Der Zukunft eine Zukunft geben

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Fabian Moos
Eine Spiritualität der sozialökologischen Umkehr
Ignatianische Impulse Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Stefan Hofmann SJ Band 91
Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.
Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.
Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.
Fabian Moos
Eine Spiritualität der sozialökologischen Umkehr


Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei unseren Büchern auf Folienverpackung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
© 2021 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
ISBN
978-3-429-05650-6
978-3-429-05168-6 (PDF)
978-3-429-06537-9 (ePub)
Inhalt
Einleitung
Spiritualität der Schöpfung
Spiritualität der Umkehr
Spiritualität der Unterscheidung
Exkurs: Die Perspektive der Transformation
Spiritualität des Engagements
Spiritualität der Hingabe
Spiritualität der Hoffnung
Schluss
Zur weiteren Vertiefung
Einleitung
Klima-Fachleute sind sich einig: Die Menschheit steht an einem Scheideweg. Entweder es gelingt in den unmittelbar nächsten Jahren eine grundlegende Transformation unserer Art und Weise, den Planeten Erde zu bewohnen, oder wir steuern auf eine humanitäre und biologische Katastrophe globalen Ausmaßes zu. Dabei sind wir bereits in einer allgemeinen Krisensituation, die eine extreme soziale Ungleichheit und eine wachsende Gefährdung der Demokratie einschließt. Die Herausforderung, vor der wir stehen, könnte kaum größer sein.
Immer mehr Menschen stellen sich angesichts dieser Situation spirituelle Fragen: Wie kann ich mit der Schwere der Krise persönlich umgehen? Wie kann ich mein Leben tatsächlich und ausreichend radikal ändern? Wie mich mit einer guten Haltung und ohne dabei kaputtzugehen für einen positiven Wandel einbringen? Wie mit den Frustrationen, den unlösbaren Konflikten und der um sich greifenden Hoffnungslosigkeit umgehen? Wo ist Gott in dem Ganzen? Um diese spirituellen Fragen soll es in diesem Buch gehen. Ein wesentlicher Punkt scheint mir dabei die Fähigkeit zu sein, freudig und kreativ an einer lebbaren Zukunft mitzubauen. Vor uns liegt ein überaus spannendes Kapitel der Menschheitsgeschichte! Papst Franziskus spricht davon in seinem Buch Wage zu träumen! (2020), in dem er dazu einlädt, die Chance tiefgreifender Veränderungen nach der Corona-Krise kreativ zu nutzen. Es entspricht auch meiner Erfahrung mit den vielen v.a. jungen Menschen, denen ich in der alternativen Business-Hochschule Campus de la Transition in Forges südlich von Paris begegne. Dort werden seit 2018 Studierende verschiedener Hochschulen sowie Menschen, die sich beruflich umorientieren, für die sozialökologische Transformation der Gesellschaft ausgebildet. Christinnen und Atheisten, Handwerker und Doktorinnen, Ingenieurinnen und Literaturstudenten, Konservative, Liberale und Linke begegnen sich dort, leben eine Zeit lang bei uns mit und kommen – hoffentlich – etwas ins Träumen. Die Welt von morgen wird bereits heute von ihnen erfunden. Ihnen sowie den vielen anderen, denen ich in zahlreichen Workshops, Vorträgen und Austauschgruppen zu dem Thema begegnet bin oder die ich ein Stück ihres Weges begleiten durfte, verdanke ich enorm viel. Sie sind eine wesentliche Inspirationsquelle für dieses Buch.
Doch die wichtigste Inspiration sind für mich die sog. Exerzitien (EB = Exerzitienbuch) von Ignatius von Loyola sowie die Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato Si’ (LS) von Papst Franziskus. Eine der prägendsten Erfahrungen meines Lebens war es, anhand der Exerzitien Jesus Christus, seinen Beziehungsstil und seine Botschaft ganz neu zu entdecken und so mein Leben mit Gott zu vertiefen. Man kann die Exerzitien (»geistliche Übungen«) als einen Umkehrprozess beschreiben, um sich von lebensschädlichen Haltungen zu lösen und sich neu auf den Gott des Lebens auszurichten. Laudato Si’ wiederum ist ein leidenschaftlicher Appell des Papstes, sich für die Erde, unser »gemeinsames Haus«, zu engagieren. Seit seinem Erscheinen 2015 begleitet mich dieser Text und ich entdecke immer wieder überraschende Seiten an ihm.
Im vorliegenden Buch nutze ich die Struktur der Exerzitien und kombiniere sie mit wichtigen Einsichten der Enzyklika und weiterer Texte des Papstes. Mein Grundgedanke ist, dass die verschiedenen »Phasen« des Exerzitienprozesses helfen können, wesentliche Aspekte einer »sozialökologischen Umkehr« zu verstehen, die den »Schrei der Erde« und den »Schrei der Armen« gleichermaßen hört und ernst nimmt. Ich richte mich primär an Leserinnen und Leser im deutschsprachigen Raum mit den bei uns spezifischen Bedingungen und Herausforderungen der Umkehr.
Nutzen Sie das Buch ganz so, wie es Ihnen hilfreich erscheint! Am Ende jedes Kapitels gibt es jeweils eine Reihe von Fragen und Übungen, die in die Tiefe führen wollen. Zögern Sie nicht, das Buch gemeinsam in einer Gruppe zu lesen und sich regelmäßig mit anderen über die Fragen und Übungen auszutauschen. Ein solcher Austausch wird meist als sehr hilfreich erlebt. Er ist auch bereits ein Teil der Antwort auf die gegenwärtige Krise, die uns herausfordert, »mit Netzen der Gemeinschaft« zu reagieren (LS 219). Sie finden außerdem verschiedene Literaturhinweise zur Vertiefung, v.a. aus Laudato Si’.
Ein Hinweis zur sprachlichen Form: Aus Gründen der Gendergerechtigkeit verwende ich hin und wieder eine feminine generische Form (»Expertinnen«), bei der alle Geschlechter mitgemeint sind.
Dieses Buch ist die Frucht eines vielfältigen Austausches mit anderen. Darum danke ich hier herzlich für die unschätzbar wertvollen Rückmeldungen auf mein Manuskript von Katharina, Jörg, Thomas, Moritz, Jonas, Arianna und Georg; danke auch an Sebastian, Claudia, Katharina, Garrett, Julien, Kathrin, Jacques und Gabriel für ihre Zeugnisse sowie an Willi und Stefan für die geduldige und fruchtbare redaktionelle Begleitung. Allen Aktivistinnen und Aktivisten, die mir Hoffnung und Lust machen, weiterzugehen: Vergelt’s Gott!
So bleibt mir nur noch, Ihnen ein offenes und großzügiges Herz und eine anregende Lektüre zu wünschen!
Spiritualität der Schöpfung
Das Leben ist ein Geschenk! In jedem Augenblick, bei jedem Atemzug empfangen wir uns neu. Die Hände, mit denen Sie gerade dieses Buch halten. Die Augen, mit denen Sie den Text lesen. Die Beine und die Sitzfläche. Den Atem, wie er kommt und geht.
Wir empfangen aber noch mehr: das Licht, das Ihnen das Lesen ermöglicht. Die Sitzgelegenheit, auf der Sie es sich bequem gemacht haben. Die Stille um Sie herum, aber auch die Nebengeräusche, die Ihnen zeigen, dass Sie nicht allein sind auf der Welt. Und schließlich das Buch selbst, das zu schreiben ich eine Weile gebraucht habe, an dem der Verlag weitergearbeitet hat, für das einige Bäume ihr Leben lassen mussten, das gedruckt, ausgeliefert und nun von Ihnen geöffnet wurde. Die kleinsten Bestandteile der Moleküle, aus denen dieses Buch besteht, waren schon kurz nach dem Urknall vorhanden. Sie liegen jetzt nur in einer anderen Zusammensetzung vor Ihnen. Der unglaublich riesige Rest der Materie ist irgendwo anders im gewaltigen Universum verstreut – oder in den Zellen, die Ihren eigenen Körper bilden. All dies – unser Leib, unsere menschlichen und nichtmenschlichen Beziehungen, die Erde, aus der wir gemacht sind, auf der wir uns tagaus, tagein bewegen und zu der wir eines Tages zurückkehren – und noch viel mehr ist uns geschenkt. Moment für Moment. Keiner von uns hat es »verdient«, es ist einfach da. Es geschieht als unaufhörlicher, komplexer Prozess, dessen Teil wir sind.
Der buddhistische Mönch und Schriftsteller Thich Nhat Hanh wiederholt oft die Aussage: »Das eigentliche Wunder ist, dass wir leben!« Er meint damit, dass wir die Wunder nicht in außergewöhnlichen Ereignissen suchen sollten, sondern im Bewusstsein, was uns hier und jetzt geschenkt ist. Das gilt auch für uns Christinnen und Christen. Wir glauben, dass dieses Geschenk des Lebens einen Geber, einen Ursprung hat: Gott. Er ist für uns mehr als ein »erster Beweger«, der das Universum ins Rollen gebracht und sich dann zurückgezogen hat – er schafft weiter, unaufhörlich, Augenblick um Augenblick. Er trägt die Welt durch seine liebende Gegenwart. Sofern ich das glaube – glaube ich es nur »mit dem Kopf« oder auch »mit dem Herzen« und »mit dem Leib«, d.h., sehe ich etwas davon in meinem eigenen Erleben der Schöpfung? In meinen Sinneswahrnehmungen und meinen inneren Reaktionen darauf, im Hören auf die Stimme der anderen Geschöpfe? Papst Franziskus schreibt: »Das Universum entfaltet sich in Gott, der es ganz und gar erfüllt. So liegt also Mystik in einem Blütenblatt, in einem Weg, im morgendlichen Tau, im Gesicht des Armen« (LS 223).
Am Beginn des Exerzitienprozesses legt Ignatius dar, dass der Sinn des menschlichen Lebens im Loben, Staunen (»Verehren«) und liebevollen Dienen liegt (vgl. EB 23). Das bezieht sich zunächst auf Gott. Doch wir wissen, dass die Gebote der Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe innig miteinander verbunden sind (vgl. Mk 12,29–31). Man kann noch weiter gehen und sagen: Es sind drei Dimensionen, die stets gemeinsam wachsen. Papst Franziskus nimmt als vierte Dimension auch die Schöpfungsliebe hinzu:
»Wenn … das Herz wirklich offen ist für eine universale Gemeinschaft, dann ist nichts und niemand aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen … Das Herz ist nur eines… Alles ist aufeinander bezogen, und alle Menschen sind als Brüder und Schwestern gemeinsam auf einer wunderbaren Pilgerschaft, miteinander verflochten durch die Liebe, die Gott für jedes seiner Geschöpfe hegt und die uns auch in zärtlicher Liebe mit ›Bruder Sonne‹, ›Schwester Mond‹, ›Bruder Fluss‹ und ›Mutter Erde‹ vereint« (LS 92).
Was kann uns helfen, diese wesentliche Erfüllung des Menschseins – Staunen, Loben, Dienen – in unserem Alltag zu entdecken und immer mehr »Fleisch werden« zu lassen? Ich meine, dass das ein zentraler Punkt ist. Man kann nur in dem Maße einen guten Umkehrprozess vollziehen, wie man »gut verwurzelt« ist, wie ein Baum, der einen festen Stand hat und dann getrost den Herausforderungen von Wind und Wetter trotzen kann.
Staunen: die Welt zu uns sprechen lassen
Um zu staunen, eine ehrfürchtige Haltung gegenüber etwas in der Wirklichkeit zu entwickeln, muss man zunächst da sein, im Hier und Jetzt. Franziskus schreibt:
»Wir sprechen von einer Haltung des Herzens, das alles mit gelassener Aufmerksamkeit erlebt; das versteht, jemandem gegenüber ganz da zu sein, ohne schon an das zu denken, was danach kommt; das sich jedem Moment widmet wie einem göttlichen Geschenk, das voll und ganz erlebt werden muss. Jesus lehrte uns diese Haltung, als er uns einlud, die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels zu betrachten, oder als er in der Gegenwart eines unruhigen Mannes diesen ansah und ihn liebte (vgl. Mk 10,21). Ja, er war jedem Menschen und jedem Geschöpf gegenüber ganz da, und so zeigte er uns einen Weg, die krankhafte Ängstlichkeit zu überwinden, die uns oberflächlich, aggressiv und zu hemmungslosen Konsumenten werden lässt« (LS 226).
Ich erinnere mich an eine Situation in meiner Studienzeit in Erlangen: In meinem letzten Studienjahr verbrachte ich viele Tage in der Bibliothek und lernte für die Abschlussprüfungen. Doch mit der Zeit wuchs ein Gefühl von Panik, weil mir bewusst wurde, dass ich niemals alles lesen und behalten konnte, was zu lernen war. Je länger die Lernzeiten pro Tag wurden, desto verspannter wurde ich und desto größer wurde die Panik. Was mir sehr geholfen hat, war, jeden Tag kurze Spaziergänge durch den Botanischen Garten zu machen und einfach zu schauen und wahrzunehmen. Wie viel gibt es in einem Garten im Frühling zu bestaunen! Ich konnte spüren, wie sich dabei die Verspannungen lösten. Die Angst war dadurch nicht weg, aber entmachtet, und ich konnte danach wieder klarer sehen, was wesentlich war.
Ganz in der Gegenwart zu sein ist sehr einfach, aber nicht unbedingt leicht. Es beginnt damit, die Aufmerksamkeit für eine gewisse Zeit bewusst auf die eigenen Körperempfindungen und Wahrnehmungen zu richten – ohne gleich darüber nachzudenken oder etwas zu bewerten. Gefühle und Gedanken dürfen sein, man kann sie freundlich annehmen und wieder ins Wahrnehmen zurückkehren. Später ist wieder Zeit zum Nachdenken über die Probleme in unserem Leben und in der Welt.
Obwohl wir leibliche Wesen sind, werden wir in unserer Kultur häufig nicht ermutigt, ganz in der Gegenwart zu sein. Zum einen sollen wir uns dem Multitasking widmen und so unsere Aufmerksamkeit auf viele Dinge auf einmal verteilen. Eine gelassene Aufmerksamkeit auf eine einzelne Sache, eine einzelne Person, die uns jetzt gegenübersteht, ist selten der Fall, wir sind es schlicht nicht gewohnt. Zum anderen wissen wir, wenn wir einmal im Hier und Jetzt angekommen sind, häufig nicht, wie wir mit der Gedankenflut aus dem Gestern und dem Morgen umgehen können. Aus der Vergangenheit kommt oft ein Gefühl von Ärger (über andere, über uns selbst, über die Welt) oder ein Schwelgen in schönen Erinnerungen. Die Zukunft drängt mit Angstgefühlen oder mit Tagträumen in unser Bewusstsein.
Im Jetzt aber ist Fülle. Angst, Ärger, Erinnerungen und Träume treten in den Hintergrund. Im Hier und Jetzt habe ich Zugang zu Gott, und zwar über meinen Leib, der »Tempel des Heiligen Geistes« ist (1 Kor 6,19). Gott ist dann kein Resultat meines Nachdenkens, sondern er zeigt sich. So wie sich mir die Wirklichkeit öffnet, wenn ich wahrnehmend dabei verweile.
Vielen hilft es, regelmäßig Sport, Achtsamkeitsübungen, Yoga oder Qi Gong zu machen, zu tanzen, zu wandern, zu singen – oder irgendeine andere Form von körperlicher oder handwerklicher Übung zu pflegen, die ins Hier und Jetzt holt. Menschliche Beziehungen, zweckfreie gemeinsam verbrachte Zeit und tiefe Begegnung, in denen man das miteinander teilt, was einen bewegt, sind ein weiterer Zugang in die Gegenwart Gottes. Wenn ich solchen Dingen Raum gebe, merke ich, wie die Welt mehr und mehr zu sprechen beginnt, wie ihr Zauber erwacht. Die Haltung der Ehrfurcht bei Ignatius, das Staunen, ist die Fähigkeit, bei diesem Zauber zu verweilen. Wage ich es, in meinem Alltag Zeiten für ein solches Verweilen freizuhalten, für ein »qualifiziertes Nichtstun« (Simon Peng-Keller) jenseits der Alternative von zielgerichteter Aktivität oder Schlaf?
Loben: das Gute und Schöne benennen
Wer da ist und staunt, hat womöglich das Bedürfnis, die Schönheit und Tiefe, die er oder sie erlebt, zu benennen und Gott dafür zu danken. Künstlerischer Ausdruck und Dankgebet liegen dabei eng zusammen. Sie sind Teil eines Beziehungsgeschehens zwischen uns, Gott und der Schöpfung. Das »Loben« feiert das Gute, Wahre und Schöne. Es ist wunderbar, dass diese Dinge da sind, doch es ist noch wunderbarer, dem Lob dafür Zeit und Raum zu geben.
Im Alten Testament sind beispielsweise die Dank-Psalmen Zeugnisse davon, wie die Gaben der Schöpfung gelobt und gefeiert werden, in teilweise überschwänglichen Bildern:
»Preise den HERRN, meine Seele! / HERR, mein Gott, wie überaus groß bist du! / … Du lässt Quellen sprudeln in Bäche, / sie eilen zwischen den Bergen dahin. / Sie tränken alle Tiere des Feldes, / die Wildesel stillen ihren Durst. / Darüber wohnen die Vögel des Himmels, / aus den Zweigen erklingt ihr Gesang. / Du tränkst die Berge aus deinen Kammern, / von der Frucht deiner Werke wird die Erde satt. / Du lässt Gras wachsen für das Vieh / und Pflanzen für den Ackerbau des Menschen, / damit er Brot gewinnt von der Erde / und Wein, der das Herz des Menschen erfreut, / damit er das Angesicht erglänzen lässt mit Öl / und Brot das Herz des Menschen stärkt« (Ps 104,1; 10–15).
Papst Franziskus lädt in seinem apostolischen Lehrschreiben Querida Amazonia (»geliebtes Amazonien«) dazu ein, sich in das Amazonas-Gebiet regelrecht zu verlieben! Der ganze Text steckt voller kürzerer und längerer Zitate aus Gedichten. Der Stil von Franziskus selbst hat etwas sehr Poetisches. In der Nr. 46 zitiert er den brasilianischen Dichter Vinicius de Moraes mit den Worten: »Nur die Poesie, mit der Bescheidenheit ihrer Stimme, wird diese Welt retten können.« Was für eine starke Aussage! Nur »kontemplative und prophetische Dichterinnen und Dichter« können die Schönheit und das Leiden der Schöpfung wirklich wahrnehmen. Und diese Art von Dichtkunst steckt in uns allen!
Worte, die Lob ausdrücken, können eine starke Kraft entfalten. So können wir in einen Dankespsalm oder ein Loblied einstimmen und davon erfüllt werden. Wir können aber auch selbst in Worten, Bildern oder Bewegung Dank und Lob ausdrücken. Aus der Betrachtung der Schönheit des Waldes oder des Meeres wächst ein »Danke!« hervor und womöglich noch viel mehr. Die eigene Kreativität kann eine Antwort auf das stille »Wort« der Kreation, der Schöpfung, sein.
Auch im mitmenschlichen Bereich macht es einen großen Unterschied, ob ich zu einer »Kultur des Lobes« beitrage oder nicht. Häufig haben wir den Blick stark auf die Unvollkommenheiten in der Welt, in anderen und in uns selbst gerichtet. Sich bewusst zu fragen, wofür man konkret loben kann, macht einen Riesenunterschied. Das habe ich als Lehrer in der Schule oft erlebt: Gerade Kinder und Jugendliche, die häufig schlecht bewertet werden, fangen dann an aufzublühen, wenn sie konsequent für positive Entwicklungen, und seien sie noch so gering, gelobt werden. Es ist eine Frage der Blickrichtung, diese Dinge zu sehen und zu benennen – denn sie sind ja da!
Das ist kein »Wegharmonisieren« der Probleme der Welt. Im Gegenteil sind das Danke-Sagen und das Loben Tugenden, die häufig gerade unter schwierigen Umständen heranreifen und Kraft gewinnen.
Dienen: für andere da sein
Ganz dasein, staunen, loben – all das hilft, sich tief in Gott zu verwurzeln. Doch wir haben neben dieser Gabe des Lebens auch eine Aufgabe. »Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt«, sagt Jesus (Joh 15,16). Wo wir frei und auf unsere eigene Weise etwas Bedeutsames tun, für andere, für die Welt, für Gott, dort geschieht ebenfalls Verwurzelung. Christlich sprechen wir von »Dienst«. Dienst im Geist des Evangeliums ist auf das Wohl des anderen ausgerichtet und zugleich sinnerfüllend für die freizügig Gebenden. Manche dürfen es in ihrem Beruf immer wieder erleben, dass sie Bedeutsames für andere tun. Für viele spielt sich das vor allem in Familie, Freundeskreis und Ehrenamt ab. Wo auch immer man etwas davon spüren mag – es geht nicht darum, großartige und weltbewegende Dinge zu tun. Die Frage ist schlicht: Hat diese Dimension des erfüllenden Dienstes in meinem Leben einen Raum?
Es gibt auch den Dienst gegenüber Gott – Gebet oder Meditation, das Leben der Sakramente und Gottesdienste im engeren Sinn. Bei all diesen Dingen schenke ich Gott Zeit, obwohl ich auch »Besseres zu tun« hätte. Doch diese geschenkte Zeit kann nach und nach ihre Frucht in mir entfalten. Denn wenn ich beispielsweise immer wieder mit den Geschichten der Bibel in Berührung komme – das ist die große Erzählung des Bundes zwischen Gott und den Erdenbewohnern –, können sie meinen Glauben und mein Leben prägen und inspirieren. Außerdem gibt es kein stärkeres Symbol für die besondere Rolle des Menschen in der Schöpfung als die Eucharistie: Wir bringen Gott die von Menschenhand weiterverarbeiteten Früchte der Erde (Brot, Wein) dar und lassen sie von ihm wandeln; wir empfangen daraufhin Ihn selbst und gehen verwandelt wieder in die Welt hinaus, um als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Gottes zu ihrer Transformation mitzuarbeiten. Das ganze Geschehen ist ein einziger gemeinschaftlicher Lobpreis, ob mit Liedern oder in Stille. Einige Theologen der frühen Kirche nannten den Menschen daher »das eucharistische Wesen«. Was den Menschen gegenüber den Tieren auszeichnet, ist demnach nicht primär die Vernunft, sondern die Fähigkeit, Danke zu sagen (»Eucharistie« heißt wörtlich »Danksagung«) und in einer Vermittlerposition zwischen Gott und der Materie an deren Transformation mitzuwirken. So wie das Getreide durch das Werk menschlicher Hände zu Brot wird, so sind wir eingeladen, in einen fruchtbaren Austausch mit den Gaben der Schöpfung zu treten. Wenn wir das auf verantwortungsvolle Weise tun, erfüllen wir unsere ureigenste Berufung!
Indifferenz: frei sein, um unterscheiden zu können
Zu einer christlichen Schöpfungsspiritualität gehört auch eine innere Freiheit gegenüber allen geschaffenen Dingen dieser Welt. Ignatius gibt für die Exerzitien den Hinweis, dass wir uns innerlich bewusst frei machen (und befreien lassen) sollen, wenn wir einen wirklichen Weg der Umkehr zum Leben gehen wollen. Er nennt diese Haltung »Indifferenz« oder auch »Freiheit des Geistes«. Es geht darum, grundsätzlich bereit zu sein, auch Dinge loszulassen, die an sich gut sind (Reichtum, Ehre, Gesundheit, ein langes Leben …), und zwar dann, wenn die Ausrichtung darauf uns auf dem Weg zu Gott hinderlich ist. Das Ziel ist, immer stärker mit Gott verbunden zu leben. An manche Dinge haben wir uns schlicht gewöhnt, sie sind Bedürfnisse geworden; und doch könnten wir freier und erfüllter leben, wenn wir diese Bedürfnisse mit der Zeit abbauen würden. Das kann man nicht »machen«, man kann aber bereit sein, sich auf einen solchen Weg einzulassen. Gibt es Dinge in Ihrem Leben, bei denen Sie spüren, dass Sie freier wären, wenn Sie sie loslassen würden?
Wenn wir gut verwurzelt sind, können wir uns innerlich freier einlassen (Ignatius würde sagen: uns »indifferent« machen). Wenn uns bewusst ist, dass uns das Wesentliche geschenkt wird, können wir uns für die Möglichkeit öffnen, einige unwesentliche Dinge bleiben zu lassen.
Eine Spurensuche
Ich möchte Sie einladen, nach den Spuren der drei Haltungen (Staunen, Loben, Dienen) sowie nach der inneren Freiheit (»Indifferenz«) in Ihrem Leben zu suchen – wann und wo sind sie vorhanden? Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Zur Vertiefung empfehle ich das 6. Kapitel von Laudato Si’: »Ökologische Erziehung und Spiritualität«.