Seewölfe - Piraten der Weltmeere 293

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Paddys Stöhnen wurde lauter und anhaltender. Sein Gesicht war kalkweiß und schweißüberströmt. Trotzdem konnte es ihm der Kutscher nicht ersparen, eine lange Pinzette in die Wunde einzuführen.
Während Mac Pellew ihm die Instrumente zureichte, sorgte Hasard dienstbeflissen für Wasser und Tücher. Philip hatte sich ans Kopfende begeben und tupfte Paddy mit einem sauberen Stück Leinen den Schweiß aus dem Gesicht.
Wie lange die ganze Prozedur andauerte, hätte niemand zu sagen gewußt. Das Gefühl für Zeit hatten die beiden Männer und die Zwillinge rasch verloren, denn Paddy Rogers, der abwechselnd stöhnte und mit den Zähnen knirschte, erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Irgendwann war das Glasen der Schiffsglocke zu hären, dann herrschte wieder Stille im Achterdeck der „Hornet“. Nur die kurzen Anweisungen des Kutschers wechselten mit den Schmerzenslauten Paddys.
Jack Finnegan rutschte schweigsam auf der Bank hin und her, als säße er auf glühenden Kohlen. Auch auf seinem Gesicht glänzte der Schweiß. Aber er störte niemanden bei seiner Arbeit.
Schließlich brüllte Paddy laut auf wie ein verwundetes Tier. Aber da war das Schlimmste bereits überstanden. Der Kutscher hielt plötzlich ein blutiges Stückchen Blei in der Pinzette und begutachtete es kurz im Schein einer Talglampe.
„Jetzt haben wir’s“, sagte er mit ruhiger Stimme, legte das Utensil zur Seite und begann abermals damit, die Wunde zu säubern. Schließlich wurde eine schwarz aussehende Tinktur aus einer der geheimnisvollen Flaschen aufgetragen und danach ein fachgerechter Verband angelegt.
Die Operation war beendet, das Geschoß entfernt worden. Was aber war mit Paddy? Diese Frage stand unausgesprochen im Raum.
Schließlich unterbrach der Kutscher sein Schweigen.
„Sag deinem Vater, daß wir fertig sind!“ befahl er Philip.
Während der Bengel losrannte, um den Seewolf zu benachrichtigen, winkte der Kutscher Mac Pellew und Jack Finnegan herbei.
„Los, packt mal mit an! Wir können Paddy nicht einfach auf dem Tisch liegen lassen. Am besten ist er jetzt in der Koje aufgehoben.“
Mit vereinten Kräften gelang es, den besinnungslosen Mann in die Koje zu verfrachten.
Jack Finnegan konnte die Frage, die im Raum schwebte, nicht länger unterdrücken.
„Verdammt, Kutscher, mach endlich das Maul auf!“ stieß er hervor. „Was ist mit Paddy? Wird er – ich meine, wird er alles gut überstehen? Du mußt wissen, mich verbindet eine ganze Menge mit ihm! Also, heraus mit der Sprache, ich will wissen, was los ist!“
Bevor der Kutscher antworten konnte, wurde das Schott geöffnet, und der Seewolf erschien. Auch auf seinem Gesicht lag eine stumme Frage. Die eisblauen Augen des über sechs Fuß großen Mannes blickten den Feldscher erwartungsvoll an.
Der Kutscher zuckte mit den Achseln.
„Nun“, begann er, „ich bin ein einfacher Mann, der nicht hinter die Kimm schauen kann. Deshalb kann ich auch noch nicht sagen, wie sich die Sache weiterentwickeln wird. Was die Kugel betrifft, hat Paddy Glück im Unglück gehabt. Herz und Lunge sind nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, und das ist im Augenblick das Wichtigste …“
„Na also!“ unterbrach ihn der hagere Jack Finnegan. „Das Ding ist raus, und morgen wird Paddy wieder mächtig auf die Pauke hauen!“
„Ganz so einfach ist das leider nicht“, fuhr der Kutscher fort und versetzte damit Jacks Optimismus einen Dämpfer. „Ein Steckschuß im Herz-Lungen-Bereich ist was anderes als ein Kaktusstachel im Achtersteven.“
„Aber verdammt, die Kugel ist doch raus!“ brüllte Jack.
„Das schon“, sagte der Kutscher, „aber es ist eine gefährliche Wunde da, die erst verheilen muß, bevor der gute Paddy Grammonts Schnapphähnen frische Beulen verpassen kann. Ob er wirklich alles gut überstehen wird, zeigt sich erst innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden, denn wir müssen damit rechnen, daß sich – wie fast immer in solchen Fällen – hohes Fieber einstellen wird. Wenn dieser kritische Punkt überstanden ist, ja, dann hat es Paddy endgültig geschafft.“
Jack Finnegan mußte bei dieser Auskunft ein äußerst unglückliches Gesicht gezogen haben, denn Hasard junior packte ihn am Handgelenk und schüttelte es kameradschaftlich.
„Keine Sorge, Mister Finnegan, Sir“, sagte er. „Paddy – ich meine natürlich Mister Rogers – hat die Natur eines Ochsen. Den wirft so schnell nichts um!“
Trotz der ernsten Lage konnten sich die Männer ein Lächeln nicht verkneifen.
„Der Bengel hat schon recht“, bemerkte der Kutscher. „Ich weiß zwar nicht, ob sich Paddy über den sinnigen Vergleich freuen würde, aber er hat eine eiserne Gesundheit, deshalb glaube ich auch, daß er es schaffen wird.“
Das klang zwar auch recht ermunternd, aber dennoch wollte keine rechte Freude über die gelungene Operation aufkommen.
„Vor allem braucht Paddy jetzt Ruhe“, sagte der Seewolf zum Kutscher gewandt. „Am besten, du teilst gleich einige Männer zur Krankenwache ein, damit immer jemand zur Stelle ist, wenn er zu fiebern beginnt.“
„Aye, aye, Sir!“ erwiderte der Kutscher. „Ich werde mich darum kümmern.“
„Ich melde mich freiwillig“, sagte Jack Finnegan.
„Und wir auch!“ rief Philip.
Und sein Zwillingsbruder bestätigte es mit einem eifrigen Kopfnikken.
Philip Hasard Killigrew hatte ein besorgtes Gesicht, als er die Kammer im Achterdeck verließ.
„Was ist los, Dan, kannst du etwas sehen?“ rief Ben Brighton, der Stellvertreter des Seewolfs, in den Großmars hinauf.
„Nein, leider nicht!“ rief Dan O’Flynn zurück. „Mir fallen schon bald die Klüsen aus dem Kopf, aber ich kann nicht mal einen Rockzipfel von unserem blonden Engelchen entdecken!“
Über das Gesicht Ben Brightons huschte ein Grinsen.
„Du sollst ja auch nicht nur nach dem Weiberrock Ausschau halten, sondern nach der ganzen Bande!“
„Tu ich ja, Sir!“ brüllte Dan O’Flynn zum Hauptdeck hinunter. „Aber da ist nichts! Ich glaube, die Galgenvögel sind hinter der Kimm runtergefallen!“
Eine solche Auskunft wollte bei Dan O’Flynn schon etwas heißen, denn er hatte die schärfsten Augen an Bord. Ben Brighton hatte deshalb keine große Hoffnung, als er sich zum Vormars wandte.
„Und wie sieht’s bei dir aus, Bill?“
Aber auch der hatte nichts zu vermelden.
„Merkwürdig“, sagte der Erste Offizier zu Edwin Carberry gewandt. „Es sieht aus, als habe sich die ganze Bande in Luft aufgelöst.“
„Das glaube ich nicht“, knurrte der bullige Profos. „Ein kariertes Bilgengespenst wie dieser do Velho wird nicht einfach zu einem Windhauch. Ho, bei einem solchen Furz würde sich sogar der Teufel die Nase zuhalten!“
„Jawohl“, bestätigte Old Donegal Daniel O’Flynn, „und seine Großmutter müßte die ganze Hölle auslüften!“ Der rauhbeinige Alte stampfte mit seinem Holzbein auf die Planken.
„Nun laßt mal den Teufel samt seiner Verwandtschaft in Frieden“, brummte Ben Brighton. „Vielleicht sind die Spitzel des spanischen Philipp auch still und leise abgesoffen!“
„Verdammt!“ stieß Edwin Carberry hervor. „Dann müßte Donegal mal mit den Wassermännern reden, damit sie den Burschen an meiner Stelle die Haut in Streifen von ihren Affenärschen abziehen!“
Ben Brighton zuckte nur mit den Achseln und entfernte sich in Richtung Achterdeck.
Lucio do Velho hatte von Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II. von Spanien, den Auftrag erhalten, von der Bretagne aus Störaktionen gegen englische Schiffe zu organisieren und zu finanzieren. Damit sollte die englische Flotte systematisch geschwächt und England zum beabsichtigten Umsturz vorbereitet werden. In Yves Grammont, dem schlagkräftigsten Führer der französischen Freibeuter, hatte er gegen gute Bezahlung einen willigen Helfer gefunden.
Als jedoch die Seewölfe auf der Insel Mordelles, die Concarneau vorgelagert ist, den Hauptschlupfwinkel der Piraten in die Luft gejagt hatten, war do Velho samt seinen mehr oder weniger vornehmen Begleitern, die teils dem spanischen Kriegsministerium und teils der „Casa de Contratación“ angehörten, in die Gefangenschaft der Engländer geraten. Dabei waren auch die bretonische Hafenhure Lucille und der Spitzel Albert, der sich oft mit einem falschen Bukkel zu tarnen pflegte, in die Hände der Seewölfe gefallen.
Aber durch die Raffinesse des „blonden Engelchens“, wie Lucille oft genannt wurde, hatten sich die spanischen Spione befreien können. Und bei dieser Gelegenheit war auch der verhängnisvolle Musketenschuß auf Paddy Rogers abgefeuert worden.
Aber auch auf seiten der Dons hatte es Verluste gegeben. Ignazio, eine Art Leibwächter do Velhos, und De Fambrin, ein Beamter der „Casa de Contratación“, waren von einer Höllenflasche der Seewölfe zerrissen worden.
Lucio do Velho jedoch war mit dem Rest seiner Begleitmannschaft, mit Bonano und Quintaval, die Flucht von der „Hornet“ gelungen. Gleich der kratzbürstigen Hafenhure Lucille waren die Dons einfach über Bord gesprungen und hatten sich später an einem treibenden Kielbalkenstück festgeklammert, mit dem sie sich der bretonischen Küste genähert hatten.
Sosehr sich die Männer in den Ausgucks der „Hornet“ und der „Fidelity“ auch die Augen aus dem Kopf schauten – die Gefangenen waren plötzlich spurlos verschwunden.
Der alte O’Flynn kratzte sich nachdenklich in den Bartstoppeln, dann warf er dem Profos einen wissenden Blick zu.
„Ich hab’s“, verkündete er stolz. „Die Rübenschweine sind weder ersoffen, noch haben sie sich in Luft aufgelöst …“
„So weit war ich mit meinen Überlegungen auch schon“, unterbrach ihn Ed Carberry bissig. „Du solltest mal einen Holy Stone nehmen und damit deine Kimm etwas aufpolieren!“
„Dann laß mich ausreden, du Ochse!“ giftete der Alte zurück. „Also – ersoffen sind sie nicht, und in Luft haben sie sich ebenfalls nicht aufgelöst …“
Der Profos verdrehte die Augen und blickte schicksalsergeben, wie ein frommer Pilger, gen Himmel.
Davon ließ sich Old Donegal jedoch nicht beirren.
„… aber dein buckliger Freund, dieser betupfte Rochen namens Albert, den sie drüben auf der ‚Fidelity‘ eingesperrt haben, der hat uns ordentlich die Hucke voll gelogen!“
Ed Carberry klappte die Augen wieder nach unten.
„Du meinst, er hat uns Märchen erzählt?“ fragte er.
„Genau das sag ich doch die ganze Zeit!“ Old O’Flynn hieb mit seiner Krükke gegen das Schanzkleid.
„Hm“, brummte Ed, „das ist natürlich auch eine Möglichkeit. Reeves sollte das Rübenschwein noch mal kräftig durch die Mangel drehen lassen!“ Er schob wieder einmal sein mächtiges Rammkinn vor wie meist, wenn es sehr viel zu denken gab.
Doch die Männer wurden durch den Seewolf in ihren Überlegungen unterbrochen.
Philip Hasard Killigrew erschien auf dem Achterdeck. Zahlreiche Augenpaare hefteten sich auf seine Lippen.
„Der Kutscher hat die Kugel rausgeholt“, berichtete er kurz. „Paddy hat großes Glück gehabt, denn weder Herz noch Lunge haben etwas abgekriegt. Es war ein reiner Steckschuß. Aber er wird wohl noch das Fieber, das sich in solchen Fällen meist einstellt, überstehen müssen. Paddys Schicksal wird sich in den nächsten vierundzwanzig Stunden entscheiden.“
Über den guten Teil der Nachricht zeigten sich die Seewölfe erfreut, der weniger gute Teil aber lag ihnen wie ein Siebzehnpfünder im Magen.
„Verflixt und zugenäht“, sagte der Profos mit Donnerstimme. „Da hat das Rübenschwein do Velho was Schönes angerichtet. Der Wikinger sollte den Kerl mit zum Nordpol nehmen und ihn dort mit seinem Affenarsch so lange aufs Eis setzen, bis ein spanischsprechender Schneemann aus ihm geworden ist!“
Damit hatte Edwin Carberry – in seiner derben, aber herzlichen Art – ein Urteil gesprochen, dem alle zustimmten. Und manch einer ergänzte die Sache gedanklich sogar um eine oder mehrere Besonderheiten, die selbst dem Profos nicht eingefallen wären.
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