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»Es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Richard Münkel tot ist.« Uwe machte eine Pause, um die Reaktion des Paares auf diese Nachricht abzuwarten.
Insa Schröder schlug entsetzt die Hand vor den Mund und blickte fassungslos zu ihrem Mann, der ebenso überrascht wirkte.
»Mein Gott«, wisperte sie fassungslos und hielt sich nunmehr beide Hände an den Mund.
»Ist er der Tote aus dem Hafenbecken? Ich habe davon im Radio gehört«, wollte Gunnar Schröder wissen, während seine Frau noch immer sprachlos vor sich hin starrte.
»Ja, das ist richtig«, bestätigte Uwe.
»Was genau ist ihm zugestoßen?«, erkundigte sich Gunnar Schröder mit belegter Stimme.
»Um das herauszufinden, sind wir hier«, gab Uwe zurück. »Wir hoffen, Sie können uns unter Umständen wichtige Anhaltspunkte zu seinem Tod liefern.«
»Anhaltspunkte? Wollen Sie damit andeuten, wir hätten etwas mit seinem Tod zu tun?«, polterte Gunnar Schröder geradewegs los, worauf ihm seine Frau besänftigend ihre Hand auf den Unterarm legte.
»Bitte reg dich nicht auf, Schatz! Die Herren machen nur ihre Arbeit«, sprach sie in ruhigem Ton auf ihren Mann ein. »Handelt es sich um …?« Sie ließ den Satz in der Luft hängen. Man konnte deutlich spüren, dass es ihr schwerfiel, das Wort Mord über die Lippen zu bringen.
»Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir von einem Tötungsdelikt aus«, bestätigte Nick. »Sie erwähnten, Richard Münkel hätte über einen längeren Zeitraum für Sie gearbeitet«, fuhr er fort, ohne nähere Einzelheiten preiszugeben. »Waren Sie mit seinen Diensten nicht mehr zufrieden, oder weshalb wurde sein Arbeitsverhältnis beendet?«
»Das Gegenteil ist der Fall. Wir waren mit Richards …, ich meine mit Herrn Münkels Arbeit immer hochzufrieden«, ergriff Insa Schröder schnell das Wort. »Er war ausgesprochen loyal, zuvorkommend und außerordentlich zuverlässig. Mehr kann man sich von einem Angestellten wohl kaum wünschen.« Sie lächelte zaghaft in die Runde, schließlich landete ihr Blick auf ihren Händen. Mit dem Daumen strich sie beinahe zärtlich über den hellgrünen Stein, der einen der beiden Ringe an der linken Hand zierte.
»Mit welchen Aufgaben war Herr Münkel bei Ihnen betraut?«, wollte Nick wissen.
»Da gab es unterschiedliche Dinge«, entgegnete Insa Schröder.
»Könnten Sie das bitte näher erläutern?«, bat Nick daraufhin.
»Also, er hat für uns sämtliche Lebensmitteleinkäufe getätigt, gekocht, Feste und Empfänge organisiert und sich der kleinen Dinge des Alltags angenommen. Um es kurz zu machen, ihm oblag die gesamte Haushaltsführung«, fasste sie zusammen.
»Hat er Sie auch in beruflicher Hinsicht unterstützt?«, fragte Uwe.
»Sie meinen, ob er für unsere Firma gearbeitet hat? Nein, seine Aufgaben beschränkten sich ausschließlich auf den privaten Bereich.«
»Ab und zu hat Herr Münkel auch Chauffeurdienste getätigt, beispielsweise hat er uns zum Hamburger Flughafen gefahren, da auf Sylt zu dieser Zeit keine Maschine startete. Darüber hinaus kam es gelegentlich vor, dass er Gäste oder Geschäftspartner von uns gefahren hat«, ergänzte Insa Schröder.
»Das klingt nach einem wahren Multitalent. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, warum er dann nicht mehr bei Ihnen arbeitet«, kam Nick zum Schluss und machte sich nebenbei Notizen.
»Das hatte andere Gründe«, gab ihm Gunnar Schröder knapp zu verstehen, bevor seine Frau zu einer Antwort ansetzen konnte. »Finanzieller Art«, fügte er hinzu, als er Nicks fragenden Gesichtsausdruck bemerkte.
»Wer erledigt seine Aufgaben stattdessen?« Nick sah ihn auffordernd an.
»Dreimal die Woche kommt eine Haushaltshilfe, in den Sommermonaten beschäftigen wir wöchentlich einen Gärtner, und verhungern müssen wir auch nicht, da meine Frau ausgesprochen gut kocht. Gelegentlich leisten wir uns dennoch einen Restaurantbesuch. Ich hoffe, damit ist Ihre Frage in ausreichendem Maße beantwortet, Herr Kommissar«, konterte Gunnar Schröder leicht gereizt.
»Danke, ich denke, das genügt.«
»Hatte Richard Münkel während seiner Anstellung bei Ihnen im Haus gewohnt und ein eigenes Zimmer?«, erkundigte sich Uwe.
»Nein, hat er nicht. Er hatte eine Wohnung in der Stadt. Hin und wieder hat er im Gästezimmer übernachtet, wenn dies erforderlich war«, konkretisierte Insa Schröder.
»Was genau verstehen Sie unter ›erforderlich‹?«, hakte Nick nach.
»Wenn wir einen Empfang oder eine Feier gegeben haben. Das konnte durchaus einmal später werden. Dann hat Herr Münkel hier übernachtet, aber das kam selten vor«, ließ Gunnar Schröder die Ermittler wissen.
»Können Sie sich vorstellen, dass Herr Münkel Feinde hatte? Oder besser gesagt, gab es in seinem Umfeld Ärger oder Probleme mit irgendjemandem? Eventuell mit Gästen von Ihnen oder privat? Ist Ihnen in dieser Hinsicht etwas aufgefallen?«, fragte Uwe und hoffte, auf diese Weise an wichtige Informationen zu gelangen.
»Nein. Richard Münkel erfreute sich großer Beliebtheit. Er wurde von allen unseren Freunden und Gästen äußerst geschätzt und für seine Arbeit gelobt«, bekräftigte Insa Schröder und spielte mit dem Anhänger ihrer goldenen Halskette. »Probleme sind uns zu keiner Zeit zu Ohren gekommen. Nicht wahr, Gunnar?« Sie drehte den Kopf in Richtung ihres Mannes, als würde sie auf seine Bestätigung warten. Er nickte lediglich. »Über private Dinge hat er nie mit uns gesprochen, wir haben allerdings auch nicht explizit nachgefragt.«
»Haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Mehr Fragen haben wir momentan nicht.« Uwe erhob sich und reichte Gunnar Schröder eine Visitenkarte. »Sollte Ihnen noch etwas einfallen, zögern Sie bitte nicht, uns zu kontaktieren. Manchmal kann selbst der kleinste Hinweis von Bedeutung sein. Es ist gut möglich, dass wir Sie ein weiteres Mal aufsuchen werden.«
»Wir stehen Ihnen jederzeit gern zur Verfügung. Tut uns leid, dass wir Ihnen nicht mehr Informationen geben konnten«, entschuldigte sich Insa Schröder und erhob sich. »Ich bringe Sie zur Tür.«
Sie war zweifellos eine hübsche Frau, überlegte Uwe, als sie ihm zum Abschied die Hand reichte. Er spürte ein leichtes Wärmegefühl, das sich über seine Wangen ausbreitete.
»Danke, machen Sie sich keine Umstände, wir finden allein hinaus. Angenehmen Tag!«, erwiderte Nick und folgte Uwe nach draußen.
»Was denkst du?«, fragte Uwe, während sie im Auto saßen und die Hauptstraße von Kampen nach Wenningstedt fuhren.
»Münkels Tod hat die beiden nicht sonderlich erschüttert, jedenfalls den Hausherrn. Seine Frau kann ich schwer einschätzen. Nach dem anfänglichen Schock hatte sie sich schnell unter Kontrolle. Sie wirkte auf mich zeitweise sehr nervös. Keine Ahnung, ob sie immer so ist oder etwas vor uns verbergen wollte. Vielleicht beschränkte sich die Beziehung zu ihrem Butler nicht nur aufs Geschäftliche, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Willst du damit andeuten, die Dame des Hauses hätte ein Verhältnis mit ihrem Angestellten gehabt?« Uwe überlegte. »Hm. Sie sieht gut aus und ist mindestens 15 Jahre jünger als ihr Mann.« Nick zog grinsend einen Mundwinkel hoch. »Der Gedanke ist nicht völlig von der Hand zu weisen, das war doch deine Idee. Warum guckst du so? Ist was?«
»Nein, nein, alles okay«, feixte Nick. Dann wurde er ernster. »Völlig ausschließen sollten wir die Möglichkeit nicht, zumal sie häufig seinen Vornamen verwendet hat, wenn sie von ihm gesprochen hat.«
»Stimmt, jetzt, wo du es sagst, erinnere ich mich auch. Dann war da vielleicht doch mehr zwischen den beiden, als sie uns gegenüber zugeben wollte.«
»Wenn dem so sein sollte, hätte sie es bestimmt nicht in Anwesenheit ihres Mannes frei heraus erzählt. Für meinen Geschmack klingt das dennoch zu klischeehaft. Dass Münkel aufgrund finanzieller Schwierigkeiten entlassen werden musste, passt meines Erachtens nicht ins Gesamtbild. Er fährt einen Bentley, sie einen neuen 911er, dazu das riesige Anwesen, die luxuriöse Einrichtung und der Gärtner. Das alles deutet nicht gerade darauf hin, als müsse sich das Ehepaar finanziell in irgendeiner Weise besonders einschränken.«
»Woher willst du wissen, dass der Porsche der Ehefrau gehört?«
»Erstens stand er noch nicht da, als wir kamen, und zweitens enthält das Nummernschild die Initialen ihres Namens: SI.«
»Logisch, hätte ich auch drauf kommen können.« Uwe lächelte schief. »Auf mich macht das Paar im Übrigen nicht den Eindruck, als würde es am Hungertuch nagen. Aber wer weiß, wie es hinter der Fassade aussieht? Vielleicht sind sie tatsächlich in eine finanzielle Schieflage geraten, und nach außen soll der Schein gewahrt bleiben, damit man nicht das Gesicht verliert«, spekulierte Uwe.
»Möglich, das sollten wir auf jeden Fall überprüfen. Wo wollen wir als Nächstes ansetzen?«
»Zuallererst brauche ich was Ordentliches zwischen die Kiemen, dann sehen wir weiter«, machte Uwe deutlich und klopfte sich auf den Bauch.
»Typisch!«, erwiderte Nick mit einem Schmunzeln. »Du bist mir übrigens eine Erklärung schuldig.« Uwe schenkte ihm einen erstaunten Blick. »Deine schlechte Laune von heute früh«, half Nick ihm auf die Sprünge.
»Ach so, das meinst du. Was soll ich sagen, Achtermann hat mich mit seiner Anwesenheit beehrt.« Dann berichtete er von der Stippvisite des Staatsanwaltes und dem damit verbundenen Anliegen.
»Na toll, du darfst für die nächsten Wochen den Babysitter spielen«, feixte Nick. »Pass bloß auf, dass der jungen Dame während der Zeit kein Haar gekrümmt wird, sonst dreht Achtermann durch und sägt an deiner Karriereleiter.« Er lachte und klopfte seinem Kollegen freundschaftlich auf die Schulter.
»Sehr witzig! In diesem Fall hat er vermutlich mehr Sorge um seine eigene Beförderung.« Uwe stöhnte genervt. »Das passt mir im Augenblick alles überhaupt nicht. Tina ist zur Kur, ich muss mich zu Hause um alles allein kümmern, und obendrein haben wir einen Mord und den Einbruch am Brandenburger Strand aufzuklären. Für die Rolle des Aufpassers habe ich momentan weder Zeit noch Nerven. Ich hatte mir fest vorgenommen, während Tinas Abwesenheit ein Gartenhaus zu bauen. Das wünscht sie sich seit Langem, es soll eine Überraschung werden.«
»Ich könnte dir behilflich sein«, schlug Nick vor. »Wir bauen deine Hütte, und nebenbei schmeißen wir ein Steak auf den Grill und trinken ein paar Bierchen. Ein richtiger Männerabend. Was hältst du von der Idee?«
»Das klingt gut, aber du solltest deine Zeit lieber mit Anna verbringen, jetzt wo Christopher mit deinen Schwiegereltern Urlaub macht. Diese Woche wird das ohnehin noch nichts, dafür haben wir zu viel zu tun. Ich weiß echt nicht mehr, wie ich das alles mit der dünnen Personaldecke wuppen soll. Dauernd versprechen sie uns zusätzliche Stellen, aber passieren tut nichts. Das Gartenhaus wird wohl noch eine Weile warten müssen«, bemerkte Uwe zerknirscht.
»Dann sag Achtermann das«, schlug Nick vor.
»Dass ich ein Gartenhaus bauen will? Bist du übergeschnappt? Damit wäre ich erst recht erledigt.«
»Natürlich nicht. Sag ihm, dass du aufgrund der laufenden Ermittlungen keine Zeit für das Mädchen hast. Das kann er sicherlich nachvollziehen. Ihm sollte doch auch daran gelegen sein, dass der Mord schnellstmöglich aufgeklärt wird.«
»Da kennst du Achtermann aber schlecht! Ausreden lässt er prinzipiell nicht gelten.«
Nach dem Besuch in der Werbeagentur war ich die Westerländer Promenade ein Stück entlang flaniert, hatte währenddessen ein Eis gegessen und dem Treiben am Strand zugesehen. Die Strandkörbe waren nahezu vollständig belegt. Unten am Flutsaum spielten Kinder, buddelten tiefe Löcher im Sand oder bauten wahre Kunstwerke aus Sand, die sie mit gesammelten Muscheln verzierten. Die fertigen Objekte wurden anschließend fotografisch festgehalten, da sie spätestens mit der nächsten Flut der Vergangenheit angehörten. Nun machte ich mich auf den Rückweg nach Morsum. Aus einer spontanen Eingebung heraus rief ich von unterwegs meine Freundin Britta an, die gemeinsam mit ihrem Mann Jan und den Zwillingen Ben und Tim in Rantum wohnte.
»Hallo, Anna!«, meldete sie sich, wobei mir sofort auffiel, dass ihre Stimme ungewöhnlich sorgenvoll klang.
»Britta! Ich komme gerade aus Westerland und dachte, du hättest vielleicht Lust und Zeit, mit mir einen Kaffee zu trinken? Du weißt ja, ich bin gerade kinderlos und kann mir die Zeit frei einteilen. Wie sieht es bei dir aus?«
»Ach, Anna! An der Lust mangelt es grundsätzlich nie, das weißt du, aber die Zeit macht mir augenblicklich einen Strich durch die Rechnung. Momentan läuft alles ein bisschen aus dem Ruder«, seufzte Britta aus tiefstem Herzen.
»Was ist los? Das klingt nicht gut.«
»Ist es auch nicht. Jan ist heute Nacht ins Krankenhaus gekommen, und ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht.«
»Du meine Güte! Wie geht es ihm? Was hat er?« Mir wurde schlagartig flau im Magen.
»Eine Blinddarmentzündung. Heutzutage nichts Spektakuläres mehr, ich weiß, aber Sorgen mache ich mir trotz allem«, gab Britta zu, die für gewöhnlich nicht leicht zu erschüttern war. »Obwohl er Schmerzen hatte, hat er den Gang zum Arzt so lange hinausgezögert, bis er es nicht mehr aushalten konnte. Jetzt mussten sie ihn sogar notoperieren. Ich bin gerade auf dem Sprung in die Klinik.«
»Kann ich irgendetwas für dich tun? Soll ich mich um die Jungs kümmern?«
»Danke, aber nicht notwendig. Tim und Ben gehen nach der Schule zu meinen Schwiegereltern, und im Hotel läuft es für ein paar Stunden hoffentlich ohne mich.« Ihre Stimme klang matt.
»Okay. Bitte melde dich sofort, wenn du meine Hilfe brauchst. Und wünsche Jan gute Besserung!«
»Danke, Anna, das ist lieb von dir. Ich werde es ausrichten. Ausgerechnet jetzt ist Frank im Urlaub! Ich hätte es lieber gesehen, wenn er Jan operiert hätte.«
»Mach dir keine Sorgen. Frank wäre nicht in den Urlaub geflogen, wenn er nicht wüsste, dass seine Patienten in guten Händen sind. Er ist nicht der einzige gute Arzt in der Klinik«, versuchte ich sie aufzumuntern.
»Ich weiß, aber er ist halt der Beste!«
Diesbezüglich musste ich Britta zustimmen, denn Dr. Frank Gustafson war ein ausgezeichneter Arzt, der uns mehrere Male in brenzligen Situationen medizinisch sehr geholfen hatte. Seit einiger Zeit war er mit Nicks Schwester Jill liiert. Augenblicklich tourte das Paar durch Kanada, wo Jill geboren und aufgewachsen war und auch Nick einen Großteil seines Lebens verbracht hatte.
Als ich das Friesendorf Morsum im Osten Sylts erreicht hatte, folgte ich der Hauptstraße, um beim »Hansen Hof« frische Eier zu kaufen. Auf dem umzäunten Gelände am Hof liefen unzählige braun gefiederte Hühner unter freiem Himmel umher, pickten frisches Gras oder genossen ein ausgiebiges Sandbad. Ich ergatterte den letzten Parkplatz vor dem Hofladen. Neben den Eiern landeten zudem ein Sack Kartoffeln sowie ein Glas Galloway-Bolognese, die Nick und ich gleichermaßen gerne aßen, eine Salami und eine Flasche selbst gemachter Eierlikör im Einkaufskorb. Meine Mutter liebte diesen Likör, daher wollte ich ihr eine Freude damit machen, wenn sie aus dem Urlaub zurückkam.
Ich hatte gerade die Haustür aufgeschlossen, da drängelte sich Pepper ins Freie.
»Hallo, Pepper!«, begrüßte ich unseren vierbeinigen Mitbewohner, der mich schwanzwedelnd umkreiste und seine Nase neugierig in den Einkaufskorb steckte. »Da ist nichts für dich dabei. Aber wir beide drehen gleich eine Runde.«
Ich hielt mein Versprechen und schwang mich wenig später auf mein Fahrrad, um mit dem Hund eine Tour durch die Morsumer Feld- und Wiesenlandschaft zu unternehmen. Während ich kräftig in die Pedale trat, jagte Pepper im gestreckten Galopp und fliegenden Ohren neben mir her. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er dringend Bewegung benötigte. Nach unserem Ausflug zog ich mich mit einer Tasse Tee in mein Arbeitszimmer zurück, um an einem neuen Entwurf zu arbeiten. In zwei Wochen musste ich meinem Auftraggeber den Vorschlag für eine Gartenneuanlage vorlegen. Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch kam ich an Christophers Kinderzimmer vorbei, und mein Herz zog sich für einen Moment sehnsuchtsvoll zusammen. Das fröhliche Lachen fehlte, und seine bloße Abwesenheit riss ein riesiges Loch in meinen Alltag. Schnell tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass er bei meinen Eltern gut aufgehoben und wieder hier war, eh ich mich versah.
»Reiß dich zusammen und werde bloß nicht sentimental und albern, Anna!«, befahl ich mir selbst und blinzelte eine aufsteigende Träne weg. Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete ich »Antenne Sylt« ein und stürzte mich in meine Arbeit. Dieser Radiosender hatte sich im Laufe der Zeit zu meinem Lieblingsradiosender aufgrund der abwechslungsreichen Musik und der aktuellen Lokalinformationen entwickelt.
Kapitel 6
Am nächsten Vormittag erhielt ich überraschend einen Anruf von Arno Kelsterbach, dem Inhaber der Werbeagentur »A.K. Sea«, der mich um ein kurzfristiges Treffen bezüglich meiner Website bat, und machte mich umgehend auf den Weg nach Westerland. Als ich die Räumlichkeiten der Agentur betrat, wurde ich von seiner Sekretärin Dorit Hähnel bereits erwartet. Sie führte mich in eines der Büros, wo sie mich einer jungen, blonden Frau, die ich auf Anfang 20 schätzte, kurz vorstellte.
»Frau Scarren, das ist unsere Praktikantin Juna. Sie wird sich um Ihr Anliegen kümmern. Herr Kelsterbach hatte diesbezüglich im Vorfeld mit Ihnen gesprochen, wie er mir sagte. Sollten Sie Rückfragen haben, wissen Sie, wo Sie mich finden können.« Mit diesen Worten und einem freundlichen Lächeln drehte sie sich um und stöckelte zurück an ihren Arbeitsplatz.
»Nehmen Sie bitte Platz!«, forderte mich die junge Frau höflich auf. Sie wirkte ein wenig nervös. »Mein Chef hat mir gesagt, Sie benötigen einen neuen Internetauftritt, und mich mit dieser Aufgabe betraut. Ich studiere Sportmarketing und mache zurzeit ein Praktikum«, ergänzte sie und sah mich mit ihren großen, blauen Augen neugierig an.
»Das klingt interessant und abwechslungsreich.«
»Das ist es, allerdings bin ich noch nicht sehr lange dabei. Bislang macht es jedenfalls viel Spaß.«
»Allerdings hat meine Firma nichts mit Sport zu tun«, gab ich zu bedenken.
»Das macht nichts. Ich habe mir die Unterlagen angesehen, die Sie Herrn Kelsterbach gegeben haben.« Sie deutete auf eine Mappe auf dem Tisch. »Ich denke, ich kann Ihnen behilflich sein, beim Thema Webdesign kenne ich mich ganz gut aus und konnte bereits erste Erfahrungen sammeln. Da gibt es sehr schöne Tools, die einem die Arbeit erleichtern.«
»Auf dem Gebiet bin ich absoluter Laie. Konnten Sie mit meinen Vorschlägen etwas anfangen?« Ich war krampfhaft bemüht, mir meine Skepsis, ob mein Projekt bei der jungen Frau in den richtigen Händen war, nicht anmerken zu lassen. Jeder hat mal klein angefangen und eine Chance verdient, sagte ich mir. Mir war es anfangs nicht anders ergangen.
»Ihre Vorschläge gefallen mir grundsätzlich. Sicherlich kann man das eine oder andere noch optimieren. Ich habe auch schon eine Idee.« Sie griff nach dem Laptop, der aufgeklappt auf dem Tisch stand, und zog ihn dichter heran. Über einen Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand konnte ich gespannt verfolgen, wie sie sich durch die Seiten klickte.
»Was halten Sie davon? Das ist zunächst nur ein grober Vorschlag, wie die Seiten dargestellt und gegliedert werden könnten.« Erwartungsvoll sah sie mich an.
»Ja, das sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus«, bestätigte ich angenehm überrascht und schämte mich ein bisschen für meine anfängliche Skepsis. »Die Farben sind mir allerdings ein wenig zu schrill. Für ein Sportprodukt mag das eher passen als für einen Garten.«
Die Gesichtsfarbe der jungen Frau nahm augenblicklich eine leichte Rotfärbung an. »Stimmt, das hatte ich nicht bedacht. Das kann ich ändern«, war sie bemüht, mir entgegenzukommen.
»Das wäre schön, sonst gefällt es mir ganz gut. Die Menüleiste an der Seite ist schön übersichtlich.« Ich deutete auf den linken Bildrand.
»Das erleichtert das Navigieren durch die Seiten. In diesem Bereich könnten wir noch ein paar Verbesserungen vornehmen, das ist noch nicht optimal gelöst. Verstehen Sie, was ich meine?« Ich nickte. »Dazu benötige ich ein paar mehr Details von Ihnen. Und an dieser Stelle kann man ein zusätzliches Feature einbauen, mit dem sich der Kunde vorab ein Bild von seinem zukünftigen Garten machen kann. Wir geben ihm ein paar Wahlmöglichkeiten vor, quasi eine Art Stilrichtung, nach der Sie dann den fertigen Entwurf ausarbeiten können. Sehen Sie?« Ihre flinken Finger flogen über die Tastatur, und nach einigen Klicks öffnete sich ein neues Fenster, in dem eine Demoversion auf dem Bildschirm erschien.
»Wow!«, stieß ich anerkennend hervor. »Etwas in der Art wäre tatsächlich ansprechend und hilfreich. Tolle Idee! Da waren Sie schon richtig kreativ! Kann ich meine eigenen Fotos von fertigen Gärten einbauen, sofern ich die Zustimmung der Eigentümer habe?«
»Natürlich, das wäre wünschenswert. Ich werde das berücksichtigen.« Sie machte sich in einer Kladde Notizen.
»Wie viel Zeit wird das ungefähr in Anspruch nehmen, bis die Seite fertiggestellt ist?«, erkundigte ich mich.
»Ich denke, dass ich ein paar Tage brauchen werde. Ende der Woche wäre realistisch, vorausgesetzt, Herr Kelsterbach hat nicht haufenweise andere Aufgaben für mich. Momentan steht der Kitesurf-Cup an oberster Stelle der Prioritätenliste. Da gibt es in der Agentur viel zu tun. Es müssen Flyer gestaltet, Pressemitteilungen verfasst und die Homepages der Sponsoren mit Bildern und Infos gefüttert werden.«
»Kann ich mir gut vorstellen. Ein Sportereignis dieses Ausmaßes erfordert eine Menge Vorbereitungszeit, und damit ist es vermutlich nicht allein getan. Bei mir kommt es auf ein paar Tage früher oder später nicht an, letztendlich zählt das Ergebnis. Bei Rückfragen können wir gern telefonieren oder mailen.«
»In Ordnung.«
Ich kramte eine Visitenkarte aus meiner Tasche, reichte sie Juna und verabschiedete mich von ihr.
Als ich am Büro von Arno Kelsterbach vorbeikam, vernahm ich lautstarke Stimmen. Es war nicht zu überhören, dass hinter der Tür eine heftige Debatte im Gang war.
»Da geht es ja hoch her«, bemerkte ich, an Kelsterbachs Sekretärin gewandt, die ebenfalls den Blick interessiert auf die Tür gerichtet hatte.
Doch Dorit Hähnel verzichtete auf einen Kommentar ihrerseits und schenkte mir lediglich ein hilfloses Lächeln, dann richtete sie ihren Blick wieder auf ihren Computerbildschirm.
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