- -
- 100%
- +
Der Zug eilte mit guter Fahrt durch sehr fruchtbares Land über Kreuznach, Kaiserslautern nach Saarbrücken. Hier längere Rast. Das Rote Kreuz gab sich die erdenklichste Mühe, alle Feldgraue so gut wie möglich zu bewirten. Es gelang ihm auch in der ergiebigsten Weise, denn man hörte nach mehreren Monaten von verschiedenen Verlobungen, die mit Angehörigen von Ottos Kompanie und den Fräuleins vom Roten Kreuz geschlossen wurden. Am 8. XI. abends weiter in Richtung Trier. Nachts durch Luxemburg und am 9. XI. früh Ankunft in Sedan. – Otto hatte vielmal Sedanfeier mitgemacht. Also hier war 1870 der Hauptschlag gefallen. Dieses Fleckchen Erde und so historisch. –
Da Vorsicht die Mutter der Weisheit oder auch der Porzellankiste ist, ließ der Komp. Führer „Karabiner laden und sichern“. Der Transportzug eilte auf franz. Gebiet weiter, hier und da Spuren aus den alten Augustkämpfen zurücklassend. Gegen Mittag erreichte er den großen Etappenort Rethel. Der Transportführer empfängt hier neuen Reisebefehl. Nach einigen Stunden läuft der Zug zu seinem Endziel und hält am 9. XI. in Assigny. Das ist vorläufiger Aufenthalt der Kompanie.
Otto liegt mit mehreren Kameraden in der II. Etage eines Hauses. Die Möbel sind noch vollzählig, auch Betten stehen hier zur Verfügung. Er hatte sich auch eins von den letzteren sicher gestellt und auch ein Plümow dazu besorgt und ließ sich die erste Nacht, da von der Fahrt ziemlich angestrengt, bald in Morpheus Arme sinken. Alle hatten ihre Gewehre geladen, um evt. Überfällen durch Franktireure entgegentreten zu können. Doch ich wette eins gegen zehn, die Schlafenden hätte man forttragen können, keiner wäre wach geworden. Nach 2 Tagen Ruhe begannen allerlei Dienste. Übungsmärsche, Mattenflechten usw. Am verhaßtesten waren die Übungsmärsche, die zwar gut gedacht, zur Marschfähigkeit beitragen sollten, doch was sind da für wunde Füße und zerrissene Stiefel zustande gekommen.
Nach einem Marsche lag Otto ziemlich erschöpft auf seinem Plümow, als sein Freund Ewe kam und ihn fragte, ob er Wein trinken wollte. Die Antwort konnte keine andere sein als ein vernehmliches „Ja!“ Beide bewaffneten sich mit einem Eimer und Otto wurde zum ersten Mal zum „Requirieren“ auf Deutsch „stehlen“ verleidet. An einem Keller, den sie mit vieler Mühe erreichten, lagen 6 mächtige Fässer voll abgelagerter Wein. Oben im Spundloch ging ein Gummischlauch heraus, an dem Otto lange Zeit sog, bis es ihm gelungen war, die Luft heraus zu ziehen und dann der viele Rebensaft so lange nachlief, bis der Eimer voll war. Es konnten 20 – 30 Liter sein. Mit ihrer gemachten Beute zogen Beide auf dem beschwerlichen Wege, der durch finstere enge Gänge führte zurück nach ihrer Wohnung. Noch spät abends bereiteten sie sich einen starken Glühwein.
So ging das Leben bei der Kompanie hin, jeder Tag brachte anfangs etwas Neues. Auch die Feldpost ließ nicht lange auf sich warten und es regnete Pakete, Briefe usw. Die lieben Eltern sendeten das Erdenklichste und auch Marie hatte es sich viele Feldpostcartons mit Inhalt kosten lassen. – Vom Krieg merkte Otto bis jetzt noch nicht das Geringste. „Wenn es so weiter geht ist es doch kein Krieg. An die Front wollen wir doch mal bevor Frieden wird.“ So ähnlich waren Ottos Gedanken.
Es war Ende November. Otto saß mit seinen Kameraden bei einem gemütlichen Scat, als plötzlich Alarm geblasen wurde. Alle sprangen ans Fenster und sahen einen mächtigen Feuerschein am Himmel. Am Ostteil der Stadt war Großfeuer ausgebrochen. Alle im Orte befindlichen Soldaten mußten das Feuer löschen helfen. Bis morgens um 4h war Otto fest damit beschäftigt die vom Feuer noch nicht angegriffenen Häuser mit auszuräumen und die letzte Habe der Franzosen zu bergen. Eine große Anzahl Gebäude brannte trotz anstrengender Arbeit, doch infolge schlechten Löschgeräts total nieder.
Am 6. XII. wurde die Kompanie nach dem 12 Km. entfernten Orte Amange verlegt. Es ist ein kleiner Ort, nur wenige Einwohner sind zurückgeblieben.
In diesem kleinen Orte wurde von der Komp. das liebe Weihnachtsfest in guter Stimmung gefeiert. Liebesgaben waren sehr zahlreich eingetroffen.
Da 1914 Ortskommandenturen noch nicht eingesetzt waren, und jeder in dem Hause wo er wohnte eben „Herr im Hause war, gab es Zustände, die nicht gut zu nennen waren. Es wurde in den Wohnungen der Franzosen ziemlich aufgeräumt mit Möbeln usw. Trotzdem Kohle genug vorhanden waren, wurden Bettstellen und Schränke dem Feuertod preisgegeben. Auch nächtliche Besuche in den angefüllten Hühnerstellen und Taubenschlägen wurden von deutschen Kameraden abgestattet. Manch interessante Geschichte wäre davon zu berichten, doch sollen diese Tatsachen im Anekdotenbuch für Feldgraue in einem andern Lichte erscheinen.
Otto wurden die dauernden Übungsmärsche zuwider, und er sehnte sich wie so viele Kameraden nach der Front. Mitzuwirken am großen Ganzen, mußte seiner Ansicht nach doch geistreicher sein, als ohne jede Tat in der Etappe zu liegen. – Nochmals erfolgte am 18. 1. 15 eine erneute Verlegung der Komp. nach Donx bei Rethel. Diese Versetzung sollte Strafversetzung sein. Der Fall lag wie folgt. Es war in der Neujahrsnacht. Ein Mann der Kompanie hatte sich sinnlos betrunken und schlug auf der Straße Lärm. Zufällig kommt der Kompaniechef aus dem Casino in nicht ganz nüchternem Zustande, und ohrfeigt den Mann derart, daß derselbe am andern Tage ganz geschwollene Gesichtsflächen hatte. Der Mann meldet diese Mißhandlung der Division. Eine lange Gerichtsverhandlung folgte, in der der Kompanieführer zu 5 Tagen Stubenarrest wegen Körperverletzung von Untergebenen verurteilt wurde und der Musketier nach der Heimat versetzt wurde. Auf diese Sache hin bekam die Kompanie beim Divisionsführer einen schlechten Stand.
Kurz nach Einrücken der Komp. in den Ort wurde beim Führer von den Franzosen gemeldet, daß mehrere Hühner und Tauben gestohlen seien. Im eiligsten Tempo wurde Haussuchung vorgenommen, und bei verschiedenen die umhier gewesen waren, fand man noch die Hühnerbeinchen auch oft die Federn. Das Urteil lautete für die Übeltäter „14 Tage Sport“. In schlammiger schlechter Witterung wurde den lieben Kameraden das eventuell angesetzte Fett von den gespeisten Hühnern wieder abgesetzt. Große Verdienste dabei hat sich der „vielgeliebte“ Unteroffizier Einert erworben. (Zivilstellung Briefträger in Altenburg) Otto hatte ja zwar auch vom zarten Fleisch der französischen Hühner geschmeckt, doch waren alle Hausbewohner bei Ruchbarwerden der Haussuchung, eifrig damit beschäftigt gewesen, alle Spuren des Hühnermords zu beseitigen.
Am 27. Februar 15 kam endlich die Botschaft, daß die Komp. an der Front eingesetzt werden sollte. Alle hatten das Etappenleben satt und waren froh sich endlich zu betätigen. Die große Durchbruchsschlacht „die Winterschlacht in der Champagne“ war gerade am heftigsten entbrannt. Dort bei Rigont sollte auch die San. Komp. ihre Feuertaufe erhalten.
Die Verladung erfolgte auf dem Bahnhof Rethel.
Der Zug setzte sich in Richtung Vouziers in Bewegung. Alle waren voll leidenschaftlichem Tatendrang. Nur heraus aus der Etappe. Mittun am großen Werk zu Deutschlands Größe. Im Klange von Vaterlandsliedern und bei strömenden Regen fuhr der Zug am 1. März 15 im Bahnhof Voziers ein. Der Kommandeur erhielt neues Reiseziel nach dem nahen Ardeul. Hier ausladen des Trains und Abmarsch nach der Reserve-Stellung bei Ripont. Otto hatte noch einen ziemlich prallen Rucksack, wo liebe Gegenstände steckten die er nicht gern missen wollte. So stapfte er mit seiner Last in der Nähe seines Gruppenführers, des Untffz. Dissau. Derselbe war auch nicht an schwere Lasten gewöhnt, und so klagten sie sich gegenseitig ihr Leid über den schlechten Weg und das Drücken des Tournisters. – Auf schlammigen Wegen – kaum zum Durchkommen – ging es der Front zu, deren bedenkliche Nähe man durch einschlagende Geschosse merkte. Immer weiter im Schlamm! Kurztreten! wird von hinten gerufen. Wahrscheinlich einer im Morast stecken geblieben! Es ist ekelhaft schlecht!
Zu große Stiefeln darf man nicht anhaben, denn sonst sind sie futsch. Die Komp. kam nur langsam vorwärts, der Schlamm wird noch tiefer. Durch unzählige Geschirre die nach vorn die Verpflegung bringen sind die Wege grundlos gefahren. Die Munitionsprotzen fahren 6 spännig doch auch diese versinkt noch bis zur Achse in den Schlamm. Langsam kommt die Komp. über den letzten Höhenkamm vor Rigont. Sie muß einen Weg überqueren der ebenso grundlos ist wie der bereits marschierte. Ein jeder sucht so schnell als möglich nach der andern Seite zu kommen. Die Leute stiegen in dem Schlamm herum wie die Störche im Salat. Das Bild zu malen hätte sich verlohnt. Zweie, der Fausel Karl und Frenzel Kurt machten eine Schaustellung die zum totlachen war. Fausel hatte seinen Stiefel stecken lassen und bat Frenzel ihm beim Suchen und Anziehen zu helfen. Das war nach Mühe gelungen. Doch durch das Arbeiten am Platze waren sie allmählich so tief eingesunken, daß keiner von Beiden fort konnte. Nun fingen sie an unter dem Gelächter der Anderen, sich gegenseitig die Beine aus dem Schlamm zu ziehen und vorwärts zu setzen. Doch hatten sie nicht auf das Gleichgewicht acht gegeben, und glatsch – lagen beide so lang wie sie waren im Schlamm. Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen, so auch hier. Alles lachte, doch die zwei Schlammbeißer hätten am Liebsten geweint vor Wut. Endlich nach langer Krebserei kamen auch sie auf die andre Seite.
Es dunkelte bereits als die Komp. an den Unterständen der San. Komp. 12, die sie ablösen mußte, ankam. Am Pferdestall bekamen sie zum Teil Unterkunft, mußten sich aber schon um 9h bereit machen um nach der Stellung zu gehen. Beim Antreten bekam die Komp. einen stellungskundigen Führer, der sie in ihren schweren aber edlen Dienst einführte. Im dämmernden Mondlicht marschierte die Komp. grüppchenweise nach vorn. Der Divisionsabschnitt an den sie arbeiten mußte, teilte sich ein in 4 Stellen, Ditfurth-Weg, Jungburg, Stellung 61 & Stellung 63. – Am 1. Abend arbeitete Otto auf Stellung 63. Von hier war ein sehr beschwerliches Zurücktragen der Verwundeten. Über hügliges Gelände im tiefsten Schlamm mußte er hier seine Pflicht erfüllen. Leicht war es ihm nicht geworden oft hörte ich ihn über wunde Schultern vom Tragen klagen. Doch es galt hier seinen Mann zu stehen und es war das eiserne „Muß“ daß ihn dazu bewog auf seine wunden Schultern Polster zu legen um seiner Pflicht auch weiterhin gerecht zu werden. Abwechseln kam Otto an alle Teile des Frontabschnitts. Die schlechteste Stellung war die Jungburg-Stellung. Rechts vom Ditfurth-Weg beginnt der schmale Graben nach der Jungburg. Ein schlechter seichter Graben der wenig Deckung bietet und noch obendrein mit Wasser und Schlamm ziemlich voll ist. Es ist am 2. Abend. Tags zu vor hatte in diesem Graben ein Handgranatenangriff stattgefunden. Die Leichen türmten sich übereinander. Otto wurde hier zu einer Arbeit eingeteilt, die sein gefühlvolles Herz zu Stein erhärtete. Es sollte Ablösung nach vorn. Über freies Feld konnte diese nicht. Deshalb hieß es „Graben freimachen! Krankenträger nach vorn!“ Der Graben wurde freigemacht, doch wie ist Nebensache. Das war eine Arbeit für Otto, die ihm das Blut in den Adern stocken ließ. Doch das Wort Krieg drückt alle Fragen, ob sich dies mit der Religion vereinbaren läßt, nieder. Nach anstrengender Arbeit waren die Krtr. nach einigen Stunden fertig. Es ist stockfinster. Langsam patschen sie im Schlamm den Graben rückwärts, bei jeder aufsteigenden Feuerkugel sich still niederdrückend. Otto stapft in ziemlich deprimierter Stimmung den andern nach. Zur Sicherheit des Ganges fühlt er sich am Rande des Ganges entlang. Da! – Die Franzosen schießen eine Leuchtkugel mit Fallschirm hoch, die langsam sich drehend nach unten schwebt. Otto duckt sich mechanisch, und stützt sich an den Grabenrand. Etwas Kaltes spürt er plötzlich in seiner Hand. Die Leuchtkugel kommt immer niedriger und ganz hell wird es um ihn. Jetzt erkennt er seine Umgebung. Eine Menschenhand, getrennt vom Arm, hält er in seiner Hand. Nicht weit davon liegt noch ein Kopf, halb zerfetzt von den Splittern der Handgranaten. Welch trauriges Bild!
Die Gedanken schwirren Otto im Kopf herum und er weiß nicht, wacht er oder träumt er. Zuletzt übermannt ihn eine grenzenlose Traurigkeit! Ungeachtet der Gefahr sinkt er in Gedanken, er sinnt und sinnt und fragt sich: „Warum das alles? Warum muß der Mensch, dem vor kurzen noch die Hand warm und gelenkig am Arm und der Kopf auf dem Nacken saß, auf diese Weise zu Grunde gehen? Wieviel Tränen werden ihm von lieben Angehörigen nachgeweint werden?“ Seine Gedanke springen über auf die Heimat, zurück auf die ersten Jahre seiner Jugend und enden in dem heißen Wunsche: „Ach Gott erspare meinen lieben Angehörigen eine solche Trauerbotschaft. Alle Strapazen will ich bis zur Neige durchkosten, doch laß meine Brüder und mich nur mit heilen Knochen nach Hause kommen und nicht so elendiglich zerstückelt auf fremder Erde verfaulen.“
Otto hatte in seinem Nachdenken das Weitergehen seiner Kameraden übersehen. So beeilte er sich, daß er sie wieder einholte. An seinem Unterstande angekommen lag er noch lange wach und konnte sich von dem schwermütigen Gedanken nicht trennen. Spät nachts fand er erst den Schlaf.
Die Unterkünfte der Komp. waren anfangs sehr schlecht. In einem Bau von Baumstämmen verdeckt mit Tannenreisig wo es in Strömen durch regnete, lagen die Mannschaften auf Tannenzweigen. Eine nicht beneidenswerte Lage! Wenn Otto des Nachts an seine Schlafstelle kam, war ein völliges Auskleiden nicht möglich. In der ganzen Zeit des Einsetzens in der Winterschlacht hat er sich nicht einmal entkleidet schlafen legen können. Die Lage der Unterstände war an einer Anhöhe frontabwärts. In dem Talkessel vor derselben standen am Tage die Krankenwagen und das Traingerät. Auf der gegenüberliegenden Anhöhe sah man einsam und verlassen das Kompanie-Latrinchen. Dieses Stille Örtchen brachte manche reizende Unterhaltung.
Um 2h nachm. begann die französische Artillerie ihr „geliebtes“ Geländeabstreichen. Es ist ein schöner heller Märztag. Die Soldaten reinigen ihre Sachen von der vorigen Nachtarbeit. So nahe wie heute hatten sich die Geschosse noch nicht verirrt. Sie suchten unsere hinter der nächsten Höhe liegenden 21er Mörser. Tschumm-ratsch, und auf genannter Höhe der Komp. Latrine sehr nahe, schlug die Granate ein. Der Krach war kaum verhallt, als ein „Jemand“, es war die „Wellfleischbacke“ der Komp. Zahlmeister, ganz rasend aus dem stillen Örtchen herausstürmte und den Unterständen zutrabte. In der Eile schien er vergessen zu haben seinem Allerwertesten die nötige Wärme und zur Reinlichkeit das notwendige Papier zuteil werden zu lassen, denn man sah zur Übergabe bereit eine weiße Fahne hintendrein flattern (sein Hemd) und mit der linken Hand krampfhaft seine Hose festhalten. Ein brausendes Gelächter erscholl von den Mannschaftsunterständen dem Herrn Zahlmeister entgegen. Zur Weihnachtsfeier 153 hatte ein Humorist dem Herrn Zahlrad ein Gedicht geschrieben wo der Refrain in den Worten auslief „Zum Reisen braucht man Schuhe aber zum Sch..... braucht man Ruhe.“

Ottos Unterstand bei Ripont 15 genannt „Läusefrei“
Die Komp. arbeite vom 1. März bis 14. April ununterbrochen in jetziger Stellung. Der Höhepunkt des Angriffs der Franzosen war Ende März erreicht, danach flaute die Kampftätigkeit ab und die Komp. bekam dadurch wesentliche Erleichterung im Dienst. Otto feierte verschiedene Wiedersehen in der Stellung. Im März kam das Res. Regt. 133 nach Ripont. Bei der 6. Komp. traf er Gustav Ahner und bei der 7. Komp. Arthur Patschke aus Trautzschen. Letzteren traf er bei einem Verwundetentransport am Graben. Ahner Gustav hatte von Kahnts Kuchen bekommen und lud Otto an einem Nachmittag zum Kaffee ein. Otto brachte die nötigen Zigarren mit, und so machten sie sich einen gemütlichen Nachmittag.

Otto als Kavallerist! (In Vendy ließ er sich in der Uniform eines Trainsoldaten abnehmen.)
Endlich kam die Zeit der Ablösung. So sehr sich Otto ins Frontleben gesehnt hatte, so sehr war ihm doch das Wort „Ablösung“ willkommen. Mit dem Gedanken und der Befriedigung seine Pflicht voll und ganz erfüllt zu haben, war ihm nach schwerer/harter Arbeit einige Tage der Ruhe sehr angenehm.
Vendy sollte der Ort der Ruhe sein. Derselbe lag sehr schön Champagnegelände. In der Niederung floß die Aisne und nicht weit entfernt der Aisne-Marne-Kanal.
Wie es allen San. Komp. im Westen zukam in den Orten Ordnung und Sauberkeit zu schaffen, so mußte auch in dieser Hinsicht die San. Komp. Nr. 22 ihre Pflicht erfüllen. Alle Gehöfte wurden von Schmutz gereinigt und zu Quartieren vorgerichtet. Bei Dienstfreiheit unternahm Otto mit verschiedenen Kameraden Ausflüge nach der nahen Umgebung.
Am 22. April kam von Ottos Vater ein Brief in dem ihm berichtet wurde, daß an den Komp. Führer ein Brief unterwegs sei der um Urlaub zur Feldbestellung antrage. „Ach wenn es nur genehmigt würde! hoffte Otto immer. Am 26. April, es war gerade gegen Mittag, wurde Otto ins Komp. Geschäftszimmer gerufen und ihm bekannt gegeben, daß er auf Urlaub müsse. Dieses „Muß“ ließ sich Otto gefallen. Er mußte sich auf die Zunge beißen um nicht vor Freude laut aufschreien zu müssen.
Am 27.4. abends 10h dampfte er vom Bahnhof Fryzi ab. Ab nach der Heimat! 14 Tage Urlaub schienen ihm solange als könnten sie gar nicht wieder vergehen. Über Charleville-Sedan-Metz-Frankfurt-Bebra-Leipzig dann Pegau. Endlich wieder nach 6 Monaten daheim. Es war eine Freude wieder bei Muttern zu sein. Viel gab es zu erzählen. Doch hatte Otto auch andre Pflichten. Das Verhältnis mit seiner Marie war zu innig gewesen und hatte Folgen gezeitigt. Er war es seiner und Maries Ehre schuldig, dem Gewäsch der Weiber die Spitze zu brechen und vorläufig die Verlobung bekannt zu geben. Beide hatten sich trotz des Zwischenfalls noch genau wie vorher lieb, und wünschten sich einen Jungen als Sprößling.- So war Ottos Programm eigentlich nicht gewesen, doch er mußte sich auch hierein fügen! – - –
Max, Ottos Bruder war im September 14 vor Vitry-le-France verwundet worden – Kopf- und Fingerschuß. Er war, da ihm jetzt ein halber Finger fehlte nicht wieder an die Front gekommen. Beim Landst. in Leipzig mußte er Posten als Bahnsicherung stehen. Paul war in Döbeln auch beim Militär.
Die Tage von Ottos Urlaub verrannen schnell. Es gab ja auch viel zu tun. Besuche abstatten, seine Braut unterhalten usw. Es waren der Tage noch wenige, als er vom Komp. Führer Bescheid erhielt, sich in Ripont in den alten Unterständen wieder einzufinden. Demnach war die Komp. nach kurzer Ruhe wieder nach der Front gegangen. Otto war das nicht zum Lachen, doch es half nichts. Am 13.5. zog er mit gefülltem Rucksack nach dem Bahnhof um sich wieder nach der Front zu begeben. Arthur Patschke teilte mit ihm sein Los, er zog den gleichen Weg. Die Fahrt war wie nach Hause die gleiche. Von Rethel benutzten Beide den westlichen Teil der Ringbahn über Bazancourt, Souplet nach Ruvra4. Von dort hatte Otto ca noch 2 Stunden nach den Unterständen von Ripont zu laufen. Gegen 12h nachts am 15. Mai traf er dort ein.
Die Front war bei weitem ruhiger wie in der Winterschlacht im März. – Am andern Tage mußte Otto gleich mit in Stellung gehen. Was für ein gewaltiger Gegensatz! Vor drei Tagen noch lieber Vater lieber Angehöriger und heute wieder das Minengekrache und Gewehrgeknatter. Oh, Krieg – was bist du doch für ein grauenvolles Gespenst, so (z) viele tausend zarte Fäden innigen Glücks zerstörst du! Die Gegensätze sollten diese Nacht noch viel stärker in Ottos Gemüt eindringen. Er war zur Hauptverbandswache bestimmt. Ihm lag das Bewachen der Schwerverwundeten ob. Im Schulhaus linkes Zimmer lagen 12 der Ärmsten, die genauester Bewachung bedurften. Der größte Teil davon lag im höchsten Wundfieber und phantasierte. In der Regel hatten diese armen Menschen nicht mehr lange zu leben, die Hoffnung der Aerzte auf ein Durchkommen war recht schwach. – Otto saß bei seiner Lampe und betrachtete all die Armen. Zwei Mann hatten schwere Kopfschüsse. Das hohe Fieber warf sie von einer zur andern Seite. Einer davon riß sich unter lautem Gestöhne den Verband vom Kopfe. Otto sprang hinzu und legte ihn wieder um. Kaum hatte er seinen Platz wieder eingenommen, war der Verband wieder herunter. Otto legte ihn wieder um. Da er aber nicht bei dem einen Verwundeten sitzen bleiben konnte sondern auch auf die andern aufpassen mußte, war er gezwungen die Hand an die Trage des Fiebernden festzubinden.
Es war für Otto ein trauriger Dienst diese armen Menschen bei ihrem Todeskampf bewachen zu müssen. Wie Nadelstiche drang es in sein Gemüt bei dem Rufen dieser Ärmsten nach Mutter, Vater oder Gatten, – dann noch ein greulicher Ton – er hatte ausgelitten. So sah er in einer Nacht 8 Mann sterben. An Schlaf war seitens Otto nicht zu denken. Hatte er einige Minuten Zeit, so saß er sinnend in seiner Ecke und grübelte über Dinge in der Welt nach, die schon manch Andern den Kopf zerbrochen hatten. Das Wort „Kismet“ (Schicksal) gewann bei ihm mehr und mehr Bedeutung.
Die Zeit verrann langsam, wie es in der Stellung immer ist. Endlich am 8. Juni erklang wieder das liebliche Wort „Ablösung“. Diesmal sollte die Komp. ihrer eigentlichen Division eingereiht werden. Freudig überrascht wieder aus dem Hexenkessel herauszukommen, stimmte alles die schönsten Lieder an und so gings mit der Bahn über Souplet nach Bazancourt. Dort Ausladen und Fußmarsch nach, Boult, das nur wenige Minuten von dort entfernt lag. Da die Komp. glänzend gearbeitet hatte, wieß ihr der Ortskommandant besonders gute Quartiere an. Otto hatte Glück, mit nur 4 Mann in das Haus eines Franzosen namens „Raphael“ ziehen zu können, wo sie zwei schöne Räume bewohnten. Der alte Raphael war verheiratet, seine Frau aber, weil sie lange Finger bei den Deutschen gemacht hatte, war nach dem Internierungslager Holzminden gebracht worden.
An diesem Orte verlebte Otto mit kleinen Abweichungen ein schönes Jahr Krieg. In Stellung ging die Komp. nicht, da es hier sehr ruhig war. Deshalb wurde die Komp. zu allerlei anderer nützlicher Arbeit verwendet. Mit Ausbesserung von Straßen, Anfertigen von Pfählen für den Drahtverhau, Hereinbringen der reichlichen Ernte, Postenstehen usw. hat sie sich, wenn nur gering, verdient gemacht. Anfangs verrichtete Otto alle diese Arbeiten auch mit. Eines Tages, es war im Herbst 15, kam er mit seinem Kommando aus dem Walde.
Am Geschäftszimmer wurde der Befehl erteilt „Sofort fertigmachen!“
Die Herbstschlacht war im vollen Gange. Abend um 7h fuhren 80 Mann mit Wagen nach dem rechten Flügel der Herbstschlacht, vorläufiges Ziel Lavannes. Nur kurze Zeit brauchte der Zug hier zu arbeiten. Bei Prosnes mußte sie mit noch einer San. Komp. die Verwundeten nach mehreren französischen Angriffen zurückbringen. Eines Abends war Otto wieder vorn im ersten Graben um seinen Dienst zu tun. Ein Angriff war abgeschlagen, die Verwundeten mußten noch vor Tagesanbruch zurück. Otto lief den Graben entlang und hörte außerhalb des Grabens ein Lallen und Stöhnen ähnlich dem Singen eines Blödsinnigen. Er lauschte und ging diesen Tönen nach. Über die Brüstung des Grabens bog er sich und hörte angestrengt. Da! Schon wieder das Singen und Stöhnen in fremdartigen Lauten. Otto war informiert. Im Stacheldraht hing ein total besoffener Franzose, verwundet, und lallte in seinem Zustand den Anfang der Marselliase. Vor dem Angriff schien es bei denen da drüben recht viel Alkohol zu geben. Ein Ekel erfaßte Otto! Soweit war man schon bei den Franzosen gekommen, daß man die Masse mit Alkohol nach den feindlichen Gräben jagen mußte.
Nach 2 ½ Wochen kam der Zug nach der Komp. zurück. Von Paul hatte Otto Briefe erhalten und freute sich, daß dieser auch bei seiner Division im Felde sei. Wenn Paul aus Stellung kam lag er in Boult, Borgogne oder Fresne. Am Sonntag den 10. Aug. besuchte ihn Otto in Fresne. Schöne Plauderstunden verlebten beide zusammen, gedachten der Lieben daheim und verzehrten gemeinsam die eingegangenen Feldpostpakete. – Paul war mit Leib und Seele Soldat und hatte genau wie Otto zu Anfang den entsetzlichen Drang Taten zu tun und Franzosen umzubringen. Bei Otto war die Hitze schon ziemlich gekühlt. – Im Herbst ging Paul, da er Einjähriger war, nach Deutschland zum Offizierskursus.
Am Abend des 10. Aug. kam Otto von seinem Besuch zurück. Es war ein Stapel Pakete und Briefe eingegangen. Unter andern auch eine Nachricht, daß Marie von einem Mädchen am 5. Aug. entbunden sei. Also wieder nicht nach Wunsch. Doch Otto freute sich, daß Mutter und Kind gesund sind.