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»Dann haben Sie auch eine Telefonnummer?«
»Natürlich. Ich werde sogleich nachschauen? Wollen Sie warten?«
»Wenn es nicht zu lange dauert, warte ich gern.«
Berendtsen hörte, wie er den Hörer auf der Tischplatte ablegte und eine Schranktür öffnete. Blättern. Schimpfen. Irgendetwas war ihm unverhofft entgegengefallen. Ein Schmunzeln überflog Berendtsens Gesicht.
Er gab die Handynummer durch. Die Kommissare notierten.
»Wie alt ist der Mann geworden?«
»Er las das Geburtsdatum vor. Demnach war er vierunddreißig Jahre alt. Er sah aber jünger aus. Ich kannte ihn gut.«
Hallstein stieß seinen Chef an und flüsterte: »Adresse überprüfen!«
»Können Sie mir die Adresse durchgeben?« Berendtsen stellte den Lautsprecher an.
»Bottrop, Am Sportplatz vier.«
Hallstein notierte.
»Habe ich notiert. Danke für die Auskunft.«
»Kein Thema!«
»Eins noch«, rief Berendtsen ins Handy, als er beinahe aufgelegt hatte. »Hatte er ein Auto?«
»Einen dunkelblauen BMW-Fünfer.«
»Wo steht der Wagen?«
»Er steht immer hier auf dem Parkplatz vor dem Eingang. Moment, ich sehe nach … Ich kann ihn nicht ausmachen. Bleiben Sie dran. Ich sehe mich dort kurz um. Einen Augenblick.«
Die Kommissare sahen sich an.
»Der Wagen steht hier nicht. Seltsam. Ich habe ihn gestern am Nachmittag noch hier stehen sehen. Am frühen Abend ist er noch einmal weg.«
»Die Sache scheint interessant zu werden, Albert.«
»Wir sollten uns seine Wohnung in Bottrop einmal ansehen, Oliver.« Er kontrollierte die Adresse in seinem Smartphone. »Ganz im Norden.«
»Einen Schlüssel wird die Spurensicherung sicher gefunden haben. Lass uns Willi einen Besuch abstatten. Tschüss, Frau Rother.«
»Viel Erfolg wünsche ich.«
»Danke.«
»Ach … Was ist mit den Fingerabdrücken. Haben wir sie vielleicht im System?«
»Es gibt keine Fingerabdrücke. Alles verbrannt. Wollen Sie es anschauen?«
»Nein Danke.«
Kurz und knapp.
Nach einem kurzen Abstecher bei Uschi, die allerdings keine Neuigkeiten zu vermelden hatte, erschienen die beiden bei Willi Schmidt.
»Wir haben einen Schlüsselbund in seiner Hosentasche gefunden«, berichtete Willi. »Ein Autoschlüssel gehört zu einem BMW, ein anderer passt zu der Laube und zwei weitere haben wir sichergestellt, die offensichtlich zu der Wohnung passen, also für Haus- und Wohnungstür. An einer angekokelten Schranktür fanden wir an der Innenseite drei Haken, die offensichtlich als Schlüsselanhänger dienten. An einem befand sich der Zweitschlüssel für die Laube.«
»Dann hat der Täter offensichtlich die drei anderen Schlüssel mitgenommen. Zwei für die Bottroper Wohnung, der andere war der Autoschlüssel, denn das Auto ist weg.« Berendtsen zog sein Taschentuch aus der Tasche und putzte sich die Nase.
Den Wohnungsschlüssel vom Schlüsselbund hatte Willi den beiden Leuten mitgegeben, die nach Bottrop unterwegs waren, um sich die Wohnung anzuschauen.
»Ich habe sie heute Morgen gleich nach der Besprechung rausgeschickt. Sie sind bereits eine Weile bei der Arbeit.«
»Gib uns Bescheid, sobald sie etwas haben.«
»Sie haben schon angerufen. Es war bereits jemand vor ihnen in der Wohnung und hat alles auf den Kopf gestellt. Die beiden suchen nach Spuren. Interessant ist, dass das Schloss aufgebohrt war, obwohl der Täter offensichtlich einen Schlüssel hatte. Das Schloss ist zerstört, so konnten sie nicht feststellen, ob der Schlüssel, den sie mithatten, gepasst hätte.«
Die Kommissare beschlossen, die zwei Abgesandten erst einmal in Ruhe die Wohnung durchsuchen zu lassen.
»Wann wollen sie wieder zurück sein?«, fragte Hallstein.
»Du weißt selbst, Oliver, dass ich dazu nichts sagen kann. In einem solchen Durcheinander muss man mit einer langen Dauer rechnen.«
In diesem Augenblick meldeten sich die beiden Leute aus Kirchhellen.
»Wir sind im falschen Film, Chef. Das ist nicht seine Wohnung. Hier wohnt eine Familie Nowiczek.«
Kapitel 5.
Vor dem Haus in Wulfen fuhr Edwins roter Ferrari Portofino vor. Er war nicht allein. Nana war bei ihm, die jüngere Schwester Raphaels. Den Spitznamen hatte sie sich selbst zugelegt, weil sie sich als Kind immer so genannt hatte. Sie stammte ebenfalls aus Cotonou in Benin. Mit ihren strahlenden Augen und dem weißen Fleck an der linken Schläfe und der leichten, freundlichen Art, ähnelte sie ihrer Mutter. Zu ihrer Freude nicht in der Gestalt. In dieser Richtung hatte sie mehr vom Vater mitbekommen. Während der Körper der Mutter nicht zuletzt durch die Arbeit in der Landwirtschaft kräftig und gedrungen wirkte, hatte sie eher die Maße eines Models aufzuweisen. Ihr glattes Haar und der hellere Teint erinnerten die Familie daran, dass der Großvater aus Frankreich stammte. Er war Ingenieur gewesen und hatte beim Bau der Eisenbahn vom Hafen Cotonou in den Norden mitgewirkt. Heute war es eine der wichtigsten Transportrouten des Landes.
Edwin stammte aus der Flur »Station« der Gemarkung Vlodrop, einem kleinen Dorf in der niederländischen Provinz Limburg, wenige Kilometer von Roermond und weniger als einen Katzensprung zu Fuß von der deutschen Grenze entfernt. Er war immer noch bei seinen Eltern gemeldet, die dort ein feines Restaurant betrieben mit einigen Hotelzimmern für Leute, die dort ein Wochenende in der einsamen Ruhe der Heide genießen wollten. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr lebte er überwiegend in Deutschland. Seine holländischen Eltern konnte er nicht verleugnen. Groß, blond, blaue Augen. Wenn Edwin sie besuchte, fuhr er häufig durch den Wald über die Grüne Grenze. Das war kürzer, als mit dem Auto über den Grenzübergang zu fahren.
Beatrice öffnete die Tür und begrüßte sie freundlich. Sie waren nicht zu erreichen gewesen, erfuhr sie, weil die beiden mit einem auf einen Kleintransporter verladenen Fahrzeuge zum Hafen nach Zeebrugge unterwegs gewesen waren und deshalb ihre anderen Handys dabeihatten.
»Daran habe ich nicht gedacht. Hätte man mir auch sagen können. Ich habe euch gesucht. War der Transport nicht für übermorgen angedacht?«
»Wir hatten einen heißen Wagen. Er ist inzwischen verladen. Den findet keiner mehr«, klärte Nana sie auf.
»Das Schiff legt wie geplant heute Abend ab«, ergänzte Edwin. »Wir sind heute Nacht um halb zwei vom Hof gefahren. Wir waren gut unterwegs. Der Lademeister in Zeebrugge hat uns gegen ein kleines Taschengeld wie immer problemlos durchgeschleust, so konnten wir gegen elf Uhr zurück. Jetzt sind wir hier. Wir konnten Sie nicht benachrichtigen, Bea, weil Sie im Flugzeug saßen. Wie war Ihre Reise?«
»Der Flug war unkompliziert wie immer. Ich konnte über Nacht fliegen. Dann kommt es einem nicht so lang vor. Von Cotonou bis Düsseldorf war ich knapp fünfzehn Stunden unterwegs, weil ich in Rabat umsteigen musste. Aber das wolltet ihr nicht wissen. Euch interessiert das Geschäft. Es hat sich gelohnt. Ich bin zufrieden. Setzt euch. Raphael lässt dich herzlich grüßen.«
»Danke. Ich habe gestern Abend mit ihm telefoniert«
Beatrice schob die große Glastür zur Seite und frische Luft flutete über die Terrasse herein. Der Frühling hatte begonnen, aber nur kalendarisch. Es war jedes Jahr dasselbe. Sie wartete auf den März, dann den April, jetzt ging bereits dieser Monat dem Ende zu, aber einen durchschlagenden Erfolg hatte der Frühling noch nicht gebracht. Heute war indes ein wunderschöner Tag.
»Warum seid ihr zu zweit nach Zeebrugge gefahren? Ihr seid in einem Rutsch hin und zurück kutschiert? Du hast einen Führerschein für Lastwagen, glaube ich.«
»Genau, aber für den Transporter habe ich ihn nicht benötigt«, antwortete Nana. »Wir wollten uns abwechseln. Für einen allein ist die Tour zu weit. Zu zweit konnten wir innerhalb von einem Tag wieder zurück.«
»Sagtet ihr schon. In Benin habe ich – besser gesagt Raphael - die Voraussetzungen geschaffen, den Umsatz mit Gebrauchtwagen zu verdreifachen. Dein Bruder«, sie blickte Nana an, »hat es geschafft, ein an unser Gelände grenzendes Grundstück zu erwerben. Beide Grundstücke zusammen wollen wir als Lagerplatz für Wagen benutzen. Das Areal ist über einen Quadratkilometer groß. Raphael meint, es gehen bis zu einhunderttausend Autos auf den Platz.«
Sie ließ die Worte sacken.
Die Antwort kam von Nana. »Ist es das Gelände der alten Fabrik? Sie haben Steine gebrannt, glaube ich.«
Bea nickte.
»Dann müssen wir hier neue Zentren aufbauen, an denen wir die Wagen kaufen. Sportplätze wie in Essen reichen dann nicht mehr aus. Mir fallen spontan die Parkplätze vor Fußballstadien ein. Wenn man dort mit fünf Leuten antritt … jeder schafft drei Wagen in der Stunde … sind in drei Stunden«, er überschlug, »fünfundvierzig Autos. Müsste zu schaffen sein. So kommen wir bei drei Tagen in der Woche auf einhundertfünfunddreißig Wagen. Bei drei Stadien sind das rund vierhundert Autos in der Woche.«
»Damit können wir jede Woche einen Zug Richtung Zeebrügge beladen. Die Autotransportschiffe laden dort bis zu achttausend Wagen ein. Da werden wir unsere Vierhundert problemlos unterbringen können. Ich kann mich umhören. Ich kenne einen Verlademeister, der uns helfen kann … und wird. Er ist immer sehr entgegenkommend.«
»Bekommen wir so viele Autos zusammen? Gehst du davon aus?«, fragte Bea. »Raphael hat mir versichert, er schafft die Menge. Er kann mit der doppelten Anzahl Wagen fertigwerden.«
»Wenn wir hier in unserem Umkreis nicht so viele Autos ankaufen können, dürfen wir uns nicht auf unser Einzugsgebiet beschränken. Wir müssen expandieren. Wir könnten uns nach Norddeutschland ausbreiten und diese Autos über Bremerhaven verschicken. Andere Häfen schaffen diese Menge Autos nicht, da sie nicht die Parkplätze vor den Anlegern zur Verfügung haben. Dazu kommen die Fahrer, die die Autos auf die Fähren bringen.«
»Was passiert«, wandte Beatrice ein, »wenn wir anderen Mitbewerbern in die Quere kommen?«
»Ich denke, da werden wir Wege finden.« Edwin rasierte einmal mit dem Daumen an seiner Kehle vorbei und lachte.
»Es wäre schön, wenn wir die Möglichkeiten, die uns geboten werden, ausschöpfen könnten. Nicht jedoch sofort an Krieg denken.«
Kurze Pause. Dann fuhr Beatrice fort:
»Was gibt es von euch aus Neues? Habt ihr etwas über die Ratte erfahren können, von der du mir erzählt hast, Edwin?«
»Nein. Ich vermute jemanden von außen, der sich bei uns eingeschleust hat und uns ausspioniert.«
»Du meinst, wir haben einen Bullen im System?«
»Jedenfalls sollten wir vorsichtig sein und Informationen nur an den innersten Kreis weitergeben.«
»Könnte es Mike sein?«
»Wie kommst du auf den?«, fragte Nana.
»Er wusste, dass die Oxygene den Dorstener Gewerbehafen anlaufen solle, war aber nicht zugegen, als sie einlief und der Polizeieinsatz anrollte. Die Kontrolle des Schiffes wäre seine Aufgabe gewesen.«
Nana war erstaunt. »Ich denke, er hat die Gelder eingesammelt?«
»Sagte er, aber ich bin heute die Dealer abgefahren und habe das Geld eingesammelt. Sie haben ihn das letzte Mal vor einer Woche gesehen.«
»Also beim letzten Kassieren?«, vermutete Beatrice.
»Haben sie gesagt. Nur bei May war er und hat kassiert. Zweiundzwanzigtausend.«
»Wann war das?«
»Vorgestern Abend. Ich habe vorher mit ihm telefoniert. Er sagte, er sei unterwegs zu ihr. War er auch, aber er ist nur bei May vorbeigefahren. Das hat sie mir bestätigt. Warum er die anderen nicht besucht hat, weiß der Himmel.«
»Wo ist das Geld jetzt?«
»Gefunden haben wir sie nicht. Ich will nicht hoffen, dass er mit den zweiundzwanzig Riesen durchgebrannt ist.«
»Dazu ist der Betrag zu gering.« Beatrice schüttelte den Kopf. »Was will er damit? Er kommt nicht einmal einen Schuss weit!«
»Nun …, wer weiß, ob er May besucht hat? Vielleicht hat sie das Geld noch und behauptet, es ihm ausgehändigt zu haben. Wir sollten das nachprüfen.«
»Das machte nur Sinn, wenn sie wüsste, dass Mike nicht mehr auftaucht. Also müssen wir ihn dringend sprechen. Wo treibt er sich herum?«
»Wir wissen es nicht. Ich nicht und Nana auch nicht. Wir haben versucht, ihn zu erreichen, aber sein Handy scheint abgeschaltet.«
»Würdest du bitte zu seiner Kneipe fahren und nachsehen? Frage ihn auch, warum er das Geld nicht eingesammelt hat.«
»Ich kümmere mich drum.«
»Ist er abgetaucht? Es gibt keinen Anhaltspunkt. Eine Nachricht hat er nicht geschrieben. Haben wir andere Infos?«
»Ich habe nichts gehört«, erklärte Edwin.
»Ich auch nicht, gar nichts«, bestätigte Nana.
»Wieviel hast du eingesammelt?«
»Sechsunddreißig. Wir waren zusammen unterwegs. Die neuen Dealer sind noch nicht so vernetzt. Sie haben bisher keinen festen Kundenstamm.«
»Was ist mit den Wettbüros?«
»Sie haben das Geld transferiert. Ich denke, es ist bereits im Libanon. Es waren dreihundertachtzigtausend.«
Kapitel 6.
Gegen Mittag waren die beiden Leute der Spurensicherung zurück. Willi Schmidt hatte Berendtsen und Hallstein zu sich gerufen.
Den Mann, Berendtsen schätzte ihn auf sechzig Jahre, ›leicht untersetzt‹, wie diese Körperform in der Sprache der Gallier beschrieben wird, stellte Willi als altgediente und erfahrene Kraft vor.
»Bei dem Haus handelt es sich um ein Zechenhaus, ein Doppelhaus. Links eine Familie, rechts eine andere. Wir parkten vor der linken Haustür. Sie war aufgebohrt und stand offen. Die Wohnung war offensichtlich durchsucht worden. Alles stand Kopf. Ganze Arbeit. Wir fanden verschiedene Dokumente, die auf den Namen Uli und Inga Nowiczek lauteten. Auch in einem Telefonverzeichnis fanden wir weitere Leute mit diesem Namen. Damit nicht genug, Chef. Während wir uns umsahen, kamen Kollegen aus Bottrop und sahen nach dem Rechten. Die Nachbarn der anderen Seite hatten sie benachrichtig. Unser Mann hatte mit dieser Adresse nichts mehr zu tun. Natürlich war die Angelegenheit leicht geklärt. Wir durften dann weiter nach Hinweisen auf den Einbrecher suchen, obwohl das Sache der Bottroper Spurensicherung gewesen wäre. Die Kollegen der Bottroper KTU kamen dann und wir haben uns ausgetauscht.«
»Wir haben uns entschuldigt, weil wir nicht auf das Klingelschild geschaut haben, aber für uns war die Sache klar. Die Adresse stimmte, die Tür war aufgebrochen. Passte alles. Tut uns leid. Die Kollegen haben bei ihrer Dienststelle nachgefragt. Der Mann ist dort noch immer gemeldet. Die Nachbarn haben uns aufgeklärt. Er hat ein knappes Jahr dort gewohnt. Eines Morgens hat er die Wohnung verlassen und ist nicht zurückgekommen. Wenig später sind die neuen Nachbarn eingezogen«, ergänzte die hübsche junge Frau, die dem Dicken zur Seite gestellt war und von ihm lernen sollte. »Anscheinend hat er seinen Wohnsitz nicht umgemeldet. Das scheint unser Täter nicht mitbekommen zu haben. Er hat die Adresse aus dem Melderegister oder aus dem Verzeichnis vom Platzwart.«
»Irgendein Hinweis auf den, der die Wohnung vor euch besucht hat?«, fragte Berendtsen.
»Nichts was ins Auge springt.« Er zog die Schultern hoch. Aus dem Doppelkinn wurde ein dreifaches. Er griff in seine Hosentasche und förderte ein ordentliches Taschentuch zutage, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Anschließend befreite er sich von seinem Anorak und hielt ihn über dem Arm. »Wir haben mehrere Fingerabdrücke genommen. Sie sind bereits in der KTU.« Aus der anderen Hosentasche holte er die Schlüssel und legte sie Willi auf den Schreibtisch.
»Danke für eure Mühen. Wenn ich euch brauche, melde ich mich. Wenn euch noch etwas einfällt … Alles klar. Eines noch! Was haben diese Leute Nowiczek zu eurem Auftritt gesagt?«
»Wir haben sie gar nicht kennengelernt«, schmunzelte der Dicke. »Es ist ein Ehepaar, Rentner bereits. Die Frau liegt im Krankenhaus, er hat sie besucht. Das wissen wir von den Nachbarn. Er fällt in Ohnmacht, wenn er nach Hause kommt.«
»Vielleicht erreichen die Nachbarn sie vorher und können sie schonend vorbereiten«, hoffte das Mädchen.
»Es ist immer ein Schock für die Leute, wenn sie nach Hause kommen und finden die Wohnung nach einem Einbruch vor. Alles durchsucht. Sie brauchen lange, bis sie sich wieder in privater Atmosphäre wähnen. Wir haben das schon oft erlebt. Schließlich sind wir immer die ersten am Tatort. Nach den Einbrechern natürlich.«
»Alles klar. Wir sehen uns!«
»Bis dann.«
»Haben Sie DNA genommen?«, rief Berendtsen hinterher.
»Insgesamt sechs Proben von Umschlägen und herausgerissenen Schubladen. Die müssten dann vom Täter sein. Allerdings müssen wir bei den Alten noch die Gegenproben nehmen. Vom Tatort Schrebergarten haben wir nichts. Alles verbrannt. Was übrig war, haben die Kollegen heute Nacht schon eingesammelt. Die DNA vom Opfer hatten sie bereits sichergestellt. Sie ist schon ausgewertet. Der Mann war mehrfach wegen kleinerer Drogendelikte vorbestraft.
Berendtsen winkte kurz. Sie wussten, dass sie sich entfernen durften.
»Auf Wiedersehen, Herr Kommissar.«
»Dann ist Anschrift auf dem Personalausweis des Opfers veraltet. Der Mörder kannte offensichtlich die neue Adresse nicht. Er hat – wie auch immer – die Daten in dem Verzeichnis des Schrebergartens eingesehen«, überlegte Berendtsen. Er griff in seine Jackentasche und zog Gummibärchen hervor. Hallstein hatte inzwischen auch Geschmack daran gefunden.
Hallstein vermutete, dass der Täter bereits vor dem Attentat die Laube nach irgendetwas Bestimmten durchsucht hat. »Er hat es nicht gefunden und deshalb dieses riesige Spektakel veranstaltet. Er hätte den Mann auf einfachere Art und Weise töten können. Leise und geräuschlos wäre wohl sicherer gewesen. Man hätte erst Tage später einen Toten gefunden.«
»Darauf kam es ihm offensichtlich nicht an. Er wollte – oder musste – sichergehen, dass das, was er gesucht und offensichtlich nicht gefunden hat, nicht mehr zu erkennen ist. Unseren Hartmann musste er ebenfalls aus dem Weg räumen, weil er etwas wusste oder zur Aufklärung hätte beitragen können«, steuerte Willi bei.
Hallstein zog daraus den Schluss, es handele sich um eine »dicke Sache, Chef. Wir sollten uns auf eine Menge Arbeit einrichten. Solchen Aufwand betreibt kein Einzeltäter. Vielleicht war er selbst nicht in Bottrop. Dort könnten auch Helfer gewesen sein.«
»Du meinst …« Willi sprach nicht weiter. Wollte sich nicht festlegen.
Hallstein nickte. »Genau das meine ich. Clan oder Mafia oder Hells-Angels oder ganz allgemein eine Gang.«
Berendtsen ging zur Tür, legte die Hand auf die Klinke, wandte sich nochmals um. »Wie geht’s zuhause?«
»Alles gesund und munter. Und selbst?«
»Alles zu unserer Zufriedenheit. Ich hoffe inständig, dass ich mir heute Nacht keinen Husten geholt habe. Ich hatte heute Morgen einen solchen Hustenanfall, dass mich nebenbei die Hexe angeschossen hat. Mit einigen Dehnübungen habe ich das Schlimmste verhindert. Zuhause habe ich kein Schmerzmittel eingenommen. Ich hoffte, es geht ohne. Ich habe von Uschi eine Tablette bekommen. Jetzt scheint es besser zu werden. Wenn nicht, gibst du mir eine Spritze.«
»Geht klar. Grüße an Irmgard.«
»Richte ich aus.«
Die Kommissare hörten ein fröhliches Lachen auf dem Gang. Frau Günther war von der Befragung der Laubenbesitzer zurück. Sie stand mit Uschi direkt hinter der Ecke und plauderte. Der typische Flurfunk. Schließlich ebbte das Kichern ab.
»Wir müssen den Kommissaren Bescheid geben«, fanden sie.
Mit einem »Schon sind wir da!« kamen Berendtsen und Hallstein um die Ecke und jagten den beiden Damen einen rechten Schock ein.
»Um Gottes Willen! Mussten Sie uns so erschrecken?«
Hallstein musste lachen. »Wir sind die schnelle Truppe, wie ihr wisst. Was gibt es denn für fröhliche Nachrichten?«
»Nur Weiberkram, Herr Hallstein«, antwortete Frau Günther.
Galant hielt Hallstein den Damen die Tür zum Büro auf. Er schob Albert einen Stuhl vor Kopf und setzte sich gegenüber von Frau Günther. Uschi setzte sich neben ihre Freundin.
Berendtsen warf eine halbleere Tüte Gummibärchen auf die Tischplatte.
»Bedienen Sie sich!«
»Vierzig Personen standen auf der Liste, einunddreißig Personen habe ich erreicht«, berichtete Frau Günther und hätte beinahe ein Bärchen ausgespuckt.
»Sprechen mit mehr als zwei Bärchen im Mund will gelernt sein«, spottete Berendtsen. Er erntete ein süßliches Lächeln.
»Die anderen werden zuhause sein oder unterwegs. Die meisten sind erst gekommen, als die Feuerwehr anrückte. Sie hatten nichts gesehen. Aber…! Etwas Glück muss der Mensch haben.« Sie nahm einen USB-Stick aus der Untersuchungsmappe und hielt ihn den Kommissaren vor die Nase. »Hierauf sind zwölf Fotos, die jemand von seinem Dach aus geschossen hat. Er hat die ganze Meute drauf. Mit Handy, aber die Helligkeit der Flammen hat ausgereicht, viele sind zu erkennen. Vielleicht haben wir Glück und finden den Täter. Wir haben Möglichkeiten, zu vergrößern und zu interpolieren. Ich hoffe, wir finden ihn. Zum Zweiten: Vier Leute haben in den letzten Wochen einen Mann beobachtet, der sich den Schrebergarten aus dem Flurfenster des zweiten Stocks des Nachbarhauses angesehen hat. Zu verschiedenen Zeiten. Einer sagt, es sei ein Chinese gewesen. Ob das nun ein Chinese war, kann man glauben oder nicht. Jedenfalls war er, dem Aussehen nach, ein Asiat. China, Vietnam, Japan. Auf diese Distanz können die wenigsten Europäer die Leute auseinanderhalten.«
»Was haben die Leute gesehen?«
»Dieser Mann hat mehrmals mit einem Feldstecher am Fenster gestanden. Fotos gemacht und beobachtet. Sie haben schon gedacht, es gibt einen neuen Bebauungsplan, von dem sie irgendwann aus der Zeitung erfahren, wenn es keine Möglichkeit mehr zum Widerspruch gibt. Einer von den Leuten, der in der Nacht die Fotos gemacht haben, ist leidenschaftlicher Fotograf. Er schießt Bilder aus der Umgebung für die Ruhrpott-Kalender, die man zu Jahresende in vielen Geschäften kaufen kann oder geschenkt bekommt. Er hat mit einem Tele den Fenstergucker auf Platte verewigt. Er hat mir ein Bild von ihm auf seinem Rechner gezeigt. Ich glaube, Roland kann damit etwas anfangen. Das ist noch nicht alles. Auf diesem Stick …«, sie ließ ihn zwischen Daumen und Zeigefinger wippen, »… gibt es ein Foto, auf dem man den BMW vom Parkplatz fahren sehen kann.«
Das war weitaus mehr, als die Kommissare erwartet hatten. Sie hatten Bilder von Leuten, die zumindest mit der Tat in Zusammenhang standen. Roland Schubert, der Spezialist für EDV, war bereits informiert und erschien in diesem Moment mit seinem Laptop unter dem Arm.
»Was ist mir dir passiert?«, wunderte sich Berendtsen. »Bist du unter die Mähmaschine gekommen? Wo ist deine Haarpracht geblieben?«
Roland hatte seine langen Haare, die zuweilen mit einem einfachen Gummiband in einem kleinen Zopf zusammengehalten worden waren, gegen einen biederen Façonschnitt eingetauscht, was sofort auffiel, denn sein Erscheinungsbild wurde durch diese Maßnahme völlig verändert. Außerdem trug er ein Flanellhemd mit zwei kleinen Brusttaschen. Standesgemäß war in der linken Tasche ein USB-Stick mit einer Klammer festgesteckt, wie bei einem Kugelschreiber.
Roland ging auf den Spaß nicht ein. Berendtsen war wohl nicht der erste Mensch, der ihn darauf ansprach.
»Neue Freundin?«, fragte Hallstein
Er brummte Unverständliches vor sich hin.
»Bitte?«, fragte Hallstein überdeutlich.
»Jaa-haa!«, tönte er.
Kapitel 7.
Beatrice kam die Treppe herauf.
»Geht klar. Ich bin in vierzig Minuten dort«, bekam sie noch mit. Dann legte Kris den Hörer auf.
»Du möchtest noch weg?«, fragte sie ihren Bruder. »Wohin fährst du?«.
»Ich habe den Warenbestand im Lager nachgesehen. Wir brauchen Nachschub an Stoff. Der letzte Frachter im Hafen war leer, wie du weißt. Du hast es selbst arrangiert. Die heutige Lieferung kommt im Yachthafen an. Die Beutel wurden schon in Datteln umgeladen. Unsere Boote wurden noch nie kontrolliert. Wir sollten überlegen, das immer so zu handhaben.«
»Wieviel erwartest du?«
»Angekündigt sind fünfzig Kilo.«