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Hat geweint hier Don Quijote,
Weil ihm fern war Dulcinea
Von Toboso.
Alles Unrecht auszumerzen,
Will zum Kampf den Gaul er spornen;
Fluchend ihrem harten Herzen,
Unter Felsen, unter Dornen,
Find’t der Arme stets nur Schmerzen.
Wie am Licht versengt die Motte,
Fühlt er Glut und gräßlich Weh ja!
Da er Amorn ward zum Spotte,
Hat geweint hier Don Quijote,
Weil ihm fern war Dulcinea
Von Toboso.
Nicht weniges Gelächter erhob sich bei denen, die diese Verse fanden, als sie den Zusatz »von Toboso« bei dem Namen Dulcinea lasen; sie vermuteten, Don Quijote habe notwendig glauben müssen, man werde die Strophen nicht verstehn, wenn er Dulcinea ohne Toboso nenne. Und in der Tat glaubte er das, wie er später selbst eingestand.
Noch viel andre schrieb er, aber, wie gesagt, außer diesen drei Strophen konnte man nichts ins reine bringen oder vollständig lesen. So brachte er seine Zeit damit hin, zu reimen, zu seufzen und die Faune und Waldgötter dieses Haines, die Nymphen der Bäche, die schmerzen- und tränenreichen Echos anzurufen, daß sie ihm Gehör, Antwort und Tröstung geben möchten; auch suchte er etwelche Kräuter, um sich davon zu nähren, bis Sancho wiederkäme. Wäre dieser, wie er drei Tage ausblieb, drei Wochen ausgeblieben, so wäre der Ritter von der traurigen Gestalt so verunstaltet worden, daß ihn seine eigene Mutter nicht erkannt hätte.
Jetzt wird es sich empfehlen, daß wir unsern Ritter in seinen Seufzern und Versen vergraben sein lassen und erzählen, wie es Sancho auf seiner Gesandtschaftsreise erging. Als er auf die Landstraße gelangt war, suchte er den Weg nach Toboso, und am nächsten Tage gelangte er zu der Schenke, wo ihm das Unglück mit dem Wippen begegnet war. Kaum hatte er sie erblickt, da kam es ihm schon vor, als flöge er wiederum in den Lüften auf und nieder, und er begehrte nicht ins Haus, wiewohl er gerade zu einer Stunde angekommen war, wo er wohl hinein gedurft und gesollt hätte. Denn es war Essenszeit, und er hatte die größte Lust, etwas Warmes zu genießen, nachdem es lange Tage nur kalte Küche gegeben hatte. Dies Bedürfnis drängte ihn, sich dicht an die Schenke heranzuwagen, noch immer im Zweifel befangen, ob er hinein solle oder nicht. Und während er noch so dastand, kamen aus der Schenke zwei Männer heraus, die ihn sogleich erkannten.
»Sagt mir, Herr Lizentiat«, sprach der eine zum andern, »ist der auf dem Gaule nicht Sancho Pansa, von dem die Haushälterin unsers abenteuernden Ritters erzählt hat, er sei mit ihrem Herrn als Schildknappe von dannen gezogen?«
»Freilich ist er es«, antwortete der Lizentiat, »und dies ist das Pferd unsers Don Quijote.«
Sie mußten ihn wohl kennen; denn die beiden waren der Pfarrer und der Barbier seines eigenen Dorfs, die nämlichen, welche die Untersuchung und das große Ketzergericht über die Bücher gehalten hatten.
Sobald sie nun nicht mehr zweifeln konnten, Sancho Pansa und Rosinante vor Augen zu haben, traten sie näher hinzu, voller Begierde, etwas über Don Quijote zu erfahren, und der Pfarrer rief ihn bei seinem Namen an und sprach: »Freund Sancho Pansa, wo ist denn Euer Herr?«
Sancho Pansa erkannte sie ebenfalls auf der Stelle und nahm sich vor, den Ort, wo, und den Zustand, wie sein Herr sich befand, geheimzuhalten; und so antwortete er ihnen, sein Herr sei an einem gewissen Ort mit einer gewissen Sache beschäftigt, die ihm von großer Wichtigkeit sei, die er aber nicht verraten dürfe, wenn es auch sein Leben und das Licht seiner Augen gelten sollte.
»Nein, nein«, entgegnete der Barbier, »Sancho Pansa, wenn Ihr uns nicht sagt, wo er sich befindet, so müssen wir glauben, ja wir glauben schon wirklich, daß Ihr ihn umgebracht und beraubt habt, da Ihr auf seinem Pferde geritten kommt. In vollem Ernst, Ihr müßt uns entweder den Herrn des Pferdes zur Stelle schaffen, oder aber…«
»Bei mir sind Drohungen durchaus nicht angebracht, ich bin kein Mann, der jemanden beraubt oder umbringt; mag einen jeden sein Schicksal umbringen oder der liebe Gott, der ihn geschaffen hat. Mein Herr verweilt dort in dem Gebirge mitten drin und tut da Buße nach Herzenslust.«
Und nun, in aller Geschwindigkeit und ohne einmal anzuhalten, erzählte er ihnen, in welchem Zustand der Ritter sich dort umhertreibe, welche Abenteuer ihm begegnet seien und wie er selbst den Brief an das Fräulein Dulcinea von Toboso überbringe, welches die Tochter von Lorenzo Corchuelo sei, in die Don Quijote bis über die Ohren verliebt sei.
Die beiden verwunderten sich höchlich über Sancho Pansas Mitteilungen; und wiewohl sie Don Quijotes Verrücktheit und deren besondere Art schon kannten, so waren sie jedesmal, wenn sie davon erzählen hörten, aufs neue verwundert. Sie baten Sancho, ihnen den Brief vorzuweisen, den er an das Fräulein Dulcinea von Toboso bringe. Er antwortete ihnen, der Brief sei in einem Notizbuch niedergeschrieben und es sei seines Herrn Befehl, ihn am nächsten Ort, wohin er komme, auf Briefpapier abschreiben zu lassen; worauf der Pfarrer bemerkte, er solle ihm den Brief nur zeigen, er würde ihn mit bester Handschrift ins reine übertragen. Sancho griff mit der Hand in den Busen, um das Büchlein hervorzuholen; aber er fand es nicht und hätte es nicht finden können, wenn er bis zum heutigen Tag gesucht hätte; denn es war in Don Quijotes Händen geblieben, und dieser hatte es ihm nicht übergeben noch hatte Sancho daran gedacht, es ihm abzufordern.
Als Sancho sah, daß er das Büchlein nicht fand, ward sein Gesicht totenblaß, er befühlte sich abermals den ganzen Körper in größter Hast, sah abermals, daß es nicht zu finden war, fuhr sich ohne weiteres mit beiden Fäusten in den Bart und riß ihn sich zur Hälfte aus und versetzte sich in aller Geschwindigkeit und ohne Unterbrechung ein halb Dutzend Faustschläge ins Gesicht und auf die Nase, daß sie ganz in Blut schwamm.
Als der Pfarrer und der Barbier das sahen, fragten sie, was ihm denn begegnet sei, daß er sich so übel zurichte.
»Was soll mir begegnet sein«, antwortete Sancho, »als daß ich im Handumdrehen drei Esel verloren habe, jeder groß und stark wie eine Burg.«
»Wie das?« fragte der Barbier.
»Ich habe das Notizbuch verloren«, erwiderte Sancho, »worin der Brief für Dulcinea war und eine Anweisung mit der Unterschrift meines Herrn, worin er seine Nichte beauftragte, mir drei Esel von den vieren oder fünfen zu geben, die im Stalle sind.«
Und hierbei erzählte er ihnen den Verlust seines Grauen. Der Pfarrer tröstete ihn: wenn sein Herr aufgefunden würde, so wolle er diesen veranlassen, die Anweisung zu erneuern und auf Papier auszufertigen, wie es Brauch und Gewohnheit sei; denn die in ein Notizbuch eingeschriebenen würden nie angenommen noch berichtigt.
Damit gab sich Sancho getröstet und sagte, wenn dieses so sei, mache ihm der Verlust des Briefes an Dulcinea weiter nicht viel Kummer; denn er wisse ihn beinahe auswendig, und so könne man ihn aus dem Gedächtnis niederschreiben, wo und wann man wolle.
»Nun, dann sagt ihn her«, sprach der Barbier, »so wollen wir ihn denn aufschreiben.«
Sancho Pansa hielt eine Weile still, kratzte sich den Kopf, um den Brief in sein Gedächtnis zurückzurufen, stellte sich bald auf den einen Fuß, bald auf den andern, schaute ein paarmal zu Boden, ein paarmal gen Himmel, und nachdem er sich schier einen halben Finger abgenagt, während die andern in Spannung dastanden und abwarteten, daß er ihnen den Brief vorsage, sprach er nach Verfluß geraumer Zeit: »Bei Gott, Herr Lizentiat, der Teufel soll holen, was ich von dem Briefe noch weiß, ausgenommen, daß er zu Anfang lautete: Hohe, berstende oder fürchterliche Herrin.«
»Es wird nicht«, meinte der Barbier, »berstende oder fürchterliche, sondern herrschende oder fürstliche geheißen haben.«
»Ganz gewiß«, versetzte Sancho; »denn wenn ich mich recht entsinne, hieß es weiter: Der Wundgeschlagene, der am Schlafe keinen Teil selbst nicht mehr hat, der Durchbohrte küßt Euer Gnaden die Hand, undankbare und unbekannte und höchst geringgeschätzte Huldseligkeit. Und dann sagte er was vom Heil und Unheil, das er ihr zuschicke, und so lief es da aus, bis es unten hieß: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt.«
Die beiden hatten nicht geringes Vergnügen an dem guten Gedächtnis Sancho Pansas und lobten es gar sehr und verlangten, er solle ihnen den Brief noch zweimal vorsagen, damit sie ihn ebenfalls auswendig lernten, um ihn seinerzeit niederzuschreiben. Er sagte den Brief noch dreimal her, und jedesmal brachte er wiederum dreitausend Verkehrtheiten zutage. Hierauf erzählte er auch die Erlebnisse seines Herrn; aber er sprach kein Wort von dem Wippen, das er in dieser Schenke ausgestanden, in die er durchaus nicht hinein wollte. Auch erzählte er, daß sein Herr, wenn er ihm die gute Botschaft von dem Fräulein Dulcinea bringe, die er ihm bringen solle, sich auf den Weg begeben müsse, um Kaiser oder wenigstens Monarch zu werden; denn so hätten sie es unter sich ausgemacht, und das zu werden sei bei seiner persönlichen Tapferkeit und der Stärke seines Arms was sehr Leichtes; und wenn er es geworden, wolle sein Herr ihn verheiraten; denn alsdann werde er schon Witwer sein, und das könne gar nicht anders kommen, und werde ihm eine Hofdame der Kaiserin zum Weibe geben, die habe zum Erbe ein reiches, großes Stammgut auf dem Festland, und da seien keine Insuln oder Insulinen dabei, denn die möge er gar nicht mehr.
Sancho sagte all dieses mit solcher Gelassenheit, wobei er sich hier und da die Nase schneuzte, und mit so großer Einfalt, daß die beiden aufs neue in Staunen gerieten, indem sie erwogen, wie gewaltig Don Quijotes Tollheit sein müsse, da sie auch den Verstand dieses armen Teufels nachgezogen habe. Sie wollten sich nicht damit abmüden, ihn aus seinem Irrtum zu reißen; denn da dieser Sanchos Gewissen nirgends beschwerte, hielten sie es für besser, ihn darin zu lassen, und ihnen selbst würde es zu größerer Ergötzlichkeit gereichen, seine Torheiten anzuhören. Somit sagten sie ihm, er möge zu Gott um seines Herrn Erhaltung beten; denn es sei allerdings denkbar und sehr möglich, daß er es im Laufe der Zeit zum Kaiser bringe oder doch wenigstens zum Erzbischof oder einer andern Würde von gleichem Rang.
Darauf antwortete Sancho: »Werte Herren, wenn das Glück das Rad der Dinge so drehte, daß es meinem Herrn in den Sinn käme, nicht Kaiser, sondern Erzbischof zu werden, so möchte ich wissen, was die fahrenden Erzbischöfe ihren Schildknappen zuzuwenden pflegen.«
Der Pfarrer sagte darauf: »Sie pflegen ihnen eine Pfründe ohne oder mit Seelsorge zu verleihen oder einen Küsterdienst, der ihnen viel an festem Einkommen trägt, außer den Nebeneinkünften, die man ebenso hoch anzuschlagen pflegt.«
»Dazu ist erforderlich«, entgegnete Sancho, »daß der Schildknappe unverheiratet ist und mindestens versteht, bei der Messe zu dienen, und wenn es so kommt, ach, ich Unglücklicher, bin verheiratet und weiß nicht einmal den ersten Buchstaben vom Abc! Was soll’s mit mir werden, wenn meinen Herrn die Lust anwandelt, Erzbischof zu werden und nicht Kaiser, wie es Brauch und Sitte der fahrenden Ritter ist?«
»Habt darum keine Sorge, Freund Sancho«, sprach der Barbier. »Wir wollen gleich Euren Herrn bitten und ihm den Rat erteilen, ja es ihm zur Gewissenspflicht machen, daß er Kaiser und nicht Erzbischof wird; denn das wird ihm viel leichter fallen, da er mehr ein streitbarer als ein studierter Mann ist.«
»Das kommt mir auch so vor«, versetzte Sancho, »wiewohl ich sagen kann, daß er zu allem Geschick hat. Was ich meinerseits zu tun gedenke, ist, unsern Herrgott zu bitten, er möge ihn dahin lenken, wo er dem Himmel am besten dienen und mir die meisten Gnaden erweisen kann.«
»Ihr redet wie ein gescheiter Mann«, sprach der Pfarrer, »und werdet wie ein guter Christ handeln! Was aber für jetzt geschehen muß, ist, Anstalt zu treffen, wie man Euren Herrn von dieser unnützen Buße frei machen kann, der er, wie Ihr erzählt, jetzt obliegt. Und um zu überlegen, welch ein Verfahren wir dabei einzuhalten haben, und auch um das Mittagsmahl einzunehmen, wozu es nun Zeit ist, wird es am besten sein, hier in die Schenke einzutreten.«
Sancho sagte, sie ihresteils möchten nur hineingehen, er aber würde sie hier außen erwarten und später ihnen den Grund sagen, weshalb er nicht hineingehe und es ihm nicht angemessen scheine, hineinzugehen; aber er bitte sie, ihm etwas zu essen herauszubringen, und zwar etwas Warmes, und etwas Gerste für Rosinante. Sie gingen hinein und ließen ihn draußen, und bald darauf brachte ihm der Barbier etwas zum Mahl.
Hierauf überlegten sich die beiden gründlich, welch ein Mittel sie anwenden wollten, um ihren Zweck zu erreichen. Da geriet der Pfarrer auf einen Gedanken, der ganz nach dem Geschmacke Don Quijotes und zugleich ihren Absichten höchst dienlich erschien. Es sei ihm nämlich der Einfall gekommen, sagte er zum Barbier, er wolle sich die Tracht eines fahrenden Fräuleins anlegen, jener aber solle Sorge tragen, sich so gut wie möglich als Knappe zu verkleiden; und so wollten sie sich zu Don Quijote begeben. Der Pfarrer wolle vorgeben, er sei ein in Trübsal befangenes hilfesuchendes Fräulein und wolle eine Vergünstigung von ihm heischen, welche er als ein mannhafter fahrender Ritter nicht umhinkönne ihr zu gewähren; und die Vergünstigung, die sie von ihm zu heischen gedenke, bestehe darin, mit ihr zu ziehen, wohin sie ihn führen werde, um einer Ungebühr abzuhelfen, die ihr ein böser Ritter angetan; und zugleich wolle sie ihn anflehen, nicht zu verlangen, daß sie ihren Schleier hebe, und sie nimmer um ihre Verhältnisse zu befragen, bis er ihr von jenem bösen Ritter ihr Recht verschafft habe. Er sei fest überzeugt, fügte der Pfarrer bei, Don Quijote werde auf alles eingehen, was sie unter solchen Vorwänden von ihm begehren werde, und auf diese Weise würden sie ihn von dort fortbringen und nach seinem Dorfe führen, wo sie suchen würden, ob es für seine sonderbare Verrücktheit ein Heilmittel gebe.
27. Kapitel
Wie der Pfarrer und der Barbier ihr Vorhaben ins Werk setzten, nebst andern Ereignissen, würdig, in dieser großen Geschichte erzählt zu werden
Dem Barbier gefiel der Einfall des Pfarrers nicht übel; er fand ihn vielmehr so vortrefflich, daß sie ihn gleich zur Ausführung brachten. Sie erbaten sich von der Schenkwirtin einen langen Weiberrock und Kopftücher, wofür sie ihr den neuen Chorrock des Pfarrers zum Pfande ließen. Der Barbier machte sich einen Bart zurecht aus einem grauen und rötlichen Farrenschwanz, an welchem der Wirt seinen Kamm stecken hatte.
Die Wirtin fragte sie, wozu sie die Sachen haben wollten. Der Pfarrer erzählte ihr in kurzen Worten von Don Quijotes Verrücktheit; diese Verkleidung sei das Mittel, ihn aus dem Gebirge fortzubringen, wo er sich gegenwärtig aufhalte. Wirt und Wirtin errieten sogleich, daß der Verrückte derselbe sein müsse wie der Gast mit dem Balsamtrank, der Herr des gewippten Schildknappen. Sie erzählten dem Pfarrer alles, was sich in ihrem Hause zugetragen, ohne das zu verschweigen, was Sancho so sorgfältig verschwieg.
Sodann kleidete die Wirtin den Pfarrer dergestalt um, daß man nichts Schöneres auf der Welt sehen konnte; sie zog ihm einen wollenen Rock an, ganz mit handbreiten, ausgezackten Streifen von schwarzem Samt umzogen, nebst einem Leibchen von grünem Samt, mit Säumen von weißem Atlas besetzt, welches, wie der Rock, ohne Zweifel zu König Wambas Zeiten gemacht war. Der Pfarrer litt nicht, daß man ihm eine Haube aufsetzte, sondern er tat ein Mützchen von gestepptem Linnen auf den Kopf, das er für die Nacht zum Schlafen bei sich trug; um die Stirn legte er eine Binde von schwarzem Taft, und aus einer andern Binde machte er einen Schleier, mit dem er sich Gesicht und Bart dicht bedeckte. Er stülpte seinen Hut auf, der so breit war, daß er ihm als Sonnenschirm dienen konnte, zog seinen Mantel über und setzte sich nach Frauenart auf sein Maultier, der Barbier auf das seinige, mit seinem Bart, der bis zum Gürtel herabhing, halb rot, halb weiß, da er, wie gesagt, aus dem Schwanz eines scheckigen Ochsen gemacht war.
Sie nahmen Abschied von allen, auch von dem guten Ding Maritornes. Die versprach ihnen, sie wolle, wiewohl eine Sünderin, einen Rosenkranz dafür beten, daß Gott ihnen gute Erfolge verleihe bei einer so schwierigen und so christlichen Sache, wie sie unternommen hätten. Aber kaum waren sie aus der Schenke fort, da kam dem Pfarrer das Bedenken, daß er übel daran getan, sich so zu verkleiden, weil ein solcher Aufzug für einen Geistlichen unschicklich sei, selbst wenn für ihn auch noch soviel davon abhinge. Er sagte dies dem Barbier und bat ihn, sie möchten ihre Anzüge miteinander vertauschen; denn es sei weit richtiger, daß er das hilfesuchende Fräulein vorstelle; er seinerseits wolle den Knappen spielen, und dergestalt werde er seiner Würde weniger vergeben. Wenn der Barbier aber das nicht wolle, so sei er entschlossen, nicht weiterzugehen, wenn auch den Don Quijote der Teufel holen sollte.
Mittlerweile kam Sancho herzu, und als er die beiden in solchem Aufzug erblickte, konnte er das Lachen nicht an sich halten. Der Barbier aber ging auf alles ein, was der Pfarrer verlangte, und indem sie die Verkleidung miteinander vertauschten, belehrte der Pfarrer den Barbier, welch Benehmen er einzuhalten und welche Worte er bei Don Quijote anzubringen habe, um ihn zu bewegen oder vielmehr ihn zu zwingen, mit ihm zu kommen und den Lieblingsplatz zu verlassen, den er sich für seine eitle Bußübung erlesen hatte.
Der Barbier entgegnete, er werde, auch ohne daß er ihm Unterricht gebe, die Sache aufs beste besorgen. Für jetzt aber wollte er seine Tracht noch nicht anlegen, bis sie in Don Quijotes Nähe wären, und so faltete er die Frauenkleider zusammen, der Pfarrer legte seinen Bart an, und sie verfolgten ihren Weg unter Sancho Pansas Führung. Dieser erzählte ihnen derweilen, was ihnen mit dem Irrsinnigen begegnet war, den sie im Gebirge angetroffen, verschwieg jedoch den Fund des Mantelsacks und seines Inhalts; denn wiewohl einfältig, war der Bursche ziemlich habgierig.
Des andern Tags kamen sie an den Ort, wo Sancho die Zweige als Merkzeichen ausgestreut, um die Stelle zu finden, wo er seinen Herrn gelassen hatte; er erkannte den Ort sogleich und sagte ihnen, hier sei der Zugang und hier könnten sie sich denn auch anziehen, wenn das wirklich für die Erlösung seines Herrn nötig wäre. Sie hatten ihm nämlich vorher schon gesagt, auf diesen ihren Anzug und diese Verkleidung komme alles an, wenn man seinen Herrn von der argen Lebensweise abbringen wolle, die er sich erwählt habe. Auch hatten sie ihm dringend ans Herz gelegt, seinem Herrn nicht zu verraten, wer sie seien; und wenn er ihn danach fragte – wie er ihn denn jedenfalls fragen würde –, ob er Dulcineen den Brief übergeben habe, so sollte er ja sagen, und da sie nicht lesen und schreiben könne; so habe sie ihm mündlich geantwortet, daß sie ihm bei Strafe ihrer Ungnade befehle, zu einer Zusammenkunft mit ihr gleich auf der Stelle aufzubrechen, weil dies von höchster Wichtigkeit für ihn sei. Denn hierdurch und durch das, was sie ihm zu sagen gedächten, hielten sie es für sicher, ihn einer besseren Lebensweise wieder zuzuführen und ihn zu vermögen, daß er sich sogleich auf den Weg begebe, um Kaiser oder Monarch zu werden. Daß er aber Erzbischof werden sollte, das sei nicht zu befürchten.
Alles dies hörte Sancho aufmerksam an und prägte es sich fest ins Gedächtnis, dankte ihnen auch gar sehr für ihre Absicht, seinem Herrn anzuraten, Kaiser und nicht Erzbischof zu werden; denn er sei der Überzeugung, daß die Kaiser weit mehr als die fahrenden Erzbischöfe imstande seien, ihren Schildknappen Gnaden zu erweisen. Auch sagte er ihnen, es würde gut sein, wenn er vorausginge, Don Quijote aufzusuchen und ihm die Antwort seiner Gebieterin mitzuteilen, und diese würde schon hinreichend sein, ihn zum Verlassen seines jetzigen Aufenthalts zu bewegen, ohne daß sie sich in soviel Mühsal einließen.
Sanchos Vorschlag gefiel ihnen wohl, und so entschlossen sie sich abzuwarten, bis er mit der Nachricht vom Auffinden seines Herrn zu ihnen zurückkomme.
Sancho ritt in jene Schluchten des Gebirgs hinein und ließ die beiden in einer derselben zurück, die ein sanftes Bächlein durchfloß, über welches niedere Felsen und etliche umherstehende Bäume einen angenehmen und frischen Schatten verbreiteten. Die Hitze und der Tag, an dem sie dort anlangten, war eben wie im Monat August, wo in jenen Gegenden der Sonnenbrand äußerst heftig zu sein pflegt; die Stunde war die dritte des Nachmittags; alles das machte das Plätzchen um so angenehmer, so daß es sie einlud, dort die Rückkunft Sanchos zu erwarten. So taten sie denn auch.
Während sie nun dort geruhsam und im Schatten verweilten, drang an ihr Ohr eine Stimme, die, ohne daß der Ton eines Instruments sie begleitete, süß und köstlich klang. Darüber erstaunten sie nicht wenig, da es sie bedünkte, dies sei kein Ort, wo sich jemand finden könnte, der so trefflich sänge; denn wenn man auch zu rühmen pflegt, es seien in den Wäldern und Feldern Schäfer mit vorzüglicher Stimme anzutreffen, so sind dies eher Übertreibungen von Dichtern als wahre Tatsachen. Ihr Erstaunen wuchs, als sie bemerkten, was sie singen hörten, seien Verse, nicht wie von bäurischen Hirten, sondern wie von geistvollen Personen hochgebildeten Standes. In dieser Überzeugung bestärkte sie der Inhalt der Verse, als sie folgendes hörten:
Was läßt mich in Gram vergehen?
Verschmähen.
Was mehrt meiner Sorgen Wucht?
Eifersucht.
Was erschwert mein herbes Leiden?
Scheiden.
Und so will mich Hoffnung meiden,
Und kein Rettungsport steht offen,
Da mir morden all mein Hoffen
Eifersucht, Verschmähen, Scheiden.
Was macht mir das Dasein trübe?
Liebe.
Was drängt jedes Heil zurück?
Das Glück.
Wer hat mir dies Leid gebracht?
Himmels Macht.
Und so wird des Todes Nacht,
Fürcht ich wohl, mich bald erfassen,
Da vereint sind, mich zu hassen,
Liebe, Glück und Himmels Macht.
Wer gewinnt der Liebe Gut?
Wankelmut.
Wer heilt einstens meine Not?
Der Tod.
Wer macht bald von Schmerz mich frei?
Raserei.
Und so kömmt’s nur Toren bei,
Heilung könne je gelingen,
Wo allein kann Rettung bringen
Wankelmut, Tod, Raserei.
Die Stunde und Jahreszeit, die Einsamkeit des Ortes, die Stimme und Geschicklichkeit des Sängers, alles erweckte in den beiden Hörern Staunen und Vergnügen. Sie verhielten sich ruhig, in Erwartung, noch mehr zu hören; da jedoch das Stillschweigen noch eine Weile dauerte, beschlossen sie, den Ort zu verlassen, um den Künstler aufzusuchen, der mit so trefflicher Stimme sang. Aber gerade als sie dies ausführen wollten, veranlaßte sie die nämliche Stimme, sich nicht zu rühren; denn sie drang aufs neue zu ihren Ohren und sang dieses Sonett:
O heilige Freundschaft, die auf leichten Schwingen,
Die weil dein Scheinbild nur uns blieb hienieden,
Zum selgen Chor, dem Himmelsheil beschieden,
Emporgeeilt, dem Staub dich zu entringen!
Von dorten läßt du Kunde zu uns dringen
Von dem, was uns verhüllt ist, Recht und Frieden,
Von wahrer Tugend, die uns längst gemieden,
Von Heucheltaten, die Verderben bringen.
Verlaß den Himmel oder untersage,
O Freundschaft, daß sich Trug in dich verkleide,
Vor dem kein redlich Streben kann bestehen.
Erlaubst du’s, daß er deine Maske trage,
So wird die Welt, von Zwietracht, Haß und Neide
Erfüllt, im alten Chaos bald vergehen.
Der Gesang schloß mit einem tiefen Seufzer, und die beiden blieben abermals in aufmerksamer Erwartung, ob etwa noch mehr gesungen würde; aber als sie bemerkten, daß die Liedertöne sich in Schluchzen und schmerzliches Ächzen verwandelten, beschlossen sie nachzuforschen, wer der Unglückliche sei, dessen Stimme so schön wie sein Jammern schmerzvoll war. Sie waren nicht weit gegangen, da erblickten sie beim Umbiegen um eine Felsenecke einen Jüngling von Gestalt und Aussehen, ganz wie Sancho Pansa es geschildert hatte, als er ihnen die Geschichte Cardenios erzählte; aber als dieser ihrer ansichtig wurde, blieb er, anstatt wie sonst zusammenzuschrecken, ruhig sitzen, den Kopf auf die Brust gebogen wie einer, der in Nachdenken versunken ist, ohne daß er die Augen aufschlug, um sich umzusehen, außer das erstemal, als sie so unvermutet auf ihn zukamen. Der Pfarrer, der ein beredter Mann war, näherte sich ihm, als bereits mit seinem Unglück vertraut – da er ihn an den Merkmalen erkannt hatte –, und mit kurzen, aber höchst verständigen Worten bat er ihn und redete ihm zu, er möge dieses elende Leben aufgeben, damit er es hier nicht gar einbüße, was doch von allem Unglück das größte wäre.