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»Ja, mach auf «, forderte Jan.
Es dauerte eine Weile, bis Fredde etwas vom Klebeband gelöst und den Umschlag ein Stück weit geöffnet hatte. Er fasste hinein. Seine Erschöpfung wich einem Aufbrausen. »Ey, da ist nur eine Schachtel ›Mon Cheri‹ drin!«, rief er entrüstet, zog sie raus und fasste erneut in den Umschlag. Ein Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit. »Hier, willste sehen?« Erleichtert wedelte er mit einem dicken Geldbündel vor Jans Gesicht. »Lauter Fünfhunderter! Ich dachte, die gibt’s nicht mehr!«
»Siehste doch, dass es die gibt. Die drucken nur keine neuen mehr seit Ende 2018. Die alten bleiben aber gültig. Jau! Jetzt starten wir durch. Weihnachten feiern wir in unserem Haus!«, jubelte Jan und trat aufs Gas. Mit quietschenden Reifen bog er auf den Campingplatz.
»Pass auf!«, schrie Fredde, als er auf den alten Wohnwagen zusteuerte. Jan bremste, es knirschte. Dann kam der Wagen zum Stehen. In eine Staubwolke gehüllt, stiegen sie aus. Fredde betrachtete die Beifahrertür. »Bist du irre? Guck dir das an! Du bist an der Anhängerkupplung vom Wohnwagen langgeratscht.«
»Scheißegal. Ist eben der Lack ab.« Jan klappte die Fahrertür heftig zu. »Ich bin fix und knalle«, grummelte er erschöpft.
Vom Nachbarplatz tönte aufgebracht eine Frauenstimme: »Ich glaube, ich spinne! Ihr wirbelt ja den ganzen Dreck auf. Wollt ihr meine Wäsche noch mal waschen?«
Fredde rollte mit den Augen. »Sorry Mandy. Jan hat immer noch zu viel Temperament, obwohl wir einen harten Arbeitstag hatten. Soll nicht wieder vorkommen!«, beschwichtigte er und schaute über die Ligusterhecke.
»Temperament im Bleifuß vielleicht. Mehr aber nicht. Der soll mal rüber kommen. Ich zeig ihm gern mein Temperament.« Mandy hob den Stinkefinger, ließ ihn aber gleich wieder sinken, schluckte den Ärger runter und sagte einlenkend: »Was soll´s? Warum reg ich mich über euch zwei auf? Lasst uns lieber einen schönen Abend machen. Bei mir gibt´s heute Pilzomelette. Habt ihr Hunger?«
Jan streckte sich und schaute über die Hecke.
»Nee Mandy, heute nicht. Dass du genug Temperament für zwei hast, ist mir klar, aber bei uns langt´s heute nicht mehr, meine Liebe. Wir sind durch. Morgen Abend. Okay?«
Als er jedoch die hübsche Frau mit ihren Rundungen im knappen Bikini betrachtete, preschte sein Testosteronspiegel nach oben. Er warf ihr einen schmelzenden Blick zu, atmete tief durch und schob ihr die Schachtel mit den Mon Cheris, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, über die glatt geschnittene Hecke.
»Hier, ein Trostbonbon. Damit kannst du dir den Abend versüßen, meine Zuckerschnecke!«, säuselte er augenzwinkernd und schickte ihr einen Kuss rüber.
»Feiglinge! Und ich hab extra mit dem Pilzomelette auf euch gewartet, ihr Schwächlinge. Aber Danke für den Nachtisch! Hm, lecker!« Kokett winkte Mandy mit den Pralinen und verzog sich in ihr Domizil.
In den Ferien und an freien Wochenenden wohnte sie hier und war nebenan auf dem Pferdehof als Reitlehrerin tätig. Sonst lebte sie in Göttingen und arbeitete als Krankenschwester im Klinikum. Leider reichte der Verdienst nicht, um sich ein eigenes Pferd zu leisten. Doch durch eine Zusatzausbildung im therapeutischen Reiten hatte ihr der Verein ein Pferd zur Verfügung gestellt, das sie wie ihr eigenes betrachtete.
Fredde und Jan kannten sie seit vorigem Sommer. Da hatten sie in dem alten Wohnwagen eine günstige Bleibe gefunden und sich mit der stets gut gelaunten jungen Frau von nebenan angefreundet. Tagsüber ging jeder seiner Arbeit nach. Nach Feierabend bauten die Brüder Stück für Stück den Rittmannschen Hof unten im Dorf wieder auf. Oftmals, wenn sie abends erschöpft auf den Campingplatz kamen, hatte Mandy für sie mitgekocht. Kochen war neben der Liebe zu Pferden ihre zweite Leidenschaft. Und es war gut, wenn sie nicht alles allein essen musste, denn ihr Hüftgold nahm inzwischen Dimensionen an, die ungut zu einem Reitpferd passen.
Jan und Fredde hatten sich beide in sie verguckt, genossen ihre Gesellschaft und das gute Essen. Manchmal fragten sie sich, warum es Mandy nicht im Doppelpack gab? Das wäre ein Leben! So aber hatten sie sich versprochen, auf Mandy zu verzichten. Keiner sollte sie haben. Auch wenn es ihnen zeitweise schwerfiel und kleine Eifersüchteleien schon einige Male für Unfrieden gesorgt hatten.
Fredde entrüstete sich auch jetzt lautstark: »Ey, spinnst du? Du schmeißt meine Lieblingspralinen einfach so über den Zaun? Ich wollte heute Abend jede einzelne genießen, du Vollpfosten.« Er schnaubte ärgerlich, hob die Kiste Bier von der Ladefläche und trug sie zum Wohnwagen.
»Die schmecken doch eh nicht zu Bier und Mettwurst«, meinte Jan, klemmte sich die Stracke, die sie bei Bauer Bömeke gekauft hatten, unter den Arm und schlug Fredde auf die Schulter. »Komm, lassen wir uns volllaufen.«
Kapitel 7

Es gibt Augenblicke, in denen man nicht nur sehen,
sondern auch ein Auge zudrücken muss.
– Benjamin Franklin –
Zur gleichen Zeit stand Kommissar Schneider im Einkaufsmarkt vor den Blumen. Nichts Gescheites mehr da.
»Morgen kriegen wir neue Ware«, meinte eine Verkäuferin, die vorbeilief und ihn hilflos an den fast leeren Eimern stehen sah.
»Das nutzt mir nichts. Ich brauche jetzt welche.«
Die Frau zuckte die Achseln und verschwand.
Was soll ich da nehmen? Chrysanthemen? Da sagt Mathilde gleich: Friedhofsblumen. – Die Sonnenblume? Die lässt schon traurig den Kopf hängen. – Eine Topfblume? Auch blöd. »Hmpf.« Glücklicherweise fand er noch einen Strauß mit zehn, in Zellophan eingepackten, dunkelroten Rosen. »Einsneunundneunzig«, las er. Oh, so günstig! Die nehme ich! Freudig ging er zur Kasse, bezahlte und verließ pfeifend das Gebäude. Ich sollte Mathilde öfter mal einen Strauß mitbringen. Das gefällt ihr bestimmt. Seine Stimmung stieg, als er die Rosen betrachtete. Das unbehagliche Gefühl, dass ihn noch vor ein paar Minuten gequält hatte, löste sich in Luft auf. Ich mach Mathilde eine Freude. Dann ist alles wieder gut. Mit sich zufrieden fuhr er nach Hause, parkte in der Garage und ging durch den Keller nach oben in die Wohnung. »Ich bin da-a!«, rief er gut gelaunt in den Flur, zog die Schuhe aus und rutschte auf Socken, in der Hand den Blumenstrauß, ins Wohnzimmer. Mathilde saß in ihrem Fernsehsessel und schaute eine Ratesendung.
»Pscht«, sagte sie, hielt den Zeigefinger an den Mund, stierte auf den Bildschirm. Sie wollte nicht gestört werden. Schneiders Gesicht verfinsterte sich.
Der Rauch ist noch nicht verflogen. Sie ist immer noch sauer. »Hier, die Rosen sind für dich«, sagte er gut Wetter machend, legte Mathilde die Blumen in den Schoß und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
Mathilde nahm die Blumen, betrachtete sie. Ihr Mund öffnete sich. Sie schaute Christian an. Dann klappte der Mund zu, während sich ihre Augen weiteten.
»Was ist? Freust du dich nicht?«, fragte er irritiert. »Ich hab das am Telefon vorhin nicht so gemeint, Mathilde. Tut mir leid. Aber ich stecke mitten in einem Fall«, versuchte er zu erklären. Ihm kamen Gedanken an früher, als seine strenge Mutter ihn mit vernichtenden Blicken strafte.
Mathilde runzelte die Stirn. Das gelbe Preisschild auf dem Zellophan war ihr regelrecht ins Auge gesprungen: Einsneunundneunzig! Sie schluckte. »Danke. Ich stelle sie morgen bei deiner Mutter aufs Grab. Morgen ist ihr Todestag«, erwiderte sie eisig. Wenigstens fair trade für 2,99 Euro hätte er nehmen können. Bitter enttäuscht wandte sie sich dem Fernsehen zu, versuchte, dem Ratespiel zu folgen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte ihm die Blumen vor die Füße geschmissen. Was denkt der eigentlich, wer ich bin? Stoffel.
Wie ein begossener Pudel verließ Schneider achselzuckend das Zimmer, zog sich im Flur seine Latschen an und ging in die Küche, um etwas zu essen. Der Tisch war abgeräumt, Wurst und Käse standen eingetuppert im Kühlschrank. Mathilde hatte ihm nicht wie sonst ein leckeres, appetitliches Abendessen hergerichtet. Hilflos setzte sich Schneider an den Tisch, nahm das Tageblatt vom Kühlschrank.
Was hab ich jetzt wieder falsch gemacht? Verstehe Einer die Frauen. Ich jedenfalls nicht. Er blätterte die Seiten der Zeitung durch. Hab ich die nicht heute Nachmittag schon gelesen?, überlegte er und legte sie zurück. Zuerst grübelte er, wie er den häuslichen Frieden wieder herstellen konnte. Doch schon bald schweiften seine Gedanken ab, er biss sich an dem neuen Fall fest, merkte nicht, dass es dunkel wurde. Morgen müssen wir die anderen Pfarrämter unterrichten, dass sie die Kirchen verschlossen halten. Das hätte ich schon längst veranlassen müssen. Aber irgendwie war heute nicht mein Tag. Morgen muss ich besser sein, schwor er sich. Er schlief ein, wachte erst in der Nacht gegen drei Uhr wieder auf. Sämtliche Glieder schmerzten von der unbequemen Haltung auf dem hölzernen Stuhl. Er schlich ins Schlafzimmer, das durch den Vollmond diffus erleuchtet war. Seine Hose ließ er vor dem Bett auf den Boden fallen, ebenso das Hemd. Stöhnend kroch er unter die Decke. Mathilde grunzte im Schlaf. Wunderbares Liebesgesäusel, dachte er sarkastisch, schaute zu ihr rüber. Fahles Mondlicht fiel auf ihren Kopf. Schneider beobachtete sie, vertiefte sich in ihr hübsches Gesicht, ihre braunen, krausen Haare, die genauso störrisch sein konnten wie sie selbst. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus.
»Verstehe wer will, aber ich liebe dich, Mathilde, auch wenn wir uns manchmal zoffen«, flüsterte er.
Mathilde schlug die Augen auf. Sie füllten sich mit Tränen. »Ach Christian.« Sie schniefte. »Wollen wir wieder gut sein? Seit die Kinder aus dem Haus sind, haben wir doch nur noch uns. Lass uns die Tage nicht mit Streiten verderben.«
Schneider fiel ein Stein vom Herzen. Er drückte seine Frau an sich, küsste sie immer und immer wieder.
»Du hast ja so recht, Mathilde.«
Erst als im Osten die Sonnenstrahlen den neuen Tag zum Leben erweckten, schliefen sie, fest aneinander gekuschelt, ein. Knapp eine Stunde später klingelte der Wecker. Schneider war sofort hellwach. Vorsichtig zog er seinen Arm unter Mathildes Kopf heraus, schlich aus dem Schlafzimmer.
Zur Feier des Tages mach ich heute Frühstück, beschloss er. Mathilde hat recht. Die Zeit, die uns bleibt, machen wir uns schön.
Er stellte die Kaffeemaschine an, deckte den Tisch. Als die Weißbrotscheiben aus dem Toaster hüpften, lugte Mathilde mit ihrem Wuschelkopf zur Tür herein.
»Wolltest du nicht von mir noch was wissen?«, fragte sie verschlafen.
»Ja, mein Schatz. Zieh dir den Bademantel über, und wenn wir frühstücken, kannst du mir erzählen, wie das gestern mit Elsa vor der Kirche war. Einverstanden?« Schneider gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
»Manchmal ist so ein kleiner Streit gar nicht so schlecht«, fand Mathilde und gähnte.
Er grinste. »Die Nacht mit dir war wunderschön«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Mathilde wurde rot. Auch nach fünfundzwanzig Jahren Ehe passierte ihr das noch. Schneider fand es einfach süß und hätte am liebsten den ganzen Tag mit seiner Frau im Bett verbracht. Aber heute war ›Sch-la-do‹ – ›Scheiß-langer-Donnerstag‹ – und es kribbelte ihn, den Raub aus den Kirchen aufzuklären.
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