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Letztlich waren es aber auch spekulative Interessen, die das Kloster zu diesem Schritt bewogen: Die Familie Benziger verfügte über ein gutes Handelsnetzwerk und hatte sicherlich Quellen für den direkten Einkauf von religiösen Waren ausfindig gemacht, die das Kloster für sich selbst gewinnbringend zu nutzen hoffte. Die Verbindung war allerdings von kurzer Dauer und wurde vom Kloster bereits 1796 wieder aufgelöst.106
Im August 1799 emigrierte die Familie Benziger für beinahe ein Jahr nach Feldkirch. Französische Truppen besetzten damals erneut Einsiedeln, nachdem sie im Frühling 1799 von österreichischen Truppen aus der Innerschweiz verdrängt worden waren. In dieser Zeit musste die Familie ihr Geschäft wohl vorübergehend aufgeben. Eine tiefere Zäsur scheint es aber nicht gegeben zu haben. Nach dem Tod von Johann Baptist Karl B.-Schädler im Jahr 1802 übernahm sein Sohn Joseph Karl B.-Fuchs das Geschäft als alleiniger Besitzer und erweiterte es kontinuierlich.
Aus den Jahren 1810 bis 1812 haben sich Warenlisten erhalten, die einen Einblick in das damalige Devotionaliengeschäft ermöglichen. Aufgelistet werden zunächst Rosenkränze aus gefärbtem Kokosholz, gefärbten Glasperlen oder Meerschaum-Stein, die in mehreren Dutzend verschiedenen Variationen – etwa mit kreuz- oder herzförmigem Anhänger – feilgeboten wurden und von denen mehrere Tausend Stück an Lager waren. Dann bemalt oder unbemalt vorrätige Holz-, Metall- und Messingkreuze in verschiedenen Grössen und Ausarbeitungen. Zum Angebot gehörten weiter verschiedene Medaillen mit Heiligenabbildungen, vergoldete oder versilberte Ringe und Schlüssel, Michaels- und Benediktuspfennige sowie gipserne Heiligenfiguren. Einen vergleichsweise geringen Stellenwert hatte zu dieser Zeit der Bilderhandel, wenn auch Kupferstiche und kleinere religiöse Gemälde zum Sortiment gehörten. Josef Karl B.-Fuchs bezeichnete sich stolz als einziger Verleger Einsiedelns, der von «allen Gattungen geistlicher Waaren» etwas anzubieten habe.107
Ein zweiter Strang zur Entstehung des Verlagunternehmens führt über die Druckerei, die seit 1664 im Kloster betrieben wurde. Die ehemaligen Angestellten der Klosterdruckerei hatten ihre Beschäftigung verloren, als das Kloster 1798 aufgehoben wurde. Sie gelangten mit der Bitte an die helvetische Regierung, ihnen die Bücher aus dem Klosterverlag zu überlassen, um damit ein Einkommen finden zu können. Noch im selben Jahr entstand ein fünfköpfiges Konsortium, dem Franz Sales B.-Fuchs, der ehemalige Klosterfaktor, und sein Bruder Joseph Karl B.-Fuchs, der Devotionalienhändler, sowie ein Buchsetzer und zwei Buchbinder aus der ehemaligen Klosterdruckerei angehörten. Das Konsortium verkaufte die Bücher aus dem ehemaligen Klosterverlag. Zudem erhielt das Geschäft eine Druckerpresse aus der Klosterdruckerei zugesprochen, die zuvor an den Aargauer Buchdrucker Remigius Sauerländer verkauft worden war. Verlag und Druckerei des Klosters wurden sozusagen «privatisiert» und gingen in die Hände von Dorfbewohnern über, die ihre Chance wahrnahmen, selbst unternehmerisch tätig zu werden.
Ihr Geschäft beschränkte sich zunächst auf den Nachdruck und den Verkauf der Bücher aus dem Klosterverlag. Ein achtseitiger Bücherkatalog aus dem Jahr 1800 zählte 42 verschiedene Titel auf Deutsch, die alle aus dem Klosterverlag stammten. Neben der populären Einsiedler Chronik, der Benediktsregel und einer lateinischen Grammatik enthielt der Katalog vor allem Gebet-, Pilger- und Andachtsbücher. Einige der Titel, etwa der «Grosse Baumgarten», der «Goldene Himmelsschlüssel» oder das «Himmlische Palmgärtlein», waren sehr populär und wurden noch Jahrzehnte, teilweise bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nachgedruckt.108 Hinzu kamen in den ersten Jahren einige Druckaufträge der helvetischen Verwaltungskammer sowie der Gemeinden in Einsiedeln und Schwyz.109
Die ersten beiden Jahrzehnte prägten wechselnde Geschäftsverbindungen das Unternehmen. 1818 übernahm Franz Sales B.-Fuchs die Buchdruckerei als alleiniger Besitzer. Der ehemalige Partner Johann Baptist Eberle gründete im selben Jahr eine zweite Druckerei in Einsiedeln, die bis 1832 bestand. Joseph Karl B.-Fuchs übernahm 1818 den Buchverlag, den er mit seinem Devotionaliengeschäft zusammenführte, das er bislang unabhängig vom Buchverlag betrieben hatte. Druckaufträge liess Joseph Karl weiterhin von seinem Bruder Sales und später von dessen Sohn Marianus ausführen. 1833 richteten seine Nachfolger, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger (1808–1864), erstmals eine eigene Druckerei ein. Mit dem Generationenwechsel um 1830 setzte auch der Aufschwung ein. Das Druckereigeschäft von Franz Sales B.-Fuchs bestand daneben weiter, erlebte aber nie eine grössere Ausdehnung.
Für diese frühe Phase der Entwicklung des Geschäfts erscheint es besonders wichtig, dass die Familie Benziger im ausgehenden 18. Jahrhundert offensichtlich über gute Kontakte ins Kloster verfügte. Aus den revolutionsartigen Aufständen gegen das Kloster, die vor allem in den 1760er-Jahren verschiedentlich vorkamen, wusste man sich herauszuhalten.110 Wie andere Gewerbetreibende litten die Benziger zwar unter der Monopolstellung des Klosters, schafften es aber, sich gewerbliche Freiräume zu schaffen und schliesslich gar eine geschäftliche Verbindung mit dem Kloster einzugehen. Verschiedentlich unterstützte das Kloster die unternehmerischen Tätigkeiten von Mitgliedern der Familie Benziger auch mit grösseren Krediten.111
Eine blühende Industrie – die Firma Benziger 1833–1897
Josef Karl B.-Fuchs und seine Söhne und Nachfolger im Verlagsgeschäft, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger, betrieben, wie schon die Generationen vor ihnen, mehrere Erwerbszweige nebeneinander. Josef Karl B.-Fuchs gründete 1821 in Einsiedeln zusammen mit Heinrich Wyss die mechanische Baumwollspinnerei «Schöngarn», an der vorübergehend auch seine Söhne beteiligt waren. In den 1830er-Jahren zogen sich die Benzigers aus diesem Geschäft zurück. Josef Karl B.-Meyer betrieb bis in die 1850er-Jahre eine Tabakstampfe bei Einsiedeln sowie ein Wirtshaus in seinem Wohnhaus «Hirschen» am Klosterplatz. Den «Hirschen» wandelte Josef Karl 1853 in ein Geschäftshaus für den Verlag um. Sein Bruder Nikolaus unterrichtete in den 1830er-Jahren Zeichnen und Buchhaltung an der Schule im Dorf, bevor er sich ausschliesslich auf die Tätigkeit im Verlag konzentrierte.112
In der ersten Phase ihrer Geschäftstätigkeit im 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Verlegerfamilie Benziger also zunehmend auf das Kerngeschäft: den Buchverlag und den Devotionalienhandel, zu denen sich ab den 1830er-Jahren die Druckerei und der Bilderverlag gesellten. In einer zweiten, sich mit der ersten überschneidenden Phase diversifizierten sie innerhalb des Kerngeschäfts stark. Zum Gebetbuchhandel kamen Schulbücher, Zeitschriften und Kalender, der Bilderhandel, später die Belletristik sowie der Handel mit Paramenten und Kirchenornamenten.
Die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude, der technischen Innovationen sowie der Zahl und Herkunft der Angestellten verschafft uns im Folgenden einen Überblick über das Verlagsgeschäft zwischen dem Generationenwechsel von 1833 und dem Jahr 1897, als der Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die drei Indikatoren sollen uns verschiedene Blickwinkel auf die Unternehmensgeschichte ermöglichen und verschiedene Phasen und Konjunkturen sichtbar machen.
Geschäftsgebäude sind das «Gesicht eines Unternehmens» und haben repräsentative Zwecke. Als erster Indikator dient uns deshalb die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude. Der Benziger Verlag zeigte in den eigenen Verlagsprodukten regelmässig Ansichten seiner Industrie- und Geschäftsanlagen. Ab 1821 (Ankauf Haus Hirschen) hatte das Unternehmen seinen Sitz in einem repräsentativen Wohnhaus direkt am Klosterplatz. 1834 (Adler) und 1846 (Ochsen) wurden weitere Häuser am Klosterplatz hinzugekauft. Bis in die Jahrhundertmitte war die Firma, inklusive der Druckerei, in diesen Wohnhäusern untergebracht und verfügte nur über bescheidene Platzverhältnisse. 1853/54 bezogen die Buchbinderei, die Setzerei und die Druckerei ein barockes Wohnhaus (Wildmann) in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes, das zu einem Fabrikgebäude umfunktioniert worden war. Im Nekrolog von Nikolaus B.-Benziger I (1808–1864) heisst es zu diesem Fabrikgebäude: «Mit Staunen sieht das Auge an der Stelle des frühern Hauses zum ‹wilden Mann›, einer alten zerfallenen Barake, ein stattliches weitläufiges Fabrikgebäude, das allabendlich wie ein Feenpalast illuminirt ist und aus dessen Innern das schnurrende Geräusch von kunstvollen Werken tönt, die täglich, getrieben von der allmächtigen Kraft des Dampfes, tausend und tausend Druckbogen produziren.»113
In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Gebäude hinzugekauft (St. Anton, Einsiedlerhof) oder erstellt (Wildfrau, Arche Noah, Phönix, Delphin). Der Verlag errichtete einen kompakten Industriekomplex inmitten des Dorfs und in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes und der dortigen Verkaufs- und Geschäftshäuser. Den Ausbau der Fabrikanlagen übernahmen teilweise renommierte Architekten wie etwa der Zürcher Johann Kaspar Wolff (1818–1891). Konfessionelle Gräben spielten dabei keine Rolle.114
Die Rückseite eines Verlagskatalogs von 1879 zeigt die Geschäfts- und Fabrikgebäude in einer repräsentativen Ansicht. Zu sehen sind die Buch-, Devotionalien- und Kunsthandlung direkt am Klosterplatz, ein eigenes Gebäude für die Lithographie und für die Kupferdruckerei, Buchbindereien in Einsiedeln, Euthal und Gross sowie im Zentrum die auf mehrere Gebäude verteilte Buchdruckerei mit vorgelagertem Springbrunnen. Geschmückt ist die Ansicht mit vier Medaillen, zwei sind Papst Pius IX. (1846–1878) und dem österreichischen Kaiser Franz Josef gewidmet, die zwei anderen zeigen die allegorischen Darstellungen «Fortschritt» und «Verdienst» (Abb. I.8, S. 193).115 Bis 1892 kamen ein Bilderlager, einige kleinere Ökonomiegebäude an der damaligen Peripherie des Orts sowie ein etwas ausserhalb des Dorfs gelegenes «Kosthaus für junge Angestellte» hinzu.116
Eine lithographische Postkarte, die der Benziger Verlag um 1900 herstellte, veranschaulicht das Zusammenspiel von industrieller Tätigkeit und Wallfahrt in Einsiedeln (Abb. I.4, S. 189). Der Betrachter der Postkarte blickt von Süden auf den weitläufigen Klosterplatz, auf dem einige Pilger zu sehen sind. Rechts begrenzt die barocke Klosterfassade den Platz, links eine städtisch anmutende Häuserzeile. Zahlreiche Souvenir- und Devotionalienstände flankieren den Platz: Manchmal sind es kaum mehr als einfache Bretterbuden, in denen Händler Bücher, Andachtsbilder, Postkarten, Kerzen, Rosenkränze und weitere Gegenstände anbieten.
Hinter der Häuserzeile ragt ein Fabrikkamin in den Himmel, der in seiner Höhe beinahe mit den Klostertürmen zu konkurrieren scheint. Hier befanden sich die Produktionsstätten des Benziger Verlags. Der Kamin, den die Firma Benziger 1894 von der Winterthurer Firma Sulzer errichten liess, war, wie sich anhand zeitgenössischer Fotografien feststellen lässt, in Wahrheit weit weniger hoch und dominierte das Dorfbild weniger stark als auf der Postkarte. Der Kamin, aus dem sich auf der Postkarte Rauch emporschlängelt, ist auf der Karte überhöht dargestellt und sollte auf die fortschrittliche Produktionsweise der Firma Benziger verweisen.
Ab den 1850er-Jahren verfügte die Firma Benziger neben grossen Verkaufsflächen am Klosterplatz und Büro- und Geschäftsräumlichkeiten an bester Lage auch über moderne Fabrikanlagen. Die eher kleinräumigen Verhältnisse und die Aufteilung der Geschäftszweige auf verschiedene Häuser hemmten allerdings die Fabrikation und verhinderten eine weitere Ausdehnung der technischen Betriebe. Gerade die dampfbetriebenen Schnellpressen brauchten viel Platz, der bald nicht mehr zur Verfügung stand.117 Zu einem grosszügigen Neubau in der Peripherie, wie ihn viele andere Verlags- und Druckereiunternehmen im ausgehenden 19. Jahrhundert errichteten, konnte sich die Firma Benziger nicht entschliessen.118 Erstaunlich lange beliess der Verlag seine Fabrikation in der zwischen 1850 und 1870 errichteten Industrieanlage; einige der genutzten Gebäude stammten gar aus dem 18. Jahrhundert. Erst 1970 bezog man einen Neubau am Dorfrand von Einsiedeln.
Als zweiten Indikator betrachten wir, wie das Unternehmen über die Zeit technische Innovationen implementierte. Während Jahrhunderten hatte sich in der Druckerbranche in technischer Hinsicht wenig bewegt. Noch 1820 waren in den kontinentaleuropäischen Druckereien hölzerne Handpressen die Regel. Mit der Industrialisierung lösten eiserne Pressen die hölzernen ab. Bald folgten dampfbetriebene Schnellpressen, die eine höhere Auflage zu weit tieferen Preisen ermöglichten.
Mit dem technischen Wandel veränderte sich auch die Druckerei- und Verlagstopografie. Einige der traditionellen Buchdruckereizentren wie Nürnberg und Augsburg verloren im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Gleichzeitig entstanden zahlreiche neue Druckereiunternehmen.119 Karl Faulmanns «Illustrirte Geschichte der Buchdruckerkunst» von 1882 bietet für Deutschland ein Verzeichnis von 440 Orten, in denen bis zum Jahr 1800 Druckereien gegründet worden waren. Ein «Adressbuch der Buchdruckerkunst» listete 1854 bereits 1400 Buchdruckereien in etwa 780 Orten in Deutschland auf. Bis 1883 verdoppelte sich die Zahl der Buchdruckereien in Deutschland auf rund 2800. Hinzu kamen 1300 Steindruckereien und 750 Betriebe, die sowohl Buch- wie Steindruck ausübten.120 In der Schweiz verlief die Entwicklung ähnlich. Hier verdreifachte sich die Zahl der Buchdruckereibetriebe zwischen 1835 und 1883 von 105 auf über 300.121
Wollten diese Druckereiunternehmen dauerhaft bestehen, durften sie sich dem technischen Wandel nicht entziehen. Verschiedene neue Reproduktionsverfahren wurden entwi ckelt und für die industrielle Massenproduktion nutzbar gemacht. Anhand der Geschichte der Firma Benziger lässt sich diese Entwicklung gut nachzeichnen.
Im Jahr 1833 übernahmen Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger I gemeinsam das väterliche Geschäft. Die Söhne waren damals 34 und 25 Jahre alt und hatten bereits seit ihrer Jugend im Geschäft mitgearbeitet. Der Betrieb, den sie übernahmen, bestand aus dem Gebetbuchverlag, einer Devotionalienhandlung und einer bescheidenen Produktionsstätte für Rosenkränze. Josef Karl und Nikolaus dehnten in den folgenden Jahrzehnten das Geschäftsfeld sukzessive aus. Noch im Jahr 1833 richteten sie eine eigene Druckerei ein. Zuvor hatten sie Druckaufträge in den Druckereien ihrer Cousins Marianus und Sales Benziger ausführen lassen.122 In der Mitte der 1830er-Jahre begannen sie mit dem Aufbau eines Andachtsbilderverlags und richteten dazu eine eigene lithographische Anstalt ein. 1856 folgte eine Stahl- und Kupferdruckerei. Bereits in den 1840er-Jahren eröffneten sie eine fabrikmässig betriebene Buchbindereianstalt.
1844 führte man das Verfahren der Stereotypie ein, das hohe Auflagen bei reduzierten Produktionskosten ermöglichte.123 Das erste Buch, das in Einsiedeln stereotypiert und in dieser Technik gedruckt wurde, war die 31. Auflage des Gebetbuchbestsellers «Freuden des Christen in Gott und Religion» des Franziskanerpaters Aloys Adalbert Waibel (1787–1852). 1845 wurden die ersten dampfbetriebenen Schnellpressen installiert. Benziger kaufte die Pressen von der 1817 gegründeten Firma Koenig & Bauer, die ihre Fabrik im 1803 aufgehobenen Kloster Oberzell bei Würzburg betrieb.
Im Jahr 1847 hatte das Unternehmen bereits eine beträchtliche Ausdehnung erfahren. Ein Bilderkatalog warb in diesem Jahr: «Haben neben Bildern und Kunst auch folgende Geschäftszweige: Lithographie, Buchdruckerei, Stereotypie, Verlagsund Sortimentsbuchhandlung, Buchbinderei, Buchbindermaterialien- und Devotionalien (oder geistlicher Waaren) Handlung. Wir liefern gut und billigst: lithographische Arbeiten jeder Art […] beliebige Buchdruckerarbeiten, gebundene und ungebundene Andachtsbücher eigenen Verlags […] und Werke aus allen Wissenschaften […] Rosenkränze aller Gattungen […].»124 Als Josef Karl und Nikolaus das Geschäft im April 1860 an ihre Söhne übergaben, standen vier Schnellpressen für den Buchdruck (Hochdruck), einige Handpressen sowie mehrere Satinier-, Präge- und Vergolddampfpressen zur Verfügung. Daneben zwanzig Lithographiepressen und fünf Kupferdruckpressen für Stahlstich.125
Die folgende Generation investierte weiter in die technische Infrastruktur. Vor allem Adelrich B.-Koch (1833–1896), der Sohn von Nikolaus B.-Benziger I, bemühte sich um den Ausbau der technischen Betriebe. Unter seiner Leitung wurde 1863 die Zinkographie, der Druck ab Zinkplatten, eingeführt. 1866 folgte die Xylographie (Holzdruck), die vor allem in der Herstellung von Illustrationen in Zeitschriften Verwendung fand. Ab 1889 tauchten fotografische Reproduktionen als Illustrationen in den hauseigenen Zeitschriften auf.126
Ein Bücherkatalog aus dem Jahr 1894 zählt eine unübersichtliche Fülle an Reproduktionsverfahren auf, die der Benziger Verlag in Einsiedeln betrieb: Neben der Kupfer- und Stahlstecherei, einem xylographischen, lithographischen, chromographischen sowie photographischen Atelier betrieb man auch die Zinkographie, die Phototypie, Autophototypie, Chromotypographie, Photolithographie, den Lichtdruck, die Photogravure und Heliogravure.127
Für die Beteiligten bedeutete es einen enormen Aufwand, überall auf dem neuesten Stand zu bleiben. «Die Sache wird jährlich complizirter», schrieb Adelrich B.-Koch im Sommer 1870 in einem Brief, den er aus Lyon nach Hause schickte.128 Um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten, besuchten Mitglieder der Verlagsleitung regelmässig die einschlägigen Industriemessen, wo die neuesten Entwicklungen im Bereich der Reproduktionstechnologien vorgestellt wurden. Adelrich B.-Koch amtierte an mehreren Industrieausstellungen im In- und Ausland, darunter an der Weltausstellung 1889 in Paris, auch als Juror.129
Die Firma Benziger habe «die groessten Buchdruckereien, Steindruckereien, Stahlstichdruckereien der Schweiz», schrieb Nikolaus B.-Benziger II (1830–1908) im Jahr 1904.130 Die Industrieanlagen von Benziger erreichten aber nie die Dimensionen der grossen deutschen Verlagsdruckereien wie Brockhaus in Leipzig oder Cotta in Stuttgart.131 Dennoch verfügte der Benziger Verlag in dieser Zeit über ein technisches Know-how und eine Infrastruktur, die international keinen Vergleich zu scheuen brauchte. So gelang es dem Unternehmen ab etwa der Jahrhundertmitte, sich für einige Jahrzehnte an der internationalen Spitze zu etablieren. Adelrich B.-Koch schrieb 1859 von einer Geschäftsreise an seinen Vater und seinen Onkel: «Es besteht in ganz Deutschland keine Buchbinderei, die wie unsere fabrikartig betrieben wird.» Vergleichbar effiziente Buchbindeanstalten fände man höchstens in England, Paris, New York und Philadelphia.132 Über die eigenen Stahlstichreproduktionen hiess es ein paar Jahre später in einem Brief, den die Verlagsleitung nach Amerika schickte: «In Stahlstichen besteht nichts so gediegenes wie unser Verlag. Das anerkennen […] sogar die eitlen selbstsüchtigen Franzosen.»133
Im Verlag wurde in dieser Zeit der Anspruch gepflegt, Innovationen im Bereich der Reproduktionstechnologien möglichst bald im eigenen Betrieb einzusetzen. Dank der Chromolithographie farbige Andachtsbilder zu produzieren, schien den damaligen Verlegern beispielsweise selbstverständlich. Nikolaus B.-Benziger II schrieb 1867 auf einer Geschäftsreise von München nach Einsiedeln: «Es ist wirklich an der Zeit ‹bald› mit chromo Heiligenbildern zu beginnen, wollen wir die ersten sein.»134 Zwei Jahre später reiste sein Bruder Adelrich B.-Koch nach Paris, um sich vor Ort ein Bild über die lithographischen Schnellpressen der Firma Voirin zu machen. Auch in London besichtigte er solche Pressen. Zunächst liess Benziger seine Farbendrucke noch in Paris bei der Firma Lorilleux herstellen.135 1871/72 investierte die Firma schliesslich die beträchtliche Summe von 42 000 Franken in vier lithographische Schnellpressen, die aus Paris importiert und in Einsiedeln montiert wurden.136 Die Firma Benziger war eines der sehr frühen kontinentaleuropäischen Verlagshäuser, das mit lithographischen Schnellpressen arbeitete, in der Schweiz gar das erste.137
Der Benziger Verlag hat sich in dieser Zeit in einzelnen Fällen auch selbst aktiv um die Entwicklung von neuen Erfindungen bemüht: Mit Cyprien Maria Tessié du Motay (1818–1880), einem französischen Chemiker und einem der Erfinder der Phototypie, standen sowohl das Geschäft in Einsiedeln als auch die Filialen in den USA in Kontakt. Du Motay reiste in den Jahren 1874/75 mehrmals nach Einsiedeln, um in den Ateliers der Firma Benziger Versuche in der Druckfotografie zu machen.138 1879 schrieb die Verlagsleitung in Einsiedeln stolz nach Amerika, dass sie für ihre «Leistungen auf dem Gebiete der Phototypie» zahlreiche Anerkennungen «von den ersten Häusern in Deutschland, Oesterreich und Frankreich» erhalten hätten.139 Mit diesem Verfahren liessen sich Bilder in beliebigen Formaten billig reproduzieren, heisst es in einem späteren Brief. Aufträge verschiedener «der grössten Verleger Deutschlands» seien bereits eingegangen.140
In den eigenen technischen Betriebe wurden in erster Linie Bücher für den eigenen Verlag hergestellt. Dank der fortschrittlichen technischen Infrastruktur wähnte man sich gegenüber der direkten Konkurrenz im Vorteil. Im Januar 1866 schrieb Adelrich B.-Koch in die USA, dass man in Einsiedeln künftig noch stärker darauf achten werde, «nur illustrirte, schöne Bücher [zu] verlegen, die andere nicht nachdrucken können wegen Mangel an guter Einrichtung».141 Einfach auszuführende Druckaufträge liess Benziger, wenn keine eigenen Kapazitäten mehr vorhanden waren, hin und wieder auch auswärts drucken, häufig bei der Firma Brockhaus in Leipzig, mit der man schon länger geschäftlich verbunden war.142
Die Verlagsleitung in Einsiedeln pochte darauf, alle technischen Einrichtungen in Einsiedeln zu konzentrieren, und riet den amerikanischen Filialen stets dezidiert davon ab, selbst Fabrikationen zu betreiben. Die amerikanischen Filialen sollten ihre Verlagswerke in Einsiedeln drucken lassen. So konnte sich Benziger mit seinen Produktionsstätten in Einsiedeln international lange Zeit behaupten. Zum einen sorgte der sichere Absatz der Verlagswaren in den USA für hohe Auflagen und somit eine hohe Auslastung der Maschinen. Zum anderen erschlossen die Filialen dem Geschäft in Einsiedeln Quellen für den Import von kostengünstigen Maschinen aus den USA, die nicht allen europäischen Konkurrenzunternehmen zugänglich gewesen sein dürften. Benziger importierte ab den 1860er-Jahren unter anderem von der Firma R. Hoe & Company in New York und später auch von der Firma Miehle in Chicago Druckerpressen und andere Maschinen für die technischen Betriebe.143
Um die Entwicklung des Unternehmens über die Zeit zu verfolgen, dienen uns als dritter Indikator die Arbeiterzahlen im Verlag. Im Falle des Benziger Verlags sind die überlieferten Zahlen für das 19. Jahrhundert jedoch unvollständig und teilweise widersprüchlich; erst ab etwa 1900 sind die Angestelltenverzeichnisse vollständig überliefert.
Dass die Zahlen stark voneinander abweichen, liegt vermutlich nicht bloss an der lückenhaften Überlieferung, sondern auch daran, dass die Firma ihre Arbeiterverzeichnisse stets als eine Art Betriebsgeheimnis behandelte. Selbst die Konkurrenzunternehmen in Einsiedeln kannten offenbar die genaue Zahl der Arbeiter bei der Firma Benziger nicht.144 Als der Bezirksrat 1877 ein Arbeiterverzeichnis aller grösseren Betriebe im Bezirk einforderte, weigerte sich der Benziger Verlag, ein solches zu erstellen. Die Verleger begründeten ihre Haltung mit der fehlenden gesetzlichen Grundlage und sahen in der Forderung des Bezirksrats eine Strategie ihrer Konkurrenten in Einsiedeln, die ihr Amt als Bezirksräte dazu ausnutzen würden, Spionage über die Arbeiterverhältnisse in der Firma Benziger anzustellen.145
In den Verlagsprodukten des Benziger Verlags und in der Sekundärliteratur finden sich dennoch vereinzelt Angaben zur Zahl der Angestellten, sodass sich deren Entwicklung grob skizzieren lässt. Die Verlagsgeschichte von 1942 nennt für 1830 rund 35 Buchbinder und ihre Familien, die für den Verlag tätig gewesen seien. Daneben darf man sich wohl noch ein paar Dutzend weitere Angestellte vorstellen, die als Kolporteure unterwegs waren, Rosenkränze kettelten und den Devotionalienladen führten, sowie allenfalls einige Büroangestellte, welche die Korrespondenz und die Buchhaltung besorgten. Eine eigene Druckerei unterhielt man damals noch nicht. 1860 waren laut derselben Verlagsgeschichte 90 Buchbinder (wovon 20 in Heimarbeit), 180 Bilderkoloristen und 60 Rosenkranzkettlerinnen für den Verlag tätig. Zur Zahl der in der Druckerei tätigen Personen macht die Verlagsgeschichte von 1942 allerdings keine Aussage.146 Ambros Eberle sprach 1858 in einem Referat von 180 Kindern, die zum Kolorieren von Heiligenbildern herangezogen würden, rund 30 Buchbinderfamilien, die in Heimarbeit tätig seien, einer fabrikmässig betriebenen Buchbinderwerkstätte sowie 50 Rosenkranzkettlerinnen, die für den Benziger Verlag tätig seien. Auch er liess die personalintensive Buchdruckerei unerwähnt.147 Laut der Verlagsgeschichte von 1967 betrug die Zahl der Angestellten um 1850 in Einsiedeln insgesamt rund 500 Personen.148