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»Von welcher Hochzeit redet Ihr, verehrter Herr?«, fragte Zaydan und machte einen äußert interessierten Eindruck.
Der Leevländer hob den Zeigefinger. »Na, davon spricht doch schon der gesamte Adel der Ostmark. Der Zwergenprinz von Kazhad Mekral, Hignir IV., wird demnächst die Tochter des Khuzkönigs von Kazhad Harush heiraten. Wir Ostmärker, natürlich nur die Männer von Rang, werden dem Spektakel definitiv beiwohnen. Immerhin sind wir ja alte Zwergenfreunde.«
Plötzlich starrte Zaydan für einige Sekunden finster ins Leere. Jedoch nur für die Zeit eines Wimpernschlages, zu kurz, dass es dem Baron hätte auffallen können. Schließlich lächelte der Bankier wieder milde und erwiderte: »Davon hatte ich bisher noch gar nichts gehört. Erzählt mir doch ein wenig mehr darüber, verehrter Baron. Eine Hochzeit unter den Zwergen, sagt Ihr? So, so, der Prinz von Kazhad Mekral. Das macht mich neugierig.«
Der Tempel der Zucht, jener immer größer werdende Monumentalbau, den Grimzhag etwa fünfzig Kilometer westlich von Karokum aus dem Steppenboden stampfen ließ, war von allen Bauvorhaben das liebste Kind des Orkherrschers. Bisher stand erst das dreistöckige Hauptgebäude des riesenhaften Komplexes, der eines Tages der orkischen Urmutter Shubukku geweiht und zur Geburtsstätte tausender Grauaugen werden sollte.
Rund um das aus klobigen Steinquadern bestehende Gebäude türmten sich Berge von Baumaterial zwischen hölzernen Gerüsten, schwitzenden Arbeitern und brüllenden Lastentieren auf. Grimzhag war begeistert, als er sich, begleitet von Soork, Cuglakk, Zugrakk und seinem Sprössling Kulghor, dem Zuchttempel näherte und ihm ein Begrüßungskomitee aus Geistesbegabten entgegeneilte.
Die Orkdenker empfingen den König und seine Begleiter mit demütigen Brummlauten, während Grimzhag die Klauen in die Höhe warf und ihnen zurief: »Wie schön das Haupthaus bereits ist, obwohl ja noch viel zu tun ist!«
»Ja, da hat er wieder einmal etwas Tolles aufgezogen«, bemerkte Cuglakk kichernd und fing anschließend an zu husten.
»Aber ich darf da jetzt auch rein, oder?«, murmelte Zugrakk leise in Grimzhags Richtung. Dieser drehte sich um.
»Obwohl du kein Edelork bist, so erlaube ich es dir dennoch, deinen Fuß in den Tempel der Zucht zu setzen«, antwortete der Mazaukhäuptling förmlich.
»Wirklich zu gütig, allmächtiger Großkönig aus bestem Wurf«, gab der Krieger zurück.
Dann führten die Geistesbegabten die Gäste über einen großen, gepflasterten Platz hin zum Eingang des Haupthauses. Kurz davor baten sie Grimzhag jedoch stehen zu bleiben, denn sie wollten ihm eine Überraschung bereiten.
»Es ist so weit, ihr Cramogg!«, rief einer der Orkdenker mit bebender Stimme, während der junge Brüller und seine Begleiter erwartungsvoll mit den Oberkörpern wippten.
Einen Augenblick später strömte eine große Gruppe Orkweibchen aus dem Gebäude heraus. Sie begrüßten ihren König demütig, um sich dann in Reih und Glied, einer Grauaugenkampftruppe gleich, auf dem Platz zu formieren. Zugrakk musste grinsen, doch Grimzhag betrachtete die Cramogg mit stolzgeschwellter Brust und ging ein paar Schritte auf sie zu.
»Obwohl das große Haus noch nicht ganz fertig gestellt ist, werden wir es schon in der nächsten Paarungszeit nutzen. Es werden weitere Cramogg aus den östlichen Stämmen kommen, auf dass es bald zu einem großen Akt der Zucht auf diesem heiligen Boden kommen kann, Wütender«, erklärte ein junger Orkdenker, der das königliche Begattungsprogramm maßgeblich organisierte.
»Großartig!«, stieß Grimzhag aus.
»Überall unter den Stämmen gibt es noch Weibchen, die in der Lage sind, Grauaugen zur Welt zu bringen. Wir sind bemüht, sie alle aufzusuchen und gemäß Euren Vorgaben an diesen gesegneten Ort der Zeugung zu bringen«, ergänzte ein zweiter Geistesbegabter.
»Das freut mich! Meine Grauaugenkrieger stehen bereit, um zum Tempel der Zucht zu marschieren und ihre Pflicht zu tun«, sagte Grimzhag.
Soork befahl Zugrakk, keine dummen Kommentare abzugeben, denn dieser grinste inzwischen bis über beide Ohren. Doch was verstand schon ein gewöhnlicher Ork von den hochfliegenden Visionen einer neuen Adelskaste edelster Grünhäute, die sein Freund und König in seinem Kopf entworfen hatte.
»Auch wenn es noch einige Sonnenzyklen dauern wird, bis dieser Tempel fertig ist, so bin ich sicher, dass er eines Tages zu einem imposanten Symbol des Wiederaufstiegs unseres Volkes werden wird«, sprach Soork, wobei grenzenlose Begeisterung in seiner Stimme mitschwang.
Derweil leuchteten Grimzhags graue Augen immer heller. Für einen Moment schwelgte er in Tagträumen und musste vor Aufregung leise schnaufen.
»Wenn diese Paarungszeit vorüber ist und die edelblütigen Cramogg trächtig sind, dann werden wir mit der zweiten Phase des Zuchtvorhabens beginnen und auch die Blutlinie der Geistesbegabten wieder stärken«, erläuterte ein Denker.
»Ha! Dann müsst ihr Schwätzer auch mal ran!«, plapperte Zugrakk lachend dazwischen, bevor Grimzhag noch etwas erwidern konnte.
Kulghor knurrte verärgert; die anderen Anwesenden brummten leicht brüskiert, doch das störte den einfachen Ork nicht.
»Gibt es denn irgendwann auch mal ein Zuchtprogramm für normale Orks?«, wollte Zugrakk dann wissen.
Grimzhag fasste sich stöhnend an den Kopf. »Es gibt genug normale Orks! Mehr als genug! Uns fehlen Grauaugen und Geistesbegabte! Orks und Snags gibt es doch wie Grashalme in den Steppen.«
»Also ich bin kein Snag, ja?«, murrte Zugrakk eingeschnappt.
»Äh, ich würde Euch nun gerne das Haupthaus zeigen, Mächtiger«, drängte der das Zuchtprogramm leitende Orkdenker, »es hat sich seit Eurem letzten Besuch einiges verändert. Die Arbeiter sind sehr fleißig gewesen.«
»Ja, natürlich!«, gab Grimzhag zurück. Er warf Zugrakk einen grimmigen Blick zu, der ihm klarmachte, dass es besser war, das Maul zu halten.
Die Cramogg strömten derweil wieder in das große Gebäude hinein, um sich auf die anstehende Massenpaarung vorzubereiten.
Nicht nur Grimzhag, sondern auch seine Begleiter, waren begeistert, als sie in die gewaltige, von mächtigen Rundsäulen getragene Eingangshalle des Haupthauses kamen. Wenn der Tempelkomplex eines Tages fertig wäre, so würde er ein spirituelles Zentrum der neuen Orkherrlichkeit sein, sinnierte der König.
Lediglich Zugrakk, als gewöhnliche Durchschnittsgrünhaut, war von all den hochwohlgeborenen, in jeder Hinsicht überlegenen Orks, die ihn hier umgaben, nicht sonderlich begeistert. Der Krieger grantelte für den Rest des Tages vor sich hin und ignorierte seinen überheblichen Freund Grimzhag, der wie ein Menschlingskaiser kluge Reden hielt, herumstolzierte und allerlei komisches Denkerzeug schwafelte.
Als die Paarungszeit kam, gingen schließlich Hunderte von Grauaugenorks im Tempel der Zucht ihrer Zeugungspflicht nach. Ganz, wie es ihr König befohlen hatte. Und die Begattung der ausgewählten Cramogg wurde ein gewaltiger Erfolg, wie die Orkdenker ihrem Herrn in Karokum bald voller Stolz verkündeten. Grimzhag war hochzufrieden mit der großen Anzahl trächtiger Orkweibchen, die in naher Zukunft ganze Scharen starker Grauaugenkrieger oder edelblütiger Cramogg auf die Welt bringen würden. Die gezielte Zucht und Vermehrung der höchsten Orkrasse, die über Jahrhunderte vernachlässigt worden war, zeigte bereits die ersten Früchte im langsamen Erstarken einer neuen Adelskaste.
Außerdem gingen die gewaltigen Bauvorhaben überall im Reich des jungen Brüllers mit immer größerer Geschwindigkeit voran. Sieben kleinere Städte waren neben Karokum bereits in verschiedenen Gebieten der Steppe gegründet worden. Zwar handelte es sich hierbei erst einmal um Ansammlungen halbfertiger Häuser, doch war es im Fall von Karokum am Anfang auch nicht anders gewesen.
Allerdings ging die völlige Umstrukturierung der orkischen Lebensweise in Grimzhags Reich nicht wenigen Grünhäuten viel zu schnell. Orks, die seit vielen Generationen als umherziehende Nomaden gelebt hatten, sollten nun die eroberten Gebiete in Manchin besiedeln und dort Ackerbau betreiben. Andere sollten bald in Häusern aus Stein leben. Nach und nach krempelte König Grimzhag mit seinem Führungsstab aus Grauaugen und Orkdenkern so gut wie alles um.
Aber der Erfolg gab dem Mazaukhäuptling Recht. Immer weniger Grünhäute mussten dank Grimzhags organisatorischen Eingriffen Hunger leiden, während die ewigen Kämpfe der Stämme untereinander fast gänzlich ausblieben. In Zukunft, so versprach es der gefeierte König seinen Untertanen, würden alle von ihnen genug zu Essen haben.
»Die Viehherden werden weiter anwachsen und es wird Fleisch für jeden Ork geben, sogar für jeden Goblin. Zudem wird der Ackerbau in Manchin den Hunger für alle Zeiten aus unserem Reich jagen«, proklamierte Grimzhag in Karokum.
Der Häuptling der Mazauk hatte schon jetzt unglaubliche Leistungen vollbracht. Nicht nur auf dem Schlachtfeld hatte er so manchen unüberwindlich geglaubten Feind vernichtet, sondern auch die Lebensumstände unzähliger Grünhäute verbessert. Damit hatte Grimzhag den Grundstein für eine neue Orkzivilisation gelegt, wobei er sich darüber im Klaren war, dass es wohl erst seine Nachfolger fertig bringen würden, alle seine Pläne zu verwirklichen.
Die Vorstellung eines mächtigen und in sich gut strukturierten Orkimperiums war für die anderen Völker jedoch ein Graus. Dass sich der alte, fast vergessene Feind wieder erholte und sogar zu einer Weltmacht wurde, barg gewaltigen Zündstoff in sich. Noch nahmen die Menschen und Khuz des Westens nicht richtig wahr, was in den Weiten der Steppe und den Dunklen Landen geschah, doch war abzusehen, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sie aufschreckten.
Lediglich die wachsamen Elben hatten in den letzten Jahren bereits damit begonnen, sich für den orkischen Eroberer zu interessieren. Mittlerweile wussten sie schon wesentlich mehr über Grimzhag und sein neu entstandenes Reich als die Menschen oder Zwerge. Doch die Kinder Galathols beobachteten im Stillen und warteten ab, wie sich die Dinge entwickelten. Grimzhag hingegen war glücklich, dass endlich Frieden herrschte und sich die Lage auch in Manchin beruhigt hatte. Er wollte in Zukunft auf weitere Kriege verzichten und den anderen Völkern die Klaue zum Frieden reichen. Ob sie sie jedoch ergreifen würden, war mehr als fraglich.
Die heutige Unterredung hatten Zaydan und sein Gehilfe Weng äußerst umsichtig vorbereitet. Die beiden waren bis nach Tschorleß, einer kleinen Stadt im Westen von Slajvka, gereist, um sich mit einer Gruppe zwielichtiger Gestalten zu treffen. Slajvka lag im Osten von Leevland; ein Land voller dunkler Wälder und eigenbrötlerischer Bewohner. Ein paar jener seltsamen Slajvkaner waren in dieser verregneten Nacht in eine schmutzige Taverne am Stadtrand von Tschorleß gekommen, um mit ihrem mysteriösen Auftraggeber einen Pakt zu besiegeln.
Weng betrat das Gasthaus, das bis auf drei bärtige Männer, die in der hintersten Ecke der Schankstube an einem Tisch saßen, vollkommen leer war. Ihm folgte Zaydan, der einen langen, dunkelbraunen Kapuzenmantel trug. Shargut war durch den starken Regen bis auf die Knochen durchnässt, genau wie sein manchinischer Begleiter, der in seiner Muttersprache leise vor sich hin fluchte.
»Das müssen sie sein!«, zischelte Zaydan in Richtung seines schlitzäugigen Gehilfen, der seinerseits nach dem Griff eines unter seinem Mantel verborgenen Dolches tastete.
»Ja, laut der Beschreibung unseres Unterhändlers schon«, brummte Weng.
Zaydan ging zu dem Tisch und lächelte den drei Slajvkanern zu. Diese starrten ihn nur grimmig an, wobei einer von ihnen augenblicklich aufstand und auf eine Tür zu seiner Rechten deutete.
»Wir gehen da! Dort ist noch mehr ruhig!«, sagte er auf Leevländisch.
»Ich verstehe!«, gab Zaydan ebenfalls auf Leevländisch zurück.
Wenig später saßen die drei Slajvkaner zusammen mit ihren zwei Gästen in einem schäbigen Hinterzimmer an einem kleinen Tisch. Sie schwiegen Zaydan und Weng an. Vor allem der Manchine wirkte angesichts der drei breitschultrigen Schlägervisagen, die ihn immer nur wortlos anglotzten, äußerst nervös.
»Ich bin Pejar«, sprach einer der Männer, eine hochgewachsene Gestalt mit auffällig kräftigen Wangenknochen und einem buschigen Vollbart. Er reichte zuerst Zaydan und dann Weng die Hand.
»Mein Name ist Schack«, erwiderte Zaydan, um dann auf seinen Begleiter zu deuten. »Und das ist mein Freund Ko-Ling aus dem fernen Manchin.«
»Diese Männer sind Bulhe und Drogon«, ergänzte Pejar, den Blick den beiden anderen Slajvkanern zugewandt.
Wieder herrschte kurzes Schweigen, das in dem nur von zwei Kerzen in der Ecke beleuchteten Hinterzimmer besonders bedrückend wirkte.
»Was sollen wir tun? Und wie viele Gold gibst du uns dafür?«, fragte Pejar dann.
»Ich gebe Euch 20.000 Goldstücke jetzt. Und noch einmal 20.000 Goldstücke, wenn der Auftrag erledigt ist«, antwortete Zaydan ruhig.
Die Kinnladen der drei Slajvkaner fielen beinahe synchron herunter. Vor allem Pejar starrte die beiden Fremden vollkommen überrascht an. Wer 40.000 Goldstücke besaß, hatte mehr als ausgesorgt.
»Keine Witz?«, hakte Pejars Nebenmann nach.
Zaydan blieb gelassen und verzog keine Miene. »Natürlich nicht!«
»Dann sage uns, was wir sollen tun!«, drängte Pejar.
»Es ist ein sehr schwieriger Auftrag, es dürfen keine Fehler geschehen. Ich habe allerdings gehört, dass ihr schon öfter für Geld getötet habt«, sagte der Bankier.
»Das ist kein Problem. Du musst nur sagen, wen wir sollen töten. Für 40.000 Goldstücke wir töten jeden«, stieß Pejar aus, während seine beiden Begleiter auflachten.
»Die Sache ist sehr ernst«, maßregelte sie Zaydan.
»Dann sage uns nun, was der Auftrag ist«, gab Pejar ungeduldig zurück.
»Zunächst einmal müsst ihr ein paar tote Orks und Goblins beschaffen«, merkte Zaydan mit einem Grinsen an.
»Tote Orks? Warum?«, brummte einer der Slajvkaner.
»Das erkläre ich doch gerade«, antwortete Zaydan. »Ihr werdet einige Grünhäute im Felssäulengebirge oder wo auch immer töten und ihre Leichen mitnehmen.«
»Das sich hören komisch an. Warum?«, kam von Pejar.
»Weil es gehört zu Auftrag!«, schaltete sich Weng ein.
»Dann erzähle weiter, mein Freund. Ist keine Problem, wir finden schon Orks und Goblins. Ja, keine Problem«, meinte einer der drei.
Zaydan legte seinem manchinischen Diener den Arm auf die Schulter. »Zeige unseren Freunden das Gold! Komm, hole es!«
Weng stand auf, verließ den Raum und schleppte wenig später eine große, verschlossene Truhe in das trostlose Hinterzimmer. Unter den erwartungsvoll aufgerissenen Augen der Slajvkaner öffnete Zaydan den Deckel und ließ die drei Männer einen kurzen Blick auf die funkelnden Goldmünzen darunter werfen.
Schließlich musste Zaydan lachen. Er klopfte Pejar gönnerhaft auf den Rücken und deutete auf die Truhe. Diese drei Banditen besaßen einfache Gemüter; der Bankier wusste, dass er sie längst überzeugt hatte. Angst, dass ihn die Slajvkaner berauben und einfach mit dem Gold verschwinden würden, hatte er hingegen nicht. Draußen vor der Taverne warteten zehn bewaffnete Söldner, die der Bankier als Begleitschutz mit nach Tschorleß genommen hatte.
»Ich gebe euch die 20.000 Goldstücke hier und jetzt, wenn ihr den Auftrag annehmt. Teilt sie unter euren Männern auf, wie ihr es für richtig haltet«, sagte Shargut zu Pejar.
Dieser lächelte freudig und antwortete: »Keine Problem, wir werden machen, was du von uns willst. Du wirst sehen, wir machen gute Arbeit.«
Zaydan ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder. Sein Diener Weng machte nun auch einen wesentlich entspannteren Eindruck und konnte sich ein erstes Schmunzeln abringen.
»Ihr sollt nicht bloß gute Arbeit machen, meine Freunde. Ihr sollt sehr, sehr gute Arbeit machen, aber ich denke, dass ihr das schon schaffen werdet. Der Auftrag ist zwar nicht einfach, aber ihr werdet ihn schaffen, versteht ihr?«, bemerkte Zaydan voller Zuversicht.
Hochzeitsvorbereitungen
Die bevorstehende Hochzeit seines Sohnes hatte König Albarach in eine euphorische Stimmung versetzt. Ein Zustand, der sich immer weiter steigerte, je näher der Tag des gewaltigen Volksfestes kam. Unentwegt redete der graubärtige Khuzherrscher auf seinen Nachfolger ein, gab ihm teils offene und teils unterschwellige Anweisungen und erklärte ihm die Kunst des Regierens. Prinz Hignir IV. würde einst über den mächtigsten Stadtstaat des Khuzvolkes herrschen, doch hätte er noch einiges zu lernen, wie sein Vater meinte.
»Die Minen, die wir ausbeuten, werden uns noch für dreihundert Jahre Erze liefern. Das glauben jedenfalls die Schürfmeister«, sagte der König, der wieder einmal dozierend durch die Gemächer seines Erben schritt.
»Dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen«, gab Hignir zurück. Er unterdrückte ein Gähnen.
»Kazhad Mekrals Wohlstand begründet sich auf dem Reichtum, der im Gestein liegt. Wir haben die ertragreichsten Minen, mein Sohn. Selbst eine Stadt wie Kazhad Harush fördert nicht das zu Tage, was unsere Arbeiter aus dem Stein wühlen.«
»Das wird schon alles werden, Vater. Ich mache mir eher Gedanken, wie wir die vielen Gäste, die von überall zu meiner Hochzeit kommen werden, unterbringen sollen«, antwortete Hignir, der die Geschichten über die offenbar unerschöpflichen Minen seiner Heimatstadt schon unzählige Mal gehört hatte. Albarach nahm die Lederkappe von seinem fast kahlen Haupt und strich sich durch die wenigen grauen Haare, die seinen eckigen Kopf noch bedeckten. Er betrachtete seinen Sohn für einen Moment, um dann fröhlich zu lächeln.
»So ein berauschendes Fest tut auch deinem alten Vater gut. Viel zu oft verbringe ich meine Zeit mit eintönigem, langweiligem Zeug. Regieren bedeutet in erster Linie verwalten, das kann manchmal sehr ermüdend sein«, brummelte der Khuzherrscher.
Prinz Hignir ging nicht darauf ein. Das ständige Nörgeln war eine zwergische Eigenart, die nicht nur sein Vater besaß.
»Es werden auch viele Adelige aus Leevland kommen, vor allem die Ostmärker«, merkte Hignir gedankenverloren an.
»Ein Grund mehr, dass sich Kazhad Mekral von seiner besten Seite zeigt. Bis zum großen Tag muss jede Säule blitzen, mein Junge. Das wird auch die Menschen beeindrucken.«
»Aber Kaiser Carolus II. wird wohl nicht auftauchen, oder?«, fragte der Prinz.
»Das glaube ich kaum. Natürlich wird auch er eingeladen, aber ich denke nicht, dass er sich auf den Weg ins Felssäulengebirge machen wird. Die Ostmärker kommen aber mit Sicherheit«, meinte Albarach.
Hignir IV. sah seinen Vater an. Hier, in den königlichen Gemächern tief unter dem Berg, trug der graubärtige Khuz nur ein schlichtes Leinengewand. Die zwergische Königsfamilie blieb gerne unter sich. Das Auftreten in der Öffentlichkeit, auch wenn es sich nur um einen Rundgang durch die vielen Hallen und Wohnhöhlen der Stadt handelte, war für einen König oder Prinzen oft wie der Auftritt eines Schauspielers auf einer Bühne.
»Mutter hat mir eben gesagt, dass du am großen Tag ein dunkelgrünes Hemd anziehen solltest. Mir gefällt das blaue mit den weißen Stickereien aber wesentlich besser. Das werden noch lange Debatten«, brummte Albarach. Er ließ sich auf einem kleinen Hocker nieder, um dann aufzustöhnen.
Prinz Hignir jedoch lachte unbeschwert, als er das hörte. Es würde sich schon ein Hemd finden, das alle Beteiligten zufrieden stellte, sprach er gelassen. Viel wichtiger war ihm seine geliebte Lavia, deren Umarmung er schon innig herbeisehnte.
»Das irdische Leben als Stufe im ewigen Kreislauf der Seelenentwicklung«, sagte Grimzhag mit einem milden Orklächeln und hielt seinem Freund Zugrakk sein neues Buch unter die kurze Nase.
Dieser grunzte verwirrt. »Hä?«
»Das irdische Leben ist jeweils nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem übergeordneten Gesamtgefüge, welches in seiner vollendeten Ganzheit die sich zur höchsten Geistform entwickelte Seele darstellt«, schob der König nach.
Zugrakk glotzte ihn hilfesuchend an, die lilafarbene Zunge fiel ihm aus dem Maul. Solches Gerede behagte dem muskelbepackten Krieger überhaupt nicht. Das war unschwer zu übersehen, denn Zugrakks panischer Gesichtsausdruck sprach Bände.
»Ein Buch?«, stieß er aus.
»Ja, mein Freund. Wir haben die Kunst des Buchdrucks inzwischen von den Manchinen gelernt. Natürlich hatten die Orks der alten Epochen dieses Wissen auch, aber es ist damals offenbar verloren gegangen, wie mir Soork berichtet hat. Jedenfalls drucken wir jetzt selbst. Wir benutzen zunächst Holz- oder Keramiktafeln. Jede Glyphe wird dabei spiegelverkehrt in einen Holzstock geschnitten, indem man das umgebende Holz entfernt – das ist eine Variante. Aber ich denke, dass wir eines Tages Metalltafeln verwenden sollten, also eine richtige Maschine, eine Druckerpresse. Ich habe einige der Geistesbegabten damit beauftragt, eine solche Maschine zu entwerfen, Zugrakk.«
»Ja …«, kam sehr verhalten zurück.
»Eine Vervielfältigung des niedergeschriebenen Wortes ist vor allem für die Ausbildung an den Wissenshorten eine sinnvolle Sache. Du wirst sehen, dass der Buchdruck viel besser ist, als wenn man jeden Text abschreiben lassen muss«, erläuterte Grimzhag fasziniert, seinem Freund das Buch überreichend.
Zugrakk schnaufte so nervös, als würde ihm der König eine pestverseuchte Decke in die Hand drücken.
»Buch?«, stammelte er überfordert.
»Wirf mal einen Blick hinein. Dort stehen meine tiefgedachten Abhandlungen über die Seelenentwicklung drin. Es sind über 200 Seiten. Und einen schönen Einband aus weichem Ruumphleder hat es auch. Ein Denker hat es extra für dich abgeschrieben, das war eine gewaltige Arbeit. Großartig, nicht wahr?« Zugrakk ergriff das Buch und schlug es auf, dann las er: »Betrach … tet … man … d … die … öhm … Seele … äh … ein … es … äh … jeden … Lebewesen … s … Komma … so … ge … langt … d … der … nach … Er … öh … kenntnis … such … suchende … äh … Ork …«
Grimzhag klopfte seinem Freund mit der Klaue auf die Schulter. Dieser klappte das seltsame Ding wieder zu, grunzte leise und stieß schließlich einen Klagelaut aus.
»Ich schenke es dir, Zugrakk. Schau mal rein, wenn du Zeit und Lust hast«, sagte der Mazaukhäuptling.
»M… mir?«, fragte der Krieger mit entsetztem Gesichtsausdruck.
»Bildung schadet keinem Ork«, meinte Grimzhag mit einem väterlichen Brummen.
»Aber?«
»Nun nimm schon, du Snagnase!«
Zugrakk versuchte gefasst zu wirken, er fummelte mit der Klaue an seinem rechten Ohr herum.
»Danke! Sehr nett, Kumpel«, murmelte er dann.
»Ich schreibe bereits ein neues Buch. Es wird den Titel »Visionen der orkischen Zivilisations- und Gesellschaftsentwicklung« tragen«, sprach der König, um sich daraufhin hinter einen Holztisch zu setzen, auf dem sich Berge von Pergamentrollen auftürmten. Grimzhag nahm ein Tintenfass in die Klaue, schnappte sich einen Federkiel und lächelte freundlich. Zugrakk knurrte, den glotzenden Blick seiner rötlichen Augen auf den König richtend.
»Ich habe noch ein Fass Pilzbier im Schuppen. Wir könnten ja auch noch mal einen saufen«, schlug er kleinlaut vor.
Grimzhag würgte verneinend. »Dazu fehlt mir im Moment einfach die Zeit. Sei nicht böse, aber da muss ich leider ablehnen.«
»Verstehe! Du willst schreiben und so, was?«
»Genau! Außerdem muss ich mit den Denkern noch über den Ausbau des Straßennetzes in den westlichen Steppen sprechen. Ich plane da so einiges.«
»Kann ich mir vorstellen.« Zugrakk grummelte enttäuscht. Kurz darauf machte der Krieger auf dem Absatz kehrt, um den Raum geräuschlos zu verlassen. Grimzhag war schon wieder in Gedanken versunken und schrieb irgendetwas nieder; als Zugrakk jedoch die Tür öffnen wollte, hob er noch einmal flüchtig den Blick.
»Vergiss dein Buch nicht, mein Freund«, sagte er.
»Ach, ja, das Buch …« Zugrakk schnappte sich den Wälzer, klemmte ihn unter den Arm und ging erneut zur Tür.
»Das blöde Ding kann man sicherlich benutzen, um darauf Bierkrüge abzustellen«, wisperte er kaum hörbar vor sich hin.
»Was hast du gesagt, Zugrakk?«, wollte Grimzhag wissen. Schon wieder lächelte er so freundlich, als wolle er der ganzen Welt Gutes tun.