Seewölfe - Piraten der Weltmeere 639

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Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-053-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Jan J. Moreno
Eine einzige Breitseite bedeutet das Ende der „Isabella“
Der Konvoi segelte in Kiellinie. Trotzdem wirkte Old Donegal Daniel O’Flynn unzufrieden, als er achteraus blickte.
„Dreizehn Schiffe mit unseren drei Seglern“, maulte er. „Das ist keine gute Zahl. Meine Erfahrung rät mir, das Verschwinden der ‚Nobleza‘ nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.“
Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, grinste. „Was stört dich denn an der Dreizehn, Mister O’Flynn?“ fragte er.
„Alles“, sagte der Alte störrisch. „Wir haben einen dieser Goldkähne verloren, und das stinkt mir. Irgend etwas braut sich zusammen. Schwarze Wolken ziehen hinter der Kimm auf.“
Unwillkürlich hob Tucker den Blick. Aber nur einige Schönwetterwolken trieben langsam in großer Höhe dahin.
Old Donegal nickte wichtig, als wisse er genau, daß sehr bald Entscheidendes geschehen würde.
Tatsächlich hallte gleich darauf ein lauter Ruf über Deck: „Segel an Steuerbord! Da hält ein ziemlicher Brocken auf uns zu!“
Die Hauptpersonen des Romans:
César Garcia – ist Kommandant der spanischen Kriegsgaleone „Aguila“ und bezeichnet die schwarzen Sklaven an Bord als „Affen“.
Dogon – als Sklave hat er nur ein Ziel: die Freiheit. Und für sie kämpft er mit allen Mitteln – auch denen der Geiselnahme.
Jean Ribault – wird gezwungen, eine Sklavenfracht an Bord der „Isabella“ zu nehmen, um sie nach Cádiz zu bringen.
Edwin Carberry – hängt drei Schwarze an die Rah, hat sich aber einen Trick ausgedacht, um sie am Leben zu erhalten.
Batuti – zeigt für seine schwarzen Brüder ein Maß an Geduld, das ihn selbst in des Teufels Küche bringt.
Philip Hasard Killigrew – um „seinen“ Konvoi nicht zu gefährden, muß er sich auf ein teuflisches Spiel einlassen.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1.
„Ein Spektiv!“ brüllte Old O’Flynn. „Verdammt, hat denn keiner einen Kieker bei der Hand?“
Intensiv rieb er seine Nase. Wenn die juckte, war das ein untrügliches Zeichen für bevorstehende Aufregungen. Das gab er auch prompt dem Schiffszimmermann zu verstehen.
Ferris Tucker musterte den Alten aus zusammengekniffenen Augen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Horizont zuwandte.
„Du wirst dir einen Schnupfen eingefangen haben“, sagte er. „Das ist alles.“
Old Donegal stampfte mit seiner Beinprothese auf. „Hältst du mich für blöd?“ fragte er.
„Nein!“
„Das will ich dir auch geraten haben, du Holzwurm.“
Die Schebecke der Seewölfe lief an der Spitze des noch zehn Schatzschiffe zählenden spanischen Konvois. Die ranke „Isabella“ unter dem Kommando von Jean Ribault segelte achterlich in Luv, und die „Wappen von Kolberg“ bildete momentan den Schluß des auf Nordkurs liegenden Geleitzugs.
Nacheinander erschienen auch die Männer der Freiwache auf der Kuhl. Das Gebrüll hatte sie herbeigelockt.
„Könnte ein Portugiese sein“, meinten die Zwillinge Hasard und Philip junior wie aus einem Mund. „Möglicherweise auch ein Spanier.“
„Und wenn’s die Königin von Saba wäre“, sagte Old Donegal geringschätzig. „Die sollen in den Wind schießen!“
Den Gefallen tat ihm die Mannschaft des fremden Schiffes allerdings nicht. Unbeirrbar lag es weiterhin auf Kurs und näherte sich dem Geleitzug.
Vom achteren Grätingsdeck aus beobachtete Hasard. Bei einer Distanz von knapp eineinhalb Seemeilen erkannte er die spanische Flagge. Der Segler war schnell, eine Viermast-Galeone mit entsprechend viel Tuch an den Rahen.
„Klar Schiff zum Gefecht!“ befahl der Seewolf als reine Vorsichtsmaßnahme.
Der Spanier würde kaum vermeintliche Landsleute angreifen. Andererseits bestand die Gefahr, daß nicht nur Capitán Alvarez Santillan von der „Nobleza“ auf eine günstige Gelegenheit gewartet hatte, sein Mißtrauen kundzutun. Jede Begegnung in diesen Gewässern barg ein gewisses Risiko.
„Steuerbordculverinen sind klar zum Ausrennen“, meldete Al Conroy.
Die Viermastgaleone näherte sich mit schäumender Bugwelle. Drüben wurde jetzt Ruder gelegt. Damit ging das Schiff endgültig auf Kollisionskurs mit der Schebecke der Arwenacks.
„Die wissen wohl nicht, mit wem sie sich anlegen“, sagte Edwin Carberry grollend.
„Gott sei Dank wissen sie es nicht“, antwortete Ben Brighton, der Erste Offizier.
„Abfallen, Sir?“ fragte Jan Ranse an der Pinne.
„Nein!“
Höchstens noch siebenhundert Yards betrug die Distanz zwischen beiden Schiffen. Die Galeone rauschte heran, als wolle sie die Schebecke untermangeln.
Daß Hasard immer noch schwieg, war ungewöhnlich. Aufmerksam blickte er durchs Spektiv und schien alles andere um sich her vergessen zu haben.
„Soll ich einen Warnschuß vor den Bug setzen?“ fragte Al Conroy.
„Nein!“ Die Stimme des Seewolfs klang unwirsch. „Wir vermeiden jede Provokation, die dazu führen könnte, unsere Beute zu schmälern. Mit ein bißchen Geschick werden wir die aufdringlichen Burschen hoffentlich schnell wieder los.“
„‚Aguila‘ heißt das Schiff“, sagte Ben Brighton.
Selbst der Kutscher hatte seine Kombüse verlassen und stand an Deck. Er fand prompt Gelegenheit, mit seinen Kenntnissen der lateinischen Sprache zu glänzen.
„Nomen est Omen“, sagte er. „Behaupte einer, daß die Galeone nicht an einen ‚Adler‘ erinnert, der auf seine Beute niederstößt.“
Geschützdonner hallte über die See. Aber nicht auf dem Viermaster war eins der schweren Stücke abgefeuert worden, sondern auf einem Schiff des Konvois.
„Sind die Dons total übergeschnappt?“ Wütend fuhr Hasard herum und visierte die Linie der Schatzschiffe an, die aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur hintereinander segelten. Das heißt, bislang hatten sie die Kiellinie eingehalten, doch nun scherte eine der Galeonen nach Steuerbord aus.
„Das ist die ‚Salvador‘“, sagte der Erste neben Hasard.
„Ausgerechnet Don Ricardo.“ Hasard schob das Spektiv zusammen. Was es zu sehen gab, konnte er inzwischen ebensogut mit dem unbewaffneten Auge erkennen. Daß der Generalkapitän früher oder später Ärger verursachen würde, hatte auf der Hand gelegen. Don Ricardo de Mauro y Avila war alles andere als ein besonders umgänglicher Mensch.
Eine zweite Culverine auf der Back der „Salvador“ wurde abgefeuert. Pulverdampf wölkte auf. Nun war aber auch zu erkennen, daß es sich um eine blinde Ladung gehandelt hatte.
„Don Ricardo schießt Salut“, sagte Al Conroy. „Was bezweckt er damit?“
„Ich weiß so viel oder so wenig wie ihr alle.“ Philip Hasard Killigrew zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken. „Möglich, daß er hofft, die Offiziere der ‚Aguila‘ würden auf uns aufmerksam werden.“
„Er hat sich nicht verrechnet.“ Ben Brighton deutete zu dem Viermaster, der keine fünfzig Yards entfernt in den Wind drehte. Das vorübergehende Killen der Segel war auf der Schebecke noch zu vernehmen.
„Don Ricardo erhält also Unterstützung.“ Hasard fixierte die Decks der „Aguila“, als könne er schon dadurch drohendes Unheil abwenden. Er fragte sich, was die nächsten Stunden bringen würden. Aber selbst wenn das Mißtrauen des Generalkapitäns weitere Blüten schlug – den Geschützen der Viermastgaleone waren die Schebecke, die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ gemeinsam immer noch überlegen. Die zehn tiefliegenden Schatzgaleonen bedeuteten bei einem möglichen Gefecht nur eine geringe Gefahr.
Auf dem Achterdeck der „Aguila“ winkte jemand. Mit auslaufender Fahrt krängte das Schiff leicht nach Steuerbord und driftete weiter auf den Konvoi zu. Einen Moment kämpfte der Seewolf mit sich selbst, ob er ebenfalls Befehl zum Beidrehen geben sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Vielleicht kannten sich Don Ricardo und der Kapitän des Viermasters. Ein Versuch, das Rad des Schicksals aufzuhalten, indem er in die Speichen griff, war in dem Fall von vornherein zum Scheitern verurteilt.
„Wir haben Befehl, die Schatzschiffe so schnell wie möglich nach Irland zu geleiten“, sagte Hasard grinsend. „Falls Don Ricardo querschießt, wird er einen noch überlaunigeren, rechthaberischen und mürrischen Capitán erleben, als er selbst ist, nämlich einen Don Julio de Vilches, wie er ihn bislang nicht kennt.“
Die Arwenacks lachten. Kurz darauf verschwanden die Männer der Freiwache wieder unter Deck, und die anderen gingen ihren unterbrochenen Arbeiten nach.
Die „Isabella IX.“ war ein schönes und schnelles Schiff. Daß Don Ricardo de Mauro y Avila sie von Anfang an als „sonderbar“ bezeichnete, bewies nur sein Unverständnis.
Hesekiel Ramsgate, der Schiffsbaumeister, von dem sowohl die „Isabella VIII.“ der Seewölfe als auch die „Isabella IX.“ konstruiert und erbaut worden war, hatte sich dabei selbst übertroffen. Die Dreimastgaleone, vor über fünf Jahren in Plymouth vom Stapel gelaufen, wirkte mit ihrer Breite von zehn Yards bei 52 Yards Länge überaus schlank.
Sie war schwer genug bestückt, um es selbst mit einem solchen Brocken wie der „Aguila“ aufnehmen zu können. Drei 25-Pfünder standen auf jeder Seite des Quarterdecks, auf dem Deck darunter jeweils drei 17-Pfünder und auf der Kuhl insgesamt acht 25-Pfünder. Unter der Back befanden sich drei weitere 17-Pfünder je Seite. Damit nicht genug, waren auf Back und Kuhl jeweils zwei Drehbassen montiert.
Jean Ribault, der schon unter dem Kommando des Seewolfs gesegelt war, fühlte sich an Bord dieses Schiffes durchaus wohl. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, mußte er eingestehen, daß er die „Le Vengeur“ nicht vermißte. Seiner Crew erging es nicht anders.
Roger Lutz, ein schwarzhaariger Franzose aus Calais, stand am Ruder, als auf der „Salvador“ die beiden Pulverladungen gezündet wurden. Eine Besonderheit der „Isabella“ war, daß es keinen Kolderstock mehr gab, sondern ein Steuerrad, mit dem sich das Schiff hervorragend manövrieren und segeln ließ.
Schon beim ersten Ruf aus dem Mars hatte Jean Ribault die Geschütze gefechtsklar machen lassen. Als der Viermaster in den Wind drehte, gab er Befehl, näher heranzugehen. Zu seiner Überraschung segelte die Schebecke des Seewolfs weiter auf Nordkurs.
Roger Lutz legte das Ruder einen halben Strich nach Backbord und ließ damit die „Isabella“ weiter aufschließen. Wem das nicht auffiel, der mußte schon stockbesoffen sein.
Auf der „Salvador“, dem Flaggschiff des Konvois, wurden die Segel ins Gei gehängt. Don Ricardo de Mauro y Avila signalisierte den anderen Einheiten, daß sie ebenfalls stoppen sollten.
„Der Generalkapitän nimmt sich viel heraus“, schimpfte Ribault. „Immerhin ist das Kommando seit Santa Cruz de Tenerife an Hasard übergegangen.“
„Wer weiß“, sagte Roger Lutz und fuhr sich bedeutungsvoll mit der Zunge über die Lippen, „vielleicht sind Frauen an Bord der Galeone.“
Ribault seufzte ergeben. „Auf den Tag, an dem du dich ändern wirst, warte ich vermutlich vergebens.“
Roger Lutz nickte eifrig. „Es gibt nichts Schöneres als schöne Frauen.“
„Ein gutes Schiff zum Beispiel.“ Ribaults Versuch, den Rudergänger auf andere Gedanken zu bringen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Roger Lutz grinste nämlich überaus anzüglich.
„Kannst du ein Schiff in den Arm nehmen?“ fragte er. „Oder hast du schon mal versucht, die Galionsfigur zu küssen? Ein Weib aus Holz, selbst wenn es sich um das Abbild der Isabella von Kastilien handelt, ist eben kalt und unnahbar. Ich erinnere mich da an meinen letzten Landgang in Calais …“ Daß Ribault heftig abwinkte, sah er schon nicht mehr, oder er wollte es zumindest nicht sehen, denn er widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Viermaster. „Ma chérie Yvonne war ein Weib, sage ich dir, wegen so einer könntest du glatt die Segel streichen und zur Landratte werden. Ein Temperament hatte die, dagegen war der schlimmste Sturm nur ein laues Lüftchen.“
Die Schwärmereien von Roger Lutz waren ein offenes Geheimnis. Auch daß er mit seinen Liebschaften prahlte wie andere mit ihrer Trinkfestigkeit. Jean Ribault hatte ihm deshalb auch nur mit halbem Ohr zugehört und zugleich die „Aguila“ nicht aus den Augen gelassen. Neben dem Ruderhaus, hinter dem Besanmast, hatte er einen guten Standort.
Seit Tagen segelte der Verband der Schatzschiffe unter Führung der Seewölfe auf Nordkurs – von gelegentlich erforderlichen Kreuzschlägen einmal abgesehen. Im Augenblick lagen die Schiffe ungefähr auf der Höhe Madeiras, allerdings außer Sichtweite, um bei den Dons, die seit 1580 die Insel in ihrem Besitz hatten, keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Auch die kleineren Eilande Desertas, Ilhas und später Porto Santo würden unter der Kimm verborgen bleiben. Daß trotz aller Vorsicht Überraschungen nie auszuschließen waren, bewies die Begegnung mit der schwer armierten Kriegsgaleone.
Auf der „Aguila“ herrschte Drill. In Windeseile wurde dort eine Jolle abgefiert. Die Olivenfresser verloren wahrlich keine Zeit.
„Der Kapitän will zur ‚Salvador‘ übersetzen“, sagte Roger Lutz überflüssigerweise. Jean quittierte die Bemerkung mit einem inbrünstigen „Merde“, was dem Rudergänger ein anzügliches Grinsen entlockte.
„Weißt du, was Yvonne darauf geantwortet hätte?“ fragte er.
„Nein!“ fauchte Jean, „und ich will es auch nicht wissen.“
„Yvonne war ein Rasseweib – eine Königin in der Liebe, aber in ihrer Ausdrucksweise schlimmer als ein …“
„Ruder ein Strich Steuerbord!“ befahl Jean Ribault.
Vorübergehend vergaß Lutz seine Eroberung in Calais.
„Geit auf Fock und Großsegel!“ rief Jean über Deck.
Die „Aguila“, bis eben noch über den Bugspriet anzupeilen, wanderte scheinbar nach Backbord aus. Zugleich verlor die „Isabella“ an Fahrt. Flinke Hände tuchten Mars- und Bramsegel auf, das Besansegel wurde eingeholt. Nur noch das Besanmarssegel entwickelte einen leichten Vortrieb, gerade so viel, daß die herrschende Gegenströmung kompensiert und eine weitere vorsichtige Annäherung an das Kriegsschiff erreicht wurde.
Die Jolle war mittlerweile mit vier Rudergasten und dem Kapitän bemannt, einem kleinwüchsigen, grauhaarigen und verhärmt wirkenden Mann Ende Vierzig. So jedenfalls schätzte Jean Ribault ihn durchs Spektiv ein, und er hatte sich in der Beziehung selten getäuscht. Heftig gestikulierend, redete der Spanier auf seine Leute ein, die sich mit aller Kraft in die Riemen legten.
„Wenn zwei Fieslinge zusammentreffen, gibt das stets kabbeliges Wasser“, murmelte Jean.
Roger Lutz verzog die Mundwinkel zu einem gekünstelt wirkenden Grinsen.
„Du scheinst keinen guten Eindruck gewonnen zu haben“, sagte er. „Wie schätzt du den Capitán ein?“
Ribault schlug das Spektiv mehrmals in die linke Handfläche, bevor er es jäh zusammenschob und in das lederne Futteral gleiten ließ.
„Selbst einen spanischen Offizier sollte man nicht nach dem ersten Augenschein beurteilen“, erwiderte er zögernd. „Trotzdem denke ich, daß wir mit dem Mann Ärger kriegen.“
„Hasard scheint der gleichen Meinung zu sein.“ Roger Lutz deutete zu der Schebecke, die hart am Wind heransegelte.
Philip Hasard Killigrew stand an der Querbalustrade des Achterdecks und ließ seinen Blick langsam über die Schatzschiffe wandern. Bis England war noch ein weiter Weg, der zudem an Portugal und der spanischen Küste vorbeiführte. Viel konnte in den nächsten Tagen geschehen.
Die Flucht der „Nobleza“ bei Nacht und Nebel bedeutete zwar keinen so schweren Verlust, daß er die Galeone und ihre Ladung nicht hätte verschmerzen können. Die Gefahr bestand aber darin, daß Capitán Alvarez Santillan möglicherweise frühzeitig Gelegenheit fand, spanische Kriegsschiffe zu alarmieren, und sei es nur, um dem angeblichen Don Julio de Vilches auf den Zahn zu fühlen. Unter diesen Umständen mußte der Begegnung mit der „Aguila“ doppelte Bedeutung zugemessen werden.
Generalkapitän Don Ricardo de Mauro y Avila hatte den Konvoi der elf Schatzschiffe über den Atlantik geführt. Er hatte erwartet, in Santa Cruz die stark armierte Kriegsgaleone „Casco de la Cruz“ unter Don Julio de Vilches vorzufinden. Statt dessen war er mit drei sonderbaren Schiffen konfrontiert worden.
Hasard, der sich als de Vilches ausgab, hatte lange gebraucht, um ihn zu überzeugen, und noch länger, um ihm zu verklaren, daß die Schatzschiffe nicht nach Spanien, sondern zum befreundeten Irland segeln sollten – aus Gründen, die einer unverständlichen Geheimhaltung wegen keinesfalls einleuchten wollten.
Don Ricardos Mißtrauen war seitdem nicht eingeschlafen.
„Dieser miese Bursche überschreitet seine Befugnisse“, sagte Ben Brighton zu Hasard. „Wenn du ihm das durchgehen läßt, wird er es immer wieder versuchen. Dann helfen uns weder gefälschte Papiere noch fromme Worte weiter.“
Hasard atmete tief durch, seine Finger schlossen sich um den Handlauf der Balustrade. Obwohl ein sorgenvoller Zug um seine Mundwinkel lag, lächelten die eisblauen Augen, als er antwortete.
„Wir mußten von Anfang an damit rechnen, daß der Generalkapitän nicht bis zum Ende mitspielt. Andererseits glaube ich nicht, daß er sich inzwischen dazu durchgerungen hat, meinen Befehlen zu widersprechen. Solange Spanien noch querab liegt, dürfte es die geringsten Schwierigkeiten geben.“
Natürlich war den Arwenacks nicht verborgen geblieben, daß eine Jolle von der Viermastgaleone zur „Salvador“ übersetzte. Der Seewolf und seine Mannschaft zogen durchaus die richtigen Schlüsse, und sie freuten sich schon darauf, dem übellaunigen Don Ricardo eine Lektion zu erteilen, nach der seine Laune vermutlich noch mieser sein würde.
Nach einer rasch ausgeführten Wende segelte die Schebecke hart am Wind nach Südosten, ging auf den Steuerbordbug und näherte sich mit beachtlicher Fahrt dem Flaggschiff und der „Aguila“.
Hasard erteilte seine Kommandos mit absoluter Präzision. Mit unverminderter Fahrt, aber inzwischen nahezu wieder mit achterlichem Wind und mit rauschender Bugwelle, hielt die Schebecke genau zwischen die beiden nahe beieinanderliegenden Galeonen.
Eine falsche Reaktion des Rudergängers mußte unweigerlich zur Kollision führen. Doch Pete Ballie, der ehemalige Gefechtsrudergänger unter Francis Drake, stand an der Pinne. Ihn konnte so leicht nichts erschüttern.
Bei den Spaniern breitete sich Aufregung aus. Kuhl und Back des Kriegsschiffs glichen plötzlich einem wimmelnden Ameisenhaufen. Aber niemand schien zu wissen, wie er sich verhalten sollte.
„Die haben die Hosen schon jetzt gestrichen voll.“ Edwin Carberry lachte schallend und schlug die Hände zusammen, daß es wie ein Kanonenschuß dröhnte.
Hasard wartete wirklich bis zum allerletzten Moment, bevor er Besan- und Großsegel wegnehmen ließ. Das war, als Pete Ballie die Schebecke haargenau vor den Wind brachte.
Knapp zwanzig Yards trennten die „Salvador“ und den Viermaster. In diese Lücke schoben sich die Arwenacks – so nahe am Flaggschiff, daß dort nur noch entsetzte Gesichter zu sehen waren. Jeder glaubte wohl schon, das Krachen und Splittern von Rüsten und Berghölzern zu hören.
In Windeseile wurde die Fock aufgegeit. Mit auslaufender Fahrt, aber immer noch schnell genug, um die „Salvador“ in den Grund zu bohren, glitt die Schebecke längsseits. Enterhaken verfingen sich in den Wanten der Galeone und stoppten den Dreimaster der Seewölfe endgültig.
Gerade zwei Handspannen Platz blieben zwischen den Rüsteisen des Flaggschiffs und dem Rumpf der Schebecke. Außer einigen gerissenen Webeleinen gab es keinen Schaden.
Gemessenen Schrittes trat Hasard an die Backbordverschanzung. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, er wirkte hart und unnachgiebig.
„Wer hat den Befehl erteilt, den Konvoi zu stoppen?“ fragte er gefährlich leise.
„Don Ricardo“, erwiderte ein Decksmann.
„Hol ihn her!“
Der Mann wand sich wie ein Aal auf dem Trockenen. „Ich kann nicht, Señor. Der Generalkapitän hat ausdrücklich befohlen, nicht gestört …“
„Weißt du, wer ich bin? Also vorwärts, Kerl, oder ich ziehe dir die Hammelbeine lang!“
Der Spanier wurde blaß. Sein abermaliger Versuch, den Befehl zu verweigern, wirkte hilflos.
„Don Ricardo läßt jeden an die Rah hängen, der es wagt, ihn zu stören“, stotterte er.
„Hat er das gesagt?“
„Si, Señor Comandante.“ Der Decksmann ließ seiner Aussage ein heftiges Nicken folgen. Er war froh darüber, daß ihn der vermeintliche Julio de Vilches nicht schärfer anpackte.
Hasard fixierte den Mann. „Du hast die Wahl. Entweder du schaffst Don Ricardo herbei, oder ich lasse dich auf der Stelle kielholen. Hat noch immer keiner von euch kleingläubigen Gemütern begriffen, mit welchen Vollmachten mich Seine Allerkatholischste Majestät ausgestattet hat?“
Der Spanier beeilte sich plötzlich, so schnell wie diesmal war er vermutlich noch nie den Steuerbordniedergang hinuntergesaust. Hasard verlor ihn gleich darauf aus den Augen, war aber sicher, daß der Bursche alles daransetzen würde, Don Ricardo herbeizuholen. Die Drohung des Kielholens hatte wahre Wunder gewirkt. Dagegen war das An-die-Rah-hängen das kleinere Übel.
Von der Bauweise her war die „Salvador“ höher als das Schiff der Arwenacks. Da sie jedoch schwer geladen hatte, lagen ihre Aufbauten ungefähr gleichauf mit dem Achterdeck der Schebecke.
Hasard verzichtete deshalb darauf, sich in gewohnter Weise an Bord der Galeone zu schwingen, sondern ließ die Stelling ausbringen und schritt, seiner angeblichen Position entsprechend, würdevoll über den Laufsteg.
Don Ricardo de Mauro y Avila trat ihm Augenblicke später entgegen. Hinter dem Generalkapitän folgte ein kleiner, grauhaariger Mann, dessen mürrischer Gesichtsausdruck von vornherein das Schlimmste erwarten ließ. Wahrscheinlich war er darauf angewiesen, seine geringe Körpergröße von nur fünf Fuß durch Führungsstärke und herrisches Auftreten auszugleichen. In der Beziehung stand er dem Generalkapitän bestimmt nicht nach.
Don Ricardo deutete auf die Schebecke.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte er. „Selbst Sie haben nicht das Recht, meine eigene Besatzung zur Meuterei anzustiften.“ Die Bartschatten ließen sein ohnehin hageres Gesicht kantig erscheinen, die Oberlippe mit der Hasenscharte bebte leicht. Unruhig wanderte sein Blick hin und her, zumal er geflissentlich vermied, Hasard direkt anzusehen.
Hasards Rechte ruhte auf dem Degengriff.
„Mir ist unverständlich, Don Ricardo, daß ausgerechnet Sie von Meuterei reden, nur weil ich Sie durch einen Ihrer Decksleute holen ließ. Eher könnte ich Sie anklagen und vor ein Bordgericht stellen. Hatte ich nicht befohlen, unter allen Segeln und ohne jeden Aufenthalt Nordkurs zu steuern?“
„Die kleine Unterbrechung ist unbedeutend.“
Hasard vollführte eine umfassende Handbewegung. „Der Konvoi läuft so gut wie keine Fahrt über Grund und driftet bestenfalls mit der Strömung“, sagte er ungehalten. „Kaperer hätten unter diesen Umständen ein leichtes Spiel.“
„Die ‚Aguila‘ ist ein Kriegsschiff, auf dem selbst der Schiffsjunge sein Handwerk versteht.“ Don Ricardo dachte gar nicht daran, seine Eigenmächtigkeit zu bedauern. Er deutete lediglich eine Verbeugung in Richtung des Grauhaarigen an, der den Disput schweigend verfolgt hatte. „Darf ich Ihnen Capitán César Garcia vorstellen, Don Julio? Der Capitán hat schon gegen den englischen Bastard Drake gekämpft und sämtliche Küsten der Neuen Welt abgesegelt.“