- -
- 100%
- +
»Hast du das Geld?«
»Die vier Koffer stehen im Flur. Es sind dieses Mal viele kleine Scheine darunter.«
»Soll ich dir helfen?«
»Ich nehme den Luba. Der steht im Keller. Dann brauche ich nicht durch die Haustür.«
»Hast du eine Eskorte? Du kannst nicht mit so viel Geld allein zu einer Übergabe. Wieviel nimmst du mit?«
»Zweieinhalb. Es ist etwas günstiger als im Winter. Ich habe gehört, dass die FARC in Kolumbien mehr Bauern unter Vertrag hat als vor dem Deal mit der Regierung.«
»Das ist nicht zu glauben!«
»Das Schöne ist, dass der Preis auf der Straße steigt. Somit steigt die Spanne. Die Leute geben mehr Geld für ihr Vergnügen aus. Sie gönnen sich eine Linie. Inzwischen haben wir die ersten Hotspots auf dem Lande. Es muss nicht immer das Ruhrgebiet sein.« Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht.
»Wer fährt mit?«
»Nana und Edwin. Das ist die beste und sicherste Begleitung. Sie gehören zur ›Familie‹, wie du immer betonst. Wir treffen uns an der Eishalle.«
Beatrice fühlte sein Jackett. »Welche Waffe nimmst du mit? Deine Walther?«
Kris nahm die Waffe aus dem Holster, sah das Magazin nach und schob es mit kräftigem Ruck in die Griffschale zurück.
»Neu? Zeig sie mal her.« Beatrice wog die Waffe in ihrer Hand, betrachtete sie eingehend. »Kommt mir leichter und kleiner vor.«
»Sowohl sicherer als auch präziser. Sie reicht. Wang ist kein Fernziel. Wenn ich sie gebrauchen muss, dann höchstens auf eine Distanz von zehn Metern. Aber ich glaube nicht, dass das nötig ist. Wir haben schon so viele Geschäfte zusammen gemacht. Das Vertrauen ist da. Deshalb geht der Austausch auch so einfach vonstatten. Kein Nachzählen, kein Probieren. Sie laden den Stoff um, ich stelle das Geld auf den Steg. Fertig. Fünf Minuten. Die alten Koffer bringt er immer wieder mit. Sparsam ist er.«
Sie lachte. Er drückte sie kurz und verschwand mit zwei Koffern in der Kellergarage. Beatrice trug ihm die anderen beiden nach.
»Wann wirst du zurück sein?«
»Zwei Stunden. Ich lade es direkt in der Halle ab.«
Nana und Edwin blieben im Wagen. Wang hatte vier Leute mitgebracht, die kräftig anpacken konnten. Die Übergabe der einhundert Teebeutel funktionierte wie immer reibungslos. Der eine wog nicht, der andere zählte nicht – vor den Augen des anderen. Man vertraute sich. In der Halle allerdings würde die Ware nachgewogen und auf Gehalt geprüft. Kris wusste, dass Wang ebenfalls kontrollierte. »Dieses Mal hat er viel zu tun«, dachte Kris. Alles Zwanziger und Fünfziger. Wenige große Scheine. Da müssen sie bis zweieinhalb Millionen lange zählen. Er selbst würde wohl fünfundzwanzig Millionen Euro damit erzielen.
»Darf ich Ihnen meine Mitarbeiter vorstellen, Lao Wang?«
»Die beiden im Auto? Ich habe sie gesehen. Gerne.«
Kris klopfte auf das Autodach und gab ihnen ein Zeichen.
»Edwin und Nana. Sie werden in der nächsten Zeit die eine oder andere Lieferung annehmen. Ich möchte, dass Sie sie kennenlernen und die Geschäfte reibungslos weiterlaufen.«
»Ich glaube, den Herrn kenne ich schon. Ich habe ihn bereits einmal am Hafen gesehen. Kann das stimmen?«
Edwin beugte sich leicht vor. »Guten Abend Lao Wang.« Er wusste, wie man einen älteren Chinesen respektvoll anzureden hatte. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ja wir haben uns einmal am Hafen gesehen, sind uns allerdings nicht vorgestellt worden. Ich bin der Einkäufer der Firma. Ich habe die Ware zu prüfen, die ankommt. Erst dann wird verladen. Bei Ihnen ist es etwas Anderes. Ihnen vertrauen wir.«
Wang begrüßte die jungen Leute.
»Ich freue mich, zwei weitere Mitglieder Ihrer Firma kennenzulernen. Herzlich willkommen im Club. Mein Name ist Cai Wang. Selbstverständlich werde ich sie als Geschäftspartner akzeptieren. Geben wir dem Nachwuchs eine Chance!« Wang zog die beiden neuen Mitarbeiter an seine Brust und gab ihnen den Bruderkuss auf beide Wangen. Dann trat er einen Schritt zurück und deutete seinerseits eine Verbeugung an.
Nach einem kurzen, durch einen angedeuteten Diener unterstützten, dankbaren »Danke Lao Wang« verschwanden sie im Auto.
»Bis wann können Sie Nachschub besorgen?«, erkundigte sich Kris, als die beiden anderen bereits im Auto saßen.
»Dieselbe Menge? Gleicher Ort?« Wang überlegte kurz. »Drei Tage?«
»Reicht. Danke. Auf Wiedersehen! Zàijiàn, Lao Wang!«
»Hǎodǎi«
»Auf jeden Fall«, übersetzte Kris. Wenn er auch kein Chinesisch sprach, so kannte er doch gewisse Redewendungen.
Er stieg in den Wagen und stellte den Hebel auf ›D‹.
Ehe er die Tür zuschlagen konnte, rief ihm der Chinese nach: »Shāo děng yīhuǐ'er! Einen Moment, bitte!«, wiederholte er auf Deutsch und trat zu Kris ans Auto. »Wann kann die große Lieferung kommen?«
»Ich rufe Sie an. Bald.«
»Sollen wir auch Crystal Meth mitbringen? Wir können günstig liefern. Aus Malaysia. Kilo unter zehn Mille.«
»Wunderbar! Was können Sie auftreiben?«
»Die Lager sind voll. Deshalb der Preis. Bei hundert Kilo gehe ich auf acht fünf.«
»Qualität?«
»Mindestens fünfundneunzig Prozent. Garantiert.«
»Ich nehme hundert Kilo. Wie ist es verpackt? In Teesäcken?«
»Säcke zu fünfzig Kilo. Hälfte Speed. Der Rest ist Ceylon Tee.«
»Den Tee können Sie behalten. Ich brauche nur das Meth. Ich habe nicht vor, hier mit einem Lastwagen vorzufahren.«
»Okay. Wir packen es aus für Sie.«
»Schicken Sie mir eine Nachricht. Danke. Wiedersehen.«
»Hǎodǎi«
Unterwegs schellte das Telefon. Wang. Kris drückte auf den Hörer am Lenkrad.
»Ja?«
»Haben Sie von der Explosion erfahren?«, fragte er.
»Explosion? Welche Explosion?«
»Ich wurde soeben informiert. Auf dem Schrebergarten in Dorsten ist in einer der Lauben eine Gasflasche explodiert? Haben Sie Ihre Hand im Spiel, Kris?«
»Davon höre ich von Ihnen zum ersten Mal. Was ist genau passiert?«
»Eine Leiche, männlich, Anfang dreißig. Hat ihre Firma das organisiert? Warum habt ihr mir nichts davon gesteckt?«
»Wir haben keine Explosion ausgelöst. Wir sind nicht verrückt. Wenn wir jemanden zu beseitigen haben, geschieht das nicht so spektakulär. Wir lieben die unaufgeregte Stille, wie Sie wissen. Krawall ist nicht unser Stil.«
Wang hatte bereits aufgelegt und die letzten Sätze nicht mehr mitbekommen.




»Weï! Hallo!« Yú, der Fisch, hatte Wangs Nummer erkannt.
Yú, der »Fisch«, war der Chef der 18K-Triade, einer chinesischen kriminellen Vereinigung, die ihre Aktivitäten seit einigen Jahren nach Europa, speziell nach Deutschland ausgeweitet hatte. Niemand kannte den Fisch. Er meldete sich stets anonym über Telefon und immer mit verschleierter Stimme und leicht chinesischem Akzent. Es gab nur wenige Leute, die wussten, wie er erreicht werden konnte.
»Ich wurde soeben informiert, dass im Schrebergarten ein junger Mann durch eine Gasexplosion ums Leben kam. Steckt Ihre Firma dahinter?«, fragte Wang. »Es könnte sich um einen fatalen Fehler gehandelt haben, wenn es sich bei dem Mann um Mike handelt. Warum wurde die Sache nicht mit mir abgesprochen? Der Kerl hat viele wichtige Daten von meinem Rechner gezogen. Wenn diese in falsche Hände geraten, bin ich dran. Und Sie gehen mit! Sorgen Sie dafür, dass wir die Daten umgehend zurückbekommen!«
»Mike beobachtet Sie bereits seit langem. Meine Leute haben erfahren, dass dieser Mann ein Informant des LKA war. Er hat wiederholt Daten an seinen Betreuer geschickt, die wir bisher abfangen konnten. Er scheint Verdacht geschöpft zu haben. Wir mussten ihn ausschalten. Auch zu Ihrer Sicherheit. Wir werden die Daten finden und zurückgeben. Noch Fragen?«
»Warum so aufwändig?«
»Meine Leute wollten sichergehen, dass alle Spuren vernichtet werden. Das ist nach meinen Informationen auch gelungen.«
»Okay. Ich verlasse mich auf Sie.«




Wenige Minuten später erreichten die Drei das Lager. Eine Fertighalle aus Beton zwischen Schermbeck und Wesel in einem Industriegebiet, eingerichtet mit einer Rezeption hinter Sicherheitsglas und allerlei Glücksspielgeräten, an denen die Leute aus der Umgebung ihr Geld verlieren durften. Er setzte das Auto vom Parkplatz aus rückwärts in die Einfahrt zur Halle vor die Rampe, die die Geldtransporter anfuhren. Sobald das Garagentor geschlossen war, luden sie die fünfzig Kokainbeutel und die zwei leeren Koffer, die Kris vom Don zurückerhalten hatte, auf die Rampe. Mit Hilfe seines Smartphones ließ er die für nicht eingeweihte Leute nicht auszumachende Plattform absinken. Die hundert Plastikbeutel verstaute er in einem Raum, der durch Verschieben eines Wandschranks zu begehen war. Edwin und Nana wogen die Beutel nach. Fünfhundert Gramm exakt. Er selbst nahm stichprobenartig einige Prisen aus verschiedenen Beuteln und analysierte das weiße Pulver auf Gehalt. Dazu öffnete er eine Phiole mit Testmittel, gab das Pulver hinein, verschloss das Gefäß und schüttelte. Anhand der beiliegenden Farbskale ermittelte er einen »Sehr hohen Gehalt«. Genau wie er erwartet hatte. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«. Dieses war ein gutes Wort von Lenin. Das zweite, was er von ihm kannte, war »Ein Mensch mit einer Waffe kann hundert Leute ohne eine Waffe kontrollieren«. Dieses Zitat war für ihn nicht weniger wichtig.
Kapitel 8.
Es war schon spät, als Berendtsen in die Puccinistraße einbog. Die Garage seines Nachbarn war geschlossen. Daher nahm er an, dass Franz Roloff, Chefredakteur der Ruhrzeitung, noch nicht in die Redaktion gefahren war. Die Entscheidung, ob er ihn noch stören dürfe, wurde ihm abgenommen.
»Hallo Albert. Ich habe schon auf dich gewartet. Habt ihr viel Arbeit mit der Explosion im Schrebergarten?«
»Wir fangen mit den Ermittlungen gerade erst an. Ich weiß noch nicht, ob es viel Arbeit wird. Wir haben einige Handyfotos von Umstehenden. Ich habe sie mir angeschaut. Für Handys nicht schlecht, aber manche sind einfach zu unscharf. Die meisten Leute haben den automatischen Blitz nicht ausgeschaltet und nicht bedacht, dass das Handy daran die Belichtung ausrichtet. Im Vordergrund ist alles hell belichtet und gestochen scharf, aber das, was uns interessiert, ist nur mit Vorbehalt zu verwenden. Lediglich ein Fotograf, der dort ein paar Tage verbringt, hat vernünftige Aufnahmen abgeliefert. So kommst du mir gerade recht. Dein Mann hat auch Aufnahmen von dem Geschehen gemacht. Könntest du mir davon einige zeigen? Ich denke, sie sind besser als die Laienfotos.«
»Möchtest du kurz reinkommen? Ich habe die Bilder auf meinem Rechner. Du kannst sie gerne anschauen.«
Berendtsen fiel sofort ins Auge, dass diese Bilder ein Profi gemacht hatte. Der Mann hatte neben den Aufnahmen vom Brand und Feuerwehreinsatz, die für die Zeitung vorgesehen waren, nicht vergessen, Details zu fotografieren, die nicht für eine Veröffentlichung geeignet waren. Darunter eindeutig zu identifizierende Leute, sehr derangiert in ihren Schlafgewändern mit übergeworfenen Jacken. Diese waren für Berendtsen interessant.
»Du brauchst sie nicht sofort zu analysieren, Albert. Ich habe sie alle als Kopie gespeichert.« Er drückte ihm den Stick in die Hand. »Nimm sie mit ins Büro als Dank für die Hilfsbereitschaft.«
»Keine Ursache. Bist du auf dem Weg in die Redaktion?«
»Ich wollte längst dort sein, aber ich habe auf dich gewartet, damit du die Aufnahmen noch bekommst.«
»Ganz vielen Dank, Franz. Morgen hast du wieder einen Exklusivbericht auf der ersten Lokalseite. Freue mich schon drauf.«
»Es wird sogar auf der Seite ›Geschehen im Vest‹ abgedruckt. Ein Obolus für Leying, den Redakteur, wird wohl dabei herausspringen. Schönen Feierabend wünsche ich dir. Gruß an Irmgard.«
»Richte ich aus.«
»Na, mein lieber Mann, wie geht es dir? Du hattest einen anstrengenden Tag. Ich sehe es dir an. Hast du Rückenschmerzen? Du hast heute Nacht vergessen, deine Jacke anzuziehen.«
Irmgard nahm ihn in ihre Arme und drückte ihn. Sie kannte ihren Albert und wusste, was er jetzt brauchte. Es hatte eine Leiche gegeben. Sie hatte ihn heute Nacht nicht mehr gesprochen. Er hatte in Maximilians Bett geschlafen, der wegen seines Studiums zurzeit in Aachen weilte. Sie wusste von dem Vorfall im Schrebergarten, weil er ihr eine kurze Nachricht geschrieben hatte. Sie war bereits in der Schule, als sie die Nachricht erhielt.
Er setzte sich in seinen Sessel, lehnte sich zurück und genoss seinen Single Malt von der schottischen Insel Islay. Er hatte in jungen Jahren mit zwei Freunden eine Fahrt durch Schottland unternommen. Dabei hatten sie verschiedene Destillen besucht und deren Whisky probiert. Er bevorzugte seitdem die Sorte Laphroig. Es gab bessere, aber diese Sorten waren nichts für Whiskyliebhaber, sondern nur für Freaks, die entsprechend Geld dafür ausgaben. Mehr als sechzig Euro für eine Flasche auszugeben, um nach einem gruseligen Arbeitstag die Gedanken herunterzufahren, war er nicht bereit.
Als Irmgard ihm einige Schnittchen hingestellt hatte, mit Gurke und Tomate verziert, entspannte sich sein Gesicht. Sie hätte gerne gewusst, wie sein Tag verlaufen war, aber sie begann das Gespräch nicht. Sie fühlte seine Stirn.
»Ich werde mich nie daran gewöhnen«, eröffnete er die Unterhaltung. »Ich bin dreißig Jahre bei der Polizei, davon vierundzwanzig bei der Mordkommission. Die Leute lernen nie, dass sie mit Morden einer Gefängnisstrafe nicht entgehen. Wir schnappen sie früher oder später. Warum glauben manche, dass sie davonkommen? Wie oft sind Morde dazu da, eine Straftat zu vertuschen. Selbst schwere Delikte wie Bankraub oder eine Erpressung werden heute nicht so schwer bestraft wie Tötungsdelikte. Für Mord gehen sie fünfzehn Jahre hinter Gitter. Für einen Banküberfall bist du bei guter Führung nach einigen Jahren wieder draußen. Dennoch begehen Leute Morde, zum Teil an Komplizen, um die eigentliche Tat zu vertuschen. Schon bekommen sie lebenslänglich.«
Albert besah sich die Schnittchen. »Wunderbar!«, lobte er seine Irmgard.
»Nicht alle Morde sind Vertuschungstaten. Manche dienen anderen Zwecken, wie Erbe oder Geld oder … was auch immer«, wandte Irmgard ein.
»Du hast recht, meine liebe Frau.« Er streichelte ihr über die Hand, die auf der Lehne ihres Sessels lag. »Wie war es in der Schule? Sind deine Schüler fleißig und tüchtig wie immer?«
Sie lächelte ihn an. »Wenn es nur so wäre, Albert. Der Unterricht ginge zügiger voran. Aber ich kann mich nicht beklagen. Meine Kurse sind alle gut dabei. Viele Lehrer vergessen vor der Klasse ihre eigenen Schandtaten. Wenn ich daran denke, was wir uns früher ausgedacht haben … Ich denke gerade an unseren Musiktest.«
Irmgard lächelte in sich hinein.
»Erzähle!«
»Ich habe es dir schon einmal erzählt. Ich glaube bereits zweimal.«
Er drängte sie, alles noch einmal zu berichten. Die Geschichte war zu schön.
»Unser Heinzel«, begann sie, »er hieß Heinz Ellermann, schrieb am Ende eines Schuljahres Tests, die im Grunde keinem schwerfielen. C-Dur-Akkord aufschreiben und solche Dinge. ›Wie viele Kreuze hat D-Dur?‹. Dementsprechend war niemals jemand vorbereitet. Eines Tages erfuhren wir unmittelbar vor unserer Musikstunde auf dem Schulhof, dass ›richtige‹ Fragen auf dem Test standen: ›Aufbau einer Symphonie‹. Panik! Johannes – den Hausnamen weiß ich nicht mehr – versprach Abhilfe. Der Test wurde ausgeteilt. Allerseits Schweigen. Plötzlich rief Johannes: ›Hier ist eine Maus!!‹ Er sprang auf den Stuhl und rief weiter: ›Ich schreib kein Wort mehr!« Im selben Augenblick hatten alle Schüler Angst vor der Maus. Heinzel konnte nicht verstehen, dass Schüler der zehnten Klasse Angst vor Mäusen hatten. Der Test fiel aus.«
Beide lachten so herzhaft, als wäre der Streich heute passiert. Die Folge waren erneute Schmerzen im Rücken.
Als Albert die Schnitten und einen zweiten Whisky genossen hatte, nahm er eine Tablette gegen die Schmerzen und berichtete auf Nachfrage von seinem Tag. Details über die verbrannte Leiche ließ er weg.
»Hast du Fieber, Albert?« Gegen seinen Willen zog sie das Fieberthermometer hinzu. Drei Minuten Schweigen. »Siebenunddreißig drei. Du wirst hoffentlich nicht krank, Albert. Warum hast du den Mantel nicht mitgenommen. Ich hatte ihn hingehängt.«
Er ging nicht weiter auf den Vorwurf ein.
»Die Bilder, die die Leute aus dem Schrebergarten aufgenommen haben, sind gut und hilfreich«, schloss er seinen Vortrag, »aber ich verspreche mir noch mehr von den Bildern des Reporters. Es wäre zu schön, wenn der Täter irgendwo in der Menge zu finden wäre, denn ich gehe davon aus, dass er sich über die Folgen der Tat informieren wollte. Er musste schließlich sicher sein, dass die Tat von Erfolg gekrönt war. Wie sich die Sache darstellt, hat er nicht nur den Tod dieses Mannes angestrebt – das hätte er einfacher und unspektakulärer gestalten können – sondern er wollte unbedingt Spuren vernichten. Warum sonst solcher Aufwand? Er gibt damit die erste Info über sich preis: Er oder sie hat Kenntnisse von Schaltungen und Funk! Außerdem besitzt er Plastiksprengstoff und hat Erfahrung damit. Er hat gerade so viel Masse verwendet, wie nötig ist, das Haus komplett in die Luft zu jagen, aber niemand anderem zu schaden. Die Verwüstung betraf nur dieses Areal von dem Toten. Einzelne Bretter und Scherben sind auf die Nachbargrundstücke geschleudert worden. Bagatellen.«
»Das gibt Anlass zu Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Falles?«
»Sollte man meinen, aber diese Anschläge von Spezialisten gestalten sich meistens sehr schwierig. Es sind oft Täter, die mit dem Opfer nicht unbedingt in Verbindung stehen. Die meisten Morde geschehen durch Personen, die dem direkten Umkreis des Opfers zuzuordnen sind. In unserm Fall rechne ich damit, dass der Täter von außerhalb kommt.«
»Auftragsmord?« Sie sah ihren Mann bedenklich an. »Bringe dich nicht in Gefahr, Albert!«
»Passt nicht auf diesen Tathergang. Dann wäre das Auto des Opfers noch auf dem Parkplatz. Es muss einen Grund geben, warum das Fahrzeug verschwinden musste. Wir haben ein Foto, auf dem das Nummernschild des Wagens teilweise zu sehen ist. Ich hoffe, dass wir morgen ein Bild finden werden, auf dem das Nummernschild vollständig zu erkennen ist. Dann müssen wir versuchen, es über das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg auszumachen. Wir haben die Daten online eingesehen. Den Wagen haben wir nicht gefunden. Auf eine direkte schriftliche Abfrage per Fax haben wir bisher keine Antwort erhalten. Die Nummer ist zu unvollständig für eine Suche oder es ist gefälscht. Es handelt sich auch nicht um eine Doublette. Wenn wir auf Basis dieser beiden Kenntnisse auf die Tat sehen, dann haben wir auf der einen Seite einen Täter mit professionellen Kenntnissen, auf der anderen Seite begegnen wir Leuten, die Zugriff auf gefälschte Ausweise und Nummernschilder haben. Im schlimmsten Fall bis in die Behörde hinein. Die Tat war - von dem Täter oder einem Komplizen - sorgfältig vorbereitet. Ehe alles in die Luft gesprengt worden ist, wurden die Schlüssel für seine Hausadresse und der Autoschlüssel entwendet. Ich bin der festen Überzeugung: Dahinter stecken Profis!«
»Du meinst … glaubst du … die Mafia steckt dahinter?«
Kapitel 9.
Beatrice saß bei einem Glas Wein im Sessel. Sie hatte die Füße hochgelegt und las bei leiser Musik in einem Buch.
»Seid ihr erfolgreich gewesen?«
»Er hat die gesamten fünfzig Kilo aufgetrieben. In der nächsten Woche erhalten wir die gleiche Menge noch einmal. So können wir die Schiffladung beinahe kompensieren. Wegen der großen Lieferung werden wir in den nächsten Tagen telefonieren. Hast du etwas von einer Explosion mitbekommen?«
Beatrice wusste von nichts. Sie schlug vor, auf der Internetseite der Ruhrzeitung nachzusehen. Sie wurden fündig.
Explosion in Dorsten – Bombenanschlag?
»In der Nacht zu Mittwoch wurden die Dorstener Anwohner im Stadtteil Berge von einer heftigen Explosion geweckt. Im Schrebergarten der ›Blumenfreunde‹ war in einer Laube eine Gasflasche mit Propangas geborsten. Die Feuerwehr war in Minutenschnelle vor Ort und hatte die Lage bald unter Kontrolle. Noch während die Löscharbeiten andauerten, erschien die Kriminalpolizei mit zwei Beamten des Dezernats Tötungsdelikte. Unser Reporter war vor Ort und hatte die Möglichkeit sich ein Bild von der Lage zu machen. Die Polizei hält sich bei Fragen zu der Ursache zurück. Die Nachbarn kennen den Toten als netten und umgänglichen Mitbürger deutscher Nationalität ohne Migrationshintergrund. Sie schließen ein Attentat nicht aus, weil Feuerwehrleute von einer Fernzündung sprachen. Wie auf einigen Aufnahmen unseres Reporters zu sehen ist, wurde der Wagen des Opfers während der Löscharbeiten vom Parkplatz entwendet. Nach Ansicht des Platzwartes konnte das nur von zwei oder mehreren Tätern durchgeführt werden. Kommt der Terror jetzt nach Dorsten?«
Darunter waren Bilder der abgebrannten Laube und des verwüsteten Gartens sowie der Menschenmenge, auf der keine einzelnen Personen zu identifizieren waren. Auf einem kleineren Foto war ein Auto zu erkennen, das den Parkplatz des Schrebergartens verließ. Das Nummernschild war geschwärzt. Kein Foto und keine Erwähnung der Leiche. Darauf folgten einige Interviews mit Leuten aus der Nachbarschaft, darunter auch Niesser und Maranowski.
Die Geschwister sahen sich fragend an. Ihre Firma hatte mit dieser Explosion nichts zu tun.
»Wie kommt Wang dazu, uns hinter dem Anschlag zu vermuten?« Kris war besorgt. »Handelt es sich bei dem Toten um Mike, den wir seit vorgestern nicht erreichen können?«
»Versuche, ihn zu erreichen.«
Er wählte dessen Nummer. Es meldete sich die Stimme mit der bekannten Ansage von der Unerreichbarkeit des Teilnehmers.
»Warum sollte Wang uns hinter dem Anschlag vermuten, wenn er nicht an Mike denkt?«, überlegte Beatrice. »Er verhält sich stets sehr distanziert und ist vorsichtig mit seinen Äußerungen. Und er ist immer gut informiert«, stellte sie fest.
Kris stimmte ihr zu. »Soll ich den ›Fisch‹ einmal anrufen?«, fragte er?
»Auf keinen Fall! Lassen wir ihn in Ruhe. Er wird uns wissen lassen, was geschehen ist, wenn er es für nötig hält.«
»Wann triffst du dich mit Wang?«, meldete sich Kris aus der Küche.
»Wir haben keinen Termin ausgemacht.«
Er kam mit einem Weinglas zurück. »Hast du einen Schluck für mich?«
Sie schenkte ein.
Sie nahmen einen Schluck.
»Sag mal, Beatrice«, dachte Kris nach einer Weile laut nach, »sollten wir zum Schrebergarten fahren und die Situation vor Ort begutachten? Von diesen Nachbarn, die interviewt wurden, könnte man etwas über den Toten erfahren, das nicht in den Nachrichten steht.«
»Was wollen wir sie fragen? Wir werden nur auffällig. Die Polizei wird das Gelände abgesperrt und nur für Mitglieder geöffnet haben. Aber …«
Ihr Handy meldete sich und kündigte durch den Ton eine verschlüsselte Nachricht auf der Signal-App an.
»Dann wollen wir einmal nachsehen, wer an uns denkt.« Es handelte sich um eine Nachricht, für die sie ein Passwort benötigte. Das bedeutete, die Mitteilung löschte sich selbständig, wenn sie nicht kurzfristig geöffnet würde.