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Hochtechnologien, Wissenschaft und Raumfahrt dienen vor allem der Privilegierung bestimmter Schichten und Kulturkreise in den reichen Regionen und nicht der Lösung der weltweiten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme. Die soziokulturelle Evolution dürfte dabei eine weite Auffächerung oder Aufspaltung zeigen. Bei dieser Entwicklung wird es zwangsläufig Gewinner und Verlierer geben. Die gegenwärtige globale Situation der menschlichen Gesellschaft scheint in manchen Aspekten den Anfängen eines solchen Szenarios zu entsprechen. Die skizzierte soziokulturelle Entwicklung wird letztlich global zu einem instabilen gesellschaftspolitischen Zustand führen. Der fragile zivilisatorische Status quo mit seinen vielfältigen gesellschaftlichen Spannungen und Disproportionen dürfte irgendwann in einer dramatischen Situation enden und zu einer radikalen Umgestaltung führen.
In deren Ergebnis könnten große Bereiche der herkömmlichen Zivilisationsstrukturen verändert oder ausgelöscht werden und schließlich verschwinden. Eine verbleibende, vermutlich elitäre Minderheit wäre dann unter veränderten Randbedingungen vielleicht in der Lage, die soziokulturelle Evolution neu zu definieren und sie konzeptionell verändert fortführen. Die nachfolgende zivilisatorische Entwicklung wird dann von der Vernunft der gestaltenden gesellschaftlichen Kräfte, den noch nutzbaren Ressourcen, dem Regenerationsvermögen der Biosphäre sowie unkalkulierbaren Randbedingungen abhängig sein. In diesem Fall muss von einem wie auch immer gearteten Neustart der soziokulturellen Evolution der menschlichen Art auf einem niederen Niveau ausgegangen werden.
Bei all den spekulativen Betrachtungen zu den Perspektiven der soziokulturellen Evolution müssen sich die Menschen aber auch bewusst sein, dass ihre evolutionäre Zukunft in vielerlei Hinsicht ungewiss ist und nicht allein durch menschliches Handeln bestimmt wird.
Wir reisen auf der Erde mit der Sonne in etwa 230 Millionen Jahren um das Zentrum der Galaxis. Dabei oszilliert das Sonnensystem alle 30 bis 40 Millionen Jahre Dutzende von Lichtjahren durch die galaktische Ebene. Unser Stern hat in seiner Existenz von 4,6 Milliarden Jahren wohl gerade einmal 20 galaktische Umrundungen zustande gebracht. Da diese Bahn keine Kepler-Ellipse ist, durchquert das Sonnensystem auch immer wieder unbekannte interstellare Regionen. Wir können nicht ahnen, was in den langen galaktischen Jahren irgendwo und irgendwann da draußen an Gefahren für das Leben auf der Erde lauert.
Die Sonne könnte in den Einflussbereich einer schwarzen Singularität geraten oder eine galaktische Zone mit einer nahen Supernova durchqueren. Astronomen haben herausgefunden, dass die Lokale Blase, in die das Sonnensystem eingebettet ist, mit der Nachbarblase Loop I kollidiert ist. Dabei soll es vor ca. 2,5 und 7,5 Millionen Jahren zu zwei Supernova-Ereignissen gekommen sein. Berechnungen zufolge sind damals zwei Sterne von etwa neun Sonnenmassen in einem Abstand von weniger als 300 Lichtjahren zur Erde als Supernova aufgeleuchtet. Wäre diese Distanz eine Größenordnung geringer gewesen, hätte die irdische Biosphäre diese kosmischen Ereignisse wohl nicht unbeschadet überstanden!
Aber auch die astronomische Zukunft des Sonnensystems scheint keineswegs sicher zu sein. So soll uns in 10.000 Jahren die Sonne Proxima Centauri mit drei Lichtjahren ziemlich nahekommen und der heute noch zehn Lichtjahre entfernte Zwergstern Ross 248 wird in 33.000 Jahren ebenfalls nurmehr drei Lichtjahre vom heimischen Sonnensystem entfernt sein. Die Annäherung dieser Sterne könnte die Bahnen der äußeren Planeten durcheinanderbringen.
Nach der Prognose der Wissenschaftler werden wir uns ohnehin in der nahen Zukunft eines Kometensturms aus der Oortschen Wolke zu erwehren haben. Na und mit der Stabilität der Merkur-Bahn ist es ja auch so eine Sache!
Freilich kann es auch irgendwo und irgendwann in den galaktischen Weiten zu einem vernichtenden Angriff einer überlegenen feindlichen Spezies kommen. So ein Gedanke darf nicht von vornherein als eine bloße Science-Fiction-Idee abgetan werden. Zumindest ist ein derartiges Szenario nicht völlig auszuschließen, schließlich wissen wir nichts über die Moralauffassung, die ethischen Vorstellungen und die Mentalität einer hoch entwickelten außerirdischen Intelligenz.
Aber tödliche Gefahren lauern auch unter der Oberfläche unseres Planeten Erde. So könnte der Ausbruch eines Supervulkans, wie beispielsweise desjenigen, der unter dem Yellowstone-Areal lokalisiert ist, kontinentale Verwüstungen verursachen, die das globale Klima auch langfristig umgestalten. Solche geophysikalischen Vorgänge würden gesellschaftspolitische Veränderungen nach sich ziehen und die zivilisatorischen Karten auf dem Planeten neu mischen.
Doch unabhängig von allen denkbaren Katastrophen und den Risiken der weiteren zivilisatorischen Entwicklung der Menschen wird die biologische Evolution ihr Wirken auf dem Planeten fortsetzen. Sie wird tun, was sie immer schon getan hat: Baupläne des Lebens entwerfen und biologische Architekturen verändern, anpassen und optimieren, Nischen besetzen und frei gewordene Lebensräume mit neuen Innovationen erobern. Vielleicht hat sie dabei noch ein paar wirklich geniale Einfälle!
Die geotektonischen Prozesse werden fortschreiten und vermutlich in 200 Millionen Jahren Erdteile und Inseln wieder zu einem Superkontinent vereinen. Dabei können Meere oder und Ozeane verschwinden, Bergketten versinken und neue Gebirge in den Himmel wachsen. Das globale Klima wird weitgehend von diesen Prozessen, vielleicht auch durch menschliche Aktivitäten, aber maßgeblich von der Sonne bestimmt werden. Insofern dürften transozeanische Strömungen und Vulkanismus, Wüsten und Wälder, Dürren und Dauerregen sowie Eiszeiten und Warmzeiten auch in Zukunft entstehen und vergehen und das Antlitz des Planeten formen und verändern. Eines Tages dürfte allerdings die Zeit kommen, in der die Sonne der Evolution auf der Erde endgültig das Handwerk legen wird. Dieser Prozess könnte bereits in 900 Millionen Jahren seinen Anfang nehmen, wenn die mittlere Temperatur auf dem Planeten über den für höheres Leben kritischen Wert von 30 °C ansteigt. Eine weitere Milliarde Jahre später prognostizieren die Experten einen Temperaturanstieg auf 100 °C. Dann werden die Ozeane bereits weitgehend verdampft sein und niedere Lebensformen nur noch in Nischen existieren. Schließlich wird das Aufleuchten der Sonne zu einem roten Riesenstern das Leben auf dem Planeten Erde endgültig auslöschen.
Die von der Evolution auf der Erde geschriebene Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte des Lebens könnte ihrer Schönheit und Einmaligkeit wegen aber zuvor zu einer himmlischen Legende geworden sein. Möglicherweise haben Sonnenwinde oder Sternenstürme die märchenhafte Geschichte vom Werden und Vergehen des irdischen Lebens dann längst in die galaktischen Weiten der Milchstraße verweht. Wer weiß, aber dort mögen vielleicht fremde Geschöpfe aus anderen Zeiten dem Raunen, Wispern und Flüstern des Alls lauschen:
„… es war einmal ein Archipel in Raum und Zeit, dem die Menschen den Namen Milchstraße gegeben hatten. Die große Balkenspirale mit über 150 Milliarden Sternen, einem Durchmesser von reichlich 120.000 Lichtjahren und einem Halo mit fast 200 uralten Kugelsternhaufen leuchtete eindrucksvoll am Himmel. Die majestätische Galaxie wurde von einem Dutzend Zwerggalaxien wie dem Dreiecks-Nebel, den Magellanschen Wolken und der diffusen Antlia-Formation begleitet.
In der Milchstraßen-Galaxie glühte einst zwischen den Spiralen Sagittarius und Perseus am inneren Rand des Orionarmes ein Stern vom Spektraltyp G 2/V. Die gelbe Sonne konnte dem Leben auf dem dritten Planeten ihres solaren Systems fast fünf Milliarden Jahre eine Heimstatt geben. In diesem langen Zeitraum erschuf die Evolution eine faszinierende Welt organischen Lebens. Trotz mehrerer Massensterben aufgrund von Katastrophen mit globalen Auswirkungen hat die Evolution das Leben auf dem Planeten Erde beschützt, umsorgt, bewahrt und nicht untergehen lassen. Der Architektin und Baumeisterin des Lebens ist sogar die Schöpfung einer mit Vernunft begabten Art gelungen. Diese Spezies hat eine beachtliche zivilisatorische Entwicklung genommen und scheint schließlich auch in die interstellaren Weiten aufgebrochen zu sein. Doch wer weiß, diese einzigartige Welt voller Leben wird in der Nova ihrer roten Sonne bestimmt längst untergegangen sein …?“
Astronomischen Prognosen zufolge soll sich die Milchstraße in etwa 1,5 Milliarden Jahren die große Magellansche Wolke einverleiben. Dann könnte die schwarze Singularität im Zentrum der Galaxie zu einem aktiven Quasar mit vielleicht Milliarden Sonnenmassen anwachsen. 2,5 Milliarden Jahre später wird der Beginn der Vereinigung zwischen der Milchstraßen- und Andromeda-Galaxie prognostiziert. Bei diesem Prozess dürfte eine riesige elliptische Sterneninsel entstehen. Diesem gewaltigen Archipel in Raum und Zeit haben die Menschen sogar schon den Namen Milkomeda gegeben. Ob sich angesichts dieser künftigen dramatischen Ereignisse am Himmel der lokalen Gruppe dann noch irgendjemand an die Legende vom Wunder des Lebens auf der Erde erinnern wird?
Die Zeit steht im Ruf, unerbittlich und gnadenlos zu sein, weil sie stets nur unaufhaltsam verrinnt und lediglich im Ereignishorizont eines Schwarzen Loches eine Weile angehalten werden kann. Die Zeit mag auf ihre Art aber auch gerecht sein, denn ein Menschenleben, die Lebensspanne einer Art, die Dauer eines Zeitalters, die Tage einer Sonne, ja sogar die Stabilität einer schwarzen Singularität und selbst die Existenz eines ganzen Universums mögen begrenzt sein und irgendwann ein Ende finden. Schlichtweg scheint ein jegliches seine Zeit zu haben. Aber kann die zeitliche Endlichkeit des Seins schlechthin den Menschen wirklich Trost spenden?
Wer weiß? Doch die Legende von der untergegangenen Schönheit des irdischen Lebens scheint auch irgendwann und irgendwo einen evolutionären Neubeginn zu verheißen. Vielleicht ist es ein Trost und Wunder zugleich, davon träumen zu dürfen!
Legende vom irdischen Leben
Einst leuchtete ein Archipel in Raum und Zeit,
den Legenden Milchstraße genannt hatten.
Die Galaxie war eine der schönsten weit und breit.
Ihr Glanz überstrahlte am Himmel die Schatten.
Die Spirale formte einen Balken von hoher Symmetrie,
im Halo tummelten sich Kugel-Haufen uralter Sterne,
die Magellanschen Wolken umkreisten die Galaxie,
der Andromeda-Nebel schimmerte matt in der Ferne.
Es glühte im Orion-Arm der Milchstraßenwelt
eine Sonne, von acht großen Planeten umgeben,
der dritte war für ein Wunder auserwählt,
denn dort entstand eines Tages das Leben.
Die Begegnung von Erde und Theia schuf den Mond,
die Elemente waren wie entfesselt auf Erden.
Die Erde wurde mit der Entstehung des Lebens belohnt,
die Evolution hegte und pflegte dessen Werden.
Die Architektin des Lebens ging einen mühsamen Weg,
Erfolge und Irrtümer säumten ihn in allen Zeiten.
Fossilien sind für die Suche nach Perfektion ein Beleg,
nur Veränderung vermag dem Leben eine Zukunft bereiten.
Gewaltige Katastrophen suchten die Erde heim.
Sie drohten das Wunder des Lebens zu vernichten,
doch die Evolution sollte nicht zu besiegen sein
und noch vollkommener ihre Werke verrichten
Die Evolution erschuf eine Wunderwelt voller Leben
und schließlich sogar eine Art mit Vernunft und Verstand.
Die Erde konnte dem Leben lange eine Heimstatt geben,
bis es in der Nova der roten Sonne verschwand.
Doch vielleicht wurden zuvor von Sonnenwinden
Spuren des irdischen Lebens in die Galaxie verweht.
Dort mögen sie vom Wunder des Lebens künden,
das irgendwann im Strom der Zeit vergeht.
2. Brief vom 24. August 2019
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Leipzig, 24. August 2019,
zu öffnen am 1. Mai 2036
Hallo, mein Enkeljunge,
heute drängt es mich, dir ein paar Gedanken mitzuteilen, für die mir das Leben in gemeinsamen Gesprächen vielleicht nicht mehr ausreichend Zeit einräumen könnte. Freilich vermag ich nicht zu sagen, ob du in knapp 17 Jahren meine Beweggründe verstehen kannst oder meine Gedanken als Spinnereien eines wunderlichen alten Mannes abtun wirst. Na ja, ich wage es trotzdem, selbst wenn du aus der Zukunft auf mich und meine Vorstellungen mitleidig herablächeln solltest.
Das Traktat, das ich dir heute ans Herz legen möchte, beschäftigt sich mit dem Gott-Glauben und der Religion sowie einigen Aspekten zu deren geschichtlicher Deutung. Darüber hinaus habe ich mir erlaubt, einige (nicht ganz ernst gemeinte) Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie anzustellen. Versteh’ mich bitte nicht falsch, ich möchte meine Überlegungen ausdrücklich nicht als glaubensfeindlich verstanden wissen. Das würde meinem Verständnis von Toleranz zuwiderlaufen. Als glaubenskritisch würde ich sie dagegen schon bezeichnen. Immerhin stelle ich mit meinen Betrachtungen zu Gott und zur Religion einen wie auch immer gearteten Glauben an ein übernatürliches Wesen zur Diskussion und letztendlich auch infrage. Und das völlig zu Recht, wie ich meine!
Das Argumentations-Papier „Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen“ ist im Grunde genommen als eine Satire zu betrachten. Es versucht, naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit religiösen Positionen in Übereinstimmung zu bringen. Das kann natürlich nicht wirklich gelingen, denn Vernunft und Glaube sind wie Feuer und Wasser, zwischen denen es keine Kongruenz geben kann. Dennoch habe ich die Mühe auf mich genommen, bestimmte religiöse Positionen und Vorstellungen mit astrophysikalischen Erkenntnissen und kosmologischen Fragestellungen abzugleichen. Dabei habe ich die Suche nach vermeintlichen Übereinstimmungen mit theologischen Deutungen sogar interessant und vergnüglich gefunden. Um den Witz und den spirituellen Schalk der Angelegenheit nachvollziehen zu können, bedarf es aber eines bestimmten naturwissenschaftlichen Wissens. Wem nicht bekannt ist, dass sich das Standarduniversum aufgrund der (nicht verstandenen) wachsenden Stärke der dunklen Energie ausdehnt und dieser Prozess vielleicht nur durch den gravitativen Einfluss von dunkler Materie aufgehalten werden kann, wird die Ironie in Kapitel 4 nicht verstehen können. Matti, ich hoffe, dass du mit zwanzig Jahren in der Lage sein wirst, diese und andere Pointen meines hier und da durchaus provokanten, aber auch schelmischen Traktates nachzuempfinden.
Zur Religion möchte ich vorab anmerken, dass sie eine sehr einfache Sicht auf die komplexen Lebensverhältnisse der Menschen darstellt. Sie nutzt vor allem die Sehnsüchte der Leute nach einem sie weise lenkenden übernatürlichen Wesen aus. Diese göttliche Entität soll ihnen sagen, was zu tun oder zu lassen ist. Wenn man sich mit Gott-Glaube und Religion beschäftigt, sollte man sich bewusst sein, dass diese Vorstellungen aus den Kindertagen der menschlichen Zivilisationen stammen. Damals hatten die Menschen die Wirklichkeit von Raum und Zeit und die Struktur des Standarduniversums mit seinen Myriaden von Sternenwelten, Milliarden Galaxien und zahlreichen schwarzen Singularitäten noch nicht erkannt. Sie glaubten tatsächlich, dass Naturgewalten wie Erdbeben, Stürme und Gewitter mit Blitz und Donner Ausdrücke eines göttlichen Zorns waren. Den Himmel ihres Herrn haben sie sich dabei ganz gegenständlich direkt über ihnen in den Wolken oder darüber vorgestellt.
Das Traktat von der kosmologischen Theologie soll dir deutlich machen, dass religiöse Gedankengebäude einer umfassenden naturwissenschaftlichen Betrachtung und Beurteilung nicht standhalten können. Die wissenschaftlichen Befunde, Erkenntnisse und Einsichten, die religiöse Überzeugungen infrage stellen, sind erdrückend. Daher kann ein göttliches Wesen in den Weiten des Standarduniversums keinen Platz haben. Der berühmte französische Mathematiker und Physiker Pierre Simon de Laplace hat diesen Sachverhalt erstaunlicherweise schon vor über 200 Jahren erkannt. Auf eine entsprechende Anfrage Napoleons soll er nämlich geantwortet haben, dass die Annahme eines Gottes eine ganz und gar überflüssige Hypothese sei.
Freilich halten viele Menschen auch zu Beginn des dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung nach wie vor am Glauben an einen wie auch immer gearteten Gott fest. Davon solltest du dich aber nicht irritieren oder beeindrucken lassen. Religion scheint im gesellschaftlichen Leben der Menschheit im Großen und Ganzen dennoch eine Angelegenheit von gestern zu sein. Dass es heute (immer noch) ein lebendiges kirchliches Leben gibt, ist das Resultat von jahrhundertelangen gesellschaftlichen Entwicklungen, historischen Traditionen und soziokulturellen Gepflogenheiten. Sie wirken in Verbindung mit Defiziten im naturwissenschaftlichen Denken vieler Menschen mehr oder weniger nachhaltig fort. Der Zenit der soziokulturellen Wirksamkeit dieser Vorstellungen und Überzeugungen ist jedoch seit Langem überschritten. Religion und Theologie befinden sich zunehmend in einer intellektuellen und gesellschaftlichen Defensive. Kirchliche Dogmen und religiöse Glaubensvorsätze haben jahrhundertelang von der Unwissenheit ihrer Anhänger profitiert. In einem zunehmend von der Wissenschaft und rationalem Denken geprägten Zeitalter werden sie eines (zwar wohl noch fernen) Tages nur noch ein gesellschaftliches Nischendasein fristen können!
Diese Prognose mag heute vielen Menschen noch unvorstellbar erscheinen, doch der Prozess der Säkularisierung wird in der fortschreitenden soziokulturellen Evolution nicht aufzuhalten sein. Der Wandel in der Bewertung von Glaubensfragen könnte in klerikal beherrschten Gesellschaften allerdings noch lange dauern, weil religiöse Überzeugungen in den Köpfen überwiegend bildungsferner Menschen nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Dennoch wird sich auch dort irgendwann die Erkenntnis durchsetzen, dass der Glaube an einen Gott der Vision eines auf Treibsand gebauten gedanklichen Zauberschlosses gleicht, die im Angesicht der Wirklichkeit ins Nichts zerfließen muss.
Mein Junge, du wirst dich im Leben irgendwann entscheiden müssen, ob du geistig und emotional in einer Welt zu Hause sein möchtest, die von Vernunft und Verstand ohne religiöse Ideologien bestimmt wird, oder ob du der irrationalen Gemeinschaft gottgläubiger Menschen angehören willst. Diese Entscheidung musst du selbst treffen, sie kann dir niemand abnehmen.
Falls du dich für eine wissenschaftliche Weltanschauung entscheidest, solltest du dich dennoch bemühen, religiöse Grundsätze zu verstehen, dich mit den Überzeugungen gläubiger Leute vertraut zu machen und ihre Ansichten zu respektieren. So eine tolerante Einstellung wird auch der Überprüfung deines eigenen Standpunktes und der Verifizierung deiner intellektuellen Position zugutekommen.
Falls dich im Leben irgendwann einmal Leute für eine religiöse Überzeugung zu missionieren versuchen oder dir in Glaubensfragen in Bezug auf das Seelenheil das „Blaue vom Himmel“ verheißen, musst du vorsichtig sein und die Dinge besonders kritisch hinterfragen. Was ich damit meine, soll ein Beispiel aus einem ganz anderen geistigen Bereich deutlich machen:
„Stell’ dir einen Ingenieur vor, der ja durchaus einem anerkannten und geschätzten Berufsstand angehört. Wenn er für eine Berechnung eine komplizierte technische Formel anwenden muss, wird er die Parameter unter Berücksichtigung ihrer Schwankungsbreiten und von Sicherheitszuschlägen verantwortungsbewusst auswählen. In den allermeisten Fällen dürfte er mit seinem akribischen Vorgehen in der Praxis brauchbare und vernünftige Ergebnisse erzielen. So weit, so gut! Jetzt konfrontiere in Gedanken einen Naturwissenschaftler mit derselben Formel. Er wird die Struktur der 100.000-fach bewährten Formel wohl in aller Regel erst einmal kritisch hinterfragen. Um herauszufinden, ob es sich nur um eine Zahlenwertgleichung oder zugeschnittene Größengleichung handelt, dürfte er die Maßeinheiten der einzelnen Parameter betrachten oder die eine oder andere Variable gegen 0 oder ∞ gehen lassen. Vielleicht setzt er hier und da auch negative Werte ein und macht sich Gedanken über die Genauigkeit der verwendeten dynamischen Größen oder Konstanten. Falls bei diesen Betrachtungen nichts Vernünftiges herauskommen sollte, wird der Naturwissenschaftler die bewährte Formel vermutlich verwerfen, über Änderungen nachdenken oder sie als eine praktikable Näherung klassifizieren und ablegen.
Mein Junge, mit diesem Beispiel möchte ich dir den Unterschied zwischen einem formalen (hier technischen oder handwerklichen) Herangehen und einer substanziellen (hier wissenschaftlichen) Vorgehensweise verdeutlichen. Aber was hat die Botschaft des Vergleiches mit Glaubensfragen zu tun, wirst du dich vielleicht fragen?
Ich möchte dir damit auf eine ungewöhnliche Art und Weise bewusst machen, dass du, wenn es darauf ankommt, den Dingen immer auf den Grund gehen musst. Aus meiner Sicht betrifft das weniger die heutzutage und hierzulande geäußerten Verschwörungstheorien und andere abstruse Lebensphilosophien. Diese Ansichten scheinen so irrwitzig und gedanklich verbogen zu sein, dass ich glaube, mir diesbezüglich keine Sorgen um deinen Verstand machen zu müssen. Im Fokus meiner Besorgnisse steht vielmehr der Missbrauch des Glaubens an einen Gott. Das Gedankengut sektiererischer Vereinigungen kommt nämlich oft geschickt verklausuliert und raffiniert getarnt daher. Arglose oder naive Zielpersonen werden häufig durch die scheinbare Plausibilität und vermeintliche Vernunft der Argumente getäuscht. In so einem Fall muss religiöse Propaganda nicht nur formal, sondern auch substanziell hinterfragt werden. Daher kann eine kritische Einstellung zu scheinbar überzeugenden Offerten religiöser Ideologen oder ein gesundes Misstrauen gegenüber sektiererischen Missionsaktivitäten für einen jungen Menschen mitunter sogar lebensbedeutsam sein!
Herzliche Grüße aus der Vergangenheit!
Opa
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen – Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Himmel und Erde sowie die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
1. Der Himmel und die Erde – Definitionen, Lokalisierungen – Verbindung
Der theologische Kosmos der allermeisten Religionen kennt als Hauptweltbegriffe den Himmel und die Erde. Sie bezeichnen das Spannungsverhältnis zwischen der irdischen Welt und einer angenommenen göttlichen Sphäre. Darüber hinaus wird die Möglichkeit der Herstellung einer wie auch immer gearteten Verbindung zwischen Himmel und Erde von den nahezu allen Religionen positiv beantwortet.
1.1 Die Erde
Der Planet Erde ist die Heimat der einzigen rezenten Art der Gattung homo sapiens, also der Menschen der Gegenwart. Nach religiöser Überzeugung ist die Erde mit den Menschen und den anderen Lebewesen im Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsaktes entstanden. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge hat jedoch die Evolution die irdische Biosphäre samt der vernunftbegabten Spezies in einem langen Prozess biologischer Optimierung entstehen lassen. Mit ihrer Hilfe und unter ihren Fittichen konnte die Art in weniger als einer Million Jahren zum Beherrscher des Planeten aufsteigen.
Die Erde ist ein definierter materieller Ort. Er befindet sich in einem Universum, das nach astrophysikalischen Erkenntnissen vor 13,8 Milliarden Jahren aus der Auflösung einer noch nicht verstandenen Singularität entstanden ist. Seitdem dehnt sich die universale Konfiguration aus. Die Heimat der Menschen kann im Standarduniversum über folgende räumliche Strukturen relativ eindeutig lokalisiert werden:
Laniakea Superhaufen



Milchstraßen-Galaxie

