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»Aber er ist ein Verräter …«, schimpfte Grimzhag, wobei er schon wieder etwas leiser wurde.
»Von einem Grauaugenork erwarte ich vorausschauendes Denken«, mahnte der Schamane. »Du wirst Baudrogg ignorieren und dich nicht in Dinge einmischen, die außerhalb der Grenzen deines Reiches geschehen und dich deshalb auch nichts angehen.«
Der vor dem fein gekleideten Mandarin stehende Kaufmann aus Berbia verbeugte sich mehrere Male, genau wie sein Diener Weng, welcher bemüht war, den Adeligen bei Laune zu halten. Qin-Wang hingegen wirkte gelangweilt, hatte er doch vom Himmelskaiser den Auftrag bekommen, bei Zaydan Shargut nachzufragen, ob das Problem der von den Orks gesperrten Handelsstraßen gelöst sei. Dafür hatte der kaiserliche Beamte extra den weiten Weg nach Kin-Weig antreten müssen, um Shargut in seiner Villa aufzusuchen. Sein Gastgeber selbst hatte sich heute in ein langes Seidengewand mit weiten Ärmeln gekleidet. Um den dicklichen Bauch trug Zaydan einen breiten Gürtel aus schwarzem Leder mit einer goldenen Schnalle, in dem ein berbischer Zierdolch aus Silber steckte. Auf dem Kopf trug der Händler einen überdimensionalen Hut aus hellbraunem Filz mit einer riesigen, lilafarbenen Feder. Um den kurzen, braunen Hals des Kaufmanns hingen außerdem sechs teure Goldketten verschiedenster Art.
Es sei wichtig, dem Mandarin wie ein Edelmann entgegenzutreten, hatte Zaydan seinem Diener Weng im Vorfeld dieses Treffens erklärt. Immerhin war er eine wichtige Persönlichkeit mit einem prallen Geldbeutel, die sich auch vor einem Beamten des Kaisers nicht zu verstecken brauchte. Dennoch war es sinnvoll, Qin-Wang nicht zu verärgern und ihm das zu erzählen, was er hören wollte.
Der Gast trug die traditionelle Kleidung eines Mannes aus dem manchinischen Hochadel, ein ebenfalls sehr langes, purpurrotes Gewand, das mit diversen Tiermustern und verschnörkelten Symbolen bestickt war. Qin-Wangs ausrasierte Stirn glänzte in der Mittagssonne, die ihre warmen Strahlen durch das Dachfenster in Zaydans Arbeitszimmer schickte. Am Hinterkopf des Manchinen fiel ein langer Zopf die Schultern herab.
»Dann habt Ihr das Problem also bereits gelöst, oder wie?«, fragte Qin-Wang mürrisch und starrte Zaydan mit seinen grünen Augen an.
»Wir sind dabei, eine dauerhafte Lösung zu finden, werter Mandarin«, antwortete Zaydan. »Die Karawanen können inzwischen wieder bis nach Aurania und in die Wüstenländer Suzlans reisen. Und ich hoffe, dass es so bleibt.«
»Hat sich dieser Orkkönig bestechen lassen?«, brummte Qin-Wang
»Nun, dieser Grimzhag bleibt nach wie vor hart. Aber wir haben die Handelswege einfach umgeleitet – durch das Reich eines anderen Orkhäuptlings«, mischte sich Weng ein. Zaydan befahl ihm, den Mund zu halten und lächelte dem Verwalter der Provinz Benxij zu.
»Ja, so ist es, Ehrwürdiger«, sagte er dann.
Der Mandarin stöhnte auf, als ob ihm dieses Gespräch mehr als uninteressant vorkäme. Mit einem unwilligen Brummen antwortete er: »Der Himmelskaiser würde gerne noch einige weitere Informationen über dieses neue Orkreich haben.
Ich persönlich halte dies zwar für unwichtig, aber wenn es der Göttliche wünscht, dann soll es so geschehen. Könnt Ihr mir da behilflich sein, Berbianer?«
»Selbstverständlich, edler Qin-Wang. Der Sohn des Himmels kann stets auf die Hilfe der berbischen Kaufleute zählen. Und vor allem auf meine! Wir werden uns weiter umhören und alles über diesen Grimzhag herausfinden«, versprach Zaydan.
»Möchte der verehrte Qin-Wang noch etwas Wein?«, mischte sich Weng noch einmal ein.
Der Mandarin winkte ab und sah an dem untersetzten Manchinen vorbei. Dann deutete er herrisch auf Zaydan.
»Dann kann ich davon ausgehen, dass das Problem der versperrten Handelswege von Euch gelöst worden ist?«
»Ja, gnädiger Herr!«, erwiderte der Kaufmann nach einer kurzen Pause.
»Und diesen lächerlichen Orkkönig behaltet Ihr auch im Auge?«, schob Qin-Wang nach.
»Auf jeden Fall, gnädiger Herr!«
»Gut, dann kann ich ja jetzt wieder gehen und zurück nach Cheng-Ho reisen, um mich mit wichtigeren Dingen zu befassen, nicht wahr?«, bemerkte der Beamte kalt.
»Wie Eure Exzellenz wünschen«, katzbuckelte Zaydan.
»Auf Wiedersehen!«, sagte Qin-Wang barsch und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
»Ja, verschwinde nur, du alberner Großkotz«, zischelte Zaydan seinem Gehilfen ins Ohr und grinste bösartig. »Ich kümmere mich schon um diese grünhäutige Brut und ihren verlausten Steppenkönig. Darauf kannst du dich verlassen.«
Soork war nach Chaar-Ziggrath gekommen, damit er Grimzhag bei einigen wichtigen Fragen als Berater zur Verfügung stehen konnte. Heute waren die beiden in der ehemaligen Hauptstadt des Khuzbaathreiches unterwegs, um sich den befreiten Grauaugenorks zu widmen. Es waren mehrere Hundert, die in den Sklavenkellern der Zwerge aufgewachsen und von diesen sogar gezielt vermehrt worden waren. Das kam dem jungen Orkkönig jetzt zu Gute, denn auch er plante Ähnliches.
Inzwischen unterzog man die Grauaugenorks täglich einem harten Drill und einige der großen, gepflasterten Plätze im Herzen von Chaar-Ziggrath wurden dafür als Übungsplätze genutzt. Hier lernten die Grauaugen den Schwertkampf, schleuderten Speere auf Strohsäcke, die an Holzgestellen hingen, oder wurden in den Grundlagen militärischer Taktik geschult.
»Wie schön sie sind, meine starken Edelorks. Der neue Adel meines Reiches, die zukünftigen Rottenführer meiner Armee«, schwärmte Grimzhag und betrachtete einige Dutzend Grauaugen, die sich im Ringkampf übten.
Es waren beeindruckende Gestalten, hochgewachsen, mit langen, muskelbepackten Armen und breiten Schultern. Ihre graugrüne Haut glänzte in der Sonne und ihre großen Klauen konnten gehörig zupacken.
»Es ist ein Segen, dass gerade die Kleinwüchsigen um den Wert der Grauaugen gewusst hatten. Sie hielten sie als Elitesklaven und wir werden sie jetzt sowohl als Elitekrieger als auch als Verwalter des Reiches einsetzen können«, bemerkte Soork nüchtern.
»So soll es sein, Schamane!«, stieß Grimzhag begeistert aus. »Aber noch sind es zu wenige. Wir brauchen viel mehr von ihnen und deshalb sollen sie sich so schnell es geht vermehren.«
Einer der grauäugigen Ausbilder kam zu seinem König und dem Geistesbegabten hinübergelaufen und verbeugte sich mit einem respektvollen Brummen.
»Ich hoffe, Ihr mögt, was Ihr seht, Wütender!«, knurrte er mit tiefer Stimme.
Grimzhag zeigte die Fangzähne und lächelte. »Es ist ein erhabener Anblick.«
»Wir werden heute noch den Kampf mit Axt und Schwert trainieren, Gebieter. Heute Abend werde ich den jungen Kriegern die von Euch erdachten Kampfformationen lehren. Es vergeht kein Tag ohne Drill. Ich erspreche Euch, dass wir diese Orks zu furchtbaren Waffen schmieden werden, denen kein Feind auf dem Schlachtfeld trotzen kann«, sagte der hünenhafte Krieger und seine hellen Augen leuchteten erwartungsvoll.
»Ich bin sehr zufrieden, Ausbilder Rogorg!«, gab Grimzhag zurück und stampfte auf, um zu zeigen, dass er es auch wirklich so meinte.
»Nun sollen meine Soldaten antreten, denn ich will ihnen einen neuen Befehl geben!«, fuhr der Häuptling fort.
Der Ausbilder rannte augenblicklich zu den anderen Orks zurück und rief sie zusammen. Es dauerte nur einen kurzen Moment, da waren sie auch schon in Reih und Glied vor ihrem König angetreten. Starr blickten sie geradeaus, während Grimzhag auf sie zu stolzierte.
»Ist es das, was ich denke?«, fragte Soork und kicherte.
»Ja!« Sein junger Freund grinste zurück und musterte dann die grauäugigen Kämpfer.
Sie standen da wie eine Wand aus grüngrauen Muskeln, wie ein Bollwerk der Entschlossenheit. Die meisten von ihnen trugen lediglich einen ledernen Lendenschurz oder ein schmutziges Leinenhemd. Gespannt warteten sie auf die Anweisungen des Orks, den sie noch immer als Befreier verehrten und dem sie Gefolgschaft geschworen hatten.
»Meine Krieger aus bestem Orkblut!«, rief Grimzhag und machte einige theatralische Gesten. »Die Paarungszeit ist angebrochen und ich erwarte vor allem von euch, dass ihr eure Pflicht beim Wiederaufstieg des Orkvolkes tut!«
Die breitschultrigen Grauaugen gaben keinen Ton von sich und starrten den jungen Brüller weiterhin grimmig an.
»Morgen werden die Tore des neuen Cramoggviertels von Chaar-Ziggrath geöffnet, um die Krieger zu den Andersgeschlechtlichen zu lassen, auf dass die große Zeugung beginnen kann! Für euch Grauaugen sind bereits jene Cramogg ausgewählt worden, die Orks von eurem Blut ausbrüten können. Es ist daher eure heilige Pflicht, so viele dieser edlen Cramogg wie nur möglich zu begatten. Es ist bereits alles vorbereitet und nun müsst ihr nur noch zur Tat schreiten!«, proklamierte Grimzhag und gestikulierte herum.
»Zu Befehl!«, antworteten die Elitekrieger im Chor und verzogen dabei keine Miene. Anschließend gingen sie wieder zurück auf den Übungsplatz und machten mit ihren Ringkämpfen weiter.
»Ein ganz schön humorloser Haufen, deine neuen Sturmtruppen«, bemerkte Soork.
»So sind sie eben. Man darf nicht vergessen, dass sie schwere Zeiten hinter sich haben. Sie verehren mich und gehorchen mir blind. Sie gehorchen mir genauso wie den Sklaventreibern der Khuzbaath. Aber ich will sie nicht als Sklaven haben, sondern als eigenständig denkende Kampfgefährten«, meinte Grimzhag.
»Das ist ein weiser Gedanke, mein Freund. Diese Orks sind viel zu wertvoll, um lediglich willenlose Diener zu sein, Häuptling. Eines Tages sollen einige von ihnen selbstständig führen und verwalten können. Dafür aber muss man ihnen das eigenständige Denken anerziehen«, sagte der Geistesbegabte.
Sein grauäugiger Freund brummte zustimmend und sah seinen imposanten Kämpfern noch eine Weile zu.
Weng stieg von seinem Pferd und betrachtete die Hobgoblins, welche ihn misstrauisch anstarrten oder ihm herabwürdigende Blicke schenkten. Doch daran hatte er sich längst gewöhnt, denn das war beim ersten Zusammentreffen mit Grünhäuten normal. Menschen standen sie eben mit Abneigung gegenüber und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
»Wer bist du, Menschling?«, zischte ein hagerer Hobgoblin und hob drohend die Klaue.
»Mein Name ist Mung-Ho, ich bin ein Gesandter des Kaisers von Manchin«, antwortete Weng mit ausdrucksloser Miene. »Bitte führt mich zum allmächtigen Grashrakk!«
»Ein Gesandter des Kaisers?«, wunderte sich der Wachsoldat. »Was willst du von uns?«
»Ich glaube kaum, dass ich diese Frage einem gewöhnlichen Krieger beantworten muss, wenn ich den großen Grashrakk zu sprechen verlange. Oder wie sieht das euer Gebieter?«, gab der Manchine nüchtern zurück.
»Folge mir!«, knurrte der Hobgoblin missmutig und führte Weng durch die Zeltstadt, in deren Mitte der Steppenkönig residierte. Es dauerte nicht lange, da stand Zaydans Diener vor der riesenhaften Palastjurte des Grashrakk.
Hier wurde er bereits von einigen Dutzend Hobgoblinkriegern mit Speeren und Schilden erwartet. Weng ignorierte ihre unfreundlichen Blicke und ihr bösartiges Gezischel und verlangte Grashrakk sofort zu sprechen.
Schließlich wurde er durch ein langgezogenes Zelt geführt, das aus unzähligen, bemalten Tierhäuten angefertigt worden war. Kurz darauf stand er vor dem Khan, umringt von zahlreichen, neugierigen Hobgoblins. Der Steppenfürst scheuchte die anderen Grünhäute mit einer kurzen Handbewegung fort und lediglich zwei Wachen blieben zu beiden Seiten seines Throns bei ihm.
Der mächtigste Stammesführer der östlichen Steppen stand auf und sah mit einem listigen Lächeln auf Weng herab. Seine spitzen Zähne wurden entblößt und Grashrakks rötliche Augen leuchteten erwartungsvoll. Der Hobgoblin hatte ein schmales, längliches Gesicht mit einer spitzen, leicht nach unten gebogenen Nase.
Einen gewöhnlichen Goblin überragte er um mindestens einen Kopf. Die Grünhaut war in ein dunkelrotes Gewand gehüllt, das offenbar einst einem Menschen gehört hatte, und trug einen langen Umhang aus Ruumphfellen. Mehrere Goldketten und Gnoggzähne hingen um seinen dürren, runzligen Hals und rundeten das Bild eines zwielichtigen Banditenkönigs aus der Steppe vollständig ab.
»Was ist?«, fragte Grashrakk.
»Mein Name ist Mung-Ho und ich komme im Auftrag des Kaisers von Manchin. Ich habe Euch ein Geschäft vorzuschlagen, mächtiger Herr der östlichen Weiten!«, antwortete Zaydans Gehilfe etwas unsicher.
»Der Menschlingskaiser schickt dich? Aha!«, brummte Grashrakk und machte den Eindruck, als ob er seinem Gast keinen allzu großen Glauben schenken würde. Aber da die Hobgoblins selbst nicht sonderlich oft die Wahrheit sagten, war das nicht ungewöhnlich.
»Also?« Der Stammesfürst grinste hämisch.
»Ihr wisst sicherlich vom neu entstandenen Reich des Grimzhag im Westen, nicht wahr?«, sagte Weng.
»Selbstverständlich!«, zischte Grashrakk.
»Dieser Orkhäuptling, der sich selbst als König aller Orks bezeichnet, herrscht nicht nur über ein großes Stück Steppenland, sondern auch über das ehemalige Reich der Khuzbaath im Norden der Dunklen Lande...«, erläuterte der Manchine.
»Das habe ich inzwischen gehört. Komm auf den Punkt, Menschlingsbote!«, drängte der Khan barsch.
Weng hob den Blick. »Dieser Grimzhag plant die Eroberung der gesamten Steppe und will alle Grünhautstämme unterwerfen. Weiterhin überfallen seine Krieger die Karawanen, die aus Manchin nach Westen reisen. Das erzürnt nicht nur die manchinischen Kaufleute, sondern auch den göttlichen Kaiser selbst.«
»Und was gehen mich eure Karawanen an, Menschling?« Grashrakk stieß ein gelangweiltes Fauchen aus.
»Nichts!«, erwiderte sein Gast kalt.
»Also?«
»Aber wenn Euch Grimzhag mit seinen Horden überfällt, dann geht Euch das schon etwas an, oder?«
»Ich kenne diesen Ork nicht – noch nicht. Aber warum sollte er das tun? Wir haben keinen Krieg mit ihm, Menschling.«
»Glaubt mir oder lasst es bleiben, wir Manchinen haben unsere Spione im Stamm der Mazauk und wissen mehr als Ihr. Grimzhag gelüstet es nach noch mehr Macht und er schielt auf die östlichen Steppen, großer Khan.«
»Manchinische Spione laufen durch das Lager eines Orkstammes. Hältst du mich für dämlich, Menschling?«
»Orkische Spione, die wir bezahlen. Was glaubt Ihr denn, Steppenfürst?«, gab Weng zurück.
»Dann schlage dein Geschäft vor und verschwende nicht weiter meine Zeit, Gelbhaut!«, knurrte der Khan und setzte sich wieder auf seinen Thron.
»Wir sind bereit, Euch viel Gold und Silber zu geben, wenn Ihr Grimzhag ausschaltet. Beseitigt ihn und erhaltet dafür eine reiche Belohnung«, sprach der Manchine.
Grashrakk kicherte leise. »Warum schickt ihr nicht die kaiserliche Armee gegen diesen Orkkönig?«
Zaydans Diener stockte für einen Augenblick und legte seine breite Stirn in Falten. Er überlegte krampfhaft, was er dem Khan jetzt antworten sollte. Dass dieser ihm nicht traute, war mehr als offensichtlich.
»Der Kaiser hat keine Zeit, sich um irgendwelche Steppenorks zu kümmern und deshalb seine Heere durch die Einöde zu schicken. Dafür gibt es Gold und Silber, großer Khan.«
Der Hobgoblinkönig stand erneut auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein stechender Blick ging auf Weng hernieder und sein feistes Grinsen zeigte eine Reihe spitzer, gelber Zähne.
»Zeig mir zuerst dein Gold, Menschling. Wenn du kein Gold mitgebracht hast, dann kannst du sofort wieder gehen und die Unterredung ist beendet. Ist das klar?«, knurrte Grashrakk.
Weng grinste zurück. »Ich habe Gold dabei. Oder glaubt Ihr vielleicht, dass der göttliche Himmelskaiser seine Gesandten mit leeren Taschen losschickt?«
Grashrakk Khan
Feuerrote Säulen trugen die prunkvolle Halle am Rande der Verbotenen Stadt, der kaiserlichen Residenz im Herzen der manchinischen Metropole Kaifeng. Die glatten, cremefarbenen Wände waren voller Malereien und vergoldeter Verzierungen. Überall standen hohe Vasen aus feinstem Porzellan auf kleinen Podesten aus weißem Marmor. Diese waren wiederum mit Bildern aus der glorreichen Geschichte und Mythologie Manchins geschmückt. Doch diese Halle war lediglich eines der weniger prunkvollen Gewölbe in der Verbotenen Stadt und gehörte nicht einmal zum eigentlichen Kaiserpalast, zu dem Nichtadelige oder niedere Beamte der manchinischen Bürokratie keinen Zutritt hatten.
Hier wurden ausschließlich Gäste von auswärts begrüßt, was nichts daran änderte, dass Zaydan heute von keinem Geringeren als dem Himmelskaiser selbst empfangen wurde. Der Berbianer hatte Yuan-Han III. noch nie zuvor mit eigenen Augen gesehen. Dass ihn der Imperator persönlich zu sprechen wünschte, zeigte seinen in letzter Zeit gewachsenen Einfluss unter den manchinischen Händlern.
Der ansonsten so selbstbewusste Kaufmann aus Kin-Weig wirkte an diesem Tag wie ein kleiner Wurm, der von göttlicher Pracht umgeben war. Zwei manchinische Palastwachen führten ihn in eine weitere Halle, in deren Zentrum ein Podest aus rotem Marmor mit einem goldenen Thron darauf stand. Einige Würdenträger in edlen Seidengewändern und mit einer Vielzahl seltsamer Kopfbedeckungen erwarteten den einflussreichen Großhändler bereits und kamen auf ihn zu, sobald die beiden Wachen das Portal geöffnet und Zaydan hineingelassen hatten.
»Der Göttliche wird jeden Augenblick erscheinen. Wagt es nicht, ihn anzusehen, und werft Euch frühzeitig vor ihm auf den Boden. Ihr dürft nur kniend mit seiner Majestät sprechen und nur antworten, wenn es der Sohn des Himmels gestattet!«, erklärte einer der kaiserlichen Beamten.
Zaydan hielt den Atem an und starrte nervös auf die breiten Eingangstüren am anderen Ende der Halle, die sich langsam öffneten und den Blick auf einen hell erleuchteten Gang freigaben. Dutzende von Männern in wallenden Roben und einige Palastwachen kamen herein – und schließlich der Kaiser selbst. Yuan-Han III. trug ein sehr langes, ockergelbes Seidengewand und eine gewaltige Krone auf dem Kopf. Seine Kopfbedeckung erinnerte an einen mit zahllosen Rubinen geschmückten Baumwipfel aus purem Gold.
Sofort warf sich Zaydan vor dem roten Marmorpodest auf den nach Rosenblüten riechenden Boden und kauerte sich demütig zusammen. Derweil schritt der Kaiser eine Treppe hinauf und ließ sich auf seinem Thron nieder. Seine Schritte wurden von einem hohen Beamten laut mitgezählt, denn mehr als hundert Schritte am Tag konnten dem Göttlichen nicht zugemutet werden. Er lag jetzt bei 71, wie Zaydan hörte.
»Er soll sprechen! Ich möchte alles über jene Orks hören, die unsere Kaufleute schikanieren«, sagte Yuan-Han III. zu einem seiner Beamten und dieser sprach Zaydan daraufhin direkt an.
Der berbische Händler signalisierte, dass er verstanden hatte, und begann mit seinem Bericht. »Ein unbekannter Orkhäuptling aus dem Norden hat vor einiger Zeit mehrere Grünhautstämme unter seiner Führung vereint und ein Reich in den westlichen Steppen gegründet. Zudem hat er das Land der Khuzbaath erobert und dieses Zwergenvolk vernichtet. Da die große Handelsstraße durch das ehemalige Khuzbaathreich verläuft, kam es daraufhin zu Zwischenfällen, denn die Orks haben unsere Karawanen nicht mehr durch ihr Gebiet reisen lassen, göttlicher Sohn des Himmels!«
»Der allmächtige Kaiser verlangt den Namen dieses frechen Orkhäuptlings!«, rief der Beamte neben dem Imperator.
»Grimzhag, Göttlicher! Dieser Ork heißt Grimzhag und ist vom Stamme der Mazauk!«, antwortete Zaydan so schnell er konnte.
Yuan-Han III. flüsterte seinem Diener etwas ins Ohr und dieser gab zurück: »Der Größte aller Imperatoren wünscht nicht, mit Details gelangweilt zu werden. Er hat lediglich den Namen des Orks wissen wollen.«
»Ich bitte untertänigst um Vergebung, Sohn des Himmels!«, stammelte Zaydan.
Dann erhielt der Kaufmann die Erlaubnis, noch einige Dinge zu erläutern. Er erklärte dem Kaiser, dass die Karawanen inzwischen durch das Gebiet des weiter südlich gelegenen Orkreiches von Morkfort reisten und man sich mit dem dortigen König geeinigt habe. Damit betrachtete der Himmlische das Problem als erledigt.
»Der allmächtige Yuan-Han III. lobt Euren Eifer bei der Beseitigung der vorausgegangenen Schwierigkeiten, Zaydan Shargut. Er möchte in Zukunft jedoch nichts mehr von diesem Orkhäuptling und seinem sogenannten »Reich« hören. Derartige Unwichtigkeiten liegen zu nahe am Boden, als dass sie vom Blick des Göttlichen, der stets auf den Himmel gerichtet ist, noch gestreift werden könnten!«, rief der Beamte zur Rechten des Imperators.
Anschließend wurde Zaydan wieder von zwei Wachen aus der Halle und schließlich aus dem Gebäude geführt. Hinter ihm wuchs der gigantische Kaiserpalast in den Himmel und es wurde Zaydan in diesem Moment bewusst, wie unbedeutend er doch war. Allerdings benötigte auch der mächtigste Herrscher immer wieder neues Gold. Wer diese Tatsache missachtete, war ein Narr.
Grimzhags »Palast« in der Steppe wäre in der Verbotenen Stadt von Kaifeng vermutlich kaum mehr als ein unwichtiges und zudem recht hässliches Nebengebäude gewesen. Dennoch war der junge Brüller immer wieder stolz, wenn er durch seinen Thronsaal ging und die bunten Gemälde und zahlreichen Trophäen an den Wänden betrachtete. Rund um sein Herrscherhaus wuchs die von ihm gegründete Stadt Karokum langsam an. Zwar hätte er auch in Chaar-Ziggrath bleiben und sich dort seinen Hauptsitz einrichten können, doch drängte ihn sein Ehrgeiz dazu, selbst eine Stadt erbauen zu lassen. Was die alten Grauaugenkönige gekonnt hatten, konnte er auch. Das betonte er wieder und wieder.
Die Baukünste der gewöhnlichen Orks hielten sich jedoch noch immer in Grenzen und bei den Steppenstämmen, die eigentlich in Zelten lebten, war das besonders signifikant. Aber eine paar Grünhäute aus den Dunklen Landen waren bereits als Berater vor Ort und zeigten den Mazauk, wie man Häuser errichtete. Auch wenn diese Gebäude noch klobig und nicht selten schief aussahen, so liebte Grimzhag bereits jedes einzelne von ihnen. Die Orkbaumeister waren meistens Geistesbegabte oder Grauaugen. Vor allem die in Chaar-Ziggrath befreiten Grauaugensklaven hatten ein reiches Wissen über die Kunst des Bauens. Inzwischen ärgerte es Grimzhag allerdings, dass seine Krieger sämtliche Khuzbaath erschlagen und nicht wenigstens die Handwerker unter ihnen verschont hatten, denn die Kleinwüchsigen waren den Grünhäuten in der Baukunst um Längen voraus. Aber dafür wirkten die langsam wachsenden Gebäude Karokums jetzt sehr traditionell und orkisch. Also bräuchte man die anderen Völker nicht und könne alles allein machen, meinte Grimzhag. Das Ganze war nur eine Frage des Willens und der Organisation.
Wenn der junge Brüller nicht gerade die von Soork gezeichnete Weltkarte Antariksas studierte oder sich mit der Ordnung seines Reiches befasste, schlenderte er über die Baustellen von Karokum und ließ sich bei den Arbeitern sehen. Die meisten von ihnen waren Goblins, die fast ohne Pause schufteten und ackerten. Allerdings dienten sie Grimzhag nicht als Sklaven und der Häuptling achtete darauf, dass ein jeder Snag, so unbedeutend er auch erscheinen mochte, immer mit einer ausreichenden Menge Fleisch und frischem Wasser versorgt wurde.
»Eure Werke wird man noch in Jahrhunderten bewundern«, erzählte er den verschwitzten und vor Anstrengung keuchenden Goblins, wenn er ihre Arbeit inspizierte.
Und die meisten von ihnen ließen sich trotz der mühsamen Schufterei von Grimzhags Eifer inspirieren und schienen sogar stolz zu sein, dass sie bei der Geburt einer neuen, echten Orkstadt in der Steppe mithelfen durften.
Auch dadurch unterschied sich Grimzhag von so manchem anderen Orkkönig, der die kleineren Grünhäute oft nur als Sklaven und rechtloses Gesindel betrachtete. Aber das widersprach dem Grundgedanken der Einheit des Orkvolkes, den der junge Brüller inzwischen tief in sich trug. Und zu der grünhäutigen Art gehörten nun einmal auch die Snags, die unterste und schwächste Kaste der orkischen Art, die aber dennoch Großes leisten konnten, wenn sie entsprechend angeleitet wurden.
In diesem Punkt gaben die langsam, aber stetig wachsenden Gebäude Karokums dem ehrgeizigen Häuptling Recht. Immer höher und breiter wurden die Häuser und immer zufriedener wurde Grimzhag. Schicht um Schicht klobiger, mühsam zurechtgehauener Steine türmte sich allmählich zu festen Mauern auf. Die wenigen Bäume, die man in den Steppen rund um die neue Hauptstadt hatte finden können, waren längst abgeholzt und zu klapprigen Baugerüsten oder Stützbalken verarbeitet worden. Überall wurde geschleppt, geschnauft, gezogen, gemeißelt und verputzt.