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Aus der IT kommt der Wunsch, das bestehende und in die Jahre gekommene Warenwirtschaftssystem durch ein neues zu ersetzen. Dabei bleibt zunächst völlig unklar, wie das im Detail aussehen könnte und – noch viel wichtiger – ob dieser Wunsch überhaupt zu den Geschäftsanforderungen passt. Auf Nachfrage äußert der IT-Leiter, dass u.a. nicht-funktionale Anforderungen wie „schnelle Antwortzeit“ und „leichte Wartbarkeit“ durch das aktuelle Warenwirtschaftssystem nicht mehr gegeben seien.
Lösungsanforderungen sind typischerweise detaillierter und umfangreicher als Geschäfts- oder Lösungsanforderungen (vgl. Abbildung G.06). Damit beschreiben sie eine Lösung mit mehr Inhalten und konkreter. Je konkreter eine Lösung durch die Lösungsanforderungen beschrieben ist, desto weniger Freiheit bleibt den Umsetzern dieser Lösung.
Business-Analysten sollten allerdings darauf achten, Lösungsanforderungen fachlich zu beschreiben und die konkrete (technische) Umsetzung den (IT-) Experten zu überlassen.

Abb. G.06: Determiniertheit der Lösung und Freiheitsgrad in der Umsetzung der Anforderungen
Determiniertheit im Zusammenhang mit Anforderungen beschreibt, wie stark diese Anforderungen bereits eine Lösung bzw. ihre eigene Umsetzung vorgeben. Anforderungen mit großer Determiniertheit beinhalten bereits Vorgaben, wie sie (technisch) umzusetzen sind. Anforderungen mit schwacher oder keiner Determiniertheit sind lösungs- und umsetzungsneutral beschrieben.
Weitere Ausführungen zu Lösungsanforderungen finden sich in Kapitel 2.
G.2.2.4 Transitionsanforderungen
Eine Transitionsanforderung ist eine Beschreibung der Aspekte einer Lösung, die den Übergang vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand ermöglichen.
Transitionsanforderungen sind analog zu Stakeholder- und Lösungsanforderungen zu ermitteln, zu analysieren, zu dokumentieren und zu genehmigen. Das Besondere an Transitionsanforderungen ist, dass sie erst definiert werden können, wenn die Lösung (zumindest grob) beschrieben oder entworfen ist. Transitionsanforderungen sind in der Regel nur für den Übergang vom Ist-Zustand zur (neuen) Lösung gültig und befassen sich damit,
wie Daten migriert werden sollen
welche neue Qualifikation oder welche erweiterten Kompetenzen bei den Mitarbeitern notwendig sind, damit sie die Lösung nutzen können
wie Geschäftsprozesse oder Geschäftsvorgänge fortgeführt werden, die im Ist-Zustand begonnen, aber vor Einführung der Lösung noch nicht abgeschlossen werden.
Sollte ein neues Warenwirtschaftssystem bei TREND eingeführt werden, müssen Transitionsanforderungen an die Überführung der Daten aus dem alten ins neue System definiert werden. Ob die Mitarbeiter ein neues Warenwirtschaftssystem erst nach einer Schulung und einer begleiteten Einführung nutzen können, ergibt sich u.a. aus der Benutzerfreundlichkeit des Systems und aus der optischen und technischen Nähe zum alten Warenwirtschaftssystem. Die Business-Analysten müssten u.a. prüfen, ob eine begonnene Bestellung im neuen System fortgeführt werden kann oder ob sie dort neu angelegt werden muss.
Weitere Ausführungen zu Transitionsanforderungen finden sich in Kapitel 3.2.2.
G.2.3 Annahmen und Restriktionen
Nicht alle Äußerungen seitens der Stakeholder sind tatsächlich Anforderungen.
Eine Annahme ist ein noch nicht überprüfter Einflussfaktor auf eine Lösung, die als Arbeitshypothese in die Untersuchung eingeht.
Die TREND Möbelhäuser vermuten, dass junge Kunden fehlen, da kein Online-Shop vorhanden ist. Daraus ließe sich unmittelbar eine Anforderung nach einer Verkaufsmöglichkeit im Internet ableiten. Sinnvollerweise prüfen Business-Analysten aber zunächst erst einmal diese Annahme und entscheiden dann gemeinsam mit den Stakeholdern, ob sie valide ist und weiterverfolgt werden kann, oder ob sie verworfen werden sollte.
Eine Restriktion ist eine zwingende Vorgabe, die eine Lösung einschränkt oder bestimmte Lösungskomponenten erzwingt.
Restriktionen sind wichtige Informationen. Sie werden häufig nicht in einer Lösung umgesetzt, beeinflussen diese allerdings maßgeblich. Daher sollten sie als Restriktionen kenntlich gemacht werden und nicht mit Anforderungen „vermischt“ werden.
Das Management nannte die zwingende Vorgabe, dass das bestehende Warenwirtschaftssystem nicht abgelöst wird. Zudem soll eine Lösung spätestens in 12 Monaten umgesetzt sein.
Die Unterscheidung zwischen Annahmen und Anforderungen bzw. Restriktionen und Anforderungen ist nicht immer offensichtlich. Business-Analysten fragen besser einmal mehr nach, um herauszufinden, womit sie es gerade zu tun haben.
Weitere Ausführungen zu Annahmen und Restriktionen finden sich in Kapitel 2.3 „Anforderungsermittlung“.
G.3 ibo-Anforderungstür®
G.3.1 Übersicht
Business-Analyse ist eine ganzheitliche Methode, die Veränderungen auf ihren Nutzen prüft, Anforderungen an Veränderungen ermittelt, analysiert und dokumentiert, die Einführung von Lösungen begleitet sowie die Business-Analyse selbst plant und steuert.
Die ibo-Anforderungstür® bildet das grafische Modell für die grundlegende Struktur der Business-Analyse. Sie dient dazu, den Überblick über das gesamte Thema zu gewinnen und zu bewahren. Die ibo-Anforderungstür® hat sich in den letzten Jahren als Rahmenwerk (Framework) mit Vorgehensschritten und verknüpften Techniken in Training und Praxis bewährt und etabliert. Sie dient hier als Leitfaden in der Business-Analyse und als Gliederung für dieses Buch.
G.3.1.1 Konzepte
Vier Konzepte beschreiben die Anwendungsfelder, in denen Business-Analysten tätig werden: Business-Case-Erstellung, Requirements Engineering, Lösungseinführung, Business-Analyse-Planung und -Steuerung.
Das Konzept der Business-Case-Erstellung bietet vier Schritte, in denen vorab untersucht wird, ob es sinnvoll ist, sich weiter und detaillierter mit einem Vorhaben zu beschäftigen. Dazu werden unter anderem Geschäftsanforderungen, wirtschaftliche Aspekte, der Kontext und Risiken betrachtet, die die angedachte Veränderung mit sich bringen kann.
Schwerpunkt der Arbeit von Business-Analysten ist normalerweise das Ermitteln, Dokumentieren und Analysieren von Anforderungen. Im Konzept Requirements Engineering werden sinnvolle Vorgehensschritte beschrieben, die von der Vorbereitung bis hin zur Genehmigung der Anforderungen reichen, so dass diese später umgesetzt und eingeführt werden können. Bildlich gesprochen schlägt im Requirements Engineering das Herz der Business-Analyse.
Das Konzept Requirements Engineering beschreibt den Weg der Anforderungen von der Quelle, also von denjenigen, die Anforderungen einbringen, hin zu Entwicklern und Umsetzern. Bildlich gesprochen ist das der „Hinweg“ der Anforderungen.
Das Konzept Lösungseinführung beschreibt den „Rückweg“. Die Einführung einer neu erstellten oder veränderten Lösung (sei es ein IT-System, ein Geschäftsprozess oder eine andere Veränderung im Unternehmen) muss geplant werden, damit sie möglichst gut ihre gewünschte Wirkung entfalten kann. Business-Analysten sollten die Einführung der Lösung begleiten, da sie sich intensiv mit den Anforderungen an die Lösung auseinandergesetzt haben.
Das Konzept Business-Analyse-Planung und -Steuerung ist das verbindende Konzept zu den drei anderen Konzepten, mit dem gesamten Vorgehen vom Business Case über das Requirements Engineering bis zur Lösungseinführung. Durch die Schritte Planung, Ist-Erfassung, Diagnose und Steuerung soll eine effiziente und effektive Business-Analyse sichergestellt werden.
Die verbindende Klammer zwischen Business-Analyse-Planung und -Steuerung und den drei anderen Konzepten bilden jeweils drei Handlungsfelder:
Berufliche Handlungskompetenz, die bei der Ausführung der jeweiligen Aufgaben unterstützt (z.B. Geschäftsverständnis bei der Erstellung des Business Case). Zur beruflichen Handlungskompetenz vgl. die Einführung in Kapitel 1.8.1
Wichtige Zielgruppen für Business-Analysten im jeweiligen Konzept (z.B. Kunden, Management)
Ergebnistyp des jeweiligen Konzepts (z.B. Business Case als Dokument).

Abb. G.07: ibo-Anforderungstür®
Die angesprochenen Veränderungen können in unterschiedlichen Kontexten (z.B. Projekt oder Tagesgeschäft, Releases oder Einzelmaßnahmen) geschehen oder mit unterschiedlichen Vorgehensmodellen (z.B. Scrum oder Geschäftsprozessoptimierung) vorangetrieben werden.
Die ibo-Anforderungstür® kann an unterschiedlich große Veränderungen angepasst werden. Die Kapitel 1-3 geben Hinweise, wie die ibo-Anforderungstür® bei kleinen, mittleren und großen Veränderungen angewendet
wird. Zudem wird jeweils erläutert, wie das Modell in klassischen Vorgehensmodellen bzw. in agilen Vorgehensmodellen angewendet werden kann. Das Kapitel 5 „Business-Analyse in agilen Kontexten“ fasst wichtige Aspekte zu diesem Thema zusammen.
G.3.1.2 Grundprinzipien
Business-Analyse baut auf drei Grundprinzipien, die sich auch in anderen Aufgabengebieten und Disziplinen bewährt haben. Diese Grundprinzipien werden ebenfalls in der ibo-Anforderungstür® angewandt.
Zu den Grundprinzipien zählen
das Vorgehen vom Groben zum Detail
das Vorgehen von den Zielen zur Lösung
rationales Entscheiden.
Vom Groben zum Detail
Bevor man sich in Details verliert und möglicherweise den Überblick verliert, sollte zunächst das Gesamtbild verstanden werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“. Für Business-Analysen gilt deswegen der Grundsatz, erst die Gesamtzusammenhänge (das Big Picture) zu erarbeiten, bevor die Details oder die konkreten Anforderungen untersucht werden.
Der Gesamtüberblick hilft später, die einzelnen Anforderungen in das Gesamtbild einzuordnen. Dann wird auch besser ersichtlich, ob einzelne Anforderungen dazu beitragen, die Geschäftsanforderungen zu erreichen. Zudem fällt es leichter, den Aufwand für die Business-Analyse abzuschätzen, wenn klar ist, wie groß beziehungsweise wie umfangreich das anstehende Vorhaben ist.
Von den Zielen zur Lösung
Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen verspricht oft einen schnellen und gut sichtbaren Erfolg. Dabei tritt allerdings oft das Problem auf, dass diese ergriffenen Maßnahmen sich als nicht zielführend herausstellen. Dann wurden Zeit und Ressourcen verschwendet, manchmal ist sogar eine Verschlimmbesserung die Folge – der neue Zustand ist im Ergebnis schlechter als der alte.
Ziele beschreiben einen zukünftigen Zustand beziehungsweise erwünschte Wirkungen, ohne dabei den Weg zur Umsetzung der Ziele selbst zu beschreiben. Selbst wenn der Weg etwa durch gesetzliche, strategische oder technologische Restriktionen vorgegeben ist, sollten dennoch die Ziele geklärt werden, die am Ende erreicht werden sollen.
Die Lösung ergibt sich aus der Summe der Maßnahmen, die aus einem Ist-Zustand einen künftigen Soll-Zustand entwickeln. Häufig wird bei einer Lösung nahezu zwangsläufig an eine IT-Lösung gedacht, aber nicht alle Anforderungen erfordern unbedingt die IT. Die Business-Analyse sollte in jedem Fall eine ganzheitliche Perspektive einnehmen. Neben technischen Aspekten sollte sie auch prozessuale, strukturelle, strategische und kulturelle Aspekte einer Lösung berücksichtigen. Selbst wenn es auf eine IT-Lösung hinausläuft – was sehr oft der Fall ist – hilft die beste IT-Lösung wenig, wenn ihre Auswirkungen auf Geschäftsprozesse, Aufbauorganisation (zum Beispiel das Organigramm), ihre strategische Relevanz und Akzeptanz bei Beteiligten und Betroffenen nicht analysiert und berücksichtigt wurde.
Rationales Entscheiden
Komplett neue Lösungen zu entwickeln – auf der grünen Wiese neu zu beginnen – kann unter Umständen sehr sinnvoll sein und wirklich innovative und gute Lösungen überhaupt erst möglich machen. Solche Verbesserungen sind manchmal durch ein Vorgehen in kleinen Schritten zur Verbesserung des Ist-Zustands – empirisches Vorgehen – kaum möglich. Gleichwohl setzt die Mehrzahl der Lösungen, die in der Praxis entwickelt werden, auf den Ist-Zustand auf: Bestehende IT-Systeme, vorhandene Geschäftsprozesse, eine existierende Aufbauorganisation sollen dann weiterentwickelt werden.
Wird das Prinzip des rationalen Entscheidens für die Business-Analyse angewendet, steht eine Analyse des Ist-Zustands am Anfang. Aus ihr werden Handlungsfelder und Handlungsoptionen ersichtlich. Zunächst sollten dabei Probleme und deren Ursachen analysiert sowie Ziele formuliert werden. Erst danach sollten Verbesserungsmöglichkeiten des Ist-Zustands ermittelt und Lösungsansätze entwickelt sowie der beste Lösungsansatz weiterverfolgt werden. Rationales Entscheiden bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass nachvollziehbar und mit plausiblen Kriterien aufgezeigt wird, welches der beste Lösungsansatz ist. Jetzt kann entschieden werden, ob „auf der grünen Wiese“ neu gestaltet oder auf dem Bestehenden aufgebaut wird.
Alle drei Prinzipien ziehen sich durch die komplette ibo-Anforderungstür®, finden sich allerdings auch in den einzelnen Konzepten Business-Case-Erstellung, Requirements Engineering, Lösungseinführung und Business-Analyse-Planung und -Steuerung. Hier seien die wichtigsten Anwendungsfelder genannt.
Vom Groben zum Detail wird als Prinzip angewendet, indem zunächst der (gröbere) Business Case erstellt wird, bevor sich Business-Analysten im Requirements Engineering mit den detaillierteren Anforderungen beschäftigen.
Von den Zielen zur Lösung bedeutet, dass die Ziele (Geschäftsanforderungen) frühzeitig im Business Case formuliert werden, ehe über einen Lösungsansatz nachgedacht wird, dieser im Requirements Engineering näher beschrieben wird und die Lösung schließlich genutzt wird (Lösungseinführung).
Rationales Entscheiden findet sich ebenfalls in allen Konzepten wieder. Im Business Case wird beispielsweise zunächst der Ist-Zustand analysiert, bevor Lösungsansätze empfohlen werden. Im Requirements Engineering liegt dem Vorgehen (von der Vorbereitung hin zur Genehmigung) rationales Entscheiden zugrunde. In der Lösungseinführung wird die Wirksamkeit der Lösung geprüft und es wird bewertet, ob die Lösung zielgerichtet ist. In Business-Analyse-Planung und -Steuerung wird die eigene Arbeit als Business-Analyst fortlaufend daraufhin analysiert, ob sie effizient und effektiv funktioniert.
G.3.2 Business-Case-Erstellung

Abb. G.08: Business-Case-Erstellung
„Das Problem zu erkennen, ist wichtiger als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung.“
Albert Einstein
Es gibt viele Ausgangspunkte und Auslöser für Business-Analysen, zum Beispiel:
intern angestoßene Verbesserungsmaßnahmen
extern ausgelöste Veränderungen, beispielsweise durch neue oder andersartige Kundenbedürfnisse oder gesetzliche beziehungsweise regulatorische Änderungen
kleine Veränderungen, die punktuelle Chancen zur Verbesserung wahrnehmen
große Maßnahmen, die im Rahmen von Projekten umgesetzt werden
durch Mitarbeiter genannte Anforderungen
durch Geschäftsführung oder Strategie initiierte Veränderungen
eine Mischung der vorgenannten Auslöser.
Unabhängig davon, wie die Ausgangslage aussieht, sollte die Business-Analyse zuerst versuchen, das Gesamtbild zu verstehen, ehe sie sich näher mit detaillierteren Anforderungen beschäftigt und nach Wegen zu einer möglichen Lösung sucht. Ein Business Case bietet eine Struktur für ein systematisches Vorgehen an. Vier Vorgehensschritte führen von der Untersuchung und Analyse des Ist-Zustands zur Empfehlung eines Soll-Zustands. Um das Prinzip „Vom Groben zum Detail“ zu beachten, erstellt der Business-Analyst den Business Case auf „größerer Flughöhe“.
Leistungspotenziale
Im ersten Schritt der Business-Case-Erstellung analysieren Business-Analysten die Ist-Situation. Diese wird auf fehlende und bestehende Leistungspotenziale untersucht. Wo liegen aktuell Probleme, die es zu lösen gilt? Welche Ursachen führen zu diesen Problemen?
Fehlende Leistungspotenziale sind in vielen Fällen IT-Systeme beziehungsweise IT-Unterstützung, die neu zu erstellen oder zu verbessern sind. Darüber hinaus sollten allerdings auch Geschäftsprozesse, strukturelle Veränderungen und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden.
Bei einer Fokussierung allein auf Schwächen und deren Ursachen übersieht man leicht, welche Leistungspotenziale bereits bestehen. Vorhandene Stärken sollten genutzt und nicht durch Veränderungen (leichtfertig) geopfert werden. Bestehende Leistungspotenziale können analog leistungsfähige IT-Systeme, störungsfreie Geschäftsprozesse, funktionierende Strukturen oder eine positive Kultur sein.
Die TREND Möbelhäuser haben seit einiger Zeit stagnierende und leicht rückläufige Umsätze festgestellt. Auf Vorschlag der Geschäftsführung werden nun Business-Analysten beauftragt, die Ist-Situation näher zu untersuchen. Das Problem ist durch die rückläufigen Umsätze beschrieben. Die Business-Analysten müssen nun die dahinterliegenden Ursachen analysieren.
Sie identifizieren als fehlendes Leistungspotenzial, dass Kunden im Internetauftritt von TREND nicht nach Möbeln suchen, geschweige denn diese kaufen können. Wesentliche bestehende Leistungspotenziale sind die Möbelhäuser, in denen die Kunden einen sehr guten Service erhalten. Diese vorhandenen Leistungspotenziale müssen bei allen geplanten und notwendigen Veränderungen erhalten bleiben.
Geschäftsanforderungen
Wurde die Ist-Situation auf fehlende und bestehende Leistungspotenziale untersucht, werden in einem zweiten Schritt die Geschäftsanforderungen, d.h. die Ziele formuliert. Dadurch wird der Soll-Zustand beschrieben, ohne dass bereits Maßnahmen oder Wege zur Erreichung dieses Soll-Zustands festgelegt werden. Ziele sind erwünschte Wirkungen, erwünschte Ereignisse oder Ergebnisse. Sie beschreiben, was erreicht werden soll, nicht wie es erreicht werden soll. In vielen Fällen lassen sich die Geschäftsanforderungen aus den fehlenden und bestehenden Leistungspotenzialen ableiten.
Aus dem fehlenden Leistungspotenzial „sinkende Umsätze“ formulieren die Business-Analysten „steigende Umsätze“ als eine unter mehreren Geschäftsanforderungen. Aus dem bestehenden Leistungspotenzial „guter Service in den Möbelhäusern“ wird die Geschäftsanforderung, dass dieser Service erhalten bleiben soll, unabhängig davon, welche Veränderungen beziehungsweise Lösungen bei TREND umgesetzt werden.
Die Geschäftsanforderungen sind zu vervollständigen. Die Zielklassen Wirtschaftliche Ziele, Leistungsziele, Kulturelle Ziele und Vorgehensziele können helfen, bisher nicht erkannte Ziele zu erkennen und die Sammlung zu vervollständigen (siehe dazu Kapitel 1.3).
Lösungsansätze
Lösungsansätze beschreiben grobe Wege, wie die Ist-Situation zielgerichtet verbessert und zu einem angestrebten Soll-Zustand geführt werden kann. In vielen Fällen bündeln Lösungsansätze Maßnahmen, die Veränderungen an bestehenden IT-Systemen, Geschäftsprozessen oder der Aufbauorganisation beschreiben. Im Rahmen der Erstellung eines Business Case werden mögliche Lösungsrichtungen formuliert, aus denen nach dem Schritt Empfehlung ein Lösungsansatz gewählt wird, der im Konzept Requirements Engineering detailliert und umsetzungsreif ausgearbeitet wird.
Genauso wie es diverse Ausgangssituationen für die Erstellung eines Business Case gibt, sind auch unterschiedlichste Lösungsansätze denkbar. Häufig sind die folgenden Lösungsrichtungen anzutreffen:
Make or Buy (eine Lösung selbst erstellen oder kaufen)
kleine, mittlere oder große Veränderung
kurz-, mittel- oder langfristige Anpassungen
Quick Wins (schnelle Verbesserungen).
Unabhängig vom gewählten Lösungsansatz sollte festgelegt und dokumentiert werden, was verändert werden darf, soll oder muss (in Scope), und was nicht verändert werden darf oder soll (out of Scope).
Empfehlung
Im Schritt Empfehlung fließen alle drei vorhergehenden Schritte zusammen. Es wird versucht, aus den erarbeiteten Lösungsansätzen den besten herauszufinden. Dazu wird geprüft, welcher Lösungsansatz voraussichtlich die Geschäftsanforderungen (Ziele) am besten erreichen wird. Neben einer finanziellen Analyse oder Kosten-Nutzen-Analyse wird in den meisten Fällen auch eine Risikoanalyse erstellt, welche Risiken mit den einzelnen Lösungsansätzen verbunden sind.
Handlungsfelder
Die Handlungsfelder bestehen aus den drei Komponenten berufliche Handlungskompetenz, wichtige Zielgruppe und Ergebnistyp. Die Handlungskompetenz der Business-Analysten ist gegeben, wenn sie die betrieblichen Zusammenhänge (Geschäftsverständnis) und das Big Picture verstehen. Wichtige Zielgruppe sind Kunden, seien es interne oder externe, für die eine Veränderung einen Mehrwert erbringen soll. Business-Analysten sind in den wenigsten Fällen in der Position des Entscheiders. Das Management entscheidet aufgrund des Business Case über das weitere Vorgehen. Dies kann ein Gremium sein (beispielsweise der Lenkungsausschuss eines Projekts oder ein Projekt-Portfolio-Board) oder eine Einzelperson (Führungskraft, Sponsor, Auftraggeber).
Alle vier Schritte, von den Leistungspotenzialen bis hin zur Empfehlung, fließen als Ergebnistyp dieses Konzepts im Dokument Business Case zusammen. In der Praxis werden dafür unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, z.B. Entscheidungsvorlage, Wirtschaftlichkeitsrechnung oder eben Business Case.
Eine ausführliche Beschreibung des Konzepts Business Case findet sich in Kapitel 1.
G.3.3 Requirements Engineering

Abb. G.09: Requirements Engineering
Das zweite Konzept der ibo-Anforderungstür®ist für viele Business-Analysten das Hauptbetätigungsfeld. Die Bezeichnungen für diesen Teil der Business-Analyse sind vielfältig: Anforderungsanalyse, Anforderungsmanagement, Feinkonzept oder auch fachliche Spezifikation finden sich in der Praxis. Allen gemein ist, dass sie die Aufgaben beschreiben, die mit der Ermittlung von Anforderungen, deren Analyse und Dokumentation verbunden sind.
In diesem Konzept Requirements Engineering wird ein praxisbewährtes sechsstufiges Vorgehensmodell dargestellt, das den Prinzipien „Vom Groben zum Detail“ und „Rationales Entscheiden“ folgt.
Vorbereitung
„In allen Dingen hängt der Erfolg von den Vorbereitungen ab.“
Konfuzius
Die Vorbereitung greift auf die Ergebnisse der Planung aus dem Konzept Business-Analyse-Planung und -Steuerung zurück. Für kleinere Veränderungen wird möglicherweise auf eine Planung und Steuerung der Business-Analyse verzichtet; dann sollte die Vorbereitung allerdings besonders sorgfältig sein.
In der Vorbereitung wird insbesondere der folgende Schritt Anforderungsermittlung detaillierter geplant. Im Sinne einer rollierenden Planung werden die weiteren Schritte erst gröber und dann zunehmend detaillierter vorbereitet.
Zunächst bestimmen Business-Analysten insbesondere die Anforderungsquellen, die Inhalte, die ermittelt werden sollen, und die Techniken, mit denen die Anforderungen erhoben werden. Eine gute Vorbereitung ist für die beteiligten Stakeholder sicht- und spürbar. Die in die Vorbereitung investierte Zeit rentiert sich in vielen Fällen, weil eine strukturierte und ergebnisorientierte Herangehensweise in der Ermittlung die Vollständigkeit und die Qualität der Anforderungen fördert.
Anforderungsermittlung






