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Viele, auch innerhalb der Kirche, haben Zweifel, ob die Religionen, die Kirchen dieser Aufgabe nachkommen. Sie haben vielmehr den Eindruck, dass die Kirche, dass Religion inzwischen hier kaum noch eine Rolle spielen. Ich glaube, dass man das generell so nicht sagen kann. Es gibt viele Angebote der Theologie, der Kirchen, der Seelsorge, die auf die Nöte der Menschen eingehen und darum bemüht sind, einen Beitrag dazu zu leisten, die Komplexität und Ungewissheit, die mit schwierigen Lebenssituationen einhergehen, auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Oft sind es aber auch nicht explizit religiöse Angebote aus dem Bereich der Philosophie oder Psychologie, die zu einer Reduzierung der Ungewissheit und Unsicherheit der Menschen beitragen wollen und das auch leisten.
Für mich heißt das: Einer Religion, einer Kirche anzugehören schenkt mir Orientierung und Halt. Ich finde es einzigartig, was sie über Gott herausgefunden haben. Ich möchte nicht auf die tiefen theologischen Erkenntnisse eines Karl Rahner, Karl Barth, Hans Küng oder die spirituellen Einsichten von Thomas Merton oder Henri Nouwen verzichten müssen. Auch weiß ich die Möglichkeiten, mich dank der Kirche im Rahmen einer Eucharistiefeier mit anderen treffen zu können oder Mitglied einer Organisation zu sein, die sich die Barmherzigkeit auf ihr Banner geschrieben hat (auch wenn sie diesem Anspruch oft nicht genügt), zu schätzen.
Die jeweilige Religion oder Kirche kann Angebote machen, das, was in unserem Leben geschieht, einzuordnen, ihm einen Sinn zu geben, um besser damit leben zu können. Am Ende hängt es aber davon ab, ob ich an eine höhere Macht, an Gott, glaube und davon überzeugt bin, dass Gott sich einmischt, sich meiner annimmt.
Glauben ist eine lebenslange Vertrauensprobe
Es ist ein Glaube, der von mir nicht nur verlangt, an Gott zu glauben, sondern auch, mich total Gott überlassen zu können. Da geht es an die Substanz. Berührt mein Glaube mich im Grunde meines Seins. Wird er zu einem existentiellen Ereignis. Geht es um alles oder nichts. Da bleibt dann nur noch das blanke Vertrauen in Gott. Nicht mehr und nicht weniger. Allein bei dieser Vorstellung kann es einem schwindelig werden.
Ich kann es daher auch gut verstehen, dass viele vor diesem Schritt zurückschrecken. Kenne ich doch bei mir selbst das Zaudern, diesen Sprung zu wagen. Bis – hoffentlich! – der Sog zum radikalen Mich-Überlassen in Gott stärker ist als die Stimmen, die mich davon abhalten wollen. Ich alles Zögern, Kalkulieren, Räsonieren hinter mir lasse und springe.
Das erinnert mich an eine Erfahrung von Henri Nouwen, von der er mir, noch ganz davon begeistert, bei einem Treffen in Münsterschwarzach erzählte. Er kam aus Freiburg, wo er für ein paar Wochen wohnte, und besuchte in dieser Zeit den Zirkus Simoneit-Barum. Dort war er so fasziniert von der Aufführung der Trapezkünstlergruppe The Flying Rodleights, dass er sich gleich am nächsten Tag deren Aufführung nochmals anschaute. Er konnte sich nicht satt genug daran sehen, wie die Trapezkünstler sich durch die Luft bewegten, tanzten und sich gegenseitig auffingen.
Er nahm Kontakt mit der Gruppe auf und befreundete sich mit Rodleight, dem Leiter der Gruppe. Dieser erzählte ihm, dass er als Springer vollkommenes Vertrauen in seinen Fänger haben müsse: Der Fänger ist der eigentliche Star. Nicht ich, der Springer, wie man meinen möchte. Denn der Fänger muss mit der Präzision eines Bruchteils einer Sekunde für mich da sein und mich aus der Luft heraus auffangen. Ich tue als Springer nichts, während der Fänger alles tut. Würde ich als Springer versuchen, den Fänger zu erhaschen, könnte das in einer Katastrophe enden. Würde ich seine Handgelenke ergreifen, könnte ich sie brechen oder er könnte meine brechen. Das aber wäre das Ende von uns beiden. Als Springer muss ich springen und mit ausgestreckten Armen darauf vertrauen, dass mein Fänger da ist und mich sicher auffängt.
So verhält es sich auch mit einem Glauben, bei dem ich mich rückhaltlos Gott überlasse. Wie der Springer sich dem Fänger überlässt – ohne Angst, vielleicht doch nicht sicher von ihm aufgefangen zu werden –, muss ich darauf vertrauen, von Gott aufgefangen zu werden, wenn ich alles auf ihn setze. Glauben ist eine lebenslange Vertrauensprobe, bei der ich bis zum Schluss gefordert bin, zu entscheiden, ob ich springe oder nicht. Oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen, es immer wieder neu wage, vertrauensvoll auf dem Wasser zu laufen (vgl. Steindl-Rast 2016,79).
Einladung
Lassen Sie sich jetzt von mir mitnehmen, um uns miteinander auf das Wagnis einzulassen, zu springen beziehungsweise vertrauensvoll auf dem Wasser zu laufen: an Gott zu glauben und sich ihm zu überlassen. Nehmen Sie sich dafür alle Zeit der Welt, die Sie dazu benötigen. Lassen Sie – wie ich das auch tue – Ihre Bedenken, Ihre Zweifel zu. Kommen Sie mit Ihren Erfahrungen in Berührung, Ihren Erfolgen und Ihrem Versagen bei Ihrem Bemühen, an Gott und sein Wirken zu glauben und sich ihm bedingungslos zu überlassen.
Vielleicht tragen meine Gedanken und meine Gebete dazu bei, Sie bei Ihrem Suchen zu unterstützen und Ihnen Mut zu machen, zu springen oder erste vorsichtige Schritte auf dem Wasser zu wagen. Gestehen Sie sich Ihre Angst, Ihr vielleicht mangelndes Vertrauen zu. Sie finden darin in mir einen Weggenossen, der, wenn es darauf ankommt, am liebsten davonlaufen möchte, in Angst gerät und erstarrt, statt zu springen und sich auf das Wagnis einzulassen, auf dem Wasser zu gehen. Wir könnten ja auch untergehen. Aber geben Sie nicht auf. Wagen wir es zusammen!
Ich denke an jene, die mir nicht folgen können. Für die es keinen Gott, keine höhere Macht gibt, der sie sich bedingungslos überlassen könnten. Für manche ist es das Schicksal, dem sie sich anheimgeben, um, wie es Hermann Hesse einmal formulierte, sich danach als befreit zu erleben. Wieder andere versuchen einfach, ihr Leben zu meistern, ohne dabei einen Bezug zu Gott oder dem Schicksal zu nehmen. Für sie wird es dann etwas anderes sein, was es wirklich braucht. Das muss jede und jeder für sich selbst entscheiden.
Ich möchte Sie jedenfalls im Folgenden auch dazu einladen, mit mir zu beten. Die hier vorgestellten Gebete sind zunächst meine Gebete. Sie können aber vielleicht für Sie eine Anregung sein, das eine oder andere Gebet in der eigenen Weise in Ihr Herz aufzunehmen (vgl. Rahner 1985,206), um es jetzt als Ihr Gebet zu Gott aufsteigen zu lassen.
Ich habe mich beim weiteren Vorgehen für einen Dreierschritt entschieden. Beginnen soll es mit dem Glauben an Gott. Also befasse ich mich zunächst einmal mit Gott. Schaue auf ihn, kreise um ihn, taste mich an ihn heran, denke über ihn nach. In einem zweiten Schritt verlasse ich die Ebene des Reflektierens und betrete die Erfahrungsebene. Jetzt bin ich darauf aus, Gott zu erfahren, komme ich mit meiner Sehnsucht in Berührung, dass Gott fühlbar für mich wird, ich seine Anwesenheit in meinem Leben und in der Welt spüre. Schließlich lade ich dazu ein, mit mir zu tanzen und zu springen, uns fallenzulassen im Vertrauen darauf, von Gott sicher aufgefangen zu werden.
Es wird kein Spaziergang. Es wird aufregend und herausfordernd sein. Aber es wird sich lohnen. Also, fassen Sie allen Mut zusammen und schließen Sie sich mir an. Ich bin bereit. Sind Sie es auch?!
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