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Wenn davon ausgegangen werden kann, dass in der Analyse das allgemeine Interesse leitend ist, die Film- und Fernsehtexte in ihrer strukturfunktionalen Bedeutung für die Rezeption zu sehen, kann sich das konkrete Erkenntnisinteresse auf fünf Ebenen richten:
– Inhalt und Repräsentation
– Narration und Dramaturgie
– Figuren und Akteure
– Ästhetik und Gestaltung
– Kontexte
Jeder Film und jede Fernsehsendung kann auf diesen Ebenen untersucht werden. Dabei kann sich die Analyse auf eine einzelne Ebene beschränken, sie kann aber auch mehrere berücksichtigen. Jede Ebene steht in Bezug zu den anderen: Die Kontexte sind z.B. auf der Ebene der Narration und der Dramaturgie wirksam; die Ebene der Ästhetik und Gestaltung spielt eine wichtige Rolle für die Ebene des Inhalts und der Repräsentation; die Ebene der Figuren und Akteure ist eng mit der Ebene der Narration und der Dramaturgie verknüpft.
Die genannten Ebenen lassen sich sowohl bei der Analyse fiktionaler wie dokumentarischer Filme und Fernsehsendungen als auch bei den Fernsehformen, bei denen ein Ereignis im Studio oder an einem anderen Ort für das Fernsehen inszeniert wird, untersuchen. Fiktionale und dokumentarische Filme sowie für das Fernsehen inszenierte Ereignisse haben einen Inhalt, sie repräsentieren reale oder mögliche Welten, sie erzählen Geschichten, die dramaturgisch gestaltet sind, in ihnen sind Figuren und Akteure aktiv, sie sind medial bearbeitet und ästhetisch gestaltet, schließlich stehen sie in textuellen, kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Kontexten. So sind z.B. nicht nur fiktionale Filme, die von Drehbuchautoren erfundene Geschichten erzählen, narrativ, sondern auch Dokumentarfilme (vgl. Kiener 1999, S. 157 ff.; Kilborn 2010, S. 125 ff.; Nichols 2001, S. 91 ff.), und selbst in Nachrichtensendungen werden Geschichten erzählt.
Im Folgenden wird kurz dargestellt, welche allgemeinen Erkenntnisinteressen mit den genannten fünf Ebenen verbunden sind, die in späteren Kapiteln konkretisiert werden.
2.1 Inhalt und Repräsentation
Diese erste Ebene, auf der Filme und Fernsehsendungen analysiert werden können, ist eng mit der Bedeutungsbildung verknüpft. Gemeinhin kann angenommen werden, dass Filme und Fernsehsendungen einen Inhalt haben und eine soziale Welt repräsentieren. Doch was genau ist der Inhalt und wie genau funktioniert Repräsentation?
In Diskussionen zur Inhaltsanalyse wird in der Regel nicht explizit darauf eingegangen, was zum Inhalt z.B. einer Nachrichtensendung gehört. Implizit wird allerdings angenommen, dass es sich um Information und nicht um Unterhaltung handelt. Genauer wird der Inhalt in diesem Fall über Themen bestimmt (vgl. Wegener 2005; die Beiträge in Wirth/Lauf 2001 sowie zur qualitativen Inhaltsanalyse Mayring 2015; Mayring/Hurst 2005). Zunächst einmal kann ganz allgemein festgehalten werden, dass alles, was gesagt und gezeigt wird, den Inhalt darstellt. Um beim Beispiel der Nachrichtensendung zu bleiben, bilden alle Nachrichten, die in Wort und Bild vermittelt werden, den Inhalt der Sendung. Dabei ergibt sich die Frage, ob der Nachrichtensprecher, der schriftliche Nachrichten verliest und Bildbeiträge ankündigt, auch zum Inhalt gehört. Auf einer allgemeinen Ebene könnte man sagen: Der Inhalt einer Nachrichtensendung besteht darin, dass ein Nachrichtensprecher oder eine Nachrichtensprecherin Nachrichten verliest und Bildnachrichten in kurzen Filmbeiträgen gezeigt werden. Auf einer konkreteren Ebene können die Themen, die in den Wort- und Bildbeiträgen der Nachrichten abgehandelt werden, als Inhalt verstanden werden. Um diese Inhalte zu erforschen, werden im Rahmen der sogenannten Inhaltsanalyse methodisch Kategorien gebildet, nach denen sie klassifiziert werden können (vgl. Mayring 2015; Wegener 2005). Die Art und Weise, wie Nachrichten präsentiert werden, spielt dabei keine Rolle. Das wiederum kann Gegenstand der Film- und Fernsehanalyse sein.
Allerdings interessiert der Inhalt eines Films oder einer Fernsehsendung in dem beschriebenen Sinn nicht. Stattdessen ist für die Film- und Fernsehanalyse interessant, wie der Inhalt präsentiert wird und damit zur Produktion von Bedeutung und der sozialen Konstruktion von gesellschaftlicher Wirklichkeit beiträgt: »Der auszusagende Inhalt – ein Gedanke, eine Geschichte, ein Thema – wird mit einem Darstellungsformat vereinigt. Erst in dieser Gestalt kann er zum Element des kommunikativen Verkehrs werden« (Wulff 1999, S. 32; H.i.O.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass alles, was die Kamera zeigt, wichtig und bedeutsam ist. Wenn Film- und Fernsehtexte zum Wissen, zu den Emotionen, zur sozialen Kommunikation und zum praktischen Sinn der Zuschauer hin geöffnet sind, steht im Mittelpunkt der Analyse, wie diese Texte zum »sinnhaften Aufbau der sozialen Welt« (Schütz 1991) beitragen, und zwar in Bezug auf die strukturelle Rolle der Medien in der gesellschaftlichen Kommunikation sowie in Bezug auf die konkrete Rolle einzelner Medien und Medieninhalte für die Subjektkonstitution und Identitätsbildung konkreter Zuschauer und Zuschauergruppen.
Repräsentation meint »die Produktion von Bedeutung durch Sprache« (Hall 2013, S. 14). Dies ist kein unpersönlicher Prozess, sondern es gibt Akteure der Bedeutungsproduktion. Repräsentation ist daher genauer »der Prozess, bei dem Mitglieder einer Kultur Sprache benutzen […], um Bedeutung zu produzieren« (ebd., S. 45). Als Sprache gilt dabei jede Art von Zeichensystem, also auch Medien wie Film und Fernsehen. Es werden Zeichen benutzt, »die in verschiedenen Arten von Sprachen organisiert sind, um bedeutungsvoll mit anderen kommunizieren zu können« (ebd., S. 14), im Fall von Film und Fernsehen sind dies Bilder, Töne, Schrift, Sprache, Grafik und Musik (vgl. auch Hartley 1994, S. 265). Die Zeichen können für Objekte in der sogenannten realen Welt stehen, sie können aber auch für abstrakte Ideen und Fantasiewelten stehen. Nach Stuart Hall gibt es zwei Repräsentationssysteme: das Zeichensystem, in dem die Artikulation stattfindet, und mentale Konzepte, die »die Welt in bedeutungsvolle Kategorien klassifizieren und organisieren« (Hall 2013, S. 14). Es existiert keine Realität außerhalb der Repräsentation. In diesem Sinn können die kognitiven Aktivitäten, zu denen die Film- und Fernsehtexte als Zeichen- und damit als Repräsentationssystem hin geöffnet sind, als mentale Repräsentationssysteme gesehen werden. Filme und Fernsehsendungen können als Zeichensysteme betrachtet werden, die reale Welten und abstrakte Ideen, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit entstammen, oder mögliche Welten, wie sie in Geschichten erzählt werden, repräsentieren. Als Zeichensysteme stehen sie in Bezug zum »historischen, kulturellen und sozialen Wandel. Repräsentationen sind daher ein Ort des Kampfes um Bedeutung« (Taylor/Willis 1999, S. 40). In der Film- und Fernsehanalyse geht es jedoch nicht nur um das, was gezeigt wird, sondern vor allem auch darum, wie es gezeigt wird. Im ersten Kapitel in Teil II wird auf einzelne Aspekte dieser theoretischen Bezüge genauer eingegangen.
Die Analyse des Inhalts und der Repräsentation von Fernsehsendungen und Filmen hat einen besonderen Stellenwert. Sie ist wichtig, um die Prozesse des sinnhaften Aufbaus der sozialen Welt zu verstehen, weil sich darüber die Subjekte in der Gesellschaft positionieren. Als Repräsentationen korrespondieren Film- und Fernsehtexte mit gesellschaftlichen Strukturen. Damit stehen sie auch fundamental in Beziehung zu Macht und Herrschaftsverhältnissen (vgl. Orgad 2012, S. 25). Darin liegt ihre ideologische Komponente. Zugleich beziehen sie sich auf den gesellschaftlichen Wissensvorrat, der die Positionierung des Individuums in der Gesellschaft bestimmt (vgl. Berger/Luckmann 2010, S. 43). Da die Texte aber zugleich zu den Aktivitäten der Zuschauer hin geöffnet sind, spielen sie für Identität und Subjektivität eine wichtige Rolle (vgl. Bachmair 1996, S. 238 ff.; Fiske 2011, S. 4 ff.; Fritzsche 2003; Gauntlett 2002; Wegener 2008; Wierth-Heining 2004 sowie die Beiträge in Mikos u.a. 2009, Vollbrecht/Wegener 2009 und Winter u.a. 2003). Auf dieser Basis reflektieren die Menschen »ihre Erfahrungen und ihren Platz in der Welt« (Grossberg u.a. 1998, S. 227). Im Rahmen eines Verständnisses von Film und Fernsehen als Kommunikationsmedien wird die Rezeption und Aneignung von Film- und Fernsehtexten »zu einer kontextuell verankerten gesellschaftlichen Praxis«, in der die Texte »erst auf der Basis sozialer Erfahrung produziert werden« (Winter 1997, S. 54), indem Zuschauer mit ihnen im Alltag und ihrer Lebenswelt sinnvoll handeln. Daraus resultiert die Relevanz von Film- und Fernsehanalysen, die sich z.B. mit der Darstellung der Frau, der Verwendung von ethnischen Stereotypen oder der Rolle von Kindheit auseinandersetzen.
2.2 Narration und Dramaturgie
Die zweite Ebene, auf der Filme und Fernsehsendungen analysiert werden können, ist zwar eng mit der ersten verknüpft, aber nicht mit ihr identisch. Geht es auf dieser Ebene doch um die Art und Weise der Repräsentation von sozialen Welten, sowohl von Aspekten der gesellschaftlichen Wirklichkeit als auch von möglichen Welten, die der Imagination entsprungen sind. Was aber ist unter Narration und Dramaturgie in Bezug auf Filme und Fernsehsendungen zu verstehen?
Auf eine knappe Formel gebracht kann man sagen: Die Narration oder Erzählung besteht in der kausalen Verknüpfung von Situationen, Akteuren und Handlungen zu einer Geschichte; die Dramaturgie ist die Art und Weise, wie diese Geschichte dem Medium entsprechend aufgebaut ist, um sie im Kopf und im Bauch der Zuschauer entstehen zu lassen. Genauer kann Erzählung zunächst als eine Form der kommunikativen Mitteilung verstanden werden, die sich von anderen Formen unterscheidet, z.B. von der Beschreibung oder der Argumentation (vgl. Chatman 1990, S. 6 ff.). Sie ist das Resultat einer kommunikativen Handlung: des Erzählens. Diese Tätigkeit wird von einem Akteur ausgeübt, dem Erzähler, der seine Erzählung an einen Adressaten, das Publikum, richtet. Eine Erzählung entsteht so immer durch die Positionierung und Perspektive des Erzählers und seinen Blick auf das Erzählte bzw. auf die Geschichte vor dem Hintergrund der Publikumsadressierung. Grundsätzlich kann das Erzählen als eine »alltägliche kommunikative Handlung« (Schülein/Stückrath 1997, S. 55; Ehlich 1980) begriffen werden. Der Erzähler kann sich beim Erzählen verschiedener medialer Formen bedienen, z.B. der Sprache, der Schrift, des Films, des Fernsehens oder des Hypertextes. Dabei benutzt er verschiedene Strategien des Erzählens, die den Zuschauer einbeziehen:
»Narration ist folglich nicht substantiell, sondern prozessural zu verstehen, als kommunikativer Akt, in dem eine Geschichte entfaltet wird, deren Erschließung Aufgabe eines interpretierenden Zuschauers ist. Narration ist damit zugleich eine Aktivität, die das Wissen des Rezipienten und seine Eingeweihtheit in das Geschehen reguliert« (Hartmann/Wulff 1997, S. 81; vgl. auch Bordwell 1990, S. XI).
Erzählungen haben einen Anfang und ein Ende, dazwischen entfaltet sich die Geschichte für die Dauer des Films oder der Fernsehsendung (vgl. auch Bordwell 2008, S. 95). Der prozessurale Charakter der Erzählung verweist bereits auf ihre zeitliche Dimension, die doppelt konstituiert ist: einerseits über die Dauer der Präsentation des Films oder der Fernsehsendung und andererseits über die Dauer des Erzählten, genauer ausgedrückt, der erzählten Zeit der Geschichte (vgl. dazu Chatman 1990, S. 9). In diesem Sinn wird zwischen der Erzählzeit, z.B. den 100 Minuten eines Spielfilms, und der erzählten Zeit, z.B. den fünf Tagen, in denen sich die Geschichte dieses Films ereignet, unterschieden. Zugleich muss differenziert werden zwischen dem, was der Film oder die Fernsehsendung zeigt (Plot oder Sujet) und der erzählten Geschichte (Story oder Fabel), die erst im Kopf der Zuschauer entsteht (vgl. dazu Kapitel II-1.1 und II-2.1). Durch die Erzählung entsteht eine diegetische Welt, die als eine in sich konsistente mögliche Welt erscheint. Sie wird in der erzählten Geschichte geschaffen, sowohl mit dem Inhalt, den man nach Wulff (1999, S. 26 ff.) auch als stoffliche Bindung begreifen kann, als auch mit der Repräsentation, die in einem Verhältnis zur sozialen Welt außerhalb des Films und des Fernsehens steht.
Film- und Fernsehtexte sind in der Regel Erzählungen. Das trifft nicht nur auf fiktionale Texte zu, sondern auch auf dokumentarische wie Nachrichtensendungen und für das Fernsehen inszenierte Ereignisse wie Shows. Die meisten Formen der Unterhaltung sind um Erzählungen herum strukturiert. Sie sind eine der »grundlegenden Quellen des Vergnügens« in den Medien (Casey u.a. 2002, S. 138). Allen Erzählungen ist gemeinsam, dass sie Geschichten erzählen. Eine Erzählung kann als »Verkettung von Situationen, in der sich Ereignisse realisieren und in der Personen in spezifischen Umgebungen handeln«, bezeichnet werden (Casetti/di Chio 1994, S. 165; vgl. auch Berger 1997, S. 4 f.; Eder 1999, S. 5). In der Analyse sind die Situationen und Ereignisse herauszuarbeiten, die miteinander verknüpft werden, sowie die Personen und die Umgebungen, in denen diese Personen handeln. Erzählungen bedienen sich bestimmter Erzählstrategien, um das Publikum in die Geschichte einzubeziehen. Erzählstrategien sind daher immer mit Aktivitäten der Zuschauer verknüpft, die im Verlauf ihrer Mediensozialisation auch ein narratives Wissen erworben haben. Dieses narrative Wissen umfasst typische Handlungsstrukturen und -episoden, typische Protagonistenrollen, typische Erzählkonventionen und typische Plots (vgl. Ohler 1994, S. 34 f.). Peter Wuss hat drei Formen filmischer Strukturen herausgearbeitet, die einerseits mit Wahrnehmungsformen (Wuss 1999, S. 52 ff.) und andererseits mit sogenannten Basisformen filmischen Erzählens (ebd., S. 97 ff.) korrespondieren. Bei diesem »PKS-Modell« handelt es sich um perzeptionsgeleitete Strukturen, die auf Topikreihen in offenen Erzählformen basieren, um konzeptgeleitete Strukturen, die auf Kausalketten in geschlossenen Erzählformen beruhen, und um stereotypengeleitete Strukturen, die auf Story-Schemata und Erzählkonventionen basieren. Erzählformen und -strategien machen deutlich, dass Erzählungen nicht einfach eine Ereignis- und Handlungsabfolge chronologisch darbieten, sondern dass sie dramaturgisch gestaltet sind: »Dramaturgie ist eine strukturelle Eigenschaft von Erzählungen« (Eder 1999, S. 10), sie liegt dem »Aufbau des Werkes« zugrunde (Eick 2006, S. 37).
Film und Fernsehen haben eigene Strukturen des Erzählens und der Dramaturgie ausgebildet, die sich teilweise von literarischen und theatralen Strukturen des Erzählens unterscheiden. Grundsätzlich geht Dramaturgie auf die dramatische Gestaltung einer Erzählung zurück. Als grundlegendes Prinzip der Filmdramaturgie nennt Peter Rabenalt (1999, S. 17) die »sichtbare Erzählung in zeitlichem Verlauf, bildliche Narration«. Dramaturgie steht so zunächst offensichtlich in Beziehung zu dem, was ein Film auf der Leinwand oder eine Fernsehsendung auf dem Bildschirm zeigt. Doch tatsächlich steckt mehr dahinter. Sie ist nicht nur »das System des Handlungsaufbaus einer Erzählung«, dessen Elemente Ereignisse der erzählten Geschichte sind, wie Jens Eder (1999, S. 12) meint, sondern Dramaturgie hat eine grundlegende Aufgabe, »die Strukturierung der Ereignisabläufe, das heißt der Handlungen und Begebenheiten in der Fabel oder Story zu dem Zweck, beim Zuschauer ein Interesse auf den Ausgang und das Ergebnis der Handlungen zu erregen« (Rabenalt 1999, S. 25). Im Zentrum der Dramaturgie stehen Konflikte, die Figuren aktiv werden lassen und die Handlung vorantreiben.
Dramaturgie hat also die Aufgabe, die Kette von Ereignissen, in denen Personen handeln, so zu gestalten, dass bestimmte kognitive und emotionale Aktivitäten bei den Zuschauern angeregt werden. Es wird Wissen aufgebaut, und es werden Gefühle hervorgerufen. Die dramaturgische Gestaltung einer Erzählung macht diese z.B. spannend, komisch oder bedrohlich. Die Film- und Fernsehanalyse muss daher herausarbeiten, wie die Ereignisabläufe der Erzählung strukturiert sind. Denn nur so kann gezeigt werden, wie die Film- und Fernsehtexte die Rezeptionsaktivitäten der Zuschauer vorstrukturieren und die Geschichten in deren Köpfen entstehen lassen. Die dramaturgische Strukturierung der Erzählung legt fest, auf welche Art und Weise Informationen das Publikum erreichen und wie diese Informationen kognitiv und emotional verarbeitet werden (vgl. Elsaesser/Buckland 2002, S. 37). In Kapitel 2 in Teil II wird näher auf die theoretischen Aspekte eingegangen, sofern sie für die Analyse von Bedeutung sind.
Die Analyse von Narration und Dramaturgie ist wichtig, weil sie die Grundlage für die Geschichten in den Köpfen der Zuschauer bilden und deren kognitives und emotionales Verhältnis zur Leinwand oder dem Bildschirm regeln. Das Erkenntnisinteresse in der Analyse kann sich dann z.B. darauf richten, wie Spannung in einem Thriller erzeugt wird, wie das empathische Feld in einem Melodram aufgebaut wird, wie die Komik in einer Sitcom (situation comedy) entsteht oder wie der Konflikt zwischen Protagonisten und Antagonisten in einer Krankenhausserie aufgebaut und gelöst wird. Wenn Dramaturgie die Handlungs- und Ereignisabläufe einer Erzählung strukturiert und Erzählung als Verkettung von Situationen gesehen werden kann, in der Personen agieren, dann wird deutlich, wie eng Narration und Dramaturgie von Film- und Fernsehtexten mit Figuren und Akteuren verbunden sind.
2.3 Figuren und Akteure
Personen spielen in Filmen und Fernsehsendungen eine im wahrsten Sinn des Wortes wichtige Rolle. Nur in Natur- und Tierfilmen werden sie zu Randerscheinungen, wenn sie denn überhaupt vorkommen. In Spielfilmen und Fernsehserien haben sie eine wesentliche Funktion als Handlungsträger. Game- und Rateshows sind ohne Showmaster und Kandidaten nicht denkbar. Nachrichten und Magazine werden von Moderatoren präsentiert, und in den Beiträgen geht es häufig um menschliche Schicksale. Vor allem Talkshows wären ohne die Moderatoren und die auftretenden Gäste nicht denkbar. Personen, die in Film und Fernsehen auftreten, stellen etwas dar. Ihrer Darstellung liegt eine Inszenierung zu Grunde (vgl. Eder 2008, S. 325 ff.). Sie werden von Schauspielern oder realen Personen verkörpert.
Die Analyse der Personen, Charaktere und Figuren in den audiovisuellen Medienprodukten ist aus zwei Gründen besonders bedeutsam: Zum einen sind die auftretenden Personen als Handlungs- und Funktionsträger für die Dramaturgie und die narrative Struktur der Film- und Fernsehtexte wichtig, denn die zu erzählende Geschichte wird oft aus der Perspektive einer der Figuren dargestellt, und es sind gerade die Interaktionsstrukturen und Rollenzuweisungen, die im Zentrum von Game- und Talkshows stehen. Zum anderen hängt die Wahrnehmung der auftretenden Personen durch die Zuschauer von den in der Gesellschaft und der Lebenswelt der Zuschauer kursierenden Bedeutungen und Konzepten von Selbst, Person und Identität ab. Mit und durch die Film- und Fernsehfiguren verständigt sich die Gesellschaft u.a. über ihre Identitäts- und Rollenkonzepte. In diesem Sinn haben die Figuren und Akteure eine wesentliche Funktion im Rahmen der Repräsentation für die Subjektpositionierung und Identitätsbildung der Zuschauer.
Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen Figuren und Charakteren, die in fiktionalen Film- und Fernsehtexten auftreten, und Akteuren, die vor allem im Fernsehen spezifische mediale Funktionsrollen wie Moderator oder Showmaster übernehmen oder in dokumentarischen Film- und Fernsehformen vorkommen. Die Inszenierung von Figuren und Akteuren ist grundsätzlich zu dem Wissen und den Emotionen, der kommunikativen Aneignung und dem praktischen Sinn der Zuschauer hin geöffnet. Die kulturellen, lebensweltlichen Konzepte, die in der Wahrnehmung von menschlichen Wesen als Personen eine Rolle spielen, sind auch für die Wahrnehmung von Figuren und Akteuren in Film- und Fernsehtexten bedeutsam. Anhand welcher Kriterien und Merkmale werden menschliche Lebewesen als Personen wahrgenommen? Bereits in dieser Formulierung ist ein Kriterium enthalten: Es handelt sich bei Personen offenbar um menschliche Lebewesen. Doch allein das genügt nicht, denn auch künstliche Menschen, Außerirdische, Cyborgs und Roboter, die in Filmen oder Fernsehsendungen auftreten, werden als Personen wahrgenommen und identifiziert.
Um ein Wesen als Mensch wahrzunehmen, muss es einen individuellen, menschlichen Körper haben, der durch Zeit und Raum einheitlich bleibt – es sei denn, er verändert sich durch biologische, chemische oder technische Prozesse, die auch im Film erklärt werden. Es muss ferner ein wahrnehmendes Wesen sein, das Gefühle und intentionale Zustände wie Überzeugungen oder Wünsche hat und zur Selbstwahrnehmung fähig ist. Außerdem muss es eine natürliche Sprache benutzen und verstehen können und die Fähigkeit zu eigenen Handlungen und zur Selbstinterpretation haben. Schließlich muss es ein Potenzial an Charaktereigenschaften und unveränderbaren Merkmalen besitzen (vgl. Eder 2008, S. 61 ff.; Smith 1995, S. 21). Um diesen Menschen als eine Person wahrzunehmen, bedarf es weiterer Kriterien: Er oder sie muss einen Namen haben, ein Geschlecht und ein Alter, eine Herkunft und eine Nationalität. All dies macht ihn oder sie von anderen unterscheidbar und identifizierbar, eben in der Differenz zu anderen. Diese Differenz macht sich auch in einigen der allgemeinen Kriterien für menschliche Wesen bemerkbar, z.B. in unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Gefühlen und Wünschen und nicht zuletzt in unterschiedlichen Körpern.
Lebensweltliches Wissen über soziale Typen, Persönlichkeitsprofile, Lebensstile usw. stellt die Muster bereit, die zur Interpretation der Figuren und Akteure sowie ihrer Einordnung in lebensweltliche Verweisungszusammenhänge beitragen. Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass Fernsehzuschauer das ständige Personal von Familienserien und Daily Soaps als Nachbarn oder »gute Freunde« (Gleich 1996, S. 128 ff.) betrachten, muss vorausgesetzt werden, dass die Zuschauer genau wissen, was gute Freunde oder Nachbarn auszeichnet, und dass sich in dem Verhältnis zu den Serienfiguren offenbar ähnliche Merkmale wiederfinden. Es gibt ein lebensweltliches Wissen darüber, was die soziale Rolle »Nachbar« bzw. »guter Freund« in einem bestimmten kulturellen Kontext ausmacht. Dieses Wissen wird sowohl von Zuschauern, die Serienfiguren als Nachbarn oder gute Freunde bezeichnen, angewendet als auch von Kritikern und Wissenschaftlern, die das Verhältnis von Zuschauern zu den Fernsehfiguren mit diesen Begriffen kennzeichnen. David Bordwell (1992, S. 13 f.) hat Personen- und Rollenschemata, die auf Handlungsträger im Film bezogen werden, als ein wesentliches Element von Kognition und Verstehen herausgearbeitet. Das Personal in Film- und Fernsehtexten steht immer in Bezug zu den jeweiligen Vorstellungen von Selbst und Identität sowie zu dem Wissen über Personen- und Rollentypisierungen, das im Rahmen spezifischer kultureller Kontexte in den lebensweltlichen Zusammenhängen zirkuliert.
Wenn von einem Verständnis von Film und Fernsehen als Kommunikationsmedien ausgegangen wird, dann ist für die Film- und Fernsehanalyse ein entscheidendes Moment, dass die Inszenierung von Figuren und Akteuren nicht nur für Kognition und Verstehen von Bedeutung ist, sondern gerade auch für die emotionalen Prozesse in der Rezeption und Aneignung. Die für die Analyse wichtigen Ansätze werden in Kapitel 3 in Teil II ausführlicher dargestellt. Vor allem über die Figuren und Akteure wird das Verhältnis von Nähe und Distanz der Zuschauer zum Geschehen auf der Leinwand oder dem Bildschirm bestimmt. In der Analyse muss daher herausgearbeitet werden, über welche Beziehungsangebote die Film- und Fernsehtexte dieses Verhältnis zwischen Figuren bzw. Akteuren und Zuschauern vorstrukturieren. Denn die Beziehungen, die Zuschauer zu Filmfiguren und Fernsehakteuren aufbauen, spielen nicht nur bei der Identitätsbildung eine wesentliche Rolle, sondern sind auch für das Fanverhalten und die sozial-kommunikative Konstruktion von Filmstars und Fernsehpersönlichkeiten bedeutsam.
2.4 Ästhetik und Gestaltung
Die Faszination von Filmen und Fernsehsendungen gründet vor allem auch darin, dass es sich um Medien des bewegten Bildes handelt. Einzelbilder werden auf spezifische Weise gestaltet und zu einem Bilderstrom zusammengefügt. Die Geschichten, die in den Köpfen der Zuschauer entstehen, basieren mit auf dem Wissen um filmische und televisionäre Darstellungsmittel und Gestaltungsweisen (vgl. Ohler 1994, S. 36 f.), das wiederum eng mit dem narrativen Wissen verknüpft ist. Es ist also nicht nur wichtig, was dargestellt wird, sondern auch wie es dargestellt wird. In der Filmwissenschaft wird in diesem Zusammenhang vom Diskurs des Films (vgl. Chatman 1993, S. 146 ff.; Tolson 1996, S. 41 f.), von der Filmform (vgl. Rowe 1996), vom Stil (vgl. Belton 1994, S. 41 ff.; Bordwell 2001; Bordwell/ Thompson 2013, S. 112 ff.) oder – im Zusammenhang mit dem Fernsehen – auch von Rhetorik (vgl. Mikos 1994, S. 134 ff. und 2001a, S. 186 ff.; Silverstone 1988) gesprochen. Die spezifischen filmischen und televisionären Darstellungsmittel binden die Zuschauer während der Rezeption eines Films oder einer Fernsehsendung an das Geschehen auf der Leinwand oder dem Bildschirm. Über sie werden die Zuschauer vor allem emotional durch die Erzählung geführt, sie werden in bestimmte Stimmungen versetzt, ihre Aufmerksamkeit wird auf einzelne Aspekte im Film- oder Fernsehbild gelenkt, ohne dass ihnen dies immer bewusst ist. Auf diese Weise werden sie in die Perspektiven der Erzählung und der Repräsentation eingebunden. Im Rahmen einer Analyse gilt es nun, gerade diese Aspekte herauszuarbeiten und sie in Beziehung zum Wissen der Zuschauer über filmische Darstellungsweisen zu setzen, um zur Bewusstmachung dieses Prozesses beizutragen. Die Gestaltungsmittel können auch für die Analyse von Inhalt und Repräsentation, Narration und Dramaturgie sowie der Figuren und Akteure zentral werden. Denn die formalen und stilistischen Gestaltungsmittel bewegter Bilder positionieren die Zuschauer zum Geschehen und machen die Erlebnisqualität von Filmen und Fernsehsendungen aus.