Seewölfe - Piraten der Weltmeere 623

- -
- 100%
- +

Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-037-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Jan J. Moreno
Sie ist eine Weiße – aber sie lebt bei den Indianern
Drückende Mittagshitze lastete auf dem Land. Atkinson Grey wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und fluchte leise. Die Muskete hielt er mit glimmender Lunte schußbereit, obwohl sich seit Stunden keine Rothaut mehr hatte blicken lassen.
„Es ist verrückt, in der Hitze zu marschieren“, maulte Randolf Gordon. „Was haben wir bloß davon?“
„Gold“, erwiderte Grey grinsend. „Über kurz oder lang werden wir Reichtümer besitzen, um die uns alle Welt …“ Er brach ab. Hinter einer Gruppe von Büschen, keine zwanzig Yards entfernt, war ein deutliches Rascheln erklungen.
Grey feuerte, als er eine schemenhafte Bewegung sah.
Ein schwerer Körper fiel. Trotz seiner Fülle war Frank Rosebery als erster bei den Büschen. Er ließ den zum Schlag erhobenen Cutlass sinken und begann heiser zu lachen.
„Ein Indianer ist das nicht“, stieß er hervor.
Mit einem blitzsauberen Blattschuß hatte Atkinson Grey ein Reh erlegt …
Die Hauptpersonen des Romans:
Goldene Wolke – die junge Squaw steht zwischen den Fronten, denn sie ist eine Weiße.
Springender Hirsch – der Häuptling hält die Puppe von Goldene Wolke für böse Medizin und will die Stoffgestalt zerstören.
Atkinson Grey – auf seinem letzten Gang zum Galgen ist er betrunken.
Jameson Kidd – stirbt an einem indianischen Steinbeil, das ihm den Tod am Galgen erspart.
Batuti – der Gambiamann muß sich von seinen Gefährten allerlei anhören, weil er sich für eine Indianerin interessiert.
Philip Hasard Killigrew – beruft ein Bordgericht ein, das sechs Todesurteile ausspricht.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1.
Die Schebecke der Seewölfe lief trotz des auffrischenden Seewinds dicht unter Land. Um die Sichtweite der ebenfalls auf Nordkurs liegenden schwerfälligen Galeone zu bleiben, hatte Hasard das Großsegel verkürzen lassen.
„Davenport und seine Spießgesellen werden nicht so verrückt sein, ausgerechnet an der Küste entlangzumarschieren“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Die Galgenvögel sind längst über alle Berge.“
Hasard ließ das Spektiv sinken und wandte sich seinem Schwiegervater zu, der mit seiner Beinprothese beschwörend dreimal auf die Decksplanken klopfte.
„Ich habe das Gefühl, daß wir mit den Marodeuren noch einigen Ärger kriegen“, sagte der Seewolf.
„Die Halunken bringen kaum den Mut auf, sich noch mal im Albemarlesund blicken zu lassen. Sie wissen, was sie erwartet.“
„Trotzdem.“ Hasard tippte Old O’Flynn mit dem Spektiv an die Brust. „Wenn sie Virginia jemals wieder verlassen wollen, brauchen sie ein Schiff.“
„Und die liegen eben nicht in jeder Bucht vor Anker“, ergänzte der Profos, der den letzten Teil der Unterhaltung mitgehört hatte. Herausfordernd grinste er den alten Zausel an.
Prompt brauste Old Donegal auf.
„Du Großmaul brauchst mich nicht über Logik aufzuklären. Ich konnte nämlich schon denken, als ein gewisser Edwin Carberry noch die Windeln näßte.“
Der Profos war keineswegs sprachlos. Die Daumen hinter dem breiten Ledergürtel eingehakt, schob er den Bauch und das gewaltige Rammkinn vor und begann dröhnend zu lachen. Einige Arwenacks, die vor dem Backbordniedergang Taue spleißten, blickten überrascht auf.
Old Donegal wirkte verwirrt. Einen derartigen Heiterkeitsausbruch hatte er nicht erwartet, eher einige der „liebevollen“ Ausdrücke, die der Profos für gewöhnlich benutzte.
„Dann kann das mit deinem Denken noch nicht sehr lange her sein“, prustete der Profos.
Um sein Grinsen zu verbergen, wandte sich Hasard erneut dem Land zu und setzte den Kieker ans Auge. Die Gegend war leicht hügelig, überwiegend von Sträuchern und hohem Gras bestanden. Nur vereinzelt ragten Bäume auf, und erst in einigen Meilen Entfernung zeigten sich kleinere Waldstrecken. Nirgendwo kräuselte Rauch auf, der ein Lagerfeuer oder eine Indianersiedlung verraten hätte.
Mit halbem Ohr verfolgte Hasard das anhaltende Streitgespräch zwischen Old O’Flynn und dem Profos. Die beiden Dickschädel titulierten sich gegenseitig mit Ausdrücken, die einem unbedarften Zuhörer die Röte ins Gesicht getrieben hätte. Aber das war nicht ernstzunehmen.
„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, murmelte der Seewolf gerade so laut, daß Old Donegal und Carberry ihn hören konnten.
„Was liegt an, Sir?“ fragte der Profos.
Old O’Flynn bohrte demonstrativ mit dem kleinen Finger im Ohr.
„Alle Klüsen und Schotten dicht“, erklärte er.
Philip Hasard Killigrew deutete nach Backbord voraus. Rund eine Kabellänge vom Ufer entfernt zeichnete sich leichte Gischt ab. Unter der Wasseroberfläche ragten Klippen auf. Vermutlich handelte es sich um Ausläufer der weiter nördlich vorspringenden felsigen Landzunge.
„Ruder zwei Strich Steuerbord!“ befahl Hasard.
„Aye, aye, Sir!“ bestätigte Pete Ballie an der Pinne.
Die Schebecke, bisher unter raumen Wind über Backbordbug segelnd, richtete sich etwas auf. Augenblicke später waren die Segel neu getrimmt. Der achterlich an Steuerbord folgenden Galeone konnte die Untiefe nicht gefährlich werden.
Old Donegal und Edwin Carberry hatten sich immer noch in der Wolle.
„Deine Windeln müssen die Ausmaße einer Fock gehabt haben“, sagte Old O’Flynn gerade, als der Schuß fiel.
„Ruhe!“ sagte Hasard scharf.
Obwohl so gut wie keine Brandung auflief, war das dumpfe Krachen kaum wahrzunehmen gewesen. Außer dem Seewolf hatte niemand etwas gehört, und auch er lauschte vergeblich, ob vielleicht ein zweiter Schuß fiel.
„Das sind die Nerven“, erklärte Old Donegal. „Manchmal hört man Dinge, die gar nicht zu hören sind.“
„Du kennst dich da aus“, spottete Carberry. An Hasard gewandt, fuhr er fort: „Wenn in dieser gottverlassenen Gegend jemand mit einer Feuerwaffe rumtörnt, dann wohl nur Davenport und seine Kumpane. Von den Siedlern ist es bestimmt keiner.“
Aufmerksam spähte der Seewolf durchs Spektiv, doch war herzlich wenig zu sehen. Landeinwärts flatterten lediglich einige Vögel aufgeschreckt durcheinander.
„Kaufen wir uns die Burschen?“ fragte Carberry.
Eine bessere Gelegenheit würde sich kaum bieten. Niemand konnte sagen, zu welchen Schandtaten die Schnapphähne noch fähig waren, solange sie frei herumliefen. Es hatte schon genug Tote gegeben.
Hasard gab Befehl, in den Wind zu gehen. Carberry signalisierte inzwischen der Galeone, beizudrehen. Kurz darauf fiel auf der Schebecke der Anker und die Segel wurden geborgen.
Die Mannschaft versammelte sich an Deck. Auch die Mannen der Freiwache enterten zur Kuhl auf.
„Ich brauche fünf Kerls“, erklärte der Seewolf.
„Geht es endlich gegen die Rabauken?“ fragte Big Old Shane.
Keiner der Crew wollte zurückstecken. Hasard wählte die Mannen aus, die mit ihm an Land pullen sollten. Das waren die Zwillinge, Ferris Tucker, Shane und Batuti, der Gambiamann.
„Anna …“
Goldene Wolke lauschte dem Klang des gemurmelten Namens, der stets eine seltsame Erregung hervorrief. Mit zitternden Händen wickelte sie das gerade zwei Handspannen messende Fellbündel auf.
Ein seltsames Totem erschien – das Abbild eines Menschen. Der Kopf, gerade halb so groß wie eine Faust, von grobem Stoff überzogen, hatte längst seine Form verloren. Die aufgenähten Augen standen schief im Gesicht, die Nase wirkte breitgedrückt, und der Mund war von einer Traurigkeit, die einen selbst traurig stimmte.
Goldene Wolke wartete auf den stechenden Schmerz in ihrer Brust, der sich immer dann einstellte, wenn sie das Totem an sich drückte. Sie wußte, daß sie sich selbst damit quälte, doch Anna war das einzige in ihrem Leben, was ihr wirklich etwas bedeutete.
„Pup-pe“, flüsterte sie stockend. „Du bist meine Puppe Anna. Ich mag dich.“
Kein Algonkin-Dialekt kannte diese Worte. Manchmal erschrak Goldene Wolke über sich selbst – auch über die Träume, die ihr oft schlaflose Nächte bereiteten. Springender Hirsch hatte vor wenigen Monden behauptet, sie sei von einem unseligen Geist besessen. Er hatte sie gezwungen, Anna dem reinigenden Feuer zu übergeben, aber die Flammen hatten lediglich eine plumpe Nachbildung aus Maiskolben und Bastfasern verzehrt. Goldene Wolke wollte lieber sterben, als ihre Puppe zu opfern.
Sanft fuhr sie mit der Rechten durch Annas Haar. Vor vielen Wintern war es noch hell gewesen, inzwischen wirkte es dreckig und begann auszufallen.
Auch an dem Kleid der Puppe war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Die Nähte platzten auf, und der Stoff wurde brüchig. Die Falten des unteren Saumes hingen längst lose herab. Goldene Wolke hatte selbst einmal ein solches Kleid getragen. Das wußte sie aus ihren Träumen.
Jäh drückte sie Anna, die nach dem Fell und nach Erde roch, an ihr Gesicht. Das Innere des Langhauses verschwamm vor ihren Augen. Sie sah die Vision eines Hauses aus rotem Stein, mit vielen Fenstern darin, und einer langen Treppe, die hinaufführte.
Ihre Schritte knirschten auf dem Kiesweg. Sie begann zu laufen, vorbei an blühenden Obstbäumen, duftenden Blumen und steinernen Figuren, die den Weg säumten. Sie hörte Kinderstimmen, aber sie achtete nicht darauf. Denn da war die Furcht, das Haus nie zu erreichen.
Die Stimmen wurden lauter. „Mary!“ riefen sie.
Doch dann drang ein anderer Klang an ihr Ohr, herrisch, wütend und verächtlich: „Goldene Wolke! Was tust du da?“
Für die Squaw brach eine Welt zusammen. Springender Hirsch hatte zusammen mit anderen Kriegern das Langhaus betreten. Fordernd streckte er seine Hand aus.
Stumm schüttelte Goldene Wolke den Kopf und verbarg die Puppe unter ihrem Hemd. Ihre Miene wurde trotzig, als sie den Mann anblickte, mit dem sie seit drei Wintern das Lager teilte.
„Der böse Geist ist noch immer in dir“, sagte Springender Hirsch. „Gib mir das Totem!“
„Nein! Anna gehört mir, sie …“ Die Squaw verstummte, weil der Krieger auf sie zutrat. Seine grimmige Entschlossenheit versetzte sie in Panik. Blitzschnell bückte sie sich nach einer Streitaxt und wirbelte die Waffe mit der geschliffenen Steinklinge hoch. „Rühr mich nicht an!“ schrie sie.
Im nächsten Moment warf sie sich herum und hetzte blindlings davon, ohne sich nur einmal umzuwenden. Kein Pfeil traf sie in den Rücken, niemand verfolgte sie. Trotzdem wurde Goldene Wolke erst langsamer, als sie schon weit vom Dorf entfernt war. In der Linken hielt sie das Steinbeil, mit der Rechten umklammerte sie die Puppe.
„Du hilfst mir, Anna“, stieß sie hoffnungsvoll hervor. „Du führst mich zu dem Steinhaus, in dem ich aufgewachsen bin. Viel zu lange habe ich darauf gewartet.“
Noch war alles einfach. Aber bald würden die Krieger ihre Spur aufnehmen. Goldene Wolke wußte, daß Springender Hirsch sie nur deshalb nicht zurückgehalten hatte, weil er sie für besessen hielt. Inzwischen war das Tamtam des Schamamen wohl schon im Gange. Springender Hirsch würde den göttlichen Zwillingen Teharonhiawagon und Tawiskaron ein Opfer bringen und von ihnen seine Squaw zurückfordern.
Goldene Wolke lief nach Süden. Wo immer es möglich war, bemühte sie sich, ihre Fährte zu verwischen. Als sie einen kleinen Fluß erreichte, ließ sie sich von der Strömung treiben. Die Krieger würden zunächst vergeblich beide Ufer absuchen und dabei weitere Zeit verlieren.
Am Rand eines Wäldchens und bevor die klamme Kälte ihre Glieder lähmte, verließ die Squaw das Wasser wieder. Sie fühlte sich schwach und hungrig, doch sie mußte in Bewegung bleiben. Die mittlerweile im Zenit stehende Sonne half, die Nässe schnell zu vertreiben.
Wenig später sah Goldene Wolke die Fremden. Sie waren keine Algonkin. Ihre Kleidung wirkte fremdartig, zugleich aber auch seltsam vertraut. Die acht Männer bewegten sich so vorsichtig, wie es in unbekanntem Gelände angebracht war. Einer von ihnen hatte den Schädel kahlgeschoren, einige andere trugen die Haare sogar im Gesicht. Die Squaw konnte sich nicht entsinnen, jemals einen Tuscarora so gesehen zu haben. Lediglich aus ihren Träumen kannte sie diesen Anblick.
Während sie noch zögerte, wurde sie von den Männern entdeckt. Flüchtig spielte Goldene Wolke mit dem Gedanken, erneut davonzulaufen, aber dann siegte ihre Neugier. Vielleicht waren die Fremden erschienen, um sie heimzuholen. Einige von ihnen hatten eine hellere Haut als die Algonkin. Sie selbst übrigens auch. Das war ihr in der Vergangenheit mehrfach schmerzhaft klargeworden.
Goldene Wolke reagierte keineswegs überrascht, als sie feststellte, daß sie die Sprache der Männer verstand.
„He!“ rief ein hochgewachsener, muskulöser Kerl, der einen glänzenden Stock auf sie richtete. „Bist du allein?“
Sein Blick tastete sie ab. Die anderen starrten sie ebenfalls unverhohlen an. Goldene Wolke glaubte, mühsam verhaltene Gier in ihren Augen zu erkennen.
Sie antwortete im Dialekt der Tuscarora.
„Sieht so aus, als wäre tatsächlich keine andere Rothaut hier.“ Der Mann begann erwartungsvoll zu grinsen. „Hast du Gold?“
„Ich – bin – allein“, sagte die Squaw schwerfällig. Sie mußte sich über die Bedeutung der Worte erst klarwerden. Danach war der Bann jedoch gebrochen.
„Du sprichst Englisch? Das erleichtert uns die Sache.“
Sie spürte, daß diese Männer mehr über ihre Herkunft sagen konnten als irgend jemand sonst. Deshalb ließ sie es geschehen, daß der muskulöse Kerl mit dem braunen Haar auf der Oberlippe sie anfaßte. Seine Hand strich über ihre Wange, umfaßte ihr Kinn, glitt zögernd tiefer.
„Wie heißt du?“
„Goldene Wolke.“
Ein zufriedenes Nicken folgte ihrer Antwort. „Das ist ein bedeutungsvoller Name, findest du nicht?“
Die Männer lachten. Goldene Wolke verstand allerdings nicht, warum.
„Du darfst mich Atkinson nennen. Wir beide werden viel Spaß miteinander haben.“
„Spaß?“
„Sag bloß, du weißt nicht, was das ist?“ Atkinson Grey prustete lauthals heraus. Ebenso abrupt verstummte er wieder, reichte den glänzenden Stock einem seiner Gefährten und packte mit beiden Händen zu.
Das Oberhemd der Squaw, aus weichem Hirschleder genäht, riß auf. Anna fiel zu Boden, doch der Mann beachtete die Puppe überhaupt nicht. Aus weit aufgerissenen Augen stierte er auf den nackten Hals der Frau.
„Wo ist dein Schmuck?“ herrschte er sie an.
Goldene Wolke verstand nicht. „Schmuck?“ wiederholte sie zögernd.
„Gold“, stieß Grey hervor. „Oder auch Edelsteine. Rück das Zeug endlich raus!“
„Vielleicht ist es in der Puppe“, sagte Jameson Kidd.
„Was für eine Puppe?“
Kidd deutete vor die Füße der Squaw. Schlagartig hellte sich Greys Miene auf, als er die kleine Stoffgestalt entdeckte.
„Auf was wartest du, Jameson? Heb sie auf!“
„Nicht!“ schrie Goldene Wolke, die instinktiv begriff. „Lassen Sie meine Anna in Ruhe!“
„Quatsch nicht!“ Jameson Kidd, der alles tun würde, was Grey verlangte, versetzte der Squaw einen heftigen Stoß.
Sie taumelte zwar, warf sich aber im nächsten Moment mit einem gellenden Kampfgeschrei nach vorn. Das Steinbeil zuckte hoch. Kidd wurde von dem Angriff völlig überrascht, er konnte gerade noch die Arme hochreißen und den sonst wohl tödlichen Hieb ablenken.
Ein stechender Schmerz raste durch seine linke Seite. Sekundenlang wurde ihm schwarz vor Augen. Er stürzte auf den Rücken und versuchte vergeblich, sich zur Seite zu wälzen. Die Squaw kniete plötzlich auf seinem Brustkorb und holte erneut mit dem Beil aus.
In dem Moment packten Rosebery und Taffe zu, zerrten Goldene Wolke rücklings zu Boden und entwanden ihr die Waffe. Obwohl sie sich mit der Zähigkeit einer Wildkatze zur Wehr setzte, hatte sie gegen die beiden Männer keine Chance.
Frank Rosebery fiel über die Frau her, als hätte er seit Monaten kein weibliches Wesen gesehen. Angespornt vom Gelächter seiner Kumpane versuchte er, die Squaw zu küssen. Erst wich sie ihm mit ruckartigen Bewegungen aus, dann biß sie ihn in die Lippe.
Rosebery brüllte auf wie ein weidwunder Stier. Bevor er sich besann, rammte ihm Goldene Wolke ein Knie in den Unterleib. Frank ließ nur mehr ein ersticktes Gurgeln vernehmen, seine gesunde Gesichtsfarbe wich einer wächsernen Blässe.
„Schnappt euch die Hure!“ schrie Grey. „Na los, auf sie!“
Die Schebecke ankerte drei Kabellängen vor der Küste. Felsiger Boden und glattgeschliffene Steine bestimmten den Strandabschnitt, auf dem die Jolle landete. Unmengen von Seeigeln waren in dem glasklaren Wasser zu erkennen.
Hasard junior belegte die Jolle an einem größeren Findling. Selbst bei Flut würde das Boot nicht abtreiben.
„Haltet die Augen offen!“ mahnte der Seewolf. „Möglicherweise haben auch Indianer den Schuß gehört. Sie werden kaum einen Unterschied zwischen uns und den Marodeuren sehen.“
„Hoffentlich nehmen wir den Rothäuten nicht die Arbeit ab“, sagte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann. „Ich meine, sie hätten dann allen Grund, auf uns sauer zu sein.“
Vom Strand aus stieg das Gelände sanft an. Die anfangs spärliche Vegetation wurde rasch üppiger, Buschwerk und windzerzaustes hohes Gras waren bezeichnend für diesen Küstenabschnitt. Als sich Hasard nach einer Weile umwandte, konnte er nur noch die Masttoppen der beiden vor Anker liegenden Schiffe erkennen.
Ungefähr eine Landmeile hatten die Männer zurückgelegt, als sie vor sich Stimmen vernahmen.
Hasard nickte seinen Mannen zu. Lautlos, ihre Musketen im Anschlag, huschten sie weiter. Eine flache Senke öffnete sich vor ihnen. Dann sahen sie die Galgenvögel. Die Kerle hatten tatsächlich nichts anderes zu tun, als sich zu prügeln. Aber das war zu erwarten gewesen.
„Da ist ja eine Frau!“ sagte Big Old Shane verblüfft.
„Eine Indianerin“, fügte Philip junior ebenso leise hinzu.
Die Squaw verteidigte sich verbissen und mit erstaunlicher Zähigkeit. Höchstens fünfzig Schritte trennten die Arwenacks von den Rabauken. Unter den gegebenen Umständen gehörte wenig dazu, sich unbemerkt anzuschleichen.
Batuti grinste und vollführte die Geste des Halsabschneidens. Natürlich meinte er es nicht ernst. Seinen Langbogen hielt er wie eine Keule mit beiden Händen.
Auch die anderen würden nicht ihre Waffen einsetzen, sondern die Fäuste. Solange die Marodeure ahnungslos waren, bereitete eine richtige Prügelei bedeutend mehr Spaß.
Bis auf zehn Schritte näherten sich die Arwenacks, dann waren sie gezwungen einzugreifen, weil der Widerstand der Squaw erlahmte. Für Grey und seine Kumpane war der Angriff wie ein Blitz aus heiterem Himmel, dem der Donner auf dem Fuß folgte.
Mit seinen mächtigen Pranken packte Big Old Shane einen der Fallensteller, und ehe der Bursche richtig begriff, wie ihm geschah, lernte er fliegen. Allerdings sauste er ohne Bodenberührung gerade drei oder vier Schritte weit. Er krachte nämlich mit dem Kopf voran gegen den nicht minder überraschten Randolf Gordon, der vergeblich nach einem Halt suchte.
Flüchtig sah es so aus, als würden beide gemeinsam und eng umschlungen zu Boden gehen, doch dann holte Gordon aus und setzte seinem Kumpan die Faust ins Gesicht. Das verschaffte ihm zwar Luft und einen weiterhin sicheren Stand, brachte ihm aber auch Shanes spöttisches Gelächter ein.
Gordon sah rot. Mit gesenktem Schädel stürmte er auf den Schiffsschmied zu. Big Old Shane ließ ihn ins Leere laufen und verpaßte ihm einen Tritt in den Achtersteven, der es in sich hatte.
Gordon wurde davonkatapultiert und überschlug sich, weil seine Beine mit der zunehmenden Geschwindigkeit nicht mithalten konnten. Erstaunlich schnell warf er sich jedoch wieder herum. Erst jetzt gelang es ihm, den Cutlass aus dem Gürtel zu ziehen.
„Dich hack’ ich in Stücke!“ grollte er.
Aber der Riese mit dem mächtigen grauen Bartgestrüpp sah nicht so aus, als wolle er klein beigeben. Big Old Shane grinste sogar herausfordernd. Und dieses überlegene Grinsen verunsicherte Gordon, zumal er nicht auf den Beistand seiner Kumpane hoffen durfte.
Sein erster, unüberlegt geführter Hieb mit dem Entermesser verfehlte den Gegner um mindestens eine Armlänge.
„Das Ding ist gefährlich“, warnte Shane. „Du solltest damit vorsichtiger sein.“
Gordon hatte wenig dazugelernt. Erneut stürmte er blindlings vor. Diesmal war er jedoch darauf vorbereitet, daß Shane ihm auszuweichen versuchte. Seine Blankwaffe beschrieb einen entsprechenden Halbkreis.
Der Schmied dachte nicht daran, nach dem Willen seines Gegners in die offene Klinge zu laufen. Ganz im Gegenteil. Die Finte hatte ihn in die bessere Position gebracht. Mit der Linken umklammerte er Gordons Waffenhand und mit der Rechten, zur Faust geballt, trieb er ihm die Luft aus den Lungen.
Der Bursche verdrehte die Augen und sackte in sich zusammen wie ein kaputter Blasebalg. Mit einer blitzschnellen Drehung wirbelte Big Old Shane den halb Ohnmächtigen herum – ausgerechnet in dem Moment, in dem der vom Fliegen nicht sonderlich begeisterte Fallensteller angriff. Ein dumpfes Krachen war zu vernehmen, als beider Köpfe zusammenstießen. Big Old Shanes Opfer nippelten ab, ohne ihm das Vergnügen zu gönnen, seine Fäuste richtig einzusetzen.
Kein einziger Schuß fiel. Den Arwenacks war es auf Anhieb gelungen, den Schnapphähnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Suchend blickte sich der Schmied um. Die Indianerin war verschwunden. Eine Verwünschung auf den Lippen, versuchte Shane, sie einzuholen. Irgendwie fühlte er, daß die Squaw etwas Besonderes war.
Die Mannen kämpften noch. Batuti hatte sich mit Atkinson Grey angelegt. Der selbsternannte Anführer der Rabauken hielt den Gambiamann mit einem Cutlass in Atem. Er war ein Meister im Fintieren und wechselte die Blankwaffe immer wieder von einer Hand in die andere. Batuti setzte den Langbogen dagegen, nur war offensichtlich, daß er seine kostbare Waffe nicht gefährden wollte.
Philip Hasard Killigrew focht gegen Spencer Taffe, der ebenfalls ein Entermesser benutzte. Auch bei ihnen zeichnete sich die Entscheidung ab. Nicht einmal zwei Minuten waren vergangen, seit die Seewölfe überraschend zugeschlagen hatten. Der Erfolg gab ihnen recht. Ferris Tucker war schon dabei, den inzwischen im Traumland weilenden Frank Davenport mit Riemen zu fesseln.
Urplötzlich versteifte sich Tucker. Er wollte nach seiner Muskete greifen, aber ein scharfer Befehl ließ ihn innehalten.
„Keine Unbesonnenheit! Sonst haben die beiden ihren letzten Schnaufer getan.“
Irgendwie war es Jameson Kidd und Mel Broley, dem zweiten Fallensteller, gelungen, die Zwillinge zu überwältigen. Jedenfalls bohrte Kidd den Lauf einer Muskete zwischen Philips Schulterblätter, und Broley hatte Davenports Pistole an sich gebracht und hielt sie von der Seite her an Hasards Kinn.
Kidd war an der linken Hüfte verletzt. Er blutete. Aber er gab sich alle Mühe, die Arwenacks seine Schmerzen nicht merken zu lassen.
„Wir verlangen ungehinderten Abzug!“ sagte er verbissen.
„Sonst nichts?“ Die Überlegungen des Seewolfs überschlugen sich. Im Augenblick konnte er nichts unternehmen, ohne die Zwillinge zu gefährden. Auch Spencer Taffe zog sich langsam aus der Reichweite der Arwenacks zurück.