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„Nein, es war keine Maschine für die Feldarbeit. Das Haus gehörte mal einem Erfinder. Und der Apparat ist vielleicht ein Roboter.“
„Ein Roboter? Du spinnst wohl! Da hat dir dein Hasenonkel einen schönen dicken Bären aufgebunden.“ Whoopie tippte ungläubig mit der Pfote gegen seine Stirn.
„Nein, das ist echt wahr! Mein Onkel lügt nicht.“
Whoopie war von dieser Neuigkeit immer noch nicht so recht überzeugt und schüttelte energisch seine langen Ohren.
„Wenn du willst, gehen wir heute Nachmittag zu ihm. Dann werde ich dir beweisen, dass ich die Wahrheit sage“, schlug Rabbit vor. „Abgemacht?“
„Abgemacht!“, rief Whoopie und schlug mit der Pfote ein.
Um drei Uhr trafen sich die beiden Freunde wie verabredet an der Wegkreuzung.
„Ich bin schon so gespannt auf das, was du mir zeigen willst.“
Eilig hoppelten die beiden den Weg entlang in Richtung Wald. Schon von Weitem erkannte Rabbit das alte, heruntergekommene Häuschen.
„Das sieht ja aus, wie ein Hexenhaus“, bemerkte Whoopie und schüttelte sich. Damit er es besser in Augenschein nehmen konnte, klemmte er sich seine Nickelbrille mit den runden Gläsern auf die Nase. „Da muss aber noch viel Arbeit hineingesteckt werden.“
Als sie näher herankamen, erkannte auch Rabbit, dass die Farbe an den Außenwänden und den Fensterrahmen abblätterte oder zum Teil ganz fehlte. Nur das Dach schien in Ordnung zu sein.
Rabbit hoppelte zur Haustür und suchte vergeblich den Klingelknopf. „Ich klopf mal an die Tür“, sagte Whoopie und schlug mit seiner Pfote gegen die morschen Bretter.
Nichts war zu hören. Auch auf ein erneutes Klopfen erfolgte keine Reaktion.
„Dein Onkel ist nicht zu Hause“, stellte er traurig fest. „Und was machen wir jetzt?“
„Nichts leichter als das“, antwortete Rabbit. „Wir gehen alleine in den Schuppen.“
Schnell nahmen die beiden Hasen ihre Beine in die Pfoten und hüpften los.
„Ist richtig gruselig hier“, stellte Whoopie fest. „Meinst du, wir sollen weiterhoppeln?“
„Du bist wirklich ein Angsthase. Sehen doch echt cool aus, das alte Gemäuer, der verwilderte Garten und der geheimnisvolle Schuppen. Jetzt mach dir nur nicht in deine schicke Hose.“ Rabbit kicherte leise.
Inzwischen waren die Hasenjungen an der Tür des Bretterschuppens angelangt. Mutig drückte Rabbit die verrostete Türklinke hinunter. Ein lautes Quietschen ließ die beiden Häschen zusammenzucken. Mit einem kräftigen Ruck öffnete sich knarrend der eine Flügel.
Whoopie hielt sich vor lauter Angst die Pfote vor sein Gesicht. „Das halte ich nicht aus! Komm lass uns endlich hier verschwinden“, jammerte er.
„Du wirst doch nicht schlappmachen? Jetzt wo wir so nahe an unserem Ziel sind. Ich will unbedingt wissen, was das für eine geheimnisvolle Maschine ist. Du kannst ja gehen, wenn du Schiss hast.“
Doch nun wollte Whoopie auch nicht mehr kneifen. Geduckt schlichen die beiden Hasen durch die Öffnung in die Finsternis hinein. Nur wenige Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch die Ritzen in den Holzwänden und tauchten den Schuppen in ein geheimnisvolles Licht. „Dass es so gruselig ist, hätte ich nicht gedacht“, flüsterte Rabbit und drückte sich eng an seinen Hasenfreund. Langsam setzten sie eine Pfote vor die andere, bis sie plötzlich an ein Hindernis stießen. Whoopie schrie erschrocken auf.
Rabbit, der seine Angst auf keinen Fall zeigen wollte, ertastete mit seinen Vorderläufen den vor ihnen liegenden Gegenstand. „Ist nur ein Stück Balken“, beruhigte er den zitternden Whoopie. „Er ist wahrscheinlich von oben heruntergefallen. Ist doch ganz schön morsch diese Bude. Los, gehen wir weiter!“
Eng aneinander gekuschelt setzten sie ihre Entdeckungsreise fort. Sie mussten noch mehrmals über Holzteile hüpfen, die ihnen den Weg versperrten. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie konnten immer mehr Umrisse erkennen.
„Da!“, rief Rabbit auf einmal. „Schau, hier ist es. Das muss der geheimnisvolle Roboter sein.“
Eingehüllt in verstaubte, dreckige Decken verbarg sich etwas vor ihnen. Spinnweben spannten sich bis hinauf in das Dachgebälk.
„Und du meinst, die Maschine ist da drunter?“
„Das werden wir spätestens sehen, wenn wir die Verpackung herunterziehen, Whoopie.“ Rabbit hatte seine Überlegenheit zurückgewonnen. Mutig zog er heftig an einem Zipfel der Decke und mit einem Schwupp fiel der Schutz ab und beide Hasen standen in einer undurchdringlichen Schmutzwolke.
„Oh mein Gott“, rief Whoopie aus und hüpfte mit einem Satz zur Seite. Gleich darauf musste er kräftig husten. Auch Rabbit nieste und hustete in einem fort.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Staub legte und sie wieder freie Sicht hatten. Doch umso größer war jetzt die Überraschung. Vor ihnen stand ein Riesenmonstrum mit Greifarmen und zahlreichen Schrauben, Rädchen und Kabeln.
„Wow, ist das cool!“ Whoopie stand staunend vor dem Ungetüm.
Rabbit, der sich schon etwas näher herangewagt hatte, betrachtete es grübelnd. „Wenn ich nur wüsste, wie man das Ding einschalten kann?“
„Ich glaube, ich weiß wo“, rief sein Hasenfreund erfreut. „Hier ist ein roter Knopf. Das ist bestimmt der Anlasser.“ Eilig hüpfte er auf ein Stahlrohr und versuchte gerade an den großen roten Schalter zu gelangen, als von der Tür her eine Stimme rief:
„Nein, nicht!“
Doch es war zu spät. Whoopie hatte bereits den roten Knopf gedrückt.
„Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Was macht ihr hier in meinem Schuppen?“
Erschrocken fuhren die beiden Hasen herum und sahen Onkel Bunny im Türrahmen stehen. Eine Antwort konnten sich die beiden Häschen sparen, denn in diesem Moment ertönten seltsame Geräusche. Ängstlich hüpften Rabbit und Whoopie zum Ausgang und drückten sich eng an den Onkel.
„Was ist das? Was geschieht hier?“, fragte dieser erstaunt.
Das Ungetüm begann zu schnauben und zu zischen. Unter den Hasenpfoten fing der Boden an zu vibrieren. Aus sämtlichen Öffnungen der Maschine drangen dicke Rauchschwaden heraus. Stangen und Rädchen bewegten sich rhythmisch hin und her. Der Lärm schwoll immer mehr an, sodass sich die ängstlichen Hasen ihre langen Ohren mit den Pfoten zuhalten mussten.
Plötzlich trat Stille ein. Der Nebel verzog sich und das Monstrum stand ruhig an seinem Platz.
„Das ist ja ein Ding!“ Rabbit hatte als Erster die Sprache wiedergefunden. „Und was sollte der ganze Lärm nun?“
Kaum hatte der kleine Hase die Frage ausgesprochen, als ein Plopp die drei zusammenzucken ließ. Dann wieder Stille.
Rabbit nahm seinen ganzen Mut zusammen, näherte sich dem Ungetüm und stieß einen Schrei aus. Schnell liefen die beiden anderen Hasen herbei und Whoopie entfuhr ein Laut des Entzückens. In einer Schale, die an der Maschine befestigt war, lag ein herrlich bunt bemaltes Osterei.
Ute Petkelis wurde im Jahr 1958 geboren und lebt heute mit Mann und Sohn im Main-Kinzig-Kreis. Erst 2004 begann sie mit dem Schreiben. Zunächst waren es Kinder- und Alltagskurzgeschichten, später kamen Märchen hinzu. Einige ihrer Texte wurden bereits in Anthologien veröffentlicht.
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Die Hasen und die Sternfabrik
Etwas ganz und gar Unerhörtes hatte sich eines sonnigen Frühlingsmorgens an der Sternfabrik zugetragen. Aufgebracht standen die Hasen dicht gedrängt vor der Fabrik und tuschelten miteinander.
Die Sternfabrik wurde seit jeher von Hasen geführt, da Hasen sich für außerordentlich geschäftstüchtige Wesen hielten. Sie glaubten, mit ihren großen Lauschern ein besonders gutes Gehör dafür zu besitzen, welche Dinge sich ihre Kunden wünschten. Die alten Menschenvölker waren einst ganz verzaubert gewesen von dem Himmel mit seinen Millionen Sternen, darum hatten die pfiffigen Hasen die Sternfabrik gegründet. Sie hatten zahllose leuchtende Sterne in allen Größen hergestellt und sich damit sogar ihr eigenes Denkmal geschaffen. Noch heute kannst du, wenn du im Sommer in einer lauen, klaren Nacht zum Firmament schaust, das Sternbild des Hasen sehen, da, gleich beim Orion.
Die alten Völker aber gab es längst nicht mehr und niemand kümmerte sich mehr um die Sterne. Die Geschäfte liefen sehr schlecht. Schon lange war nichts Aufregendes mehr passiert – bis zu jenem unerhörten Tag.
„Was ist denn hier los?“ Der Chefhase kam gerade an der Fabrik an und war ganz verwundert über die riesige Versammlung, die er dort sah. Normalerweise waren die Hasen um diese Zeit längst bei der Arbeit, um Sterne herzustellen.
„Jemand hat das Schild bemalt!“, rief da einer aus der Menge. Er zeigte mit seiner Pfote nach oben zum Dach der Fabrik, wo auf einem großen Schild „STERNFABRIK“ gedruckt stand.
Der Chefhase sah nach oben, und tatsächlich – irgendein Schmierfink hatte einen dicken, runden Kreis vor den Namen der Fabrik gemalt. So etwas Unerhörtes aber auch!
„Was hat dieser Kreis zu bedeuten?“, schimpfte der Chefhase, denn es machte ihn wütend, dass jemand einfach so auf seinem Eigentum herumkritzelte.
„Vielleicht ist das die Sonne?“, schlug einer der Hasen vor.
„Oder ein Wagenrad!“, meinte ein anderer.
„Oder die Brille eines Zyklopen!“
„Nein, nein, ihr liegt alle miteinander falsch“, widersprach ein weißer Hase mit schwarzen Flecken, der ganz in der Nähe vom Chefhasen stand. „Das ist keine Sonne, das ist auch kein Wagenrad und erst recht ist es keine Brille eines Zyklopen!“
„Aber was ist es dann?“, fragten vereinzelte Stimmen.
„Das ist ein Ei!“, antwortete der weiße Hase mit den schwarzen Flecken. „Seht doch, der Kreis ist ein klitzekleines bisschen oval und nicht ganz rund. Das muss ein Ei sein.“
„Aber ja, es ist ein Ei!“, stimmten ihm nun die anderen Hasen zu.
Auch der Chefhase ließ sich davon überzeugen. „Wir sind aber doch keine Ei-Sternfabrik“, empörte er sich und schüttelte den Kopf. „Warum hat denn jemand ein Ei auf das Schild gemalt?“
Darauf wusste niemand eine Antwort. Die Hasen grübelten und zerbrachen sich ihre pelzigen Köpfchen, kamen aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
Schließlich war es wieder der weiße Hase mit den schwarzen Flecken, der Rat wusste: „Eier werden von Hennen gelegt“, sagte er. „Wir könnten die Hennen fragen, was das zu bedeuten hat, denn sie wissen bestimmt besser über Eier Bescheid als wir.“
Und wieder war das die beste Idee und alle waren damit einverstanden. Also ließ man so schnell wie möglich Hennen herbeirufen, ganz viele auf einmal, denn die Hasen hatten ja bemerkt, wie schwierig das Problem allein zu lösen war.
Die Hennen stellten sich tatsächlich als klug heraus, wenn auch anders, als man erwartet hatte. Als sie eingetroffen waren, erklärten die Hasen ihnen, worum es ging, und die Hennen besahen sich die Schmiererei auf dem Schild. Und sie wussten sogar sofort eine Antwort: „Aber das ist doch kein Ei“, gackerte eine der Hennen empört. „Das ist ein Buchstabe. Das ist ein O!“
Ein lautes, erstauntes „Ooh!“ raunte die Menge. Daran hatte nun wirklich niemand gedacht!
„Also steht da nicht mehr STERNFABRIK, sondern OSTERNFABRIK“, las die Henne vor.
„Aber was ist denn ein Ostern?“, fragte der Chefhase unsicher und scharrte mit seinen Pfoten unruhig auf dem Boden. „Wir stellen doch Sterne her.“
„Ostern ist ein Fest, das die Menschen feiern. Jedes Jahr im Frühling“, antwortete ihm eine andere Henne.
Wieder waren die Hasen ganz erstaunt, wie gebildet die Hennen waren. Denn von Ostern hatten sie noch nie etwas gehört.
Aber auch der Chefhase war nicht dumm und zog seine Schlüsse daraus. „Das heißt“, seufzte er mit hängenden Ohren, „die Menschen wollen unsere Sterne deshalb nicht mehr, weil sie schon lange mit neuen und anderen Festen beschäftigt sind.“
Traurig sah er zu seiner Fabrik hinüber. Da meldete sich plötzlich der häsische Geschäftssinn in seinem Geist und er hatte einen großartigen Einfall: „Wenn die Menschen aber keine Sterne mehr brauchen, können wir ja etwas anderes herstellen, was sie für ihre neuen Feste brauchen“, schlug er vor.
Die Hasen murmelten zustimmend, das war wirklich eine gute Idee. „Aber was sollen wir denn sonst fabrizieren? Was wünschen sich die Menschen für ihre Osterfeiern?“
Und schon wieder waren die Hasen ratlos.
Die gewitzten Hennen aber waren, obwohl man es ihnen nicht ansah, auch sehr geschäftstüchtige Tiere. Und so witterten sie sofort ihre Gelegenheit und gackerten: „Eier! Sie brauchen Eier für ihr Fest, viele, viele Eier!“
Weil die Hennen zuvor schon so gut Bescheid gewusst hatten, zweifelte niemand mehr daran, dass sie auch damit richtig lagen.
Auch der Chefhase bemerkte nicht die List der Hühner und sprach: „Habt vielen Dank. Nun, von jetzt an sind wir also eine OSTERNFABRIK. Und wenn sich die Menschen Eier zu Ostern wünschen, so stellen wir eben Ostereier für sie her.“
Weil aber selbst die tüchtigsten Hasen nicht imstande waren, Eier zu legen, schlossen sie einen Handel mit den Hühnern ab, die sie von nun an gegen eine großzügige Bezahlung immer zum Osterfest mit frischen Eiern beliefern sollten.
Weil der Frühling aber schon über dem Land lag und sein warmer Wind Ostern ankündigte, gerieten die Hasen in Zeitnot. Hurtig bemalten sie die ersten gelieferten Eier, damit sie festlicher aussahen. Erst am letzten Tag vor Ostern wurden sie damit fertig – viel zu spät, um die Eier den Menschen noch persönlich zuzustellen. In ihrer großen Eile verteilten die Hasen die bunten Eier in der Nacht einfach überall, wo sie hinkamen. Sie hofften darauf, dass die Eier trotzdem entdeckt würden.
Am nächsten Tag staunten die Menschen nicht schlecht, als sie zu den Osterfeiern überall versteckt bunte Eier fanden. Die Kinder lachten und jauchzten und begaben sich eifrig auf die Suche. Was eigentlich überhaupt keine Absicht gewesen war, bereitete den Kindern überall so große Freude, dass die Hasen beschlossen, an ihrer Liefermethode nichts mehr zu ändern.
Und so entstand der Brauch, dass jedes Jahr zu Ostern bunte Eier versteckt werden, damit glückliche Kinder sie finden dürfen.
Roman Seifert, geboren am 5. Februar 1989 in Waldshut, lebt derzeit in Bad Säckingen und studiert seit 2009 Deutsche Philologie und Geschichte an der Universität Basel.
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Das schwarze Ei
Die fröhliche Maja war seit ihrer Geburt blind. Darunter litt die Neunjährige kaum. Einzig beim Herumtoben im Freien brauchte sie Begleitung. Mal war es ihr älterer Bruder Mika oder ihre Mama, die sie zum nahen Spielplatz begleiteten. Sogar das Fahrradfahren beherrschte Maja. Unbändig stolz war sie gewesen, als Papa ihr das beigebracht hatte. Und wie sie das Rutschen und Klettern liebte!
Im Sommer, Herbst und Winter war Majas Welt in Ordnung. Traurig wurde Maja, wenn der Frühling nahte und mit ihm das Osterfest. Begeisterte sich doch dann alle Welt für die sprießende Natur. Erfreuten sich an blauen Traubenhyazinthen, Beeten mit roten Tulpen genauso wie an den gelben Narzissenfelder. Solche bunten Bilder blieben Maja fremd. Ebenso wenig konnte sie sich etwas Kariertes, Gestreiftes oder Einfarbiges vorstellen. Die Kleiderauswahl übernahm von klein auf ihrer Mutter. Majas Nase und ihre Ohren waren ihre Augen. Dennoch blieben Farben ihr ein unbekanntes Universum.
Von Jahr zu Jahr verwünschte sie den Frühling und das Osterfest mehr und mehr. Der Feststimmung an Ostern hätte sie sich am liebsten durch Flucht entzogen. So sehr sich ihre Eltern und Mika auch bemühten, ihr die Farben zu erklären, es blieb in ihrem Kopf dunkel. Wähnte sich Maja allein, hörten sie Maja oft genug sagen: „Mein größter Wunsch wäre es, ein einziges Mal ein Gelb, ein Grün, ein Blau, ein Rot, ein Pink zu sehen.“
Das stimmte in ihrer Familie alle traurig. Und nun stand Ostern wieder vor der Tür. Mika hatte eine Eule als Jungvogel aufgepäppelt, die sich in seinem Zimmer einquartiert hatte und nichts vom Wald wissen wollte. Diese Eule hörte auf den Namen Till und wich kaum von Mikas Seite.
An einem Nachmittag stand Majas Zimmertür ein spaltbreit offen. So wurde Mika Zeuge, wie sie sich bei ihrem Stoffhasen beklagte, niemals die bunte Welt kennenzulernen. Mika sah Tills Getrippel auf seinem Schreibtisch zu. Er schob ein Buch beiseite, stützte sein Gesicht in beide Hände und wirkte ratlos.
Ein Seufzer entwich seiner Brust. „Ach, Till. Was könnte ich tun, um Maja ein einziges Mal die Farben zu zeigen?“
„Suche den Ostervogel und bitte ihn um ein schwarzes Ei.“
Mika glaubte, Ohrensausen zu haben. Oder Halluzinationen. Das konnte unmöglich Till gewesen sein, der da gesprochen hatte. Träumte er? Noch bevor er Till fragen konnte, löste dieser das Rätsel: „Wenn der Wunsch, anderen zu helfen, aus tiefem Herzen kommt, können wir eure Sprache verstehen und sprechen.“
Mika meinte: „Mann, Till. Ich fass’ es nicht. Mein Till kann sprechen!“ Mika wollte auf der Stelle zu Maja, um ihr davon zu berichten. Die Nachricht käme einer Sensation gleich.
Doch Till warnte: „Du darfst zu niemandem ein Wort darüber verlieren. Zu niemandem.“ Dann erklärte Till, was es mit dem Ostervogel und dem schwarzen Ei auf sich hatte: „Schwarze Eier sind sehr selten und äußerst schwer zu finden. In ihnen befinden sich sämtliche Farben der Welt. Hält ein Blinder ein solches Ei in Händen, wird er durchströmt von den darin befindlichen Farben.“ Hier machte Till eine Pause, ehe er fortfuhr: „Also wird er die Farben sehen können. Und dieser Zauber entfaltet sich nur in der geheimnisvollen Osternacht.“
Mit offenem Mund hatte Mika Tills Ausführungen gelauscht. Hoffnung machte sich in ihm breit. „Und werden Blinde dadurch wieder sehend?“
„Nein, sie bleiben weiterhin blind. Es wird ihnen ein einziges Mal der Wunsch erfüllt, Farben zu sehen, ein Wunsch, den viele Blinde haben. Und dieses Erlebnis werden sie ein Leben lang nicht mehr vergessen genauso wenig wie die Farben.“
Mika überlegte. Morgen war schon Ostersonntag. Würde er es noch schaffen, das schwarze Ei zu suchen? Für einen Moment lang hegte er Zweifel, die er beiseite wischte und fragte: „Till, wo finde ich dieses schwarze Ei?“
Till erklärte: „Folge in der Osternacht dem Bim, Bim Bam, Bam, Bim, Bim der Osterglocken. Sie weisen dir den Weg.“
Mika kannte nur Kirchenglocken. „Was sind Osterglocken?“
„Es sind Blumen, die um die Osterzeit herum blühen.“ Er rief Mika ans Fenster: „Sieh dort unten die gelben und weißen Blumenbüsche. Solche wachsen ebenso in Parks und auf Wiesen. Ihr Geläut führt dich zum Ostervogel.“ Es war, als könnte Till Gedanken lesen. „Der Ostervogel vertraut nur Kindern das schwarze Ei an. Keinem Erwachsenen. Und nur Kinder sind in der Lage, das Läuten der Osterglocken zu hören.“
Somit hatte sich Mikas Wunsch, ein Elternteil könne ihn zum Ostervogel begleiten, zerschlagen. Nach einem „Mach dich auf den Weg“ war kein Ton mehr aus Till herauszubringen.
Am Himmel lugte ein halber Mond auf die Erde herab, als Mika aufbrach. Sich ohne Wissen seiner Eltern davonschlich. Er schlug den Weg zu den Wiesen und Felder ein. Vorbei am Waldrand, wo der Nachtvogel sein Revier durchstreifte. Mit gespitzten Ohren horchte Mika in die Nacht. Außer einem brummenden Flugzeug und Geraschel im Unterholz vernahm er nichts. Von einem Bim, Bim, Bam, Bam, Bim, Bim kein Ton. Mika lief weiter. Immer weiter. Längst hatte er die Orientierung verloren, wusste nicht mehr, wo er sich befand. Nichts als Stille und Dunkelheit um ihn herum. Ihm war unheimlich und sein Mut schwand dahin.
Dann, er traute seinen Ohren kaum, als von fern ein zartes Geklingel ertönte, das stärker und stärker wurde. Aufgeregt lief Mika dem Läuten entgegen. Immer geradeaus. Dieses Geläut schwoll zu glockenheller Musik an, die so lieblich in seinen Ohren tönte. Und plötzlich war es taghell geworden. Mika war überwältigt. Soweit er blicken konnte, nichts als blühende Osterglocken, die ihre Blütenköpfe hin und her schwangen. Im Takt des Bim, Bim, Bam, Bam, Bim, Bim.
Dann erblickte er den Ostervogel, der Ähnlichkeit mit einem Pfau zu hatte. Gebannt sah Mika dem Ostervogel entgegen, wie er in majestätischer Manier und buntem Gefieder durch die Blumenreihen schritt, die sich vor ihm verneigten. „Willkommen Mika im Reich des Ostervogels. Du möchtest deiner Schwester einen Wunsch erfüllen?“
„J-j-j-ja“, stammelte Mika. „Ich … ich möchte für meine Schwester ein schwarzes Ei abholen.“
Der Ostervogel lächelte ihm wissend zu. „Komm mit.“
Gemeinsam durchschritten sie die Blumenfelder, bis sie vor einer tiefen Mulde haltmachten. Die Mulde war vollständig ausgekleidet mit den Federn des Ostervogels und darin lagen drei schwarze Eier so groß wie Pfaueneier. Der Ostervogel entnahm dem Nest vorsichtig ein Ei und überreichte es Mika. „Für deine Schwester.“
Mikas Hände zitterten, als er das schwarze Oval mit seinen Fingern umschloss, diesen unendlich kostbaren Schatz. Seine kleinen Hände bargen die Farben der Welt, die er Maja zu Ostern schenken würde.
Katharina Britzen, geboren 1954, lebt derzeit in Irrel, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne und zwei Enkelkinder. Veröffentlicht hat sie schon einige Beiträge in Heimatkalendern, Jahrbüchern und in verschiedenen Anthologien.
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Lämmchen & Palmkätzchen suchen ein Zuhause
Frau Paula war eine kugelrunde Bäuerin. Ihr fröhliches, pausbäckiges Gesicht wurde noch strahlender, als sie das goldbraune Osterlamm aus dem Backofen nahm. „Oh, das ist mir aber gelungen! So ein Prachtstück!“, murmelte die gute Frau.
Ihr ebenfalls kugelrunder, schwarzer Kater Seppl hob sein Näschen, schnupperte und dachte: „Mhhh, riecht das lecker!“
Vorsichtig holte die Bäuerin das Lämmchen aus der Backform. Liebevoll legte sie es auf ihren schönsten Osterteller und band ihm ein kleines Glöckchen um. „Das wird eine herrliche Ostersonntagkaffeejause!“, dachte Paula, als sie das Lamm in die kühle, dunkle Speisekammer stellte. Hastig eilte die kugelrunde Bäuerin in ihre Küche zurück. Es gab noch viel zu erledigen: Den Osterbraten vorbereiten, den Osterputz und soooooo viel mehr.
In der kühlen, dunklen Speisekammer spitze das Lämmchen die Ohren. Gut, die Bäuerin war weg. Es freute sich. Es blinzelte und streckte seine goldbraunen Beinchen. Das Glöckchen bimmelte, als es vom Osterteller hüpfte. Einwenig Staubzucker rieselte herab. Wackelig stand das Lämmchen da. Eines war sternenklar: Die kugelrunde Bäuerin wollte es bis aufs letzte Bröserl essen.
„Ich werde fliehen!“, dachte das Lämmchen. Langsam öffnete es die Speisekammertür. Schielte nach links und nach rechts.
„Die Luft ist rein!“, murmelte es.
Mutig zischte das Lämmchen los. Im Affenzahn raste es die Wiese hinab, direkt in einen kleinen, roten Stall hinein. Die Hühner guckten verdutzt. Helene Oberhenne gackerte: „Na so was, ein Osterlamm!“
„Helft mir, die kugelrunde Bäuerin möchte mich bis aufs letzte Bröselchen fressen!“
„Ach, brüll hier nicht herum! Denkst du, dem Hühnervolk ergeht es besser? Die Eier werden uns weggenommen und wir selbst landen irgendwann in der Suppe. Frau Paula und ihr kugelrunder Kater Seppl lieben Hühnersuppe, Rührei und Hühnerkeule. Neulich tauchte sie unsere mühselig gelegten Eier in die merkwürdigsten Farben!“, zischte Helene Oberhenne aufgebracht.
„Darf ich bei euch wohnen?“
„Gagagaga! Nein daraus wird nichts! Die kugelrunde Paula kommt jeden Morgen in den Stall. Sie wird dich entdecken. Mach, das du weiterkommst!“
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Der Mond schimmerte durch die alten Apfelbäume. Das Lämmchen fror. Wo sollte es schlafen? Die Dunkelheit mit ihren schwarzen Schatten machte ihm Angst. Es wünschte sich in den wohlig, heißen Backofen zurück. Das Lämmchen seufzte traurig. „Solltest du nicht am Ostertisch der kugelrunden Paula liegen?“
Das Lämmchen fuhr herum. Hinter ihm stand ein kleines, graues, samtiges Etwas. „Gar nicht!“, erwiderte das Lämmchen.