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Nie ein Gerstenkorn entgi-ng;
Was mich Lazarillo le-hrte,
Der, dem Blinden Wein zu ste-hlen,
Sich ins Maul den Strohhalm hi-elt.
Der rasende Roland an Don Quijote von der Mancha
Sonett
Du bist kein Großer zwar des Reichs, indessen
Muß man als Größten dich der Großen ehren,
Du Sieger, unbesiegt von ganzen Heeren;
Dir gleich zu sein, darf keiner sich vermessen.
Von Liebe zu Angelika besessen,
Zog rasend ich, Roldán, zu fernen Meeren,
Und Opfer bracht ich auf des Ruhms Altären,
Daß nie mein Name sinket in Vergessen.
Obschon du den Verstand wie ich verloren,
Kann ich dir gleich nicht sein; das Weltall schätzt
Weit höher deinen Ruf und deine Taten.
Mir wirst du gleich, wenn du den stolzen Mohren,
Den wilden Skythen bändigst, der uns jetzt
Gleich nennt im Lieben, das vom Glück verraten.
Der Sonnenritter an Don Quijote von der Mancha
Sonett
Nie hat mein Schwert so kühn wie deins gedroht,
Du span’scher Phöbus, du voll Lieb und Witz,
Und deinem Arm weicht meiner, der als Blitz
In Ost und West viel Feinde schlug zu Tod.
Den Thron verschmäht ich, den die Welt mir bot,
Verließ im Orient den Königssitz
Für Claridianas Anblick, denn mich litt’s
Nur, wo ich sah mein holdes Morgenrot.
Heiß liebt ich sie, das hehre Wunderbild;
Als sie mich kalt verstieß, griff ich die Rotte
Der Höllen an, die ich mit Schrecken schlug.
Doch du, ein echter Gote, wild und mild,
Bist ewig groß durch Dulcinee, Quijote,
Und sie durch dich berühmt als keusch und klug.
Solisdan an Don Quijote von der Mancha
Sonett
Junger Quijote, so Ihr Euch geschwächt
Das Hirn und seid zur Narrenzunft gesprochen,
So sagt kein Mensch doch, daß Ihr was verbrochen,
Noch eines Schelmenstücks Euch habt erfrecht.
Wohl Eure Taten sitzen drob zu Recht.
Auf Ritterfahrt habt Frevel Ihr gerochen,
Und tausendmal zerschlugen Euch die Knochen
Manch böser Wicht und mannich loser Knecht.
Und so dich Dulcinee gen Euch erbost
Und tut Euch Leids und bringt Euch auf den Hund
Und Eurem Weh kein willig Labsal gibt,
In solchen Nöten sei Euch dies zum Trost:
Daß Sancho sich aufs Kuppeln nicht verstund,
Ein Dummkopf er, sie hart, Ihr nicht verliebt.
Zwiegespräch zwischen Babieca und Rosinante
Sonett
B. So hager, Rosinante, so verschlissen?
R. Weil’s Arbeit stets und niemals Futter gab.
B. Wirft Euch der Dienst nicht Stroh und Gerste ab?
R. Mein Herr verabreicht mir nicht einen Bissen.
B. Ihr loser Knecht, schämt Euch in Eu’r Gewissen!
Ein Eselsmaul reißt seinen Herrn herab.
R. Er ist ein Esel von der Wieg ans Grab;
Seht nur, wie er der Liebe sich beflissen!
B. Ist Lieben Torheit? R. Doch nicht viel Vernunft.
B. Du bist ein Philosoph. R. Das kommt vom Hungern.
B. Verklagt den Diener, der auf Euch nichts wandte.
R. Wem sollt ich’s klagen bei der Bettlerzunft,
Wo Herr und Diener in der Welt rumlungern
Und grad so schäbig sind wie Rosinante?
1. Kapitel
Welches vom Stand und der Lebensweise des berühmten Junkers Don Quijote von der Mancha handelt
An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Junker, einer von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen haben. Eine Schüssel Suppe mit etwas mehr Kuh- als Hammelfleisch darin, die meisten Abende Fleischkuchen aus den Überbleibseln vom Mittag, jämmerliche Knochenreste am Samstag, Linsen am Freitag, ein Täubchen als Zugabe am Sonntag – das verzehrte volle Dreiviertel seines Einkommens; der Rest ging drauf für ein Wams von Plüsch, Hosen von Samt für die Feiertage mit zugehörigen Pantoffeln vom selben Stoff, und die Wochentage schätzte er sich’s zur Ehre, sein einheimisches Bauerntuch zu tragen – aber vom feinsten! Er hatte bei sich eine Haushälterin, die über die Vierzig hinaus war, und eine Nichte, die noch nicht an die Zwanzig reichte; auch einen Diener für Feld und Haus, der ebensowohl den Gaul sattelte als die Gartenschere zur Hand nahm. Es streifte das Alter unsres Junkers an die fünfzig Jahre; er war von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte, ein eifriger Frühaufsteher und Freund der Jagd. Man behauptete, er habe den Zunamen Quijada oder Quesada geführt – denn hierin waltet einige Verschiedenheit in den Autoren, die über diesen Kasus schreiben –, wiewohl aus wahrscheinlichen Vermutungen sich annehmen läßt, daß er Quijano hieß. Aber dies ist von geringer Bedeutung für unsre Geschichte; genug, daß in deren Erzählung nicht um einen Punkt von der Wahrheit abgewichen wird.
Man muß nun wissen, daß dieser obbesagte Junker alle Stunden, wo er müßig war – und es waren dies die meisten des Jahres –, sich, dem Lesen von Ritterbüchern hingab, mit so viel Neigung und Vergnügen, daß er fast ganz und gar die Übung der Jagd und selbst die Verwaltung seines Vermögens vergaß; und so weit ging darin seine Wißbegierde und törichte Leidenschaft, daß er viele Morgen Ackerfeld verkaufte, um Ritterbücher zum Lesen anzuschaffen; und so brachte er so viele ins Haus, als er ihrer nur bekommen konnte. Und von allen gefielen ihm keine so gut wie die von dem berühmten Feliciano de Silva verfaßten; denn die Klarheit seiner Prosa und die verwickelten Redensarten, die er anwendet, dünkten ihm wahre Kleinode; zumal wenn er ans Lesen jener Liebesreden und jener Briefe mit Herausforderungen kam, wo er an mancherlei Stellen geschrieben fand: Der Sinn des Widersinns, den Ihr meinen Sinnen antut, schwächt meinen Sinn dergestalt, daß ein richtiger Sinn darin liegt, wenn ich über Eure Schönheit Klage führe. Und ebenso, wenn er las: …die hohen Himmel Eurer Göttlichkeit, die Euch in göttlicher Weise bei den Sternen festigen und Euch zur Verdienerin des Verdienstes machen, das Eure hohe Würde verdient. Durch solche Redensarten verlor der arme Ritter den Verstand und studierte sich ab, um sie zu begreifen und aus ihnen den Sinn herauszuklauben, den ihnen Aristoteles selbst nicht abgewonnen noch sie verstanden hätte, wenn er auch zu diesem alleinigen Zweck aus dem Grab gestiegen wäre. Er war nicht sonderlich einverstanden mit den Wunden, welche Don Belianís austeilte und empfing; denn er dachte sich, wie große Ärzte ihn auch gepflegt hätten, so könnte er doch nicht anders als das Gesicht und den ganzen Körper voll Narben und Wundenmale haben. Aber bei alldem lobte er an dessen Verfasser, daß er sein Buch mit dem Versprechen jenes unbeendbaren Abenteuers beendet; und oftmals kam ihm der Wunsch, die Feder zu ergreifen und dem Buch einen Schluß zu geben, buchstäblich so, wie es dort versprochen wird; und ohne Zweifel hätte er es getan, ja er wäre damit zustande gekommen, wenn andere größere und ununterbrochen ihn beschäftigende Ideen es ihm nicht verwehrt hätten.
Vielmals hatte er mit dem Pfarrer seines Ortes – der war ein gelehrter Mann und hatte den Grad eines Lizentiaten zu Siguenza erlangt – Streit darüber, wer ein besserer Ritter gewesen, Palmerín von England oder Amadís von Gallien; aber Meister Nikolas, der Barbier desselbigen Ortes, sagte, es reiche keiner an den Sonnenritter, und wenn einer sich ihm vergleichen könne, so sei es Don Galaor, der Bruder des Amadís von Gallien, weil dessen Naturell sich mit allem zurechtfinde; er sei kein zimperlicher Rittersmann, auch nicht ein solcher Tränensack wie sein Bruder, und im Punkte der Tapferkeit stehe er nicht hinter ihm zurück.
Schließlich versenkte er sich so tief in seine Bücher, daß ihm die Nächte vom Zwielicht bis zum Zwielicht und die Tage von der Dämmerung bis zur Dämmerung über dem Lesen hingingen; und so, vom wenigen Schlafen und vom vielen Lesen, trocknete ihm das Hirn so aus, daß er zuletzt den Verstand verlor. Die Phantasie füllte sich ihm mit allem an, was er in den Büchern las, so mit Verzauberungen wie mit Kämpfen, Waffengängen, Herausforderungen, Wunden, süßem Gekose, Liebschaften, Seestürmen und unmöglichen Narreteien. Und so fest setzte es sich ihm in den Kopf, jener Wust hirnverrückter Erdichtungen, die er las, sei volle Wahrheit, daß es für ihn keine zweifellosere Geschichte auf Erden gab. Er pflegte zu sagen, der Cid Rui Diaz sei ein sehr tüchtiger Ritter gewesen, allein er könne nicht aufkommen gegen den Ritter vom flammenden Schwert, der mit einem einzigen Hieb zwei grimmige ungeheure Riesen mitten auseinandergehauen. Besser stand er sich mit Bernardo del Carpio, weil dieser in Roncesvalles den gefeiten Roldán getötet, indem er sich den Kunstgriff des Herkules zunutze machte, als dieser den Antäus, den Sohn der Erde, in seinen Armen erstickte. Viel Gutes sagte er von dem Riesen Morgante, weil dieser, obschon von jenem Geschlechte der Riesen, die sämtlich hochfahrende Grobiane sind, allein unter ihnen leutselig und wohlgezogen gewesen. Doch vor allen stand er sich gut mit Rinald von Montalbán, und ganz besonders, wenn er ihn aus seiner Burg ausreiten und alle, auf die er stieß, berauben sah und wenn derselbe drüben über See jenes Götzenbild des Mohammed raubte, das ganz von Gold war, wie eine Geschichte besagt. Gern hätte er, um dem Verräter Ganelon ein Schock Fußtritte versetzen zu dürfen, seine Haushälterin hergegeben und sogar seine Nichte obendrein.
Zuletzt, da es mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen; nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen und durch die ganze Welt mit Roß und Waffen zu ziehen, um Abenteuer zu suchen und all das zu üben, was, wie er gelesen, die fahrenden Ritter übten, das heißt jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen und sich in Gelegenheiten und Gefahren zu begeben, durch deren Überwindung er ewigen Namen und Ruhm gewinnen würde. Der Arme sah sich schon in seiner Einbildung durch die Tapferkeit seines Armes allergeringsten Falles mit der Kaiserwürde von Trapezunt bekrönt; und demnach, in diesen so angenehmen Gedanken, hingerissen von dem wundersamen Reiz, den sie für ihn hatten, beeilte er sich, ins Werk zu setzen, was er ersehnte.
Und das erste, was er vornahm, war die Reinigung von Rüstungsstücken, die seinen Urgroßeltern gehört hatten und die, von Rost angegriffen und mit Schimmel überzogen, seit langen Zeiten in einen Winkel hingeworfen und vergessen waren. Er reinigte sie und machte sie zurecht, so gut er nur immer konnte. Doch nun sah er, daß sie an einem großen Mangel litten: es war nämlich kein Helm mit Visier dabei, sondern nur eine einfache Sturmhaube; aber dem half seine Erfindsamkeit ab, denn er machte aus Pappdeckel eine Art von Vorderhelm, der, in die Sturmhaube eingefügt, ihr den Anschein eines vollständigen Turnierhelms gab. Freilich wollte er dann auch erproben, ob der Helm stark genug sei und einen scharfen Hieb aushalten könne, zog sein Schwert und führte zwei Streiche darauf, und schon mit dem ersten zerstörte er in einem Augenblick, was er in einer Woche geschaffen hatte; und da konnte es nicht fehlen, daß ihm die Leichtigkeit mißfiel, mit der er ihn in Stücke geschlagen. Um sich nun vor dieser Gefahr zu bewahren, fing er den Vorderhelm aufs neue an und setzte Eisenstäbe innen hinein, dergestalt, daß er nun mit dessen Stärke zufrieden war; und ohne eine neue Probe damit anstellen zu wollen, erachtete und erklärte er ihn für einen ganz vortrefflichen Turnierhelm.
Jetzt ging er, alsbald nach seinem Gaule zu sehen, und obschon dieser an den Hufen mehr Steingallen hatte als ein Groschen Pfennige und mehr Gebresten als das Pferd Gonellas, das tanium pellis et ossa fuit, dünkte es ihn, daß weder der Bukephalos des Alexander noch der Babieca des Cid sich ihm gleichstellen könnten. Vier Tage vergingen ihm mit dem Nachdenken darüber, welchen Namen er ihm zuteilen sollte; sintemal – wie er sich selbst sagte – es nicht recht wäre, daß das Roß eines so berühmten Ritters, das auch schon an sich selbst so vortrefflich sei, ohne einen eigenen wohlbekannten Namen bliebe. Und so bemühte er sich, ihm einen solchen zu verleihen, der deutlich anzeige, was der Gaul vorher gewesen, ehe er eines fahrenden Ritters war, und was er jetzo sei; denn es sei doch in der Vernunft begründet, daß, wenn sein Herr einen andern Stand, auch das Roß einen andern Namen annehme und einen solchen erhalte, der ruhmvoll und hochtönend sei, wie es dem neuen Orden und Beruf zieme, zu dem er sich selbst bereits bekenne. Und so, nachdem er viele Namen sich ausgedacht, dann gestrichen und beseitigt, dann wieder in seinem Kopfe andre herbeigebracht, abermals verworfen und aufs neue in seiner Vorstellung und Phantasie zusammengestellt, kam er zuletzt darauf, ihn Rosinante zu heißen, ein nach seiner Meinung hoher und volltönender Name, bezeichnend für das, was er gewesen, als er noch ein Reitgaul nur war, bevor er zu der Bedeutung gekommen, die er jetzt besaß, nämlich allen Rossen der Welt als das Erste voranzugehen.
Nachdem er seinem Gaul einen Namen, und zwar so sehr zu seiner Zufriedenheit, gegeben, wollte er sich auch selbst einen beilegen, und mit diesem Gedanken verbrachte er wieder volle acht Tage; und zuletzt verfiel er darauf, sich Don Quijote zu nennen; woher denn, wie schon gesagt, die Verfasser dieser so wahren Geschichte Anlaß zu der Behauptung nahmen, er müsse ohne Zweifel Quijada geheißen haben und nicht Quesada, wie andre gewollt haben. Jedoch da er sich erinnerte, daß der tapfere Amadís sich nicht einfach damit begnügt hatte, ganz trocken Amadís zu heißen, sondern den Namen seines Königreichs und Vaterlands beifügte, um es berühmt zu machen, und sich Amadís von Gallien nannte, wollte er ebenso als ein guter Ritter seinem Namen den seiner Heimat beifügen und sich Don Quijote von der Mancha nennen; damit bezeichnete er nach seiner Meinung sein Geschlecht und Heimatland ganz lebenstreu und ehrte es hoch, indem er den Zunamen von ihm entlehnte.
Da er nun seine Waffen gereinigt, aus der Sturmhaube einen Turnierhelm gemacht, seinem Rosse einen Namen gegeben und sich selbst neu gefirmelt hatte, führte er sich zu Gemüt, daß ihm nichts andres mehr fehle, als eine Dame zu suchen, um sich in sie zu verlieben; denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht, ein Körper ohne Seele. Er sagte sich: Wenn ich um meiner argen Sünden willen oder durch mein gutes Glück draußen auf einen Riesen stoße, wie dies gewöhnlich den fahrenden Rittern begegnet, und ich werfe ihn mit einem Speerstoß darnieder oder haue ihn mitten Leibes auseinander, oder kurz, besiege ihn und zwinge ihn zu meinem Willen, wird es da nicht gut sein, eine Dame zu haben, der ich ihn zusenden kann, um sich ihr zu stellen, so daß er eintrete und sich auf die Knie niederlasse vor meiner süßen Herrin und mit demütiger und unterwürfiger Stimme sage: Ich bin der Riese Caraculiambro, Herr der Insel Malindrania, den im Einzelkampf der nie nach voller Gebühr gepriesene Ritter Don Quijote von der Mancha besiegt hat, als welcher mir befohlen, ich solle mich vor Euer Gnaden stellen, auf daß Euer Herrlichkeit über mich nach Dero Belieben verfüge?
O wie freute sich unser Ritter, als er diese Rede getan, und gar erst, als er gefunden, wem er den Namen seiner Dame zu geben hätte! Und es verhielt sich dies so – wie man glaubt –, daß an einem Ort in der Nachbarschaft des seinigen ein Bauernmädchen von recht gutem Aussehen lebte, in die er eine Zeitlang verliebt gewesen, obschon, wie man vernimmt, sie davon nie erfuhr noch acht darauf hatte. Sie nannte sich Aldonza Lorenzo, und dieser den Titel einer Herrin seiner Gedanken zu geben deuchte ihm wohlgetan. Er suchte für sie nach einem Namen, der vom seinigen nicht zu sehr abstäche und auf den einer Prinzessin und hohen Herrin hinwiese und abziele, und so nannte er sie endlich Dulcinea von Toboso, weil sie aus Toboso gebürtig war; ein Name, der nach seiner Meinung wohlklingend und etwas Besonderes war und zugleich bezeichnend wie alle übrigen, die er sich und allem, was ihn betraf, beigelegt hatte.
2. Kapitel
Welches von der ersten Ausfahrt handelt, die der sinnreiche Don Quijote aus seiner Heimat tat
Nachdem er alle diese Vorkehrungen getroffen, wollte er nicht länger warten, sein Vorhaben ins Werk zu setzen; es drängte ihn dazu der Gedanke an die Entbehrung, die die Welt durch sein Zögern erleide, derart waren die Unbilden, denen er zu steuern, die Ungerechtigkeiten, die er zurechtzubringen, die Ungebühr, der er abzuhelfen, die Mißbräuche, die er wiedergutzumachen, kurz, die Pflichten, denen er zu genügen gedachte. Und so, ohne irgendeinem von seiner Absicht Kunde zu geben und ohne daß jemand ihn sah, bewehrte er sich eines Morgens vor Anbruch des Tages – es war einer der heißen Julitage – mit seiner ganzen Rüstung, stieg auf den Rosinante, nachdem er seinen zusammengeflickten Turnierhelm aufgesetzt, faßte seine Tartsche in den Arm, nahm seinen Speer und zog durch die Hinterpforte seines Hofes hinaus aufs Feld, mit gewaltiger Befriedigung und Herzensfreude darob, mit wie großer Leichtigkeit er sein löbliches Vorhaben auszuführen begonnen.

Aber kaum sah er sich in freiem Feld, als ihn ein schrecklicher Gedanke anfiel, und zwar ein solcher, der ihn beinahe dahin gebracht hätte, das angefangene Unternehmen wieder aufzugeben: nämlich der Gedanke, daß er nicht zum Ritter geschlagen sei und daß gemäß dem Gesetze des Rittertums er gegen keinen Ritter die Waffen führen könne noch dürfe; und wenn er es sogar schon wäre, so müßte er doch eine weiße Rüstung tragen, ohne ein Abzeichen auf dem Schild, bis er sich eines durch seine Tapferkeit gewänne. Diese Erwägungen machten ihn in seinem Vorsatze wankend; aber da seine Torheit mehr vermochte als jeglicher Vernunftgrund, nahm er sich vor, sich von dem ersten besten, auf den er stieße, zum Ritter schlagen zu lassen, in Nachahmung vieler andern, die so getan, wie er in den Büchern gelesen hatte, die ihn in solche Geistesrichtung versetzt hatten. Was die weiße Rüstung betraf, so dachte er die seine, wenn er Gelegenheit habe, dergestalt zu putzen, daß sie weißer werde als ein Hermelin. Und damit beruhigte er sich und setzte seinen Weg fort, ohne einen andern einzuschlagen, als den sein Pferd wollte; denn er meinte, gerade darin bestünde das rechte Wesen der Abenteuer.
Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. – Und in der Tat ritt er eben darüber hin.
Und er sagte weiter: Glücklich das Zeitalter und glücklich das Jahrhundert, wo dereinst ans Licht treten die ruhmvollen Taten mein, würdig, in Erz gegraben, in Marmor gemeißelt, auf Tafeln gemalt zu werden zum Angedenken in aller Zukunft! O du weiser Zauberer, wer auch immer du seiest, dem es zuteil werden soll, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte zu sein, ich bitte dich, meines guten Rosinante nicht zu vergessen, meines ewigen Gefährten auf all meinen Wegen und Bahnen.
Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet.
An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte.
Beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas begegnete, was zum Erzählen wäre, und darüber wollte er schier verzweifeln; denn gern hätte er gleich zur Stelle auf jemand treffen mögen, an dem er die Tapferkeit seines starken Armes erproben könnte.
Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andre sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand, ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren; und daß, nach allen Seiten hin spähend, ob er irgendeine Burg oder einen Hirtenpferch entdeckte, wo er eine Zuflucht finden und seinem großen Notstand abhelfen könnte, er nicht weit von dem Weg, den er ritt, eine Schenke erblickte. Da war ihm, als sähe er einen Stern, der ihn zur Pforte – wenn auch nicht in den Palast – seiner Erlösung leitete. Er beschleunigte seinen Ritt und langte eben zur Zeit an, wo es Abend wurde.
Hier standen von ungefähr an der Tür zwei junge Frauenzimmer, aus der Zahl jener, welche man Die von der leichten Zunft benennt; sie waren auf der Reise nach Sevilla mit Maultiertreibern, die zufällig diese Nacht in der Schenke Rast hielten. Und da es unsern Abenteurer bedünkte, alles, was er auch immer dachte, sah oder sich einbildete, sei so beschaffen und trage sich so zu wie die Dinge, die er gelesen hatte, so kam es ihm sogleich vor, da er die Schenke sah, sie sei eine Burg mit ihren vier Türmen und Turmhauben von glänzendem Silber, ohne daß ihr ihre Zugbrücke und ihr tiefer Graben fehlte, nebst allen jenen Zubehörungen, womit man dergleichen Burgen malt. Er ritt näher an die Schenke heran – die ihm eine Burg schien –, und eine kurze Strecke von ihr hielt er seinem Rosinante die Zügel an und wartete, daß irgendein Zwerg sich zwischen den Zinnen zeige, um mit einer Drommete oder dergleichen das Zeichen zu geben, daß ein Ritter der Burg nahe. Da er aber sah, daß man zögerte, und Rosinante nach dem Stall Eile hatte, ritt er vor die Tür der Schenke und erblickte die beiden liederlichen Dirnen, die dort standen und die ihm als zwei schöne Fräulein oder anmutvolle Edelfrauen erschienen, die vor der Burgpforte sich erlusten mochten.
Im selben Augenblicke geschah es zufällig, daß ein Schweinehirt, der eine Herde Schweine – denn es ist nicht zu ändern, so heißen sie einmal – von den Stoppelfeldern heimtrieb, in sein Horn stieß, auf welches Zeichen sie heimwärts ziehen; und augenblicklich stellte sich unserm Don Quijote alles dar, was er wünschte, nämlich daß ein Zwerg das Zeichen seiner Ankunft gebe. Und so, mit außerordentlicher Befriedigung, nahte er der Schenke und den Damen; diese aber, als sie einen in solcher Weise gerüsteten Mann, mit Speer und Tartsche, heranreiten sahen, wollten voller Angst in die Schenke hinein. Jedoch Don Quijote, der aus ihrer Flucht auf ihre Ängstlichkeit schloß, hob das Pappdeckelvisier empor, und sein dürres, bestäubtes Gesicht halb aufdeckend, sprach er zu ihnen mit freundlicher Gebärde und sachter Stimme: »Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.«