia! Die Hühner haben sie mit viel Mühe gelegt. Bis sie neue hervorbringen ist es zu spät! Alle Kinder werden suchen im Haus und im Garten, weil sie schon lange auf Ostern warten.“ Traurig, mit hängenden Hasenohren, steht er dort und schaut sehr verzweifelt aus.
„Und wenn wir dir Eier besorgen?“, schlägt Merle vor.
„Das kann aber nicht warten bis morgen. Was können wir tun? Legen kann ja nicht noch mehr das arme Huhn!“, stellt der Hase fest.
„Ich habe eine Idee“, freut sich Marlon. „Ich kaufe dir Eier mit dem Geld aus meinem Sparschwein im Supermarkt. Gibst du mir deinen Korb? Ich mache ihn dir voll und niemand wird dich sehen.“
Merle nickt aufgeregt: „Und ich helfe dir beim Saubermachen!“
„Da fehlen mir die Sätze! Ihr seid wirklich richtige Schätze! Nur zum Färben der Eier bleibt zu wenig Zeit, bis Ostern ist es nicht mehr weit“, plappert der Hase beunruhigt.
„Dabei helfen wir dir. Ich beeile mich“, erklärt Marlon, nimmt dem Hasen den Korb ab und läuft ins Haus, um sein Versprechen zu erfüllen.
Inzwischen schleicht auch Merle ins Haus, holt Eimer und Schaufel und wandert auf Zehenspitzen Richtung Terrassentür zurück in den Garten, damit Mama nichts mitbekommt.
Als alle Eierschalen und die Eierpampe im Eimer gesammelt sind, bringt Merle sie vorne zur Mülltonne. Dort sieht sie Marlon anmarschieren.
Hinter dem Baumstamm hoppelt der Hase in kleinen Sprüngen aufgeregt hin und her, als die Geschwister wieder bei ihm ankommen.
„Reichen die Eier?“, möchte Marlon wissen und hält dem Hasen den vollen Korb hin.
„Wunderbar! Das reicht ganz und gar!“, stellt der Hase fest und hüpft vor Freude in die Höhe.
„Jetzt müssen wir sie nur noch bemalen. Ich habe in meinem Zimmer Stifte in vielen Farben. Aber da müssen wir an Mama vorbei“, überlegt Marlon.
„Nein, ich geh dort nicht ins Haus. Wenn eure Mama mich entdeckt ist das mein Aus!“, bedenkt der Hase. „Wir gehen lieber in meinen Bau, da ist es sicherer, das weiß ich genau.“ Der Hase lächelt zum ersten Mal und zwinkert den Kindern zu: „Gebt mir die Hand und flugs sind wir im Hasenland.“ Er schnallt sich seinen vollen Korb auf den Rücken, reicht den Kindern seine Pfoten und stampft dreimal feste mit seinem Schneestiefel auf den Rasen, dass der Schnee zu allen Seiten spritzt. Ganz lautlos öffnet sich der Rasen unter den Dreien zu einem Erdtunnel, den sie geschwind hinunterrutschen. Merle und Marlon sind so überrascht, dass sie keinen Pieps von sich geben können. Nach einer kurzen Rutschpartie landen sie auf ihren Hosenboden in einer Wohnung unter der Erde. Die Wände sind rundherum in hellen Brauntönen gehalten und rund. Die Öffnung über ihnen schließt sich wie von Geisterhand.
Sprachlos schauen sich die Geschwister um und entdecken Stühle und Tische, Küchenschränke und Durchgänge zu anderen Zimmern.
„Da bist du ja endlich“, ruft es aus dem Raum nebenan. Stampfenden Schrittes kommt ein Hase in einem Kleid in die Küche. Die Hasenfrau schaut sehr besorgt: „Es ist keine Zeit! Es ist doch bald schon soweit!“, sie stutzt, als sie die Kinder erblickt. „Was macht ihr denn hier? Das ist nicht euer Revier!“
„Ach Liebes, ich habe die zwei dabei, damit sie mir helfen beim Bemalen vom Ei“, erklärt ihr der Hase. „Ein schrecklicher Unfall ist mir geschehen, die Kinder haben es gesehen. Alle Eier sind gebrochen, doch sie haben versprochen, nichts zu verraten, und ohne die Hilfe im Garten müsste Ostern viele Tage warten.“
Die Hasenfrau nickt: „Ausnahmsweise! Na, das war für euch Kinder sicher eine tolle Reise. Na, kommt ihr Guten, wir müssen uns sputen.“
Merle und Marlon folgen den Hasen. Sie gehen in ein Nebenzimmer. Dort stehen Stühle und Farben, hier ist alles bunt bekleckst. Dann geht es sehr schnell. Die Osterfrau kocht die Eier in der Küche. Marlon, Merle und der Osterhase greifen sich einen Pinsel und bemalen die gekochten Eier mit den schönsten Farben und Mustern.
Nachdem alle Eier bunt leuchten, bemerkt die Hasenfrau: „Draußen ist es schon dunkel, sogar die Sterne am Himmel sind am Funkeln. Eure Mutter wird sich sorgen. Wir sehen uns ganz bestimmt morgen. Für eure Hilfe lieben Dank. Dort geht es für euch nach Hause entlang.“ Sie geht mit den Geschwistern in die Küche und stampft dreimal mit ihrem Hasenschuh auf den Boden.
Marlon und Merle halten sich fest an den Händen, als sie zu fliegen beginnen, die Erdendecke sich über ihnen zu einem Tunnel öffnet und sie durch ihn in ihren Garten sausen.
Das war ein Abenteuer! Müde gehen sie zum Haus.
Mama wartet schon auf der Terrasse. Bevor sie etwas sagen kann, erklärt Marlon: „Wir sind so müde und haben Hunger.“
Merle nickt. Nachdem Abendbrot verschwinden beide ins Bett und fallen in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen werden Merle und Marlon von einem Rascheln geweckt.
„Frohe Ostern“, begrüßt sie der Hase und hoppelt schnell weg.
„Ich gehe Eier suchen!“, ruft Merle und springt aus ihrem Bett. Marlon rennt hinterher.
Nicole Müller wurde 1980 in Unna geboren und wuchs in Dortmund auf. Schon in der Grundschule betonte ihre Klassenlehrerin nach Aufsätzen immer wieder, sie würde später Autorin werden und so war es damals schon ihr Traum. Nach der Fachhochschulreife im Sozial- und Gesundheitswesen machte sie eine Ausbildung zur Erzieherin. In dem Beruf konnte sie sich kreativ „austoben“. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter. Das Schreiben ist eines ihrer schönsten Hobbys. Einige ihrer Geschichten wurden bereits in Anthologien veröffentlicht.
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Der fliegende Osterhase
Genervt blickte Iris dem Treiben ihrer Tochter, der fünfjährigen Emma, zu. Sie hüpfte, tanzte und zappelte schon seit dem Mittagessen um sie herum.
„Mami, wann darf ich denn endlich in den Garten? Ich muss doch noch mein Osternest unter dem Baum herrichten, bitte, bitte!“
„Halt dich bloß von meinem Baum fern“, tönte es grimmig von der Eckbank her. Ihr großer Bruder Paul hatte den stämmigen Apfelbaum für sich reserviert.
„Du brauchst dir gar keine Mühe geben.“ Betont ernst schaute Iris ihr quirliges Töchterchen an.
„Aber Mami, der Osterhase weiß doch sonst nicht, wo er all die schönen Leckerli rein tun soll!“
„Dir wird der Osterhase ganz sicher nichts ins Nest legen. Ein Mädchen, das nicht aufräumt, sich vorʼm Zähneputzen drückt und immer Widerworte gibt – nein – dem bringt er ganz sicher nichts.“
Emma lachte hell auf. „Der Osterhase kann das ja gar nicht wissen. Der kann nicht fliegen so wie das Christkind und durch die Fenster schauen.“
„Woher willst du das denn wissen, du Naseweiß. Warte mal ab, er wird es dir schon zeigen.“
Trotzig zog Emma die Unterlippe hoch, eine nachdenkliche Falte grub sich langsam zwischen ihre Augenbrauen, im Bauch machte sich ein eigenartiges Grummeln breit.
Ach was! Sie wollte das Nest noch schöner ausschmücken, dann würde es schon klappen mit dem Osterhasen. Schnell lief sie zu der großen Wiese, um die ersten Feldblumen zu pflücken. Ihre Lieblinge, die leuchtend gelben Himmelschlüsselblumen legte sie als dicken Kranz um das Nest.
Ostersonntag, noch vor dem Frühstück, stürmten Emma und Paul raus, um sich die vollen Osternester zu holen. Vom Apfelbaum kam ein lauter Juchzer. Entgeistert starrte Emma unter ihren Pflaumenbaum. Sie lief zweimal drum herum.
Nichts – absolut Nichts – noch weniger wie Nichts.
Ihr wurde ganz elend zumute. Ein hilfloses Bündel Mensch im zerknautschten Schlafanzug mit verstruwwelten Lockenkopf schaute Hilfe suchend zu ihren Eltern hinüber, die nur mit den Schultern zuckten.
Der kleine Mund bebte, große Kullertränen glänzten in den Augen. Jetzt bloß nicht weinen. „Hätte ich doch nur auf Mami gehört und besser gefolgt“, schluchzt sie lautlos in sich hinein.
Paul konnte dieses zusammengesunkene Häufchen Elend nicht mehr ansehen. Er hatte längst Emmas Nest entdeckt. Langsam ging er von hinten auf sie zu, drehte sacht ihren Kopf leicht rechts und schräg nach oben.
Ihr Mäulchen klappte nach unten doch kein Wort kam über ihre Lippen. Fassungslos schnappe sie nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dort wo die ersten dicken Äste sich gabeln, lag eingebettet ihr blumengeschmücktes Nest.
Ein großer Schokoladenosterhase mit langen Ohren sowie rote, gelbe, blau gepunktete Eier leuchteten von oben herunter. Schließlich stotterte Emma: „A-a-aber wie, wie kommt das denn da oben hin? Ein Hase kann doch nicht fliegen!“
Paul machte ein wichtiges, alles wissendes Gesicht. „Na ja, wenn er seine Ohren als Propeller einsetzt und den Stummelschwanz zur Steuerung benutzt, müsste es klappen. Du weißt doch – alles ist möglich!“ Verschwörerisch schaute er zu den Eltern hinüber.
Er hievte Emma hoch, damit sie endlich ihre Schätze in Empfang nehmen konnte.
„Vielleicht hat es ja etwas geholfen und sie räumt in Zukunft wenigsten ihr Zimmer auf, das wäre schon ein kleiner Fortschritt“, hoffnungsvoll lächelte die Mutter ihren Mann an.
Ingeborg Reichel wurde 1939 geboren. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, drei Enkel und zwei Urenkel. Nach Eintritt in den Vorruhestand war sie auf der Suche nach einem interessanten Hobby. Nach vielem Ausprobieren fand sie im Roda-Literaturkreis „Kreatives Schreiben“ in Herzogenrath genau das Richtige für sich. Hier konnte sie sich viele schmerzliche Erinnerungen von der Seele schreiben.
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Von Beruf Osterhase
Warum wird jemand Osterhase? Tja, gute Frage. Und obwohl ich das eigentlich am besten wissen müsste, stelle ich sie mir seit geraumer Zeit jeden Tag. Ausgerechnet Osterhase! Wie blöd muss einer sein. Aber so ist das – Beruf ist Beruf.
Und ich bin es auch nicht ganz freiwillig geworden, wenn ich ehrlich bin. So ein Beruf vererbt sich eben. Mein Ur-Ur-Großvater, ja, der hätte noch die Wahl gehabt. Hätte sagen können: Was, Osterhase? Was glaubt’s denn, wen ihr vor euch habt? Und dann wäre er in aller Stille ein anständiger Stallhase geworden. Aber nein, er wollte unbedingt. Drängelte sich vor. Dachte, ein Osterhase wäre etwas Besonderes. Eine Art Künstler. Und er hatte ja recht – bis ... bis diese Sache mit den Schokoladeneiern begann. Und das geht ja jetzt schon eine ganze Weile so.
Da sitze ich hier und schwadroniere von der guten, alten Zeit. Ich höre mich schon selbst an wie ein Opa. Aber es stimmt doch. Wie gut ist es uns gegangen, als wir es allein mit Hühnereiern zu tun hatten. Stell dir vor: weiße Hühnereier, unbefleckt und rein. Wie ein Handtuch, so sagt man doch. Die fühlten sich gut an in der Pfote. Rund, glatt, angenehm im Gewicht. Und mit den netten Hühnern hat das Geschäft obendrein noch Spaß gemacht. Ja, mit denen konnte man verhandeln, wie sich das gehört: ein gemütliches Schwätzchen hier und dort und gelegentlich ein kleiner Eierlikör zum Abschluss des erfolgreichen Verhandlungsgespräches.
Und dann ruckizucki nach Hause, den Pinsel geschwungen und das Körbl gepackt. Und manchmal kam so ein Huhn später noch einmal vorbei, bestaunte das Endprodukt und schüttelte einem gratulierend die Hand.
Dann kamen die Schokoladeneier. Das war schon blöd genug. Ziemlich blöd sogar. Nun mal ganz ehrlich: Wer legt denn so etwas? Niemand legt so etwas. Das ist ja das Problem. Die werden hergestellt. In der Fabrik. Und mit wem soll ich dann anschließend ein Schlückchen trinken? Na? Mit Fabrikarbeitern vielleicht, denen völlig schnuppe ist, was sie dort vor sich haben? Womöglich noch Schokoladenlikör – igitt! Geht nicht. Was haben Schokoladenfabriken mit mir zu tun? Nichts. Die machen sich’s einfach selbst. So habe ich mir meinen Beruf nicht vorgestellt, das sag ich dir. Die brauchen keine Künstler. Die brauchen Boten.