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»Erlöschung ist«, antwortete Sancho, »wenn einer in der Hölle ist, so kommt er niemals mehr heraus und kann’s auch nicht. Aber bei Euer Gnaden wird’s umgekehrt gehen, oder es müßte mit meinen Füßen schlecht bestellt sein, wenn ich Sporen dran trage, um Rosinante anzutreiben. Wenn ich nur richtig nach Toboso zu unserm gnädigen Fräulein Dulcinea komme, so erzähle ich ihr solche Dinge von den Dummheiten und Tollheiten – das ist ja all eins –, die Euer Gnaden verübt hat und fortwährend verübt, daß ich sie bald geschmeidiger mache als einen Handschuh, sollte sie auch anfänglich härter sein als eine Korkeiche; und mit ihrer zärtlichen, honigsüßen Antwort komm ich durch die Lüfte zurück wie ein Hexenmeister und hole Euer Gnaden aus diesem Fegefeuer heraus, das eine Hölle scheint und es doch nicht ist, da Ihr Hoffnung habt, herauszukommen, was die nicht haben, die in der Hölle sind, wie ich schon gesagt, und ich glaube auch nicht, daß Euer Gnaden anders sagen wird.«
»Es ist allerdings so«, sprach Der von der traurigen Gestalt. »Aber wie sollen wir’s anfangen, um den Brief zu schreiben?«
»Und die Esels-Anweisung dazu?« fügte Sancho bei.
»Alles wird niedergeschrieben werden«, sagte Don Quijote, »und da kein Papier da ist, wäre es gut, wir schrieben ihn, wie die Alten taten, auf Baumblätter oder auf Wachstäfelchen, wiewohl das jetzt ebenso schwer aufzutreiben wäre wie Papier. Doch eben ist mir’s in den Sinn gekommen, worauf ich den Brief ganz gut und besser als gut schreiben kann, nämlich in das Notizbuch, das Cardenio angehörte, und du wirst Sorge tragen, es auf Papier abschreiben zu lassen, mit guter Handschrift, am ersten besten Ort, wo sich ein Schulmeister findet; wenn das nicht, so kann jeder Küster dir ihn abschreiben. Gib ihn aber keinem Aktuar zum Abschreiben; denn die bedienen sich einer Aktenschrift, die der Gottseibeiuns nicht lesen kann.«
»Wie soll es aber mit der Unterschrift werden?« fragte Sancho.
»Niemals waren die Briefe des Amadís unterzeichnet«, antwortete Don Quijote.
»Ganz gut«, versetzte Sancho, »aber die Anweisung muß notwendig unterzeichnet sein, und wenn die abgeschrieben wird, so wird man sagen, die Unterschrift ist falsch, und ich bin um die Esel.«
»Die Anweisung soll im Notizbuche selbst unterzeichnet werden, so daß meine Nichte, wenn sie dieselbe sieht, keine Schwierigkeiten machen wird, sie zu berichtigen. Soviel aber den Liebesbrief betrifft, wirst du die Unterschrift daruntersetzen: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt. Und es wird nichts ausmachen, daß sie von fremder Hand ist; denn soviel ich mich entsinne, kann Dulcinea weder schreiben noch lesen und hat in ihrem ganzen Leben meine Handschrift, also auch einen Brief von mir, nicht gesehen. Meine Liebe und die ihrige waren stets eine platonische und erstreckten sich nie weiter als zu einem züchtigen Anblicken, und auch dies nur von Zeit zu Zeit, so daß ich mit Wahrheit schwören darf, in den zwölf Jahren, seit denen ich sie inniger liebe als das Licht meiner Augen, die einst im Schoße der Erde modern werden, habe ich sie höchstens viermal gesehen, und zudem kann es auch sein, daß unter diesen vier Malen sie nicht ein einziges Mal bemerkt hat, daß ich sie anschaute. In solcher Sittsamkeit und Zurückgezogenheit haben sie ihr Vater Lorenzo Corchuelo und ihre Mutter Aldonza Nogales erzogen.«
»Ei je, ei je«, sprach Sancho, »die Tochter von Lorenzo Corchuelo ist unsere Gebieterin Dulcinea von Toboso, sonst auch Aldonza Lorenzo geheißen?«
»Dieselbe«, antwortete Don Quijote, »und sie ist’s, die da verdient, die Gebieterin des ganzen Weltalls zu sein.«
»Ich kenne sie ganz gut«, sprach Sancho, »und kann sagen, daß sie im Spiel die Eisenstange so kräftig wirft wie der stärkste Bursche im ganzen Ort. Beim Geber alles Guten, das ist eine tüchtige Dirne, schlecht und recht, hat Haare auf den Zähnen und kann jedem jetzt fahrenden oder in Zukunft fahrenden Ritter, der sie zur Gebieterin erkiest, was zu raten aufgeben. Was Teufel hat sie für eine Kraft im Leibe, was hat sie für eine Stimme! Ich sage Euch, sie ist einmal oben auf den Glockenturm des Dorfes hinauf, um vom Brachfeld ihres Vaters Knechte heimzurufen, und wiewohl selbige mehr als eine halbe Stunde fern vom Orte waren, haben sie sie gehört, als hätten sie unten am Turm gestanden. Und das Beste an ihr ist, daß sie durchaus nicht zimperlich ist, sie hat was von so einer Person aus der Residenz, alle hat sie zum besten und hat über alles ihren Spott und Scherz.
Jetzt sage ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, nicht nur kann und soll Euer Gnaden Tollheiten ihretwegen verüben, sondern kann auch mit großem Recht verzweifeln und gar sich aufhängen; denn keiner, der es erfährt, wird umhinkönnen, zu sagen, daß Ihr ausnehmend wohl daran getan, und wenn Euch auch darum der Teufel holen sollte; und gerne möchte ich schon auf dem Wege sein, nur um sie zu sehen, sintemal es schon viele Tage her ist, daß sie mir nicht vor die Augen gekommen; auch muß sie ganz wie verwechselt aussehen; denn nichts verdirbt den Frauenzimmern so sehr ihr Gesicht, als wenn sie in der Sonne und freier Luft im Felde herumlaufen! Auch muß ich Euer Gnaden wahr und wahrhaftig sagen, daß ich bisher in großer Unkenntnis der Sachen gewesen. Ich war nämlich ernst und treulich des Glaubens, das Fräulein Dulcinea müsse irgendeine Prinzessin sein, in die Euer Gnaden sich verliebt hätte, oder sonst ein Frauenzimmer solcher Art, daß sie die von Euer Gnaden gesendeten reichen Gaben verdiente, wie das Geschenk, das Ihr ihr mit dem Biskayer und mit den Galeerensklaven gemacht habt. Und ohne Zweifel werden es noch viele andere Gaben sein, nach den Siegen zu schließen, die Ihr zur Zeit errungen haben müßt, wo ich noch nicht Euer Schildknappe war. Aber wenn man’s bei Licht betrachtet, was kann dem Fräulein Aldonza Lorenzo, will sagen dem Fräulein Dulcinea von Toboso, daran liegen, daß die Besiegten, die Euer Gnaden hinsendet und hinsenden wird, kommen und sich auf die Knie vor ihr werfen? Denn es wäre ja möglich, daß gerade zur Zeit, wo selbige ankämen, sie mit dem Hecheln von Flachs oder Dreschen auf der Tenne beschäftigt wäre, und jene würden sich dann schämen, sie in dem Aufzug zu sehen, und sie würde über das Geschenk lachen und sich ärgern.«
»Ich habe dir schon früher oftmals gesagt, Sancho«, sprach Don Quijote, »daß du ein gewaltiger Schwätzer bist und, obwohl am Verstande stumpf, doch häufig spitzig sein und sticheln willst. Damit du jedoch siehst, wie dumm du bist und wie verständig meine Handlungsweise, sollst du von mir ein Geschichtchen hören. Vernimm also: Eine schöne junge Witwe, unabhängig und reich, insbesondere aber lustigen Humors, verliebte sich in einen jungen Laienbruder, einen untersetzten kräftigen Burschen; sein Vorgesetzter brachte es in Erfahrung, und eines Tages sagte er zu der wackeren Witwe diese Worte als brüderliche Zurechtweisung: ›Ich bin erstaunt, Señora, und nicht ohne vielfachen Grund, wie eine so vornehme, so schöne, so reiche Frau wie Euer Gnaden sich in einen so schmutzigen, gemeinen und dämlichen Menschen wie den gewissen Jemand verlieben mochte, da doch in diesem Stift so viele Doktoren, so viele Graduierte und so viele Theologen sind, unter denen Euer Gnaden wie aus einem Korb mit Birnen hätten wählen und sagen können: Den mag ich gern, den mag ich nicht.‹ Aber sie antwortete ihm mit heiterer Laune und größter Unbefangenheit: ›Werter Herr, Euer Gnaden ist in großem Irrtum und urteilt sehr altmodisch, wenn Ihr meinet, ich hätte mit dem gewissen Jemand eine schlechte Wahl getroffen, ob er Euch auch noch so dämlich vorkommt. Denn wozu ich ihn mag, dazu hat er soviel und mehr Kenntnis von der Philosophie wie Aristoteles selber.‹ Sonach, Sancho, wozu ich Dulcinea liebhabe, dazu ist sie mir soviel wert wie die erhabenste Prinzessin auf Erden. So ist’s, und nicht alle Poeten, welche eine Geliebte unter einem Namen besitzen, den sie ihr nach Belieben beilegen, haben eine solche in Wirklichkeit. Glaubst du, daß die Amaryllis’, die Phyllis’, die Sylfias, die Dianas, die Galatheas, die Filidas und andre dergleichen, mit denen die Bücher, die Romanzen, die Barbierstuben, die Komödienbühnen angefüllt sind, wirkliche Damen von Fleisch und Blut und wirklich die Geliebten jener waren, die sie verherrlichen und verherrlicht haben? Gewiß nicht; vielleicht erdichten sie sich die meisten, um für ihre Verse einen Gegenstand zu schaffen und um für liebeglühende Jünglinge und für solche, die der Liebe würdig seien, zu gelten. Und so genügt es mir, daß ich denke und glaube, die treffliche Aldonza Lorenzo sei schön und sittig, und was ihren Stammbaum betrifft, das tut wenig zur Sache; denn man wird nicht hingehen und die Ahnenprobe mit selbigem vornehmen, um ihr einen der militärischen Ritterorden Spaniens zu verleihen, und ich nehme nun einmal an, sie sei die vornehmste Prinzessin in der ganzen Welt. Denn du mußt wissen, Sancho, wenn du es nicht schon weißt: zwei Dinge allein vor allen andern bewegen das Herz zur Liebe, nämlich große Schönheit und guter Ruf, und beides findet sich im höchsten Grade bei Dulcinea; in der Schönheit aber kommt keine ihr gleich, und im guten Ruf kommen wenige ihr nah. Und um alles mit einem Wort abzuschließen, ich denke mir, daß alles sich genauso verhält, wie ich sage, ohne daß es etwas zuviel oder zuwenig ist; und ich male mir sie in meinem Geiste, wie ich sie mir wünsche, ebenso an Schönheit wie an Vornehmheit; und ihr kommt Helena nicht nahe noch reicht Lucrezia an sie heran noch irgendeine andre von den berühmten Frauen der vergangenen Zeiten, sei es eine Griechin, Barbarin oder Lateinerin; und es sage ein jeglicher, was er will; denn werde ich darob von Unverständigen getadelt, so werden mich doch die strengsten Richter darum nicht verurteilen.«
»Ich gestehe es ein«, antwortete Sancho, »Euer Gnaden hat in allem recht, und ich bin ein Esel. Doch ich weiß nicht, warum ich den Esel in den Mund nehme; denn man soll im Haus des Gehenkten nicht vom Strick reden. Jetzt her mit dem Brief, und Gott befohlen, denn ich mache mich davon.«
Don Quijote holte das Notizbuch hervor, ging beiseite und begann den Brief gemächlich zu schreiben. Als er ihn beendigt, rief er Sancho und sagte ihm, er wolle ihm den Brief vorlesen, damit er ihn auswendig behielte, wenn er ihn etwa unterwegs verlieren sollte; denn von seinem Mißgeschick sei alles zu besorgen.
Darauf erwiderte Sancho: »Schreibt ihn lieber zwei- oder dreimal hier ins Buch und gebt mir’s, ich will es schon wohlverwahrt mitnehmen. Jedoch daran zu denken, daß ich ihn auswendig lerne, ist ein Unsinn; denn mein Gedächtnis ist so schwach, daß ich oft sogar vergesse, wie ich heiße. Indessen trotz alledem, lest mir ihn vor, es wird mir ein groß Vergnügen machen, ihn anzuhören, denn der Brief ist sicher wunderschön.«
»Höre denn, er lautet also«, sprach Don Quijote.
Don Quijotes Brief an Dulcinea von Toboso
Allherrschende, erhabene Herrin!
Der von der Schwertesspitze der Trennung Durchbohrte, der im Innersten des Herzens Wundgeschlagene, wünscht Dir, süßeste Dulcinea von Toboso, das Heil, das er selbst nicht hat. Wenn Deine Huldseligkeit mich mißachtet, wenn Deine Fürtrefflichkeit sich nicht zu meinen Gunsten neiget, wenn Deine Verschmähung mich zu Boden drücket, dann, so ich auch genugsam zu dulden weiß, mag ich nicht wohl mich fürderhin in dieser Pein aufrechterhalten, die, außerdem daß sie eine gar schwere Bürde ist, sich über die Maßen langwierig anläßt. Mein guter Schildknappe Sancho wird Dir völligen Bericht erstatten, o schöne danklose Maid, heißgeliebte Feindin mein, wie es mir aus Ursach Deines Willens ergeht. So Du Gelieben trägst, Dich mir zur Hilfe bereitzustellen, so bin ich Dein; wo nicht, dann tue, was Dir belieben mag, und so ich mein Leben beschließe, hernach hab ich Deinem grausamen Sinne und meinem Wünschen ein voll Genüge getan.
Der Deine bis in den Tod, Der Ritter von der traurigen Gestalt.
»Bei meines Vaters Seelenheil«, sprach Sancho, als er den Brief angehört, »das ist das Erhabenste, was ich je vernommen. Hol mich der Geier, wie sagt Euer Gnaden ihr hier alles, was Ihr wollt, und wie gut paßt hier in die Unterschrift hinein: Der Ritter von der traurigen Gestalt. Ich sag’s im Ernst, Euer Gnaden hat den Teufel im Leib; es gibt nichts, was Ihr nicht wüßtet.«
»Alles«, entgegnete Don Quijote, »ist zu dem Berufe erforderlich, den ich übe.«
»Wohl denn«, sprach Sancho, »nun setze Euer Gnaden auf die andre Seite die Anweisung auf die drei Esel und unterzeichne sie sehr deutlich, damit man die Unterschrift gleich beim Ansehen erkennt.«
»Mir recht«, sagte Don Quijote; und nachdem er sie geschrieben, las er sie ihm vor. Sie lautete also:
Beliebe Euer Gnaden, Fräulein Nichte, gegen diese meine Esels-Prima an meinen Schildknappen Sancho Pansa verabreichen zu lassen drei Esel von den fünfen, die ich daheim im Stall habe und die Euer Gnaden anbefohlen sind; welche drei Esel ich ihm zur Ablieferung und Zahlung anweise für drei andre, die ich hier von ihm empfangen habe, demnach sie gegen diesen Wechselbrief und seine Empfangsbescheinigung in Richtigkeit gehen. So geschehen tief inmitten der Sierra Morena, am zweiundzwanzigsten August dieses gegenwärtigen Jahrs.
»So ist’s gut«, sprach Sancho. »Nun wolle ihn Euer Gnaden unterschreiben.«
»Es ist nicht nötig, ihn zu unterschreiben«, entgegnete Don Quijote, »sondern nur meinen Schnörkel darunterzusetzen, was das nämliche wie die Unterschrift und für die drei Esel hinreichend ist, ja für dreihundert.«
»Ich verlasse mich auf Euer Gnaden«, erwiderte Sancho, »laßt mich nun, ich gehe den Rosinante zu satteln, und bereitet Euch, mir Euren Segen zu geben; denn ich will auf der Stelle fort, ohne die Narreteien zu sehen, die Euer Gnaden jetzt vornehmen will; ich werde aber sagen, ich sah Euch so viele verüben, daß ich deren nicht mehr begehrte.«
»Zum wenigsten verlange ich, Sancho, und dieweil es solchergestalt nötig ist, verlange ich, sage ich nochmals, daß du zusiehst, wie ich mich splitternackt ausziehe und ein oder zwei Dutzend tolle Streiche begehe; ich will sie in weniger als einer halben Stunde fertigbringen, damit du, nachdem du sie mit eigenen Augen gesehen, mit gutem Gewissen die andern beschwören kannst, die du noch etwa hinzufügen willst; und ich versichere dir, du kannst deren nicht so viele erzählen, als ich auszuführen gedenke.«
»Um Gottes willen, Herr Ritter, laßt mich Euer Gnaden nicht nackend sehn; das würde mich allzusehr betrüben, und ich könnte nicht umhin, Tränen zu vergießen. Ich habe den Kopf noch so voll von dem Gejammer, das ich gestern über das Grautier vollführte, daß ich nicht imstande bin, mich abermals in Flennen einzulassen. Wenn es Euch jedoch sehr darum zu tun ist, daß ich ein paar Tollheiten mit ansehe, so verübt sie in den Kleidern, und zwar solche, die nur kurze Zeit brauchen und Euch am ersten zur Hand sind; besonders da für mich nichts dergleichen vonnöten ist und ich, wie schon gesagt, Zeit für meine Rückkehr ersparen würde, die da stattfinden soll mit all den guten Nachrichten, die Euer Gnaden wünscht und verdient. Wo aber nicht, so soll sich das Fräulein Dulcinea nur auf was gefaßt machen. Denn wenn sie nicht antwortet, wie sich’s gebührt, so tu ich ein feierliches Gelübde zu allem möglichen, ich will ihr die richtige Antwort mit Fußtritten und Ohrfeigen aus dem Leibe reißen. Denn wo in aller Welt möchte man es auch leiden, daß ein so berühmter fahrender Ritter wie Euer Gnaden mir nichts, dir nichts verrückt wird für eine … Das Fräulein soll mich nur nicht zwingen, das Wort zu sagen; denn bei Gott, ich fahre heraus damit und will ihr ihr Fett geben; ich geb’s im Dutzend billiger, wenn’s auch keiner sein Lebtage kaufen will. Ja, dazu wär ich der rechte Kerl! Sie kennt mich nicht recht; denn wenn sie mich kennte, sie täte mich fasten, denn ich schmecke gar nicht gut.«
»Auf mein Wort, Sancho«, sprach Don Quijote, »du kommst mir vor, als wärest du ebensowenig bei Verstand wie ich.«
»Ich bin nicht so verrückt wie Ihr«, entgegnete Sancho, »aber ich bin hitziger. Doch lassen wir das beiseite; was will Euer Gnaden denn essen, bis ich zurückkomme? Wollt Ihr die Straße unsicher machen wie Cardenio und es den Hirten abjagen?«
»Diese Sorge darf dir keine Schmerzen machen«, antwortete Don Quijote; »denn wenn ich es auch hätte, äße ich doch nichts andres als die Kräuter und Früchte, die mir das Feld und die Bäume hier darbieten, weil die Hauptsache bei meinem Vorhaben darin besteht, nicht zu essen und noch andre Kasteiungen auf mich zu nehmen.«
Darauf sagte Sancho: »Wißt Ihr, was ich besorge? Ich möchte den Rückweg zu diesem Orte, wo ich Euch verlasse, nicht finden, so heimlich ist das Versteck.«
»Du mußt dir gehörige Kennzeichen machen«, sprach Don Quijote. »Ich werde darauf bedacht sein, mich aus der Umgegend nicht zu entfernen, ja ich habe vor, auf die höchsten Felsen hier zu steigen, um zu sehen, ob ich dich aufspüre, wenn du zurückkehrst. Jedoch wird es am sichersten sein, daß du von dem Ginster, der sich hier in Menge findet, etliche Zweige abschneidest und sie von Strecke zu Strecke hinstreust, bis du ins Blachfeld kommst; die werden dir zu Marksteinen und Merkzeichen dienen, gleichsam wie der Faden im Labyrinthe des Theseus, auf daß du mich bei deiner Rückkehr findest.«
»So will ich’s tun«, erwiderte Sancho Pansa.

Er schnitt eine Anzahl Zweige ab, bat seinen Herrn um seinen Segen und verabschiedete sich von ihm, nicht ohne reichliche Tränen von beiden Seiten. Dann stieg er auf den Rosinante, den Don Quijote ihm dringendst anempfahl mit dem Auftrag, auf den Gaul achtzuhaben, als ob er es selber wäre, und begab sich auf den Weg nach der Ebene, wobei er von Zeit zu Zeit die Ginsterzweige ausstreute, wie es sein Herr ihm angeraten. Und da zog er von dannen, während ihn Don Quijote noch fortwährend damit behelligte, er solle ihm wenigstens bei zwei tollen Streichen erst zusehen.
Aber er war noch keine hundert Schritte geritten, da kehrte er um und sprach: »Ich muß sagen, Señor, Euer Gnaden hat sehr recht gehabt; denn damit ich ohne Gewissensbeschwer beeidigen kann, daß ich Euch Narreteien verüben gesehen, ist es recht und billig, daß ich wenigstens eine mit ansehe, wiewohl Ihr mir eine absonderlich große bereits in Eurem Hierbleiben gezeigt habt.«
»Hab ich es dir nicht gesagt?« versetzte Don Quijote. »Warte nur, Sancho, so geschwind wie ein Vaterunser wird’s getan sein.«
Und er zog sich in aller Eile die Hosen aus, so daß er im bloßen Hemde dastand, machte dann im Nu etliche Luftsprünge und patschte sich dabei mit der Hand auf die Fußsohlen, schlug dann ein paar Purzelbäume, den Kopf unten, die Füße in die Höhe, und enthüllte dabei solche Dinge, daß Sancho, um sie nicht noch einmal zu sehen, den Rosinante am Zügel umlenkte und sich für hinreichend zufriedengestellt erachtete, daß er nunmehr schwören konnte, sein Herr sei wirklich verrückt. Und so wollen wir ihn seines Weges ziehen lassen bis zur Rückkehr, die nicht lange anstand.
26. Kapitel
Worin die auserlesenen Absonderlichkeiten, die Don Quijote aus purer Verliebtheit in der Sierra Morena verrichtete, fortgesetzt werden
Indem die Geschichte sich nun wiederum zur Erzählung dessen wendet, was Der von der traurigen Gestalt begann, als er sich allein sah, berichtet sie, daß Don Quijote, sobald er in seinem erwähnten Aufzug, vom Gürtel abwärts nackend, vom Gürtel aufwärts bekleidet, sich in Purzelbäumen und im Radschlagen versucht hatte und sah, daß Sancho fortgeritten war, ohne noch mehr von seinen Torheiten abwarten zu wollen, sofort auf eine Felsenspitze stieg und hier wiederholt über einen Punkt nachdachte, den er sich schon sehr oft überlegt hatte, ohne jemals zu einem Entschlusse zu kommen. Es war dies die Frage, was wohl besser sei und sich eher für ihn schicke, den Roldán in dessen gewalttätigen oder den Amadís in dessen schwermütigen Verrücktheiten nachzuahmen; und er redete so zu sich selber:
Wenn Roldán ein so tapferer Ritter und so streitbar war, wie jeder sagt, was Wunder? Er war am Ende ja gefeit, und niemand konnte ihn umbringen, außer wenn man ihm eine von den großen Stecknadeln für einen Groschen durch die Fußsohle stach, und deshalb trug er immer Schuhe mit sieben eisernen Sohlen. Indessen nützten ihm seine Kniffe nichts gegen Bernardo del Carpio, der dahinterkam und ihn im Tale Roncesvalles in seinen Armen erstickte. Aber lassen wir einmal beiseite, was seine Tapferkeit betrifft, und kommen wir auf den Punkt mit dem Verlieren des Verstandes, so ist es gewiß, er verlor ihn wegen der Merkzeichen, die er an der Quelle fand, und wegen der Mitteilung jenes Hirten, daß Angélika zweimal oder öfter ihr Mittagsschläfchen mit Medor gehalten, einem kraushaarigen Mohrenjungen, dem Edelknaben Agramants. Und wenn er sich überzeugt hielt, es sei dies wahr und seine Geliebte habe ihm eine Ungebühr angetan, so tat er nicht zuviel, daß er verrückt wurde. Aber ich, wie kann ich ihn in seinen Tollheiten nachahmen, wenn ich ihn nicht in dem Anlaß zu selbigen nachahme? Denn meine Dulcinea von Tobosa, das wage ich zu beschwören, hat all ihre Lebtage keinen Mohren, wie er es ist, gesehen, in seiner eignen Volkstracht und ist heute noch so rein, wie ihre Mutter sie geboren. Und ich würde ihr ein offenbares Unrecht antun, wenn ich was andres von ihr dächte und in die Art von Verrücktheit verfiele wie der rasende Roldán. Anderseits finde ich, daß Amadís von Gallien, ohne den Verstand zu verlieren und Narreteien zu verüben, solchen Ruhm eines liebestreuen Ritters erwarb, daß ihn keiner darin übertrifft. Und was er tat, wie seine Geschichte bezeugt, war nichts andres, als daß er, zurückgewiesen von seiner Gebieterin Oriana, die ihm geboten, vor ihrem Antlitz nicht wieder zu erscheinen, bis sie ihm es verstatte, sich in Gesellschaft eines Einsiedlers auf dem Armutsfelsen verbarg und sich Weinens ersättigte, bis der Himmel ihm mitten in seiner größten Not und Bedrängnis endlich zu Hilfe kam. Und wenn dies wahr ist, und es ist wahr, warum will ich die Mühsal auf mich nehmen, mich gänzlich auszukleiden oder diesen Bäumen ein Leids zu tun, die mir keinerlei Böses zugefügt? Was hab ich für Grund, das klare Wasser dieser Bächlein zu trüben, die mir zu trinken geben sollen, wenn es mich gelüstet? Nein, hoch lebe das Angedenken des Amadís! Er werde von Don Quijote von der Mancha nachgeahmt in allem, was er vermag. Von Don Quijote wird man sagen, was von jenem gesagt worden: Wenn er nicht Großes vollbracht hat, so strebte er sehnsüchtig danach, Großes zu vollbringen; und wenn ich von meiner Dulcinea nicht verstoßen noch verschmäht wurde, so genügt mir schon, wie ich bereits gesagt, daß ich von ihr abwesend bin. Auf denn, Hand ans Werk, kommt mir ins Gedächtnis, Taten des Amadís, und lehrt mich, womit ich beginnen soll, euch nachzuahmen! Doch ich weiß schon, das allermeiste, was er tat, war beten und sich Gott befehlen, und so will ich auch tun.
Hierbei dienten ihm zum Rosenkranz die großen Galläpfel eines Korkbaums, die er zu zehn aneinanderreihte und zu denen er dann einen größeren fügte. Was ihn aber sehr bekümmerte, war, daß er weit und breit keinen Einsiedler fand, um ihm zu beichten und Trost bei ihm zu suchen. So vertrieb er sich denn die Zeit damit, auf dem schmalen Wiesenrain sich zu ergehen und auf die Rinden der Bäume und in den feinkörnigen Sand zahlreiche Verse zu schreiben und einzugraben, alle seinem Trübsinn entsprechend, doch einige zum Preise Dulcineas. Aber nur folgende waren, nachdem man den Ritter dort aufgefunden, vollständig erhalten und noch lesbar:
O ihr Bäum in diesem Hage,
Gras und Blumen, grün und rot,
Die ihr hier entsprießt, ich frage:
Freut euch meines Herzens Not?
Wohl, wenn nicht, hört meine Klage.
Wenn ich trüb den Hain durchtrotte,
Bebet nicht, mir ist zu weh ja!
Euch zum Trotz, ob man auch spotte,
Hat geweint hier Don Quijote,
Weil ihm fern war Dulcinea
Von Toboso.
Hier in Waldes Finsternissen
Muß der treuste aller Ritter
Seiner Herrin Anblick missen;
Hat ein Dasein gar so bitter,
Ohne wann und wie zu wissen.
Lieb’ war seines Hirns Marotte,
Liebe bracht ihm großes Weh ja!
Fässer voll, beim höchsten Gotte!