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Ein uralter Spießer war’s, mit nur knapp luserhohen, aber starken, enorm gut geperlten Stangen. Wie Stachelgewächse ragten sie über sein Greisenhäuptl.
Der Jäger schaute mich fragend an. Er dachte wohl, ich sei enttäuscht, weil es kein Medaillenbock war.
„Wunderbar, Istvàn, das ist genau das, was mir Freude macht. Solch ein Bock ist seltener als die üblichen Sechser, so stark sie auch sein mögen.“
Jetzt war der Jäger erleichtert, und nun freute er sich auch mit mir.
Es wurde noch ein stimmungsvoller Abend mit unseren Gastgebern im Jagdhaus. Bei Nachtigallengesang und Mondschein wäre es draußen sicher weit romantischer gewesen, doch das Gesirre der „Blutsäugäär“ wäre nicht zu ertragen gewesen.
Am Morgen, bevor der Fahrer des Jagdbüros uns abholen kam, überreichte mir Istvàn das bereits sauber hergerichtete Gwichtl des alten Bocks. Eine seltene Trophäe als Lohn für meine „Bodenjagd“.
Nach einem herzlichen Abschied von unseren lieben Jägersleuten trafen wir am späten Vormittag in unserem Hotel in Budapest ein. Ein kleiner Bummel durch die Stadt wurde gemacht, und bevor der Abend im Matthiaskeller heranrückte, wollten wir noch einigen von Géza empfohlenen Programmpunkten folgen.
Zuerst zog es uns zum Hüvösvölgy. Dieser Ausflugsort liegt auf den sich jenseits der Donau auf etwa 160 Meter erhebenden Hügeln. Mit einer von Kindern und jugendlichen Pionieren bedienten Kleinbahn gelangten wir nach einer romantischen Fahrt durch Laubwald im frischen Maigrün zu einer Ausflugsgaststätte. Wie in einer Biedermeier-Szene luden gedeckte Tische unter Schatten spendenden Kastanien zum Verweilen bei Speis und Trank. Einer der Tische erschien uns noch frei, und so ließen wir uns nieder. Nach einiger Zeit stellte sich mit fragender Miene ein Mann vor unseren Tisch, wie ich glaubte, der Ober. Da wir Wein trinken wollten, brachte ich aus meinem „ungeheuren“ ungarischen Wortschatz – es sind nur ein Dutzend Worte – an den Mann: „Bor szivesen! Wein bitte!“ Der Mensch schaute uns nur verdutzt an und setzte sich wortlos an unseren Tisch. Nach mühevollem Radebrechen mit Händen und Füßen stellte sich heraus, dass er – ebenfalls ein Gast – nur kurz seinen Platz verlassen hatte, um am Buffet etwas zu bestellen. Zudem war er Russe. Nun kramte ich aus meiner „profunden Halbbildung“ noch meine russischen Rest-Vokabeln hervor und das Gelächter über meinen Irrtum war beiderseits. Den Wein musste ich selber beim Buffet abholen, es war, wie man noch sehen wird, das Getränk des Tages beziehungsweise des Abends: „Balatonfüredi rizling“.
Es war ein heißer Tag, der Wein schmeckte gut, und so blieb es nicht bei der einen Flasche, wobei uns der Russe tapfer mithalf.
Froh beschwingt ging es nach dem Mittagessen zu einer der berühmtesten Konditoreien Europas, dem Café Gerbeaud. Dort, so hatte uns Géza ans Herz gelegt, war es obligatorisch, die legendäre Dobostorte zu genießen. Es war wirklich ein Erlebnis.
Abends brachte uns der Chauffeur mit der hoteleigenen, russischen Luxuslimousine noch auf die Fischerbastei hoch über dem Stadtteil Pest. Der Anblick des abendlich erleuchteten Budapest, der Parlamentsgebäude vor der majestätisch dahinströmenden Donau, die hier schon so viel gesehen hatte, war wirklich eine Reise wert. Wir mussten uns fast gewaltsam von diesem Anblick losreißen. Doch der Fahrer mahnte, unser Tisch im Matthiaskeller sei für 20 Uhr reserviert. Und heute Abend würde Sándor Lákátos spielen. Das durften wir keinesfalls versäumen.
Eine Treppe führte uns hinab in das riesige Kellergewölbe. Alle Tische waren voll besetzt. Im Hintergrund hörten wir schon die Zigeuner fiedeln und die ersehnten Cymbalklänge. Sofort stand ein Ober an unserem Tisch – diesmal war’s wirklich ein Ober. Seine Frage „Aperitif?“ sollten wir auf Anraten von Freund Géza mit „nein danke“ beantworten, denn was dann käme, würde einem die Füße wegziehen. Also sagten wir brav „nein danke!“ Kurz darauf stellte uns die Bedienung aber trotzdem den Aperitif auf den Tisch. Ein Wasserglas randvoll mit Schnaps. Barack oder Kirsch, ich weiß es nicht mehr. Brav schoben wir ihn beiseite. Zum Essen bestellten wir als Getränk natürlich „Balatonfüredi rizling“. An den Nebentischen prunkten viele russische Uniformen. Gesprächsfetzen in deutscher und russischer Sprache übertönten die Zigeunerklänge. Wir waren umgeben von kommunistischen „Genossen“. Das ungute Ostblock-Gefühl, das mich schon bei der Einreise wie ein böser Alb bedrückt hatte, war wieder präsent. Ich kippte den Aperitif hinunter.
Während des Essens kam die Kapelle, die an jedem Tisch ein wenig verweilte, immer näher, um die jeweiligen Musikwünsche zu erfüllen. Bald standen die Zsigans in ihren prächtigen Kostümen ein paar Tische weiter bei einer Gruppe von offenbar hohen kommunistischen Figuren. Ordengepanzerte, blechverklebte Brüste der Russen, servil lachende, sächselnde Zivilisten.
Und dann zogen sie weiter, an unseren Tisch. Mit einer Verbeugung fragte der Primás „Was wollen hören, bittä?“ Ich stand auf, holte den Fünfzigmarkschein hervor, klemmte ihn Sándor Lákátos in den Fiedelbogen: „Einen schönen Gruß von Graf Géza von Adorjányi!“
Ein Aufschrei! „Joi, Géza, meiner bester, alter Freund, joi, welcher Freudä!“ Er fiel mir um den Hals, busselte mich auf beide Backen.
Die Banda blieb nun bei uns, spielte ein Stück nach dem anderen. Natürlich auch jeden Schmachtfetzen wie „Die Lerche“ und „Szomorú vasárnap“ – den „Traurigen Sonntag“. Sie blieben und blieben, spielten und spielten – nur für uns. Die Sachsen und die Russen an den Nebentischen winkten und riefen, doch die Zigeuner standen wie gemauert. Uns wurde es langsam unheimlich. Die Leute tuschelten, deuteten auf uns und sicher wurde vermutet, wir seien ganz geheime Promis. In einer Musik- und Atempause fragte ich den Ober, wo man denn sonst noch Zigeunermusik hören könne – möglichst in einem Lokal, wo nur Einheimische seien und die Zigeuner ohne Kostümierung? Er riet uns zum „Fröhlichen Matrosen“ („Víg mátros“), einem Lokal am Hafen.
Beim Verlassen des Kellers begleiteten uns unsere neu gewonnenen Musikantenfreunde mit schwungvollen Czardasklängen noch bis zur steil nach oben führenden Treppe. Bei jedem Schritt in die Höhe, bei jedem Atemzug der frischen Nachtluft verlieh mir der Ungarwein die gerade besungenen Flügel einer Lerche. In ein bereits wartendes Taxi verfrachtet, brausten wir los zum „Fröhlichen Matrosen“.
Auch hier ging es in einen Keller hinab. Auch hier waren alle Tische besetzt, doch irgendein Mensch mit Übersicht – war es meine Frau oder der Ober – hatte zwei Plätze reservieren lassen. Die Zigeuner, diesmal ganz normal gekleidet, spielten, und ich war selig. Hier war kein Russe zu sehen.
Meine Bestellung konnte ich nun schon recht flott loswerden. „Balatonfüredi rizling!“ Ich weiß nicht mehr, ob mich nach der ersten oder zweiten Flasche das Bedürfnis überkam, den lieben Ungarn etwas Schönes zuzurufen.
Die Frau eines guten Jagdfreundes, die aus Siebenbürgen stammte, hatte mir viel von der Ungarischen Revolution erzählt. Der damalige historische Schlachtruf „Éljen a Magyar szabadság! – Es lebe die ungarische Freiheit!“ erschien mir gerade recht, um den Menschen hier eine Freude zu bereiten. Also stand ich auf, hielt mich schon ein wenig schwankend am Tisch fest, reckte die rechte Faust in die Höhe und rief in die Menge: „Éljen a Magyar szabadság!“
Erschrockenes Schweigen! Eisige Stille! Keine Hochrufe! Sofort sprangen vom Nebentisch zwei junge Männer auf, packten mich unter den Armen. „Schnell, Herr! Zahlen Sie! Sie müssen sofort hier weg! Schnell, schnell!“
Meine Frau schaltete fixer als ich, warf ein paar Scheine auf den Tisch, und schon schleppten mich die Männer die Treppe hoch, warfen mich förmlich in ein bereits wartendes Taxi und wir brausten los.
Was war da geschehen? Ich besäuselter Narr hatte mit diesem Schlachtruf erneut zur Revolution aufgerufen. Die beiden jungen Männer waren Angestellte unseres Hotels, hatten uns gleich erkannt und gerettet. Ja, wahrhaftig gerettet. Denn, so sagten sie, wenn jemand die Geheimpolizei informiert hätte, dann wäre ich oder wir beide ganz sicher verhaftet und eingesperrt worden. Und wer weiß, ob da nicht irgendwelche Spitzel im Lokal waren.
Unsere Retter meinten, dass wir nach diesem Schrecken zur Abkühlung noch einen Ausflug auf die Burg machen sollten. Die Sonne würde bald aufgehen und den jungen Tag von der Höhe aus zu begrüßen – das wäre doch ein schöner Abschluss.
Droben auf der Burg war zum Glück das Lokal längst geschlossen, sodass wir den Sonnenaufgang nun wirklich im Freien und in Freiheit erleben konnten.
Endlich waren wir dann wieder im Hotel und begaben uns auf unser Zimmer. Dort lag eine Liste mit den verschiedenen Vorschlägen fürs Frühstück. Das Lesen wollte mir nicht mehr so recht gelingen, ich sah alles doppelt und verschwommen. Also kreuzte ich einfachheitshalber sämtliche Gerichte an und legte den Zettel vors Zimmer. Da wir beide merkten, dass wir viel zu viel Alkohol im Blut hatten (bei mir war eher viel zu wenig Blut im Alkohol), legten wir uns in die riesige Badewanne, und zwar ins eiskalte Wasser – ein Trick, den meine Frau weiß der Teufel woher hatte. Bald schlotterten wir wie „nackerte Schullehrer“, doch der Höhenrauch wollte nicht weichen. Der Trick taugte wohl auch nichts. Also ab in die Heia.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf wurden wir vom Zimmerservice geweckt. Die Türe öffnete sich und herein rollte ein Servierwagen, noch einer und noch einer. Jeder war übervoll bestückt: Rührei mit Schinken, Omelette mit Schinken, knusprig gebratener Speck, Croissants, Semmeln, aufgeschnittenes Brot, Butter, Honig, Marmeladen, Käse, Aufschnitt, Müsli, Orangensaft, Grapefruitsaft, Milch, Kakao, Kaffee, Tee – halt die ganze Palette eines üppigen Buffets.
Verwundert schauten sich die Service-Damen um. Sie sahen aber nur zwei Personen. Oder bewunderten sie uns ob des großen Appetits?
Kein Wunder, dass mein Hunger nicht im Entferntesten der Frühstücksmenge entsprach. Im Gegenteil, es war mir gar nicht so recht wohl. Mir war kreuzelend zumute. Ich wünschte, ich wäre nie geboren. Doch wem passiert das schon. Kaum einem unter Millionen. Zum Glück hatte sich meine Frau mit dem Trinken mehr zurückgehalten. Auch war sie erstaunlicherweise trinkfester als ich.
Es gelang mir dennoch unter Aufbietung aller Restenergie, wenn auch mit glasigem Blick, meine Frau zu einem abschließenden Einkaufsbummel in die Stadt zu begleiten. Wieder fuhr uns die Hotelkarosse zu unserem Ziel, und der Fahrer begleitete uns zum Herend-Porzellanladen. Teilnahmslos trabte ich hinter meiner Frau drein, hinter uns der Chauffeur. Sie kaufte etwas aus Porzellan, ich zog wie eine Marionette die Kreditkarte und der Fahrer trug die Pakete. Es war wie im Film.
Zwei Stunden in frischer Luft mit einem Spaziergang durch den Park der Margareteninsel brachten mein Inneres langsam wieder ins Lot. Meine Sorge war verflogen, wie ich es schaffen würde, in zwei Stunden den Heimflug anzutreten. Bis zum Flughafen ging alles gut, meine rotgeränderten Säuferaugen hatte ich mit einer Sonnenbrille bedeckt.
Dann kam die Passkontrolle. Wieder unheimliche Kerle in schwarzen Ledermänteln, die misstrauisch in meinem Pass blätterten. Dann ein prüfender Blick in mein Gesicht: „Brillä ab!“, herrschte mich einer von ihnen an. Sicher glich in dieser Stunde das Foto nicht so ganz dem Original.
Seitdem bin ich noch des Öfteren in Ungarn gewesen – nur eines habe ich nie wieder getrunken: Balatonfüredi rizling.
Der Bär vom Kitzbüheler Horn
In meinem ehemaligen, weitläufigen Revier in den Allgäuer Bergen hausen viele Murmele. Sie heißen hier so, anderwärts sind es Mankei, Munggen oder Marmotta. Aus letzterem Namen entstand das Wort „Murmeltier“. In jenem Revier findet man sie fast nur auf der östlich und südlich gelegenen Seite des Stillach-Rappenalptals. Sicher liegt das an den ansonsten zu steilen Hängen. Die für ihren Lebensraum notwendigen Bergwiesen sind geländebedingt rar. An einem besonderen, fast ebenen Platz inmitten der schroffen Bergwelt waren sie zahlreich daheim. Ausgerechnet vor einer bewirtschafteten Hütte, der „Enzianhütte“ unterhalb des Linkerskopfs. Sie waren deshalb die Menschen gewohnt, keinesfalls mehr scheu und pfiffen nur, wenn ein Hund auftauchte.
So erging es mir mit meinem jungen Schweißhund, der zum ersten Mal in seinem Leben mit diesen Gesellen zusammenkam. Nach einer Pirsch in der Höhe gönnten wir uns eine Rast vor der Hütte. Bald darauf schlupften die ersten neugierigen Murmele wieder aus ihren Bauen und beäugten, Mannderl machend, uns Neuankömmlinge. Die junge Hündin vermutete, es wären die ihr verhassten Katzen und sauste los, um denen eine gehörige Lektion zu erteilen. Aber – wie sonderbar, die vermeintlichen Gegner waren sofort vom Erdboden verschluckt. Und sie rochen ganz anders, gar nicht nach den Stubentigern. Ratlos stand Silva vor dem Bau. Das war offenbar nicht ihr Wild. Seit diesem ersten, prägenden Erlebnis stand für sie fest, diese Höhlenbewohner sind genauso uninteressant wie Nachbars schwarze Hühner.
Ein ähnlich enttäuschendes Erlebnis hatte sie im gleichen Jahr bei einem Urlaub an der Nordsee. An einem breiten, endlos langen und menschenleeren Strand robbte vom höher gelegenen Dünenkamm eiligst ein Seehund dem Meer zu. Er hatte wohl dort oben verschlafen. Die Silva startete los, um den sonderbaren Hasen oder Fuchs anzuschauen. Neben dem wunderlichen Tier herlaufend ging’s den Wellen zu. Als dann die Robbe spur- und geruchlos darin verschwand, war die junge Hündin fassungslos. Es fehlte nur, dass sie kopfschüttelnd zurückkam. Dies war wohl das einzige Mal, dass jemals ein Schweißhund mit einem Seehund um die Wette gerannt ist.
Doch zurück ins Allgäu. Seit Jahren haben die Murmele hier keine Jagdzeit mehr, und nur der Adler darf sie sich erjagen. Wie es jedoch dazu kam, dass unser Berufsjäger mich mit Murmelöl zum Schmieren der Gelenke bedienen konnte, ist wohl sein Geheimnis geblieben.
Meine Schwiegermutter, die aus einem Gasthof im Hintersteiner Tal stammte, wusste von einer anderen Verwendung des Murmelfetts. Im elterlichen Gasthof kehrten zur Winterzeit nach getaner Arbeit immer die Wegmacher ein. Was heutzutage der Straßenräumdienst mit Motorkraft bewältigt, erledigten die Älpler früher mühevoll mit der Schaufel. Das macht Hunger und Durst. Der Wirt spendierte dazu die entsprechende Stärkung. Zur Erhöhung der Bekömmlichkeit von Speis, Bier und Enzianschnaps setzte jeder der Mannsbilder hernach die eigene Flasche mit Murmeleschmalz an und nahm einen kräftigen Schluck. Für diesen Genuss muss man allerdings in hochalpiner Wolle gefärbt sein.
Am südlichen Ende unseres ehemaligen Jagdreviers, welches zugleich der südlichste Punkt Deutschlands ist – man blickt von dort hinunter nach Warth im Vorarlberger Lechtal – liegt eine kleine Hochebene, wo sommers das Vieh hinaufgetrieben wird. Mehrere Hütten bieten Unterkunft für Hirten und Sennen. Hier ist ebenfalls der ideale Lebensraum für die Murmele. Doch überall, wo der Mensch die Umwelt für sich allein beansprucht, kommt es zu Kollisionen. Die Hirten beschwerten sich, dass die Kühe mit ihren Haxen in die Bau-Einfahrten einbrechen und so zu Schaden kämen. Fazit: Die Murmele müssen weg!
Um die aufgebrachten Bauern zu beschwichtigen, wurde eine Eingabe an die Behörde gemacht und um Abschussgenehmigung für ein paar Murmele angesucht. Wie wir hörten, stand die Genehmigung kurz bevor. Als aber eine grün orientierte Beamtin davon Wind bekam, landete das Gesuch im Papierkorb.
Da griffen die Hirten zur Selbsthilfe. Irgendwie hatte sich eine Gruppe der kleinen Höhlenbewohner unter einer der Hütten in eine Kellergrube verirrt, wo sie nicht mehr herauskonnten. Die Bauern erschlugen sie alle. Dem Jäger war die Ernte und Erlegerfreude genommen, die „Schädlinge“ waren erledigt und der bäuerliche Zorn verraucht. Der Amtsschimmel wieherte siegesfreudig.
Die Verwandtschaft dieser Langschläfer ist über die nördlichen Regionen des Globus beinahe weltweit mit etwa vierzehn verschiedenen Unterarten verbreitet. Einige dieser Verwandten konnte ich auf der Steinbockjagd im mongolischen Altai kennenlernen.
Zusammen mit meinem Guide Darmaa pirschte ich in den Gipfelregionen des Hochaltai. Bei einer Rast sahen wir unterhalb unseres Ausgucks eine große Murmelefamilie beim eifrigen Äsen. Nur ein einzelner großer Bär hielt nahe beim Felsenbau aufrecht stehend Wache. Auffallend waren seine Größe und sein fast steingrauer Balg. Auch der Warnpfiff unterscheidet sich von dem unserer Alpenmurmeltiere. Wir hatten bereits auf der Herfahrt bei diversen Rasten den sich ganz anders anzuhörenden Pfiff vernommen. Er klingt eher wie ein Kreischen, halt „Murmelisch“ auf Mongolisch.
Mit dem Spektiv konnte ich dem Sippenchef lange zuschauen, bis er plötzlich mit gellendem Pfiff die ganze Bande in den Bau scheuchte. Was war da los? Da sah ich auch schon einen prächtigen, großen Fuchs – auch er hatte einen mehr steingrauen als roten Balg – heranschnüren. Der Wächter ließ ihn nicht aus den Augen und tauchte auch nicht ab, selbst als der Graue – der „Rote“ kann man in diesem Fall ja nicht sagen – nur wenige Meter an ihm vorbeischnürte. „Reineke mongolicus“ schenkte ihm nicht einmal einen Seitenblick, so als wollte er dokumentieren: „Du interessierst mich gar nicht, wohl bist du auch schon recht zäh!“ Man kennt das ja aus der Fabel, wo dem Fuchs die ohnehin unerreichbaren Trauben sowieso viel zu sauer sind.
Darmaa erzählte mir, dass er es bedauere, dass noch keine Jagdzeit auf Murmele sei. Diese Delikatesse darf erst in einigen Wochen bejagt werden. Dann aber wird Mitte Juli zum Naadam Fest auch „Chorlog“ bereitet.
Auf meine Frage, was das denn wohl Köstliches sei, gab mir der Mongole das Rezept: Man ziehe dem Murmele den Balg wie einen Sack ab, nur mit der Öffnung oben und unten. Dann wird das zerlegte Tier hineingefüllt und beide offenen Sackenden verschlossen. Daraufhin kommt der Murmelesack in heiße Holzasche oder unter glühend gemachte Steine. Nach der Garzeit öffnet man den Sack, und der „würzige“, ölige Fleischsaft ist der kulinarische Himmel aller Steppen-Gourmets.
Darmaa musste bei der Beschreibung dieser edlen Speise vor Appetit schlucken. Vielleicht erging es dem Fuchs auch so?
Auf jeden Fall hätte es mich sehr gefreut, wenn ich wenigstens einmal im eigenen Jagdbann solch seltene Beute machen, mich an Erlegung, Balg und der raren Trophäe von gelben Nagezähnen hätte erfreuen können. Lieber jedoch ohne anschließenden Chorlog – auch wenn Darmaa mich nur zu gerne an diesem Hochgenuss hätte teilhaben lassen.
Als ich einem Jagdfreund von meinem Wunsch erzählte, tröstete er mich mit einer Einladung zur legalen Murmelejagd in Tirol. Er habe einen Freund, der eine kleine Eigenjagd auf dem Kitzbüheler Horn hat. Es gäbe da viele Mankei – dort heißen sie halt so – und der Eigentümer mit dem schönen Namen Severin freue sich über einen Gast.
Heiß brannte die Septembersonne vom wolkenlosen Himmel, als Severin uns hinauf zu den Hochalmen geleitete. Unterwegs bekam ich all die Ermahnungen, die mir aus Literatur und Erzählungen bekannt waren.
„Schieß nie, wenn der Mankei in der Nähe des Baues ist. Er muss im Schnall liegen, sonst ist er verloren. Und – was hast denn für a Büchs?“
Für diesen Fall hatte mir mein Freund seine 222 ausgeliehen, denn all meine eigenen Waffen hatten ein zu grobes Kaliber für das kleine Wild. Die Probeschüsse saßen perfekt, und so war der Gastgeber beruhigt.
Die baum- und strauchlose Hochebene ist eine bucklige Welt. Schon von weitem sahen wir etliche Mankei umherhuschen, und auf gellende Warnpfiffe hin waren sie blitzschnell abgetaucht. Hinter einem Felsbrocken fanden wir Deckung. Es dauerte keine halbe Stunde, da erschienen wieder ihre sichernden Köpfe vor den Einfahrten. Bald waren wieder kleine Affen und größere Bären und Katzen unterwegs zum Äsen. Ich wollte mir einen möglichst starken Bären auswählen, und so wurde mir die Zeit nicht lang, zumal das Bergpanorama allein den Aufstieg gelohnt hätte.
Plötzlich huschte ein größerer Bursche auf einen der kleinen Hügel, richtete sich auf und sicherte rundum.
„Den packsch!“, flüsterte mir der Severin zu. „Herrschaft! Des isch a amol a starker Bär!“
Dort auf dem kleinen Buckel war er weit genug vom Bau entfernt, und mit der guten Auflage an dem Felsen war der Schuss kein Kunststück. Im Knall der kleinen Büchse lag der Bär verendet auf der Hügelkuppe, schlegelte noch einmal kurz und rutschte auf der abgewandten Seite in die Senke. Das ging ja schnell und einfach. Mir ging’s fast zu schnell. Die Freunde beglückwünschten mich mit kräftigem Schulterklopfen, und freudig stiegen wir hinab zur Beute.
Doch da kam die Enttäuschung wie eine kalte Dusche. Genau in der Senke, in die der Bär abgekippt war, gähnte ein großer Bau. Da war er hineingerollt.
Severin kratzte sich am Kopf. „Der Deixl solls holen!“
Die Baueinfahrt ging mindestens einen Meter weit senkrecht in die Tiefe. Wie es dort weiterging, konnte man nur ahnen. Unsere Arme waren zu kurz, um da hinunterzulangen.
„Jetzt müss’ mer graben“, war Severins Vorschlag. Hier lag eine dicke Humusdecke, unsere Chancen waren gut, ein gutes Stück hinunterzugraben. Bei einem Felsenbau wären alle Mühen vergebens gewesen. So aber fuhr der Bauer zu Tal, um Hacke und Schaufel zu holen.
Jetzt jedoch kam die große Schinderei. Im glühenden Sonnenschein lief uns der Schweiß in Strömen herab. Hemd und Hose mussten wir ablegen. Abwechselnd gruben mein Freund und ich in die Tiefe. Bis zur Hüfte schon waren wir zum Erdmittelpunkt in Richtung Neuseeland vorgedrungen, doch kein Haar des Bären war weder zu sehen noch zu greifen. Und dann die große Enttäuschung: Der Fels begann. Ende der Graberei. Doch ich dachte nicht ans Aufgeben. Weit unterhalb der Almfläche wuchs ein Haselstrauch. Da wollte ich mir eine Gerte holen, um wenigstens zu ertasten, wo der Mankei lag.
Und tatsächlich, vorsichtig, den Stecken um eine Biegung schiebend, stieß ich auf etwas Weiches. Das musste der Bär sein. Doch wie ihn da herausziehen? Der Stecken hatte ja keinen Greifarm. Da fiel mir eine Geschichte ein, die ich einmal gelesen hatte. Da sah es so aus, als würden die Jäger ebenfalls in einem Felsenbau einen Dachs auf die gleiche Weise wie ich den Mankei verlieren. Sie spalteten einen Stecken am Vorderende zu einer Gabel. Mit dieser drehten sie den Stock in die langen Haare der Schwarte und zogen den Dachs langsam und vorsichtig heraus.
Das wollte ich auch probieren. Die Freunde runzelten zweifelnd die Stirn, doch machten sie mir Mut zum letzten Versuch. Also musste ich nochmals zum Haselstrauch hinunter und eine andere, biegsamere Gerte schneiden. Dann stocherte ich mit der gespaltenen Spitze vorsichtig nach dem Murmele. Bloß – wo hatte der die längeren Haare, in die sich der Stecken eindrehen ließ? Sehen konnte ich eh nichts, und so blieb mir nur das Probieren. Immer wenn ich auf den weichen Körper stieß, drehte ich mein Steckerl wie eine Spaghettigabel. Doch umsonst, sie konnte sich nicht festbeißen. Ich musste die langen Haare des Bürzels erwischen, das könnte gehen. Aber ohne Sicht dahin finden? Geduld ist des Jägers wichtigste Tugend, und ich gab nicht auf. Und dann – juhe – plötzlich ließ sich die Gerte nicht mehr drehen. Sie hatte gebissen. Zentimeter für Zentimeter konnte ich sie mit dem Mankei daran herziehen, immer in Angst, sie könnte sich vom Wild lösen. Und nach spannenden Minuten sah ich das schwarze Ende vom Bärenbürzel. Jetzt nur langsam. Den könnte ich jetzt mit den Händen fassen. Dazu musste ich kopfüber in die Grube hinab. Die Freunde hielten mich an den Füßen fest, und endlich gelang es mir, bis zum Mankei hinunterzugreifen. Erdverschmiert, aber glücklich zog ich meine Beute ans Tageslicht.
Der Bär vom Kitzbüheler Horn

Weit hinunter mussten wir graben …
Nach dem Schuss war ich ein wenig frustriert gewesen, dass die ganze Jagerei zu einfach und zu schnell gegangen war. Doch wie man sieht – da man kann sich gewaltig täuschen. Zwischen Schuss und Rucksack kann allerlei geschehen.