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„Jetzt bist du dran“, sagte er, nahm ein großes Stück Kartoffel aus der Schachtel und schob sich zwischen Saomais Beine. Sie öffnete den Mund in der Erwartung, dass er sie füttern würde. Doch kurz vorher schwenkte er um und bestrich ihre rechte Brust mit Gemüsesud. Die Kartoffel verschlang er selbst. Die scharfe Soße brannte auf der Haut. Saomai sog erschrocken die Luft ein. Neill betrachtete gierig die feuchte Brustwarze. Mit den Stäbchen umkreiste er sie, als wollte er sie zwicken. Doch erst einmal griff er mit der freien Hand erneut zu seinem Glas. Dann legte einen Arm um Saomai und zog sie zu sich heran. Sie bog den Rücken durch und bot Neill ihren Busen an. Mit einem beglückten Seufzen vergrub er seine Lippen in ihrem Fleisch und leckte schmatzend die Soße von ihrer Brustwarze.
„Hmmm, feurig“, raunte er, als er sie wieder freigab, und blickte zu ihr auf.
Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Sie sah nicht mehr verspielt und neckend aus, wie noch vor wenigen Sekunden. Ihr schönes Gesicht war vor Erregung gerötet, ihre ohnehin schwarzen Augen waren noch eine Spur dunkler geworden.
„Zieh die Hose aus“, raunte Neill und wurde hart.
Am liebsten hätte er Saomai sofort auf dem Küchentresen genommen. Doch noch mehr Genuss bereitete ihm der Sex mit ihr, wenn sie es hinausgezögerten. Also ließ er wieder von ihr ab, nahm erneut die Pappschachtel zur Hand und holte den nächsten Bissen heraus. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen, weidete sich an ihrem Anblick, während Saomai gehorchte und sich weiter auszog. Neill war überrascht, wie leicht ihm mittlerweile der Umgang mit den Stäbchen gelang. Tolles Spiel!
Dieses Mal hatte er Reis und einiges Gemüse zutage gefördert. Er schob es Saomai in den Mund und deutete mit den Stäben auf ihr weißes Spitzenhöschen.
„Und jetzt das.“
Saomai protestierte nicht. Sie stützte sich rücklings ab, hob die Hüfte an und nestelte an ihrem Slip. Kaum hatte sie ihn zu Boden fallen lassen, spreizte sie die Beine und lehnte sich zurück.
„Du lernst schnell, Neill Ferguson“, raunte sie und schloss die Augen. „Zur Belohnung darfst du mich jetzt vernaschen.“
„Moment mal, ich bin immer noch beim Hauptgang!“, scherzte Neill und langte noch einmal in seine Schachtel.
Saomais Kopf schnellte hoch. Entrüstet blickte sie in das schelmische Grinsen, das Neill ihr entgegen hielt. Dann wurde er ernst, betrachtete abwechselnd das Essen auf seinen Stäbchen und ihre vor ihm liegende Scham.
„Oh nein“, sagte Saomai, als ihr klar wurde, was er vorhatte, und dehnte dabei jedes Wort. „Tu das nicht!“
Unbeirrt reckte Neill den Arm vor und bestrich ihre Vagina mit dem scharfen Sud. Zwei-, dreimal rieb er darüber, bevor er sich das Gemüse genussvoll in den Mund schob. Die Schärfe trieb Saomai Tränen in die Augen. Ihre Lippen formten einen stummen Protest. Doch dann lehnte sie sich ergeben zurück. In aller Ruhe trank Neill den letzten Schluck Wein. Dann senkte er den Kopf und im selben Augenblick, in dem er Saomai leckte, schob er die hölzernen Stäbe in sie hinein. Gerade tief genug, um mit einer geschickten Drehung den kleinen Punkt zu erreichen, mit dem er ihr soviel Lust bereiten konnte. Saomai stöhnte auf und vergrub eine Hand in seinem dichten Haar. Immer wieder leckte Neill vom schlüpfrigen Fleisch ihrer Vagina bis zu ihrer Klitoris und ließ dabei die Stäbe in ihrem feuchten Inneren tanzen. Saomai stemmte beide Füße auf die Küchenplatte und presste Neill ihren Unterleib entgegen. Sie schnappte nach Luft – so sehr brannte seine vom scharfen Essen befeuerte Zunge. Dann kam sie mit einem wollüstigen Schrei.
Als sie später an diesem Abend bei einem Drink saßen und auf die funkelnden Lichter der Stadt blickten, sagte Neill: „Ich liebe Bangkok.“
„Dabei kennst du es eigentlich kaum“, entfuhr es Saomai.
Neill hatte ihr erzählt, dass er sein Apartment nur selten verließ. Als Architekt, so fand sie jedoch, hatte er die Pflicht, sich ein Bild von der Gegend zu machen, die er bebaute. Von den Menschen, für die er baute. Deshalb hatte sie sich insgeheim vorgenommen, ihm die Stadt zu zeigen. Wenn sich in den letzten Wochen schon keine Gelegenheit ergeben hatte, auf Lamom zu treffen, wollte Saomai die Zeit wenigstens dafür nutzen.
„Was meinst du?“, fragte Neill überrascht.
„Na, du wohnst hier oben in all deinem Luxus. Von dem echten Leben da unten bekommst du gar nichts mit!“
Saomai spürte, wie die Stimmung kippte. Natürlich wollte ein Mann wie Neill so etwas nicht von seiner Masseuse hören. Deshalb beeilte sie sich, ihren Worten die Schärfe zu nehmen.
„Jetzt, wo du die Kunst der Essstäbchen so hervorragend beherrschst, kannst du dich doch mal in die Straßen Bangkoks wagen. Da unten passiert das Leben, Neill, und es macht Spaß, Teil davon zu sein. Glaub mir!“
Trotz der Dunkelheit bemerkte Saomai Neills durchdringenden Blick. Ahnte er die wahren Absichten hinter ihrem Vorschlag?
„Was hast du vor?“, fragte er.
Sie war verunsichert. Seine Stimme hatte hart geklungen. Argwöhnisch.
Mit aller Unschuld, die sie aufbringen konnte, entgegnete Saomai: „Ich würde dir gern etwas von Bangkok zeigen. Das Viertel, in dem ich groß geworden bin zum Beispiel. Es würde dir gefallen.“
Damit hatte sie sich weit aus dem Fenster gelehnt, das wusste sie. Ausflüge gehörten nicht zu ihrer Vereinbarung. Saomai hatte keine Ahnung, wie Neill diesen Vorschlag auffassen würde. Sie konnte gerade noch die Konturen seines Gesichts erkennen, jedoch keine Regung darin ausmachen. Als Neill nicht antwortete, dachte Saomai schon, er würde ihre Frage unbeantwortet lassen. Doch dann wandte er ihr sein Gesicht zu und sie erkannte am Aufblitzen seiner Zähne, dass er lächelte.
„Und du denkst also, dass mir die Stäbchennummer da draußen von Nutzen sein könnte, ja?“
Erleichtert fiel Saomai in sein Lachen ein.
„Du würdest zumindest nicht verhungern!“
****
Mit einem wütenden Klacken schaltete er das Tonband ab. Das durfte einfach nicht wahr sein! Seit Wochen bearbeitete Saomai Ferguson auf diese unterschwellige Art. Befragte ihn zu seinen Partnern, heuchelte Interesse über seine Bauvorhaben. Und er gab ihr über alles bereitwillig Auskunft!
Dass sie ihm jetzt das Viertel am Fluss zeigen wollte, konnte nur bedeuten, dass sie Ferguson Flöhe über den Bebauungsplan ins Ohr setzen wollte. Oder ihm erzählte, mit welchen Methoden die Hausverkäufe zustande gekommen waren. Lamom würde durchdrehen, wenn er das hörte. Seit Saomai bei Neill aufgekreuzt war, war der Thailänder unberechenbar geworden. Bestimmt würde er seine Laune über die neueste Nachricht wieder an ihm auslassen. Wenn er nur an Lamoms eisgrauen Augen dachte, fror es ihn bis ins Mark. Auf jämmerliche Weise bedauerte er sich selbst. Wie hatte er seine Seele nur an diesen Teufel verkaufen können? Er verfluchte einmal mehr den Tag, der ihm so zum Verhängnis geworden war. Hätte er geahnt, dass ihn die Nummer mit den Ladyboys in die Fänge von Lamoms Mafia treiben würde, er hätte sich gar nicht erst anquatschen lassen. Er wusste selbst nicht, was an diesem Abend mit ihm los gewesen war, dass er sich darauf eingelassen hatte. Er hatte einen Drink in einer Bar genommen. Danach war er wie angetörnt gewesen. Und dann standen diese drei Grazien vor ihm. Bildschöne Mädchen mit großen, unschuldigen Augen und heißen Figuren. Als sie sich später als Boys entpuppten, war er schon so aufgeheizt, dass ihn eine homosexuelle Erfahrung nicht abschreckte.
Was soll’s, hatte er gedacht. Hier im Sündenpfuhl Bangkok interessierte das doch niemanden.
Wie er sich getäuscht hatte!
Aber wie dämlich konnte man auch sein, diese verlumpten Kinder einen Ort vorschlagen zu lassen, wo man sich mit ihnen vergnügen konnte? Die hatten ihn gefilmt!
Der blanke Horror kroch in ihm hoch, als er an den Tag zurück dachte, an dem Lamom vor seiner Tür gestanden hatte. Ohne ein Wort zu verlieren hatte er sich in seine Wohnung gezwängt, seinen Laptop auf dem Küchentisch aufgeklappt und ihn gezwungen, den Film anzusehen, in dem am Ende… Er jaulte auf und krümmte sich vor innerer Pein. In dem einer der drei Jungen leblos zu Boden ging, als er von ihm abließ.
Jetzt weinte er hemmungslos. Um das Kind und um sein eigenes verpfuschtes Leben, das er an Lamom Benjawan verwirkt hatte.
Sein verschwommener Blick fiel auf das Abspielgerät in seinen Händen und brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Wenn er Lamom erzählte, was diese Saomai plante, würde er es ausbaden müssen. Es sei denn…
Er starrte angestrengt aus dem Fenster.
Ja genau, das war die Lösung! Er würde das Problem aus der Welt schaffen, ohne dass Lamom davon erfuhr. Nichts einfacher, als den Stadtbummel der beiden durch ein paar Kleinkriminelle stören zu lassen. So sehr stören, dass Ferguson das Weite suchen und sich eine neue Masseuse nehmen würde. Gute Idee! Dann konnte er sich damit vor Lamom brüsten und endlich einmal Lob statt Prügel kassieren!
Mit flinken Fingern wählte er eine Nummer in den Slums. Nach etlichen Minuten keuchte eine Männerstimme unwirsch in den Hörer.
„Den Bauvorsteher“, forderte er streng und wartete ungeduldig. Die Jungs vom Bauabschnitt 38 waren genau die richtigen für den Job. Skrupellose Dreckskerle, die vor nichts zurückschreckten, wenn man sie dafür bezahlte. Wenn es sein musste, auch nicht vor einer Frau.
****
Saomai lief wie ein eingesperrtes Tier in ihrer Wohnung auf und ab. Am Nachmittag war sie mit Neill verabredet. Sie würden sich am Memorial Hospital treffen. Ein guter Ausgangspunkt für ihren geplanten Streifzug. Dort konnte Neill sein teures Auto unbehelligt parken. Die Uhrzeit hatte sie mit Bedacht gewählt. Um fünfzehn Uhr war der Schichtwechsel im Krankenhaus vollzogen und die Gefahr gering, auf Ärztekollegen und Schwestern zu treffen. Ihre innere Unruhe wuchs, je näher die Zeiger der Uhr auf die Drei zugingen. Bot sich heute etwa die Gelegenheit, Neill in seinem Bauvorhaben umzustimmen? Ihr Viertel zu retten? Konnte sie doch noch verhindern, dass hier ein Bürohochhaus neben dem anderen hochgezogen wurde! Dass die Klinik einer Schönheitsfarm zum Opfer fiel? Ihr wurde ganz schwindelig.
Als Saomai am Krankenhaus eintraf, erwartete Neill sie bereits. Lässig lehnte er an seinem Sportwagen. Er trug eine schwarze Anzughose. Das weiße Hemd klebte an seinem Körper, trotzdem er die oberen Knöpfe geöffnet hatte. Er erblickte sie und stieß sich vom Kotflügel ab, um ihr entgegenzugehen.
Der Mann sieht so unverschämt gut aus, dachte sie. Und dieses Lächeln! Eine Mischung aus jungenhafter Euphorie und Abenteuerlust, ließ Neill deutlich jünger aussehen, als er war.
„Hallo“, sagte er schlicht, als sie voreinander hielten.
Er zog Saomai an sich und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund.
Dann musterte er sie von Kopf bis Fuß und pfiff durch die Zähne.
„So sportlich habe ich dich ja noch nie gesehen.“
Saomai trug ein olivfarbenes Top, ihre Beine steckten in weißen Shorts, die nackten Füße in hellen Leinenschuhen. Ihr Haar hatte sie im Nacken zu einem dicken Knoten gebunden.
„Wir haben ja auch ein bisschen Wegstrecke vor uns“, antwortete sie.
Neckend deutete sie auf Neills schwarze Hose.
„Du bist nicht ganz so gut vorbereitet, was?“
„Leider nein. Ich hatte noch einen Termin und nun schwitze ich wie ein Affe in diesem Anzug“, stöhnte er.
„Ich weiß da was“, rief Saomai und zog ihn mit sich in Richtung Krankenhaus.
„Willst du mir ein OP-Hemd besorgen, oder was?“
„Nein, im Erdgeschoss gibt es einen Laden. Da bekommst du zumindest ein T-Shirt.“
Neill ließ sich nur widerwillig mitzerren. Das Letzte, was er brauchte, war in der Kostümierung eines Krankenhaus-Shops neben dieser Traumfrau herzutrotten. Doch zu seiner Überraschung führte das Geschäft gute Marken. Er behielt die beigefarbene Leinenhose und das blaugestreifte Polo, das er auswählte, gleich an, tauschte seine Anzugschuhe gegen sportliche Sneakers und verstaute seine eigenen Klamotten im Wagen. Nun fühlte er sich deutlich wohler. Der ungewohnte Freizeitdress erinnerte ihn an früher, an die Zeit, als er neu in Bangkok gewesen war und mit seiner damaligen Freundin die Stadt erkundet hatte.
Ewig her, dachte er. Dann sah er Saomai an und ein lang vermisstes Hochgefühl weitete ihm die Brust.
Sie erwiderte lächelnd seinen Blick, hakte sie sich unter und sagte: „Na dann, los!“
„Uh, was ist das denn?“, fragte Neill, als sie einen Schlund passierten, der sich am Westflügel des Krankenhauses in das Erdreich bohrte.
„Ach, da geht’s zum ehemaligen Leichenkeller“, antwortete Saomai und ärgerte sich, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Sie wollte Neill die schönen Ecken zeigen, nicht die Schandflecken.
„Du machst Scherze!“
„Nein.“
Neills zweifelnder Blick ließ ihr keine andere Wahl, als ihm widerwillig eine Erklärung zu liefern.
„Früher wurden hier die Toten angeliefert und aufbewahrt. Dann wurde der neue Trakt gebaut und dieser hier sich selbst überlassen. Die Einfahrt ist dann irgendwann mal eingestürtzt. Aber jetzt lass uns von etwas anderem reden!“
Als sich kurz darauf ein Boulevard vor ihnen auftat, den zu beiden Seiten Villen im Kolonialstil säumten, blieb Neill überrascht stehen. Das Zwitschern exotischer Vögel erfüllte die Luft. Nur vereinzelt passierten Autos und Motorräder.
„Na, das ist doch deutlich schöner!“ Er lachte. „Nein, im Ernst, Saomai, ich hatte keine Ahnung, dass es mitten in der Stadt so idyllisch sein kann!“
Saomai stimmte ihm zu und begann zu erzählen.
„Früher war die Gegend hier am Fluss sehr wohlhabend. Wegen der Nähe zum Königspalast zogen Konsule, Politiker und Diplomaten aus aller Welt hierher. Die wiederum zogen thailändische Kaufleute, Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte an. Soviel ich weiß, muss das mal eine sehr noble Gesellschaft gewesen sein. Diese Häuser“, sie wies auf die Villen, „haben Feste gesehen, die heute vermutlich Skandale auslösen würden.“
Neill lachte.
„Hey, du bist ja eine richtige Stadtführerin! Woher weißt du das?“
Saomai zuckte die Schultern. Ihr Vater hatte ihr davon erzählt. ‚Goldene Zeiten‘ hatte er sie immer genannt und sich gegrämt, weil die Gegend in den letzten Jahren mehr und mehr verkam.
Neill und Saomai wichen einem alten Mann aus, der mit seinem wackligen Korbstuhl den schmalen Bürgersteig vereinnahmte. Seine Augen leuchteten auf, als er Saomai erkannte. Er verneigte sich ehrfürchtig, murmelte ein paar Worte, die in Neills Ohren wie ein Segensspruch klangen, und lächelte sie voller Herzenswärme an.
Saomai antwortete ebenfalls auf Thailändisch und neigte leicht den Kopf.
„Was hat der Mann gesagt?“, fragte Neill neugierig.
„Er hat uns einen schönen Tag gewünscht.“
„Und dabei verbeugt er sich so tief vor dir?“
„Er ist eben besonders freundlich.“
Sie steuerten auf eine Tempelanlage zu, die halb zerfallen vor ihnen auftauchte. Trotz der eingestürzten und von Schlingpflanzen überwucherten Fassade, zerbrochener Statuen und über das ganze Gelände verstreuter Ruinen war erkennbar, dass dies einmal eine prachtvolle Heiligenstätte gewesen sein musste. Saomai blieb am steinernen Geländer stehen, das die Anlage zur Straße hin abgrenzte.
„Hier wollte ich starten“, sagte sie aufgeregt, „und dir erzählen, wie diese Gegend einmal ausgehen hat. Es wirkt etwas heruntergekommen, aber hier liegt soviel verborgene Schönheit, findest du nicht?“
Neill sah sich um.
„Ja, aus der Gegend könnte man was machen.“
Hoffnung keimte in Saomai auf. War sie etwa schon auf dem richtigen Weg?
„Was würde dem großen Architekten Neill Ferguson denn dazu einfallen?“, fragte sie keck.
Er überlegte kurz.
„Naja, ich würde vieles von dem bewahren, was vorhanden ist, was hierher gehört.“
Neill deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
„Die Kolonialvillen zum Beispiel würde ich im Originalzustand belassen und restaurieren. Und auch die vielen kleinen Holzhäuser erhalten, die verstreut dazwischen liegen. Der Kontrast hat einen unglaublichen Charme.“
Saomai nickte eifrig.
„Dieser Tempel sollte wieder ein Tempel sein!“, sann Neill weiter. „Wenn ich mir vorstelle, was das mit dem ganzen Viertel macht! Mit der Seele der Menschen, die hier leben. Die ganze Nachbarschaft liegt vermutlich nur danieder, weil ihr religiöses Zentrum vermodert. Wenn man den Tempel zu neuem Leben erweckt, wird er auf das Viertel abstrahlen. Er würde die Menschen zusammenbringen, das kulturelle Leben befeuern. So ist es doch mit euren Gotteshäusern, oder nicht?“
„Ja, so ist das mit unseren Gotteshäusern“, wiederholte Saomai nachdenklich.
Wieso war ihr nur nie aufgefallen, dass die ganze Gegend daran krankte, dass der Tempel zusammengefallen war? Eine Häusersprengung in unmittelbarer Nähe hatte vor Jahren den Boden abgesenkt und das Gebäude einstürzen lassen. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, war das der Anfang vom Niedergang gewesen. Ohne Tempel fehlte den Menschen offensichtlich eine Stätte der Begegnung. Vom Segen der Götter ganz zu Schweigen.
Saomai ließ den Blick über die vom Dschungel verschlungene Ruine schweifen und Bilder vergangener Tage wurden in ihr wach.
„Als Kind habe ich hier oft gespielt“, erklärte sie Neill. „Es gab nichts Aufregenderes, als auf dem bronzenen Buddha herumzuturnen, der unter einer geschwungenen Pagode da hinten im Garten thronte.“
Ihre Hand deutete in die Ferne, wo ein zerfallener Pavillon stummer Zeuge ihrer Erzählung war.
„Meine Mutter hatte es zwar verboten, doch immer wenn ich glaubte, allein zu sein, kletterte ich an ihm hoch. Wie ein Äffchen“, sie lachte. „Das waren immerhin gute zweieinhalb Meter! Ich stellte mich in seine Armbeuge, schlang die Arme um seinen Hals und brachte mein Gesicht ganz nah an seins. Ich glaube, dass Buddha nichts Schlimmes daran fand. Er sah mich dann aus halb geschlossenen Lidern an und lächelte, während ich ihm plappernd berichtete, was so los war.“
„Erzähl weiter“, bat Neill, als Saomai innehielt.
„Einmal hat meine Mutter mich erwischt“ erinnerte sie sich. „Vor Schreck bin ich abgerutscht und hielt mich an den überlangen Ohrläppchen Buddhas fest. Das hat ganz schön Ärger gegeben!“
Sie schmunzelte bei der Erinnerung an die kleine Episode mit ihrer geliebten Mum.
„Lebt deine Familie noch hier?“, fragte Neill in ihre Gedanken hinein.
Mit einem Kopfschütteln wischte Saomai die Bilder beiseite.
„Nein“, sagte sie, bemüht die Trauer abzuwehren, die Neills harmlose Frage in ihr weckte. „Meine Eltern sind beide tot.“
Er streichelte ihren Arm. „Das tut mir leid.“
Sie sah ihn an.
„Ist schon gut.“
Ist es nicht, dachte Neill, und bekam erstmals eine Ahnung, woher die Traurigkeit in Saomais Augen rührte. Doch offensichtlich wollte sie nicht mit ihm darüber sprechen.
„Wenn du von dieser Tempelanlage erzählst, kann ich mir wirklich vorstellen, wie es hier gewesen sein muss“, sagte er daher. „Und wie es wäre, wenn man das wieder aufbaute.“
„Ja, das ist mein großer Traum“, entgegnete Saomai mit einem tiefen Seufzer.
Sie fragte sich, ob Neill bewusst war, dass sie sich auf Bauland befanden, das er und Lamom bereits gekauft hatten. Auf jeden Fall konnte es nicht schaden, ihn weitere Ideen entwickeln zu lassen. Er legte ein überraschend feines Gespür für die Bewohner an den Tag.
Sie setzten ihren Weg fort und bogen nach wenigen Hundert Metern in eine belebtere Straße ein.
Fast ein Jahr lang hatte Saomai diese Ecke gemieden. Doch mit Neill ins Gespräch vertieft, hatten sie ihre Füße von ganz allein in die Nähe ihres Elternhauses geführt. Von allen Seiten wurden sie begrüßt, bis eine Traube von Menschen sie umringte. Alle plauderten fröhlich durcheinander. Neill verstand mit seinem wenigen Thailändisch doch immer wieder das eine Wort.
„Warum nennen sie dich Doktor?“, fragte er Saomai über die Köpfe der kleinen Thais hinweg.
„Das hat nichts zu bedeuten“, antwortete sie und war froh, dass jemand an ihrem Ärmel zupfte und auf die eiternde Wunde am Knie eines kleinen Jungen wies. Nachdem Saomai sie mit prüfendem Blick gemustert und der Frau in ihrer Landessprache geraten hatte, welche Kräuter sie besorgen und vermischen solle, wandte sie sich wieder Neill zu, der ehrfurchtsvoll beäugt wurde. Langsam und von tiefen Verbeugungen begleitet, bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge, bis diese schließlich zurück blieb.
„Ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass die Leute dich verehren“, sagte er und blickte sich noch einmal um. Dabei fielen ihm fünf Männer auf, die sich rüde durch die kleine Anhäufung von Menschen drängelten.
„Ach weißt du“, entgegnete Saomai, „ich habe eigentlich jedem hier schon mal geholfen. Rückenschmerzen gelindert, Medikamente besorgt und sowas. Die einfachen Leute denken dann gleich, man sei Arzt.“
Sie zuckte die Achseln und hoffte, dass das Thema für Neill damit erklärt sei.
Neill blickte noch einmal zurück. Die Männer waren verschwunden.
„Hmm“, murmelte er in Gedanken.
„Wußtest du, dass es in dieser Gegend noch richtigen Dschungel gibt?
„Wirklich?“ Neills Aufmerksamkeit galt nun wieder Saomai. „Mitten in Bangkok?“
„Ja wirklich. Noch bis vor etwa zehn, fünfzehn Jahren war die ganze Stadt davon durchzogen. Wurde ein Grundstück nicht mehr bewirtschaftet, weil die Leute alt waren oder es keine Erben gab, holte es sich der Dschungel zurück. So wie bei der Tempelanlage. Das ist wichtig für die wildlebenden Tiere.“
„Was denn für wildlebende Tiere?“, fragte Neill irritiert.
„Na, Warane, Schlangen, Affen…“
„Warane?“
„Ja. Hast du noch nie einen gesehen?“
Saomai konnte kaum glauben, dass Neill den Kopf schüttelte.
Dann lass uns zum Fluss runtergehen!“, schlug sie vor, „Da kann ich dir bestimmt welche zeigen!“
Sie übernahm die Führung und lotste Neill zielstrebig zwischen kleinen, auf Holzpfählen thronenden Häusern und Baracken entlang. Nach dreihundert Metern bog sie auf einen Plattenweg ab, der so von Dickicht überwuchert war, dass er Neill gar nicht aufgefallen wäre. Leichtfüßig sprang sie über Baumwurzeln, die die alte Pflasterung hier und da aufwarfen.
„Achtung, tritt nicht auf die Natter“, sagte sie und machte einen Ausfallschritt nach rechts.
„Eine Natter?“, rief Neill ungläubig und erstarrte, als er zwei Fußbreit vor sich ein leises Zischen vernahm. Der platte Kopf einer Schwarzschwanznatter reckte sich in die Höhe und erst jetzt sah er den zusammengerollten Schlangenkörper, der sich farblich kaum vom dunklen Untergrund abhob.
„Die tut nichts“, beruhigte ihn Saomai und ergriff seine Hand, um ihn um das Reptil herumzuführen.
Der Weg wurde nun abschüssig, die moosigen Steinplatten zu unebenen Treppenstufen. Neill achtete sorgsam auf jeden Schritt, den er tat. Noch eine Schlange wollte er nicht übersehen. Als Saomai unverhofft stehenblieb, lief er fast in sie hinein und gab einen überraschten Laut von sich.
„Pssst“, machte sie und legte den Zeigefinger an die Lippen. „Da ist einer, siehst du?“
„Was ist da?“, flüsterte Neill zurück.
„Na, ein Waran.“
„Nein, ich seh‘ keinen. Wo denn?“
Neill schmiegte die Wange an Saomais Haar. Sein Blick folgte der Hand, mit der sie ihm die Richtung wies. Sie duftete nach Lavendel.
„Da auf der untersten Steinplatte. Jetzt hebt er gerade den Kopf.“
Nun hatte auch Neill die Echse entdeckt.
„Die ist ja riesig“, rief er. „Bestimmt zwei Meter!“
„Naja, höchstens eineinhalb Meter“, lachte Saomai und wandte sich zu ihm um.
Seine unverhoffte körperliche Nähe ließ sie erschauern und den nächsten Satz nur stockend zu Ende bringen: „Kein Grund… zur Sorge. Warane sind scheu und… gleiten sofort ins Wasser, wenn man ihnen zu nah kommt.“
„Und was passiert, wenn man dir zu nahe komme?“, fragte Neill und hob Saomais Kinn, so dass sie ihn ansehen musste.
Saomai hielt seinem Blick nicht stand. Sie entzog ihm ihr Kinn und trat einen Schritt zurück. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. War Neill gerade dabei, ihr seine Gefühle zu offenbaren? Das konnte nicht sein! Und wenn doch, durfte sie das zulassen, wenn doch alles, was sie tat, pure Berechnung war? Nein, das wäre nicht richtig!