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»Ich wollte mich nach dem Gesundheitszustand von Herrn Boskop erkundigen.«
»Sie wissen schon, dass die ärztliche Schweigepflicht mir verbietet, Ihnen Auskünfte zu erteilen?«
»Sicher. Ich möchte mich nur mit Ihnen absprechen, ab wann Herr Boskop Ihrer Ansicht nach uneingeschränkt vernehmungsfähig ist.«
»Waren Sie nicht gerade bei ihm?«
»Ja, aber nur kurz. Wie Sie sich vorstellen können, habe ich viele Fragen an Herrn Boskop, die mir unter den Nägeln brennen.«
Dr. Kreuzer zuckte die Schultern. »Das ist schwer zu sagen. Herr Boskop hat uns mit seiner raschen Besserung sehr überrascht. Zwar hat sich bald nach der Einlieferung herausgestellt, dass seine Verletzungen weit weniger gravierend waren als befürchtet. Wie schnell es mit ihm aufwärts ging, hat uns aber doch verblüfft. Der Unfall ist gerade mal drei Tage her, und er gibt schon Interviews.«
»Das heißt bei uns Vernehmung.«
»Weiß ich.«
»Moment – er hat schon mit der Presse gesprochen?«
Dr. Kreuzer runzelte die Stirn. »Kurz bevor Sie kamen. Hat er nichts davon gesagt?«
»Nein. Wissen Sie, worum es ging?«
»Keine Ahnung. Ich schätze mal, das werden Sie in spätestens zwei Stunden im Fernsehen sehen.«
Und damit kündigte sich die nächste Überraschung an.
Auf der Rückfahrt zum Polizeipräsidium klingelte Maries Telefon. Thewes war dran.
»Wer war dieses Arschloch, das dich gestern im Büro besucht hat?«, fuhr er sie statt einer Begrüßung an.
»Was? Wen meinst du?«
»Na, wen wohl? Diesen Kerl, der gestern in unsere Nachmittagsbesprechung geplatzt ist, du weißt schon.«
Ja, Marie wusste es. »Was ist mit ihm?«
»Siehst du keine Nachrichten?«
»Tut mir leid, Chef, ich arbeite. Und im Auto sehe ich grundsätzlich nicht fern«, sagte sie etwas schnippischer, als sie wollte.
»Ja, ja, schon gut. Melde dich bei mir, wenn du da bist.« Er legte auf.
Was, in drei Teufels Namen, hatte Tim nun schon wieder verbockt? Konnte der Kerl nicht einfach aus ihrem Leben verschwinden? Hatte sie nicht genug um die Ohren?
Sie überlegte, aufs Gas zu treten, entschied sich aber dagegen. Wenn das mit Arthur so weiterging, wollte sie ihm lieber keinen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretung erklären müssen.
Also zügelte sie ihre Ungeduld und stand erst 20 Minuten später vor Arthurs Büro. Sie holte tief Luft, drückte die Klinke hinunter und trat ein.
Und musste sich das Lachen verbeißen.
Neben dem Schreibtisch ihres Chefs stand ein rosa Hundekörbchen. Darin saß die entzückendste französische Bulldogge, die Marie sich vorstellen konnte, und sah sie mit aufgestellten Ohren erwartungsvoll an. Der Kontrast zwischen Arthurs finsterem Blick unter zusammengezogenen Augenbrauen und den treudoofen Kulleraugen der »blöden Töle« war zu viel für die härteste Mordermittlerin.
»Wage es nicht«, knurrte Arthur, dem Maries zuckende Mundwinkel nicht entgangen waren. »Kein Wort!«
Sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Rasch ging sie zum Besucherstuhl vor Thewes’ Schreibtisch und setzte sich so, dass Minnie außer Sichtweite war. Das half jedoch nichts, denn der Hund kam prompt um den Tisch gedackelt, setzte sich vor sie und sah sie mit schief gelegtem Kopf an. Marie blickte stur zu Arthur und bemühte sich um Fassung.
Der drehte sein Notebook zu Marie. »Da. Erklär mir das bitte.«
Er startete die Aufzeichnung der Fernsehnachrichten. Sie war, das konnte Marie an der Zeitangabe in der Bildecke erkennen, weniger als eine Stunde alt.
Das Bild zeigte Boskop in seinem Krankenbett, von genau derselben Stelle aus aufgenommen, an der Marie gesessen hatte. Boskop wirkte gefasst, aber erschöpft. Marie war sich mittlerweile nicht mehr sicher, wie viel davon echt und wie viel gespielt war.
Eine Stimme aus dem Off kommentierte das Bild: »Der verheerende Anschlag auf den Hamburger Flughafen, für den der Islamische Staat die Verantwortung übernommen hat, liegt erst drei Tage zurück, viele Menschen trauern um ihre Angehörigen, andere sind auf dem Wege der Besserung. So wie Wolfgang Boskop, der nur mit sehr viel Glück überlebt hat. Kein anderer Überlebender stand näher am Ort der Explosion als er. Trotzdem hat er sich jetzt schon bereit erklärt, mit unserem Reporter zu sprechen.«
Ein Mikrofon wurde unter Boskops Kinn gehalten. Er sah jemanden außerhalb des Bildes an und lächelte matt. »Ich habe einfach Glück gehabt. Großes Glück. Der da oben wollte mich wohl noch nicht haben.«
»Herr Boskop, unserer Redaktion liegt eine Aufzeichnung der Überwachungskameras vor, die zeigt, dass Sie mit jemand anderem um einen Koffer ringen. Was hat es damit auf sich?«
Boskop überlegte kurz, dann lächelte er wieder. »Ja, das stimmt. Ich hatte den Eindruck, mit diesem Koffer stimme etwas nicht, deswegen wollte ich ihn zur Polizei bringen.«
»Befand sich die Bombe in diesem Koffer?«
»Ja, keine Frage.«
»Sie haben mit dem Besitzer des Koffers gestritten? Warum?«
Boskop runzelte die Stirn. »Tja … Ich konnte ihn doch nicht einfach die Bombe zünden lassen. Es ging ja nicht nur um mein Leben, sondern um all die anderen in der Halle.«
»Sie haben also versucht, die Explosion zu verhindern?«
»Ja, ich habe es versucht. Nicht sehr erfolgreich, wie es scheint, oder?«
Das Bild wechselte und zeigte einen Moderator im Studio. »Erfolgreich oder nicht – Wolfgang Boskop hat sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um das vieler anderer Menschen zu retten. Das ist mehr, als man erwarten kann, und viel mehr, als die meisten von uns bereit wären zu geben.«
Der Moderator wendete den Kopf, eine zweite Kamera fing seinen Blick auf. »Wie wir aus der Polizei nahestehenden Kreisen erfahren haben, ist das Überleben von Wolfgang Boskop mehr als ein kleines Wunder. Unser Reporter Martin Kolditz mit den Einzelheiten.«
Wieder ein Schnitt. Das Bild zeigte im Hintergrund das silbern glänzende Gebäude des Polizeipräsidiums und im Vordergrund einen Reporter. Ihm gegenüber niemand anderer als …
»Tim! Mich trifft der Schlag!«
»Tim, aha«, sagte Arthur. »Sind wir also schon per Du mit dem Herrn.«
Marie wedelte mit der Hand, sie wollte das Interview hören.
»Können Sie uns Genaueres zum Ablauf sagen?«, fragte der Reporter. »Hat eventuell einer der Männer versucht, den Anschlag zu verhindern? Sind die beiden Männer unter den Toten?«
»Wir vermuten stark, dass einer der Männer zwar schwer verletzt ist, aber überlebt hat.«
»Obwohl er so nahe bei der Explosion war?«
»Also … Ja.«
»Wie können Sie sich das erklären?«
»Er … er hätte tot sein müssen.«
»Aber er lebt.«
Nachdenkliches Kopfschütteln. »Er hätte tot sein müssen«, murmelte Tim.
Wieder Schnitt auf den Moderator im Studio. »Er hätte tot sein müssen«, wiederholte der. »Und doch – er ist es nicht. Ein Lichtblick in diesem schrecklichen Geschehen: Ein Mann wirft sich mutig dem Attentäter in den Weg, wird zum tragischen Helden, und allen Widrigkeiten zum Trotz überlebt er, obwohl er – Sie haben es gerade gehört – tot sein müsste. Manchmal ist auf das Schicksal eben doch Verlass.«
Er drehte sich zur anderen Kamera. »Weiterhin unklar ist die Identität des Attentäters. Die Polizei …«
Arthur stoppte das Video und sah Marie herausfordernd an.
Sie hob die Hände. »Ich kann nichts dafür.«
»Aber du kennst ihn.«
»Natürlich. Er ist der Notfallsanitäter, der Boskop versorgt hat.«
»Und was wollte er von dir? Noch ein paar Informationen für seine Freunde bei der Presse abgreifen?«
»Was? Willst du mir unterstellen … Nein, Himmel noch mal, er wollte mir etwas zum Fall mitteilen.«
»Und was?«
»Dass … Ach, nichts. Er hat sich da was eingebildet. Wahrscheinlich war er sauer, dass ich ihm das gesagt habe.«
»Na gut. Dann sieh zu, dass das nicht noch einmal vorkommt.«
»Chef, wie soll ich –«
»Rede mit ihm. Mache ihm klar, dass er sich mächtig Ärger einhandelt, wenn er sich noch einmal als ›der Polizei nahestehend‹ ausgibt.«
Marie stöhnte. »Bitte nicht. Kann das nicht Harald machen? Der Typ ist ein Idiot.«
»Dein Idiot, dein Job.«
Marie stand seufzend auf und öffnete die Tür.
»Stopp!«, rief Arthur. »Minnie, du nicht!«
Marie sah nach unten, wo Minnie zwischen ihr und Arthur hin und her blickte. »Tu, was er sagt«, flüsterte sie. »Sonst kriegt er noch schlechtere Laune.«
Sie trat hinaus, Minnie drehte bei und trottete zu ihrem rosa Körbchen zurück.
»Blöde Töle«, hörte Marie, als sie die Tür schloss. »Willst’n Leckerchen?«
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