- -
- 100%
- +
„Dann bin ich eben altmodisch, denn ich meine, dass vor Jahren die Weihnachtsmärkte viel schöner waren.“
Amelie blieb vor dem Stand mit den Weihnachtskugeln stehen.
„Wie gefällt dir diese Kugel?“
„Welche?“
„Hinten an der Wand hängt eine mit einem kleinen Christbaum drin. Siehst du sie?“
Philipp sah sich aufmerksam um, konnte die Kugel aber nicht entdecken. Ungeduldig wies Amelie in die angegebene Richtung.
Philipp ging in die Knie, um mit ihr auf gleicher Blickhöhe zu sein.
„Die rosafarbene?“
„Ja. Ich glaube, ich lasse sie mir zurücklegen.“
„Das Ding sieht nicht billig aus“, raunte Philipp ihr zu.
„Ich weiß, aber ich möchte sie unbedingt haben.“
Amelie wartete, bis die Verkäuferin bedient hatte.
„Ich möchte sie haben, die Kugel mit dem Bäumchen. Erinnern Sie sich?“
„Klar! Wie abgemacht?“
Amelie nickte dankbar. „Ja, wie abgemacht. Ich komme am letzten Tag gleich nach der Schule.“
Als sie sich abwandte, lief Philipp hinter ihr her.
„Hey? Was war denn das für eine Vorstellung? Kennst du die Frau?“
„Du bist sehr neugierig, nicht wahr?“
Philipp zuckte die Schultern. „Stimmt! Man muss alles wissen, finde ich.“
„Muss man das wirklich? Manchmal bin ich sogar froh, dass ich nicht alles weiß.“
Philipp erwiderte nichts und führte sie an einen Stand mit gebrannten Mandeln.
„Magst du welche, oder hast du genug Süßes gehabt?“
„Ich sterbe für Mandeln“, verriet ihm Amelie lächelnd. „Aber jetzt bin ich dran.“
Ehe Philipp es verhindern konnte, hatte sie eine Tüte genommen und bezahlt.
„Sollten wir uns nicht ein wenig aufwärmen? Wir könnten in ein Café gehen, und etwas Warmes trinken. Ich bin reichlich durchfroren.“
„Ach, Gott, Philipp! Du musst ja wirklich Eisbeine haben. Wie lange stehst du schon auf dem Markt?“
„Vier Stunden. Mein Dienst dauert von zwei bis sechs. Dreimal wöchentlich und samstags.“
„Dann sollten wir wirklich in ein Café gehen. Außerdem ist mir auch ziemlich kalt. Ich fürchte, meine Freundin hat Recht. Es sieht nach Schnee aus.“
„Jetzt ist mir wohler!“
Philipp streckte seine Beine aus und lehnte sich zufrieden zurück. Ein kräftiger Schluck Glühwein hatte sein Innenleben erwärmt.
Diesmal hatte auch Amelie das heiße Getränk einem Glas Mineralwasser vorgezogen, und ihre Wangen sahen ganz rosig aus. Philipp zwinkerte ihr vergnügt zu.
„Verstehst du jetzt, weshalb die Trinkbuden Hochkonjunktur haben?“
„Es ist aber auch wirklich kalt geworden. Bestimmt bekommen wir Schnee!“
„Herrlich! White Christmas!“
„Meinst du das ehrlich, oder machst du wieder deine Späße?“
Philipps Augen blitzten vergnügt.
„Ich mag weiße Weihnachten. Mit Fußspuren im Schnee, Schlittenfahrt und Glockengebimmel. Zwei Pferde ziehen die Kutsche, in der der Nikolaus und das Christkind...“
Weiter kam er nicht, denn Amelie sprang empört auf.
„Also doch! Zum Narren halten kann ich mich selbst.“
Sie nahm ihre Handtasche und suchte nach ihrer Geldbörse. Philipp hielt schnell ihre Hand fest.
„Es tut mir leid“, meinte er zerknirscht. „Du musst das nicht persönlich nehmen, Amelie. Ich bin manchmal albern, aber das ist reinster Selbstschutz. Ich will nichts mehr tierisch ernst nehmen im Leben. Es geschehen doch genug schreckliche Dinge. Denk doch nur an die Anschläge von Paris oder die auf Charlie Hebdo.“
Seine nachtschwarzen Augen sahen sie so traurig an, dass Amelie unwillkürlich fröstelte. Oder war es die Berührung seiner Hand, die sie schaudern ließ? Sekundenlang sahen sie sich tief in die Augen.
Als Philipp sie anlächelte, senkte Amelie den Blick.
„Fangen wir noch einmal an", hörte sie ihn leise sagen.
Amelie sah auf seine Hand, die noch immer warm und fest auf ihrer lag. Seine Berührung war sehr angenehm.
„Willst du mich etwa wieder ärgern?“
„Nein, natürlich nicht. Ich will dich bestimmt nicht ärgern. Amelie, denn... äh...“ Philipp machte eine Pause und holte tief Luft. „... denn du gefällst mir, sehr sogar...“
Nachdem er den Satz ausgesprochen hatte, wagte Amelie erst recht nicht, den Kopf zu heben. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er nervös mit der linken Hand nach seinem Glas griff und einen Schluck daraus nahm. Schließlich räusperte er sich.
„Hast du mich eigentlich verstanden?“
„Ja“, flüsterte Amelie.
„Dann ist es gut.“
Philipp lehnte sich wieder zurück, ohne ihre Hand loszulassen. Erst nach geraumer Weile sprach er weiter.
„Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich das gesagt habe, aber es stimmt nun mal. Ich finde dich unheimlich nett, und...“ Er schluckte seine Worte herunter, wollte von der Perfektion ihres Körpers reden, von den süßen Brüsten, dem blonden Schamhaardreieck. Aber sie durfte nicht erfahren, dass er sie heimlich beobachtet hatte. „Ich würde mich sehr freuen, wenn... wir... Freunde sein könnten.“
Amelie schloss die Augen und schmunzelte. Seine Worte taten so gut! Alle anderen Jungs wollten nur Sex mit ihr, aber Philipp wünschte sich eine Freundschaft. Am liebsten hätte sie ihm noch länger zugehört, aber sie musste jetzt etwas sagen, denn seine Verlegenheit wuchs von Sekunde zu Sekunde.
„Ich mag dich auch, Philipp“, gestand sie ihm leise.
Mit einem Seufzer ließ Philipp ihre Hand los und legte einen Arm um ihre Schultern.
„Auf welche Schule gehst du eigentlich?“, erkundigte er sich.
„Ich gehe ins Geschwister-Scholl-Gymnasium — und du?“
„Ins Max-Born-Gymnasium. Sehr weit sind unsere Schulen nicht voneinander entfernt.“
„Nein, drei Straßen nur. Sonderbar, dass ich dich noch nie gesehen habe.“
„Seit zwei Jahren arbeite ich nachmittags. Abends muss ich meine Schularbeiten machen, und dann ist der Tag auch schon vorbei.“
„Ich bin auch viel zu Hause. Meine Tante ist ziemlich streng. Ab und zu bin ich bei meiner Freundin, aber das ist auch schon alles, was ich unternehme. Hast du noch Geschwister?“
Philipp brummte. „Nein, das war schlecht möglich. Meine Eltern ließen sich kurz nach meiner Geburt scheiden. Ich wohne mit meiner Mutter zusammen. Von meinem Vater höre ich nur zu Weihnachten etwas.“
„Mein Vater ist bei der Bundeswehr und ist ständig bei Auslandseinsätzen. Er kümmert sich nur wenig um mich. Sein Job ist ihm wohl wichtiger.“
Philipp bemerkte den bitteren Unterton in ihrer Stimme und verstummte. Zu gern hätte er sich nach ihrer Mutter erkundigt, aber er wollte nicht schon wieder zu neugierig erscheinen. Amelie sprach nach einer Weile von selbst weiter.
„Meine Mutter ist schon über zehn Jahre tot. Deshalb lebe ich bei meiner Tante. Sie ist die Schwester meines Vaters.“
„Jetzt verstehe ich. Ich habe mich schon gefragt, weshalb du bei ihr lebst.“
„Wo soll ich denn sonst hin? Mein Vater ist mit sich selbst beschäftigt, und andere Verwandte gibt es nicht. Meine Großeltern habe ich nie gekannt.“
„Die Eltern meines Vaters habe ich auch nicht gekannt. Ich arbeite, um meiner Mutter ein wenig zu helfen. Sie ist krank. Die Rente, die sie bekommt, ist so gering, dass man kaum davon leben kann. Mein Vater muss zwar Unterhalt bezahlen, aber große Sprünge können wir uns nicht erlauben.“
„Habt ihr denn noch Angehörige?“
„Ja, aber wir haben nur wenig Kontakt zu ihnen.“
Philipp atmete schwer, und Amelie spürte, dass ihn die Probleme sehr belasteten.
„Darf ich fragen, was deiner Mutter fehlt?“
„Klar! Sie hat Rheuma. Manchmal sind ihre Gelenke ganz steif. In dieser Jahreszeit hat sie furchtbare Schmerzen.“
„Kann man denn gar nichts tun?“
Philipp zuckte die Schultern.
„Ich bin kein Arzt. Ich weiß nur, dass sie schon jahrelang in Behandlung ist. Leider nur mit mäßigem Erfolg. Es gibt Tage, da kann sie sich kaum rühren. Im Sommer geht es viel besser.“
Philipp machte dem vorbei eilenden Kellner ein Zeichen.
„Möchtest du noch einen Glühwein?“
„Nein, lieber einen Cappuccino.“
Nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte, wandte er sich wieder Amelie zu.
„Dann bist du Weihnachten mit deiner Tante allein?“
„Ja, denn mein Vater kommt bestimmt nicht. Seit meine Mutter tot ist, war er Weihnachten immer im Ausland.“
„Vielleicht möchte er nicht mehr an früher erinnert werden.“
„Mag sein. Ich könnte ihn sogar verstehen. Wenn ich an früher denke, werde ich auch immer traurig. Weihnachten ist es am schlimmsten. Meine Tante gibt sich viel Mühe, aber...“ Amelie schluckte.
„Ich verstehe! Eine Tante ist eine Tante, und Eltern sind Eltern.“
Amelie nickte dankbar. „Ja, das habe ich gemeint. Seit Jahren wünsche ich mir einen Hund, aber sie erlaubt es nicht. Eltern wären bestimmt nicht so hartnäckig.“
„Vielleicht erlaubt der Hausbesitzer es nicht“, wandte Philipp ein.
„Unsinn! Über uns die Familie hat sogar einen Schäferhund. Und eine Nachbarin hat einen Dackel. Am Hausbesitzer liegt es nicht.“
„Warum schaffst du dir nicht ein anderes Tier an? Ein Meerschweinchen oder ein Kaninchen etwa.“
Amelie rückte ein wenig zur Seite, um Philipp besser sehen zu können.
„Ein Meerschweinchen ist zwar niedlich, auch ein Kaninchen, aber ich möchte einen Hund. Einen wie Luna. Das war mein Cocker, weißt du? Luna war immer bei mir. Er schlief sogar auf meinem Bett. Er war der beste Freund, den man sich vorstellen kann.“
„Und warum besorgst du dir nicht einen Hund aus dem Tierheim?“
„Erstens kann ich mir nicht gegen den Willen meiner Tante einen Hund holen, und zweitens...“
„Und zweitens?“
„Ich kann ich nicht ins Tierheim gehen“, erwiderte Amelie trotzig.
„Wieso denn nicht? Im Tierheim bekommst du einen Hund für ein paar Euro. Und du tust noch ein gutes Werk.“
„Ich weiß, Philipp, aber ich bringe es einfach nicht fertig. Verstehst du denn nicht? Am liebsten nähme ich alle Tiere mit nach Hause. Ich könnte mich nie entscheiden. Außerdem möchte ich unbedingt einen Cocker — einen ganz winzig kleinen. Jung muss er sein, denn...“
Wieder brach Amelie ab und biss sich auf die Lippen.
Philipp streichelte beruhigend ihre Schulter. Längst hatte er verstanden, weshalb es unbedingt ein Hundebaby sein musste.
„Was kostet denn so ein Cocker?“
„Ziemlich viel“, bekannte Amelie kleinlaut. „Ich kenne eine Frau, die Cocker züchtet. Ihre Hündin hat vor kurzem geworfen. Vom ganzen Wurf hat die Züchterin aber leider nur noch einen einzigen Welpen. Er heißt Rocky und ist unbeschreiblich süß. Am Wochenende war ich mit Lisa, das ist meine Freundin, bei der Frau und habe Rocky besucht. Leider kostet Rocky dreihundert Euro. Die kann ich niemals bezahlen.“
„Und wenn du noch einmal mit deiner Tante sprichst? Oder mit deinem Vater? Du bekommst doch bestimmt Weihnachtsgeschenke, oder?“
„Habe ich doch längst“, erwiderte Amelie heftiger als beabsichtigt. „Ich habe meinem Vater geschrieben, dass ich gern einen Hund hätte. Und mit Tante Charlotte habe ich stundenlang geredet. Sie meint, ich bräuchte dringend neue Kleidung. Und ein Hund kostet eine Menge Geld — Futter, Arzt und so. Dabei sind das nur Ausreden. Ich brauche keine Kleidung. Meine Tante will nur nicht, dass ein Hund ins Haus kommt. Dabei würde ich mich um ihn kümmern.“
„Am Vormittag, wenn du in der Schule bist, müsste sie deinen Hund aber versorgen“, gab Philipp zu bedenken.
„Nein! Das müsste sie nicht. Jedenfalls nicht unbedingt. Wenn ich etwas früher aufstehe, kann ich selbst mit ihm spazieren gehen.“
Amelie sah auf die Uhr.
„Um Himmels willen! Ich sitze hier und rede. Tante Charlotte wird sich Sorgen machen.“
„Bist du mit deiner Vespa da?“
„Nein. Ich habe mich nicht getraut. Heute Morgen sprang sie schon wieder nicht an. Es mag die Kälte sein.“
„Am Wochenende habe ich Zeit, Amelie. Wenn du willst, sehe ich mir deine Vespa einmal genau an.“
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.