Hypnodrama in der Praxis

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Inspiriert durch die Ideen des Psychoanalytikers Wolfang Loch haben Ploeger und seine Mitarbeiter Antworten auf diese Fragen gefunden. Ganz gegen den Strich dürften sie Moreno nicht gegangen sein. Immerhin ernannte er Ploeger 1971 – und damit nur wenige Jahre vor seinem Tod – zum Honorary Director of Psychodrama, Sociometry and Group Psychotherapy. Doch welche Änderungen nahm Ploeger am Psychodrama vor?
1.2Die Handlungseinsicht als Wirkprinzip der Tiefenpsychologisch fundierten Psychodramatherapie (TfPT)
Auch Ploeger hatte mit Morenos Psychodrama begonnen, dieses dann aber unter Einbeziehung der psychoanalytischen Sichtweise grundlegend umgestaltet und schließlich zur Tiefenpsychologisch fundierten Psychodramatherapie – kurz: TfPT – fortentwickelt.
Hierbei handelt es sich um eine psychodramatische Methode, die die meist unbewusst en Ursachen bestehender Symptome aufdeckt und bearbeitet. Denn das, was einstmals geschah, habe sich, so Ploeger, in fixierten Mustern niedergeschlagen, die in den späteren Epochen des Lebens immer wieder als Niederschlag der gleichen frühen Erlebniswelt sichtbar würden. Den in frühkindlichen Entwicklungsphasen internalisierten Erlebens- und Verhaltensweisen hafte eine nachdrückliche Starre, eine Unbeweglichkeit und zugleich Verbindlichkeit für den späteren erwachsenen Menschen an, die ihn dränge, sich immer wieder nach diesen früh erworbenen Mustern des Erlebens und Verhaltens zu richten. Diese Verpflichtung sei unbewusst. Sie mache sich aber dadurch bemerkbar, dass die danach ausgerichteten Verhaltensweisen späteren realen Lebenssituationen nicht gerecht würden oder sogar widersprächen, eben weil sie nicht den jeweils aktuellen Erlebniskonstellationen, sondern denen in der frühen Kindheit gegenüber den Bezugspersonen von damals entsprächen. Der erwachsene Mensch trage also nach diesem tiefenpsychologischen Konstrukt gewöhnlich und besonders im Falle einer Fehlhaltung rigide, überholte Motivationsstrukturen und daraus resultierende Erlebens- und Verhaltensweisen mit sich herum, wodurch er sich für die anderen Menschen, denen er im späteren Leben begegne, oft unangepasst, befremdlich und evtl. sogar störend verhalte. Auch er selbst leide gewöhnlich unter diesem Verhalten, ohne aber von dessen Ursprung zu wissen (vgl. Ploeger 1983, S. 26).
Und genau hier setzt die TfPT an. Durch die Einbeziehung der psychoanalytischen Sichtweise war Ploeger nämlich klar geworden, wie wicht ig es für die Veränderung unbewusster Muster ist, diese zunächst einmal als solche erkannt zu haben. Im Gegensatz zu Moreno spielte für sein Psychodrama nachfolgend der Faktor Einsicht eine zentrale Rolle. Von nun an zielten seine psychodramatischen Intervention en auf die zufriedene Sicherheit ab, die sich, so Ploeger, einstelle, wenn es einem Menschen gelungen sei, Einblick in seine eigenen, ihm vorher verschlossenen Beweggründe zu gewinnen, die ihn zeitlebens ohne sein Wissen motiviert hätten (vgl. Ploeger 1983, S. 34 f., S. 244; 1990, S. 95 f.).
Wie kommt es aber in der TfPT zur Einsicht? In der Psychoanalyse wird sie dem Klienten durch die Deutung des Therapeuten vermittelt. Dabei handelt es sich um eine verbale Intervention, mit deren Hilfe ihm seine bislang unbewussten Muster bewusst gemacht werden sollen. Als im Laufe der Entwicklung der TfPT die psychoanalytische Tiefendimension von Ploeger mehr und mehr in die Psychodrama -Therapie einbezogen wurde, hätte das dazu führen können, dass die Teilnehmer künftig auch dort ihre Einsicht in die eigenen unbewussten Muster über die verbale Deutung des Therapeuten gewinnen. Ploeger entschied sich jedoch für einen anderen – einen »psychodramatischeren« Weg. Nicht die verbale Deutung, sondern das Handeln selbst sollte hier die Einsicht vermitteln. Bei der Entwicklung dieses besonderen therapeutischen Schrittes habe, so Ploeger, das Konzept der derivativen Einsicht (derivative insight) von Samuel Richard Slavson – einem Pionier der analytischen Gruppentherapie – Pate gestanden (vgl. Ploeger 1983, S. 183). Dieses sei von ihm in seiner Aktivitätsgruppentherapie für Jugendliche entwickelt worden (vgl. Ploeger 1983, S. 184). Er habe darunter die Erkenntnis des Patienten verstanden, dass sein Verhalten in der Gruppe von Widersprüchen gelenkt werde, die der Patient als die ihm eigene innere Fehlsteuerung akzeptieren könne (vgl. Ploeger 1983, S. 183 f.). Dies gelinge ihm, so Slavson, nicht so sehr aus den Interpretationen anderer Gruppenmitglieder oder des Therapeuten, sondern aufgrund seines eigenen Wachstums (vgl. Slavson 1966, S. 79). Einsicht und Interpretation kämen eigenhändig vom Patienten18, aus dessen Selbsterkenntnis, wie er an anderer Stelle ergänzt (vgl. Slavson 1951, p. 213). Ähnlich wie bei Slavson sollte es auch in der TfPT ohne verbale Deutung, allein aus dem Handeln heraus, zur Einsicht kommen. Deshalb habe es hier, so Ploeger, darum gehen müssen, die Handlungsabläufe – respektive die Interaktionen in der Gruppe – derart zu gestalten, dass die Patienten selbst darauf aufmerksam würden, dass bei ihrem Verhalten der Realität, dem Hier und Jetzt widersprechende, weil aus unbewussten Determinanten entstandene Motive am Werk seien (vgl. Ploeger 1983, S. 25, S. 184). In der TfPT geschieht tatsächlich genau das: Ausgangspunkt ist stets die Interaktionsdynamik, die sich innerhalb der Gruppe einstellt (vgl. Ploeger 1983, S. 16). Einzelne Teilnehmer reagieren dabei immer wieder unangemessen, weil ihr Erleben und Verhalten dann auf unbewussten Mustern beruht, die nicht der aktuellen Situation in der Gruppe, sondern Erlebniskonstellation en in ihrem Damals und Dort entsprechen. Die Psychoanalyse nennt das Übertragung. Wenn es dazu komme, dann entsprächen, wie Ploeger erklärt, unsere Erlebens- und Verhaltensweisen nicht der gegenwärtigen zwischenmenschlichen Realität, sondern einer subjektiven Erfahrung, die in der Kindheit konserviert worden wäre und im Erwachsenenleben zu einem immer wieder in gleicher Weise schablonenhaft auftretenden Erleben und Verhalten führe (vgl. Ploeger 1983, S. 23).
Der Begriff der Übertragung war übrigens auch Moreno bekannt. Er nannte sie pathologisches Tele (Moreno 1988, S. 58; 1946a, p. 231), meinte damit aber im Prinzip das Gleiche, nämlich einen zwischenmenschlichen Beziehungsmodus, so die Psychodramatikerin Grete Leutz, der sich nicht voll an der Realität orientiere, sondern daraus resultiere, dass ein Mensch unbewusst an frühe Bezugspersonen – meist sogar aus früher Kindheit – fixiert geblieben sei (vgl. Leutz 1974, S. 18). Dass er sich so verhält, ist ihm allerdings zunächst nicht klar. Denn durch die Brille seiner unbewussten Muster betrachtet, erscheint dem Betreffenden durchaus adäquat, was er gerade tut. Nur zeigen die übrigen Gruppenmitglieder, die in dieser Situationen keine derart verzerrende Brille tragen und deshalb auf die aktuellen Gegebenheiten so reagieren können, wie sie sich gerade tatsächlich darstellen, ein ganz anderes Erleben und Ver halten (vgl. Ploeger 1983, S. 22). Der Moment, in dem ihm diese Diskrepanz bewusst wird, ist seine Chance zur Erkenntnis (Ploeger 1983, S. 31). Deshalb zielen die therapeutischen Intervention en der TfPT darauf ab, dem Betreffenden die Widersprüchlichkeit zwischen seinem eigenen Übertragungsverhalten und dem realen Verhalten der anderen Gruppenmitglieder besonders deutlich vor Augen zu führen (vgl. Ploeger 1983, S. 31), sodass dieser in einem Akt spontaner Erkenntnis und plötzlicher Betroffenheit (vgl. Ploeger 1983, S. 76) einzusehen vermag, dass sein Verhalten nicht den aktuellen Gegebenheiten, sondern ihm bis dato unbewussten Motiv en entsprach (vgl. Ploeger 1983, S. 25). Damit hat er aus der Sicht der TfPT Handlungseinsicht ge wonnen. Sie werde nicht durch verbale Deutung vermittelt (vgl. Ploeger 1983, S. 76), sondern sei, so Ploeger, ein Aha-Erlebnis, das aus dem Handlungsvollzug heraus auf dem Hintergrund der eigenen emotionalen Betroffenheit in der Reflexion aufleuchte (vgl. Ploeger 1983, S. 133). Dabei könne ein Teilnehmer beispielsweise erkennen, dass er fälschlicherweise angenommen habe, sein soeben erfolgter Angriff auf ein anderes Gruppenmitglied sei in der gegenwärtigen Situation notwendig und angemessen gewesen. Hingegen stelle er nun betroffen den eigentlichen Beweggrund für sein aggressives Verhalten fest: Das andere Gruppenmitglied hätte ihn unbewusst an seinen Vater erinnert (vgl. Ploeger 1990, S. 93).
1.2.1Die TfPT bleibt in der Alltagsrealität
Morenos Psychodrama ereignet sich in einer besonderen Realität – der Surplus Reality. Hier kann prinzipiell alles auf die Bühne gebracht werden, selbst jene Dimensionen, Rollen, Szenen und Interaktionen, die das Leben weder zulassen konnte noch kann und die es vermutlich auch in Zukunft nicht gestatten wird (vgl. Moreno 1979, S. 33; vgl. Moreno et al. 2000, p. 5). Die Teilnehmer handeln frei, wie es ihnen in den Sinn kommt, ohne dafür ernsthafte Folgen befürchten zu müssen. Eine solche Realität würde es enorm erschweren, Hand-lungseinsicht im Sinne der TfPT zu gewinnen. Denn diese erfordert, dass sich bei den jeweiligen Teilnehmern ein Moment der emotionalen Betroffenheit einstellt. Dafür aber muss das Spiel ernst werden. Deshalb gibt die TfPT dem Handelnden – wie die Wirklichkeit des Lebens draußen – niemals nur freien Raum für die Antriebe (vgl. Ploeger 1983, S. 33). Im Gegensatz zu Morenos Psychodrama findet sie konsequent – von A bis Z – in einer Welt statt, die der äußeren Wirklichkeit entspricht. Hier kommen durchgehend nur Dimensionen, Rollen, Szenen und Interaktionen zur Darstellung, wie sie sich so auch in der Alltagsrealität ereignen könnten. Damit steht von Anfang an – und nicht erst durch eine nachträgliche Realitätsprobe – fest, dass alle Einsicht en und Erfahrungen, die in der TfPT gewonnen werden, grundsätzlich in die Wirklichkeit des Lebens draußen zu implementieren sind.
1.2.2Einsicht allein reicht nicht
Einsicht, wie sie die Psychoanalyse durch verbale Deutung vermittelt, reicht nicht (vgl. Alexander a. French 1946, p. 67; vgl. Ginot 2015, pp. xli, 76, 82). Das hatte sich in der Entwicklungsphase der TfPT herauskristallisiert. Erst wenn sie sich für die Teilnehmer direkt aus dem Handeln ergibt, zeigt sie therapeutische Wirkung. Denn auf diese Weise komme, wie Ploeger vermutet, der Nachdruck hinzu, der durch die Brisanz eines unmittelbaren Betroffenseins hervorgerufen werde (vgl. Ploeger 1983, S. 25). Sie mache die Handlungseinsicht der TfPT überzeugender und nachhaltiger als die verbale Vermittlung der Einsicht, wie sie in der Psychoanalyse erfolge (Ploeger 1983, S. 184). Denn dort habe eigentlich der Therapeut den Erkenntnisgewinn gehabt, den er seinem Klienten hernach nur mit Worten nahezubringen versuche (vgl. Ploeger 1983, S. 184).
Auch Ploeger galt also das Sprechen nicht als Königsweg zur therapeutischen Veränderung. Wie Moreno zog er diesem das Handeln vor, fokussierte dabei allerdings auf die sich aus Letzterem bei den Betroffenen spontan ergebende Einsicht. Jene ist der erste Schritt zur Besserung, so sagt es schon ein Sprichwort. Doch welche Besserung wird durch solch ein Aha-Erlebnis erwirkt? Wie Ploeger erklärt, befähige die Handlungseinsicht der TfPT den Klienten dazu, überholte, weil aus infantilen Mustern stammende Erlebens- und Verhaltensweisen abzulegen und neue realitätsgerechtere Verhaltensweisen zu gewinnen (vgl. Ploeger 1983, S. 132 f.). Erst damit ist dann das therapeutische Ziel der TfPT erreicht.
Für den Teilnehmer aus dem eben angeführten Beispiel würde dies bedeuten, dass er künftig auf Gruppenmitglieder, die ihn vormals unbewusst an seinen Vater erinnerten, nicht mehr wie auf diesen reagiert, sondern deutlich angemessener. In diesen alten, unpassenden Film einsteigen zu müssen, hört nun auf. Fragten wir Moreno, hätte dieser Teilnehmer ein gesundes Tele gewonnen, was für ihn, so die Psychodramatikerin Grete Leutz, bedeutete, realitätsbezogene zwischenmenschliche Beziehungen eingehen zu können, die, im Unterschied zur Übertragung, weder zu falschen Erwartungen noch zu ungerechtfertigten Ängsten Anlass gäben (vgl. Leutz 1974, S. 20). Dorthin wollte auch Moreno die Menschen bringen – allerdings auf einem etwas anderen Weg als Ploeger. Denn die Surplus Reality seines Psychodramas lässt im Gegensatz zur TfPT Raum für entlastende Abreaktion und eine Katharsis der Integration, bei der Menschen nicht nur Heilung, sondern geradezu Vergöttlichung erfahren können. Auch der Charakter des Spiels ist hier ein anderer. Während Moreno mit seinem Psychodrama das Lachen in die Psychiatrie brachte – dies hatte er übrigens noch zu Lebzeiten als Inschrift für seinen Grabstein verfügt (vgl. Moreno et al. 2000, S. 24; vgl. Hutter u. Schwehm 2012, S. 70) –, bleibt das Spiel in der TfPT geprägt vom Ernst des Lebens. Was selbstverständlich einschließt, dass dort mitunter herzhaft gelacht werden kann, wie es ja auch in der Alltagsrealität geschieht, um manche Beschwernis erträglicher zu machen.
Moreno und Ploeger mögen verschiedene Wege gegangen sein und da bei unterschiedliche Wirkprinzipien verfolgt haben. Nichtsdestotrotz galt für beide: Handeln ist heilsamer als Reden – sehr viel heilsamer.
Kann das überhaupt noch getoppt werden? Durchaus. Denn vor anderen zu handeln, fällt doch oft schwer. Wer vermag dabei schon seine Hemmungen fallen zu lassen und auszublenden, dass andere das eigene Tun beobachten? Noch dazu, wenn es darum gehen soll, Intimes, gar Peinliches in Szene zu setzen? Wem fiele es beispielsweise leicht, auf der Bühne darzustellen, wie er als Schulkind nachts noch einnässt? Und wer kann einfach so aus seiner Haut in eine andere Rolle schlüpfen? Einen anderen Menschen verkörpern, der man selbst nie gewesen ist? Sind wir denn alle oscarverdächtige Schauspieler? Wohl kaum. Bleibt das Psychodrama also ein Therapieverfahren für die gottgegebenen Mimen unter uns? Glücklicherweise nicht. Denn es gibt eine Technik, die dabei helfen kann, sich in Szenen hineinzuzoomen, ganz in Filme einzusteigen und alles andere um sie herum für eine Weile zu vergessen – die Hypnose. Sie lässt sich leicht mit dem Psychodrama kombinieren, wie Moreno knapp 20 Jahre nach seinen ersten therapeutischen Gehversuchen auf der Bühne des Stegreiftheaters herausfand. Damit war das Hypnodrama geboren. Moreno ist übrigens nicht ihr einziger Geburtshelfer …
1.3Das Hypnodrama als gewinnbringende Synthese
James M. Enneis (vgl. Enneis 1950, p. 15; Krojanker 1977a, p. 221; Supple 1977, p. 225) hatte als Psychologe im Zweiten Weltkrieg Sanitätsdienst geleistet. Damals war er an der Behandlung zahlreicher Soldaten beteiligt, die unter Traumata und Kriegsneurosen litten. Bei ihnen ließen sich, wie Enneis zu seinem Erstaunen feststellte, mittels einer besonderen Kurzzeittherapie, die Militärpsychiater eingeführt hatten, beachtliche Erfolge erzielen, sodass diese schnell wieder in ihren Dienst zurückkehren konnten. Worin bestand diese Methode? Die traumatischen Ereignisse sollten von den Soldaten wiedererlebt werden. Um ihnen dies zu erleichtern, wurden sie dazu angeregt, in Hypnose zu gehen. In diesem Zustand war es für die Soldaten einfacher, ihre Abwehr aufzug eben, die sie von einer neuerlichen Bewusstwerdung ihrer traumatischen Erfahrungen abzuhalten suchte. Jetzt konnten sie ihre Gefühle bzw. Gedanken, die die traumatischen Ereignisse begleitet hatten, wiedererleben und bearbeiten. Mitten in seinem Doktorandenprogramm, das Enneis nach dem Zweiten Weltkrieg an der Duke University, North Carolina, begonnen hatte, erfuhr er erstmals vom Psychodrama. Nur kurze Zeit später brach er sein Doktorandenprogramm ab, um sich von Moreno ausbilden zu lassen. Angesichts seiner früheren Behandlungserfolge bei traumatisierten Soldaten wurde Enneis schnell klar, wie vorteilhaft es sein könnte, das Psychodrama mit der Hypnose zu kombinieren. 1948 kam er auf Moreno zu und präsentierte ihm seine Idee. Wie verdutzt wird er wohl gewesen sein, als er feststellen musste, dass dieser es bereits praktizierte. Denn Moreno soll seinen Geistesblitz ganz lässig mit den Worten kommentiert haben: »Oh ja, in der letzten Woche habe ich das gerade erst gemacht!«19
Bereits 1939 sei er, wie Moreno später berichtet (vgl. Moreno 1950, p. 6), durch Zufall auf diese Möglichkeit gestoßen. Damals habe er eine junge Frau behandelt, die unter sexuellen Wahnvorstellungen und Albträum en litt. Jede Nacht sei sie vom Teufel aufgesucht worden, der mit ihr geschlafen habe. Sie sei zunächst nicht imstande gewesen, in psychodramatischen Kontakt mit dem Vorfall zu kommen. Nachdem Moreno zunächst auf sanfte Art versucht habe, sie dorthin zu bringen, sei er sehr befehlend – »directive« – geworden. Dies habe die Patientin unerwartet in hypnotische Trance versetzt. Trotzdem sei das Psychodrama von ihm fortgesetzt worden. Dabei habe die Hypnose offenbar wie ein Starter gewirkt. Denn nun sei es der Patientin möglich gewesen, zwei Zusammentreffen mit dem Teufel darzustellen: das der vergangenen Nacht und eines, wie sie es für die folgende Nacht erwartete. Moreno gab dieser eher zufällig von ihm entdeckten Synthese aus Psychodrama und Hypnose den Namen Hypnodrama (vgl. Moreno 1950, pp. 6, 8; vgl. Enneis 1950, p. 11). Unabhängig von ihm kam knapp ein Jahrzehnt später sein Schüler Enneis auf dieselbe Idee. Sowohl gemeinsam als auch jeder für sich wendeten beide nachfolgend das Hypnodrama viele Male an (vgl. Greenberg 1977a, p. 233). Zwei Jahre später veröffentlichtens ie ihre Erfahrungen in einem kleinen, 56 Seiten starken Band, der 1950 unter dem Titel Hypnodrama and Psychodrama erschien.
1.3.1Psychodrama in Hypnose – geht das überhaupt?
Aber muss man in einem Hypnodrama nicht in gewisser Weise wach und aktiv sein? Wäre es nicht auch wichtig, dabei die Augen offen zu halten? Denn blindlings auf der Bühne herumzustolpern, kann doch gewiss nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Das stimmt. Und genauso verhält es sich auch. Die Teilnehmer des Hypnodramas agieren – trotz ihres hypnotischen Zustands – ebenso wie sonst im Psychodrama. So werden sie von Moreno beschrieben (vgl. Moreno 1950, p. 7). Das Gleiche berichtet auch Enneis. Im Hypnodrama könne der Patient frei agieren (vgl. Enneis 1950, p. 11) – allein und im Zusammenspiel mit den anderen (vgl. Enneis 1950, p. 15; vgl. Krojanker 1977a, p. 221; vgl. Supple 1977, p. 225).
Also verhalten sich die Teilnehmer im Hypnodrama irgendwie ganz normal und sollen trotzdem in Hypnose sein? Widerspricht das nicht all dem, was wir unter Hypnose verstehen? Halten Hypnotisierte die Augen nicht geschlossen? Wirken sie von außen nicht beinahe regungslos, als würden sie schlafen? Und wenn sie sprechen, tun sie dies nicht eher schleppend und zögerlich, als geschehe es fast wie gegen einen Widerstand?
In unserer Kultur werde unter Trance tatsächlich, so der Arzt, Psychotherapeut und Entwickler der hypnosystemischen Konzeption Gunther Schmidt, meist verstanden, dass sich jemand tief entspannt, kataleptisch – d. h. körperlich erstarrt – und mit geschlossenen Augen ganz nach innen gerichtet, wie schlafend erlebe (vgl. Schmidt 2014, S. 13). Doch wie weltweite anthropologische und ethnologische Studien zeigten, sei dieses seit ca. 250 Jahren speziell in Europa kultivierte Verständnis von Trance viel zu eng und zu einseitig (vgl. Schmidt 2014, S. 15).20 Seit mindestens 10.000 Jahren gelte die Arbeit mit Trance, wie Schmidt fortfährt, überall auf der Welt als wesentlicher Bestandteil praktisch jeder menschlichen Kultur. In Jäger-und-Sammler-Kulturen (die über die längsten Zeiträume der menschlichen Evolution die vorherrschenden Kulturen waren) würden z. B. kaum einmal Entspannungstrancen produziert, sondern solche mit viel Bewegung, sozialer Interaktion, mit optimaler körperlicher Spannung, Gesang und Tanz. Dies lasse sich schlicht damit erklären, dass Trance immer schon einfach nur Mittel zum Zweck für die sie Anwendenden gewesen sei und bestimmten Zielen – wie beispielweise der Heilung, religiösen Anlässen oder der Vorbereitung einer erfolgreichen Jagd – dienen sollte. Einfach nur ganz entspannt zu bleiben und die Aufmerksamkeit auf die eigene Innenwelt zu richten, habe man dabei sicher nicht immer gebrauchen können (vgl. Schmidt 2014, S. 15 f.).
Unser seit 250 Jahren speziell in Europa kultiviertes Verständnis von Hypnose greift also zu kurz. Sie kann durchaus auch bedeuten, wach und aktiv zu sein. Ein Blick auf ihre vielfältige Anwendung in gegenwärtigen und vergangenen menschlichen Kult uren verrät, dass Hypnose außerhalb des wissenschaftlichen und therapeutischen Settings sogar eher selten als Entspannungstrance eingesetzt wurde und wird (vgl. Bányai a. Hilgard 1976, p. 218). Das aber war vielen, die die traditionelle Hypnose beforschten und anwendeten, bis vor ca. 50 Jahren gar nicht bewusst.
So zeigte sich auch die Psychologin Éva Bányai, wie sie in einem Interview berichtet, das die European Society of Hypnosis (ESH) in der ersten Ausgabe ihres Newsletters im Jahr 2006 druckte (Ruysschaert 2006, S. 10–18), zunächst sehr überrascht, als sie bei einem ihrer Forschungsprojekte feststellte, dass von 24 Probanden in Hypnose nur 20 – wie erwartet – sehr entspannt, schläfrig und beinahe regungslos waren, während sich immerhin vier von ihnen in einem Zustand befanden, der nicht in dieses Bild passte. Eine Teilnehmerin aus dieser 4er-Gruppe habe ihr anschließend tatsächlich die Frage gestellt, warum ihr denn fortwährend erzählt worden sei, müde und schläfrig zu sein, während sie dies doch gar nicht gewesen sei, sondern sich im Gegenteil sehr fokussiert, geistig kristallklar und körperlich frei in ihren Bewegungen erlebt habe. Bányai habe sich das Verhalten der vier Probanden nicht erklären können. Die Interpretation ihres damaligen Professors, in ihnen einfach die Ausnahmen zu sehen, die die Regel bestätigten, habe sie nicht überzeugt. Für sie sei das Versuchsergebnis rätselhaft geblieben. Auf eigene Faust habe Bányai damit begonnen, in der Literatur zu recherchieren, um eine Erklärung zu finden – vergeblich. Doch das Problem sei ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Im Winter 1971 habe sich seine Lösung dann ganz unerwartet vor ihr aufgetan. Damals sei sie im Kino gewesen, um sich einen Dokumentarfilm über den Vietnamkrieg anzuschauen. Sie habe von der Kamera eingefangene Nahaufnahmen eines Soldaten gesehen, der hocherregt auf den Gegner zugerannt sei, bereit, ihn zu töten. Sein Gesichtsausdruck habe sie sofort an Menschen in Hypnose erinnert. Blitzartig sei ihr klar geworden, dass sich der Soldat in Trance befunden habe. Viele Ideen seien ihr plötzlich durch den Kopf gegangen. Sie habe nicht länger im Kino bleiben können. Das sei es gewesen. Hypnose und Aktivität schlössen sich nicht aus, sondern seien gemeinsam möglich. Bányai habe daraufhin beschlossen, dieses Phänomen, das sie später Aktiv-Wach-Hypnose nannte, experime ntell eingehender zu beforschen. Die Gelegenheit dazu sei ihr von Ernest Ropiequet Hilgard gegeben worden, der sich damals in seiner Abteilung an der Stanford University, Kalifornien, mit der Untersuchung und Anwendung von Hypnose befasst habe. Ihre Forschungsarbeiten hätten ergeben, dass Menschen auch mit geöffneten Augen, während sie wach und aktiv seien – z. B. kräftig in die Pedale eines Ergometers träten –, tatsächlich in Hypnose sein könnten (vgl. Bányai a. Hilgard 1976, p. 223). Dieses Ergebnis ließ sich inzwischen durch zahlreiche Studien bestätigen.21
Es geht also: Wir können mit geöffneten Augen, wach und aktiv in Hypnose sein. Klingt für unsere Ohren immer noch ein wenig merkwürdig, nicht wahr? Vielleicht fällt es uns etwas leichter, dies zu akzeptieren, wenn wir mehr darüber wissen, was Hypnose eigentlich ist. Denn so viel scheint inzwischen klar: Sie bedeutet weit mehr als entspannt und beinahe regungslos in einem von außen schlafähnlich erscheinenden Zustand zu verharren. Das können also nicht ihre wesentlichen Merkmale sein. Worin aber bestehen sie? Was genau ist Hypnose?
Der Psychologe, Hypnotherapeut und Mitbegründer der Milton Erickson Gesellschaft Burkhard Peter beantwortet diese Frage so: Hyp-nose könne man verstehen als die Kunst, eine alternative Wirklichkeit zu konstruieren, welche möglichst lange und intensiv als »wirkliche« Wirklichkeit erlebt werde (vgl. Peter 2015, S. 38; 2009, S. 58). Dabei spielt Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle. Durch sie erreichen wir das, was die Psychologen Auke Tellegen und Gilbert Atkinson Absorption nennen (Tellegen a. Atkinson 1974): Als absorbiert gelten wir nach ihnen dann, wenn uns etwas ganz und gar in Anspruch nimmt, wenn wir in einen Zustand totaler Aufmerksamkeit geraten, der unsere gesamte Vorstellungskraft bindet (vgl. Tellegen a. Atkinson 1974, p. 268; vgl. Ott 2005, S. 55; 2007, pp. 257 f.). Wir könnt en auch von Versunkenheit sprechen (vgl. Metten 2012, S. 184; vgl. Metten 2020, S. 129). So vertieft, erscheint uns das, was wir wahrnehmen, besonders real (vgl. Ott 2005, S. 55; vgl. Oakley a. Halligan 2017, p. 12). Wir sind ganz drin, so sehr, dass wir nicht einmal mehr wissen, dass das, was wir gerade wie gebannt erleben, »nur« eine hypnotische Wirklichkeit und nicht die – wie Peter sich ausdrücken würde – »normale« Wirklichkeit (Peter 2009, S. 58; 2015, S. 38) ist. Ein solcher Zustand setzt hochfokussierte Aufmerksamkeit voraus. Sie ist allerdings nur zu erreichen, wenn, wie es der bereits erwähnte Ernest Ropiequet Hilgard in seiner Neodissoziationstheorie (vgl. Hilgard 1973, 1977, 1989) postulierte, unser Monitoring wegfällt – das Gewahrsein dessen, was geschieht, aus der Perspektive eines distanzierten Beobachters (vgl. Metten 2012, S. 98; vgl. Metten 2020, S. 78, 147). Um dafür einen Vergleich des Psychiaters und Hypnoseforschers David Spiegel zu verwenden: In Hypnose nehmen wir so wahr, als stünde uns kein Weitwinkel, sondern nur die eingeengte Perspektive eines Teleobjektivs zur Verfügung (vgl. Spiegel 2008, p. 181).







