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Das versteht er nicht. »Nein, Schröter. Die Ultras sehen das anders. Für die stellen die Provokationen im Stadion keine persönliche Angelegenheit dar. Das ist ein Wettstreit darum, wer das Duell der Kurven gewinnt. Provokationen gehören dazu. Und wenn es eine gute ist, dann respektiert man das.«
Schröter sieht mich skeptisch an. »Eine gute Provokation?«
»Ja, Schröter. Eine kreative.« Mein Partner scheint nicht überzeugt. Ich lege nach: »Für mich ist das ein völlig homogener Gedanke: Du bist wütend, es kommt zum Streit, die Emotionen kochen hoch, und dann geschieht es. Aber aus Respekt vor dem, was Cat als Heldin der Osttribüne und als Ultra geleistet, wie engagiert sie ihren Verein supportet hat, legst du sie hin wie schlafend. So hast du es doch ausgedrückt.«
Ich blicke zu Berti, und der sieht es offensichtlich genauso.
»Versteh ich nicht«, meint Schröter. »Für mich wäre das nur so denkbar: Katrin Benzeler behandelt die gegnerischen Fans respektlos und erhält dafür die Quittung. Dann wirfst du den Leichnam aber in den Dreck und bist mit ihr fertig.«
Wir starren uns alle an. Ach ja. Ich liebe meinen Job.
Aber mein Philosoph ist nicht durch damit. Ich sehe schon, gleich kommt noch was. Na. Wann? Jetzt.
»Wage es, hinter das Offensichtliche zu blicken«, meint er. Da haben wir’s ja. »Vielleicht ist das Emblem im Mund auch nur eine Finte. Inszeniert für uns, um von dem persönlichen Motiv abzulenken. Jemand mochte sie dafür, was sie war, aber hasste es dagegen, wie sie war. Dann wäre es jedoch ebenfalls ein Beziehungsdelikt.«
Gut. Auch nicht unplausibel.
»Okay. Das sind alles schöne Theorien«, meint der Fatzke nun. »Aber halten wir uns an die Fakten. Wie wollen Sie vorgehen?«
»Zunächst das nähere Umfeld abstecken. Rausfinden, ob sie aktuell mit jemandem zusammen war. Damit haben wir bereits begonnen.« Ich sehe zu Schröter. »Eine Beziehungstat ausschließen. Parallel dazu die Fans aus Aalen ins Visier nehmen.«
»Das Emblem, post mortem in den Mund gesteckt. Haben wir einen Psychopathen?«, fragt sich Flöhnrieser laut. »Müssen wir die vom Sexualdelikt dazuholen?«
Bevor ich aufspringen und abwehren kann, klingelt Schröters Handy. »Die Gerichtsmedizin.« Er geht ran. »Aha. Okay. Wirklich!?«
Schröters Augen werden größer. Was ist?
»Verdammt.«
Was?
»Übersehen?«
Was denn? Was ist los?
»Danke.« Schröter blickt betroffen in die Runde. »Katrin Benzeler war schwanger.«
Menopause
»Das werde ich den Benzelers nie und nimmer sagen!«, blaffe ich und lasse den Motor aufheulen. Im Leben nicht! Kann machen, wer will. Ich nicht!
»Verändert die Sachlage nochmals«, bemerkt Schröter auf dem Beifahrersitz.
Als ob ich das nicht selbst wüsste. Schwanger verändert einfach alles!
Der Kopf dreht sich. Too much information. Meine Welt wankt. Nicht, dass ich das nicht kenne. Sie geriet die letzten Jahre bei der Kripo des Öfteren aus dem Gleichgewicht, aber nicht so grundsätzlich. Diesmal schwankt mehr, viel mehr. Mein komplettes, eh schon fragiles Seelengefängnis wird in Gänze durchgeschüttelt.
»Zumindest macht es meine Theorie wahrscheinlicher«, meint mein Partner.
»Ja, ja. Eine Beziehungstat. Geschenkt.« Bin trotzdem nicht davon überzeugt.
Wir sind auf dem Weg in die Ulmer Hauptzentrale, um dort zwei SKB-Beamte zu treffen. »Szenekundige Zivil-Beamte«, die verdeckt im Fußballbereich agieren. Der Fatzke bestand darauf, dass wir mit ihnen sprechen. Ob das Erkenntnisse bringt, kann ich nicht einschätzen. Als ich noch bei den Schwestern war, gab es die ebenso wenig wie das Fanprojekt oder die Sozialpädagogen. Aber ich muss dem Fatzke beipflichten: Die Beamten könnten zumindest eine Ahnung davon haben, was abläuft. Vermutlich schmeckt es mir nur nicht, weil es von ihm kommt und eine dienstliche Anordnung war.
»Schnittig.«
»Was?«
»Du hast einen schnittigen Fahrstil heute.«
»Passt dir was nicht?«
»Ich sag’s nur.«
»So fahr ich immer.«
»Nina. Manchmal bist du echt anstrengend.«
Absurd. Es macht mich wütend, dass ich immer so wütend werde. Bin. Eigentlich bin ich es, permanent. Zumindest fühlt es sich so an. Und das macht mich dann oft zusätzlich wütend, wenn ich mir das klarmache.
»Sie war also schwanger.«
»Warum hör ich nur überall schwanger?«, frage ich und verschalte mich. »Weil ich so zielstrebig auf die Menopause zudrifte?« Ich haue den Gang mit Gewalt rein. Schröter verzieht das Gesicht und lacht. »Manchmal denke ich: Ich stecke schon mittendrin.«
»Ich auch.«
»Schröter. Du bist ein Kerl und 35.«
»Ich meine: Ich denke manchmal auch, dass du schon mittendrin steckst.«
»Alter! Vorsichtig!«
Diese Scheiße hat also nicht nur ein Leben gekostet, sondern zwei. Cat trug einen kleinen Menschen in sich. Ob der Mörder das wusste? Wie hat er sie dann angesehen, danach? Mir wird übel.
»Hat die Analyse ihres Notebooks eigentlich etwas ergeben?«
Schröter schüttelt den Kopf. Bisher keine Auffälligkeiten, erklärt er mir. »Ihrem Unternehmen ging es nicht besonders gut.«
»Was heißt: nicht besonders gut?«, blaffe ich ihn an.
»Schulden. 60.000.«
»Pffff.«
»Da ging ein relativ hoher Betrag vom Konto ab. Bar abgehoben. Immer am 15. des Monats. Nicht ersichtlich, was sie damit machte.«
»Und?«
»Es gab vor einigen Jahren Ermittlungen wegen Schutzgeldforderungen von Rockerbanden.«
Ich blicke ungläubig zu ihm. »Bei Copy-Shops?«
»Egal was für Läden. Sieh auf die Straße, Nina!«
Ich halte das wirklich für äußert unwahrscheinlich. Außerdem kann ich gerade eh keinen klaren Gedanken fassen. Zu präsent und hässlich ist das alles.
Wütend haue ich den Gang ins Getriebe. Der Motor heult auf. Schröter auch, aber nur innerlich. Mehr getraut er sich nicht. Zumutung. Das Ganze ist eine einzige Zumutung. Katrin, das Stadion, ihre Eltern. Alles!
Und was geschieht? Ich schlage um mich. Wie ich es eigentlich immer tue. Auch ich bin eine Zumutung. Behindert. Ich bin einfach behindert. Seit damals.
»Nachher fahre ich«, meint Schröter.
»Vergiss es.«
Böser Tonfall. Nina! Der Psycho-Onkel sagt, ich sei verletzt. Meine Seele sei »verletzt«. Und deshalb sei ich oft so verletzend. Das tröstet natürlich keinen einzigen meiner Mitmenschen.
»Warum hast du eigentlich keine Kinder?«
»Schnauze, Schröter.«
Manche haben es aber auch nicht anders verdient.
Szenekundig
Der Kaffee ist kalt. Geschmeckt hat er von Anfang an nicht.
»Wie lange wollen die uns hier noch schmoren lassen?« Wir sitzen bestimmt seit 30 Minuten in dem Besprechungsraum der Ulmer Hauptzentrale. Er ist noch schlimmer als der unsere. Kalt und kahl. Tisch, Stühle, das war’s. Eigentlich ist das gesamte Gebäude so. Kein Wunder, dass ich mich hier immer frage, ob ich im richtigen Job gelandet bin.
»Kennen die Fans eigentlich die SKBs?«
Ich grinse Schröter an. »Den Stallgeruch kriegst du nicht weg.« Die szenekundigen Beamten agieren zwar in Zivil, man braucht aber nur darauf zu achten, wer im Block bei einem Tor der Heimmannschaft nicht aufspringt.
Endlich geht die Tür auf, und die zwei Beamten kommen rein. Der erste in Uniform. Ich dachte, ihr seid in Zivil unterwegs? Der zweite nicht.
»Morgen, Kollegen. Thomas Scharf, SKB.« Der Uniformierte schüttelt Kaugummi kauend meine Hand, kräftig, dann die von Schröter.
»Guten Morgen. Frank Neupert«, stellt sich der andere vor. Sein Händedruck ist weicher. Sein Tonfall auch.
»Ich sehe, Sie haben sich bedient«, meint Scharf und grinst kauend.
Ja, danke, wir sind bedient.
»Katrin Benzeler war selbstverständlich auf unserem Radar. Kategorie B.« Scharf schüttet die schwarze Plörre in sich hinein als sei es Bier und kaut munter dabei weiter.
»Warum B?«, frage ich. »Sie war doch keine Randaliererin?« Unsere Fußball-Beobachter teilen die Fans intern in die Kategorien A, B und C ein. A ist der »Normalo« oder der brave Kuttenfan, der einfach nur für seine Mannschaft schwärmt, aber friedlich ist. Kategorie B der Fan, der sich in bestimmten Situationen gewaltbereit zeigt, und C ein Hooligan: Ihm geht es nicht um den Sport, sondern ums Prügeln. »Gewaltsuchend«. Nach der offiziellen Einteilung umspannen die Ultras alle drei Kategorien. Ansichtssache.
»Benzeler neigte zu Provokationen«, meint Scharf. »Gegen die gegnerischen Fans wie gegen die Einsatzkräfte. Die Kleine war kaum zu bändigen.«
Ein Gefühl durchfährt mich, das ich nicht einordnen kann. Ich muss innerlich schmunzeln.
»Sie hat sich oft genug auch mit der BFE angelegt.«
»Mit den Schwarzen Gespenstern?«
»Ja.«
Schwarze Gespenster sind Leute der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, kurz BFE, also spezialisierte Kräfte der Landespolizei, die die örtliche Polizei beim Vorgehen gegen gewalttätige Störer unterstützen. Die Dienstvorschrift spricht von »beweissichernden Festnahmen an Brennpunkten unfriedlichen Geschehens«, Großveranstaltungen also, bei denen Auseinandersetzungen zu erwarten sind; Unruhen, Demonstrationen oder Fußballspiele.
»Sich mit der BFE anzulegen ist keine gute Idee«, meint Schröter.
Gespenster nennen wir sie vor allem deshalb, weil die in ihrer ganz eigenen Dimension leben. Zumindest hat man manchmal das Gefühl, dass sie in ihren Kasernen wenig von der realen Welt hier draußen mitkriegen. Und werden sie dann einmal zum Einsatz rausgelassen, dann tragen sie meist noch eine schwarze Sturmhaube unterm Helm. Gesichtslose Geister.
»Da bist du schnell weg vom Fenster«, stimme ich ihm zu.
Mir jedenfalls ist keiner bekannt, der privaten Kontakt zu einem Gespenst hat. Keine Ahnung, wie die eigentlich ticken. Ich weiß nur: Die Gespenster sind besonders ausgebildet, gut ausgestattet und gelten in Polizeikreisen als extrem leistungsfähig. Was auch immer das heißt. Bei Kundgebungen besteht ihre Strategie neben der massiven Präsenz in voller Montur zumeist darin, gezielt einzelne Straftäter und Aufwiegler aus Versammlungen heraus festzunehmen.
»Schwanger?«, wiederholt Neupert ein wenig später mit großen Augen. »Das ist hart.«
Scharf pfeift nur durch die Zähne.
»Und in welche Richtungen gehen Ihre Überlegungen bislang?« fragt sein Kollege weiter.
Schröter und ich sehen uns an.
»Der Zustand der Leiche lässt viele Motive zu«, erklärt ihm mein junges Nordlicht. »Mord aus Leidenschaft, sei es wegen des Spiels, einer Provokation oder was auch immer. Auch eine Sexualstraftat haben wir noch nicht völlig ausgeschlossen. Wir warten auf den abschließenden Bericht der Gerichtsmedizin.«
»Ein heißer Käfer war sie ja«, meint Scharf. Da haben wir sie wieder, die professionelle Pietätlosigkeit. Und damit kann ich aktuell gar nicht umgehen. Wäre es irgendein Opfer, könnte ich mich davon distanzieren. Es ist aber Katrin … und ich bin dünnhäutig wie sonst was.
»Und von uns möchten Sie nun Näheres über die Szene erfahren?«, fängt mich Neupert zum Glück aber ein. Er scheint cleverer zu sein als sein Vorgesetzter.
»Ganz genau«, übernimmt Schröter, und es ist mir mehr als recht. »Wie schätzen Sie Benzelers Position ein?«
Neupert erzählt: Cat sei angesehen gewesen in der Kurve, beliebt und geschätzt von nahezu allen im eigenen Stall, gehasst oder gar gefürchtet von anderen Lagern. Stand auch unter spezieller Beobachtung der SKBs. »Gerade weil sie so schwer einzuschätzen war, sich immer Neues einfallen ließ.«
»Und weil der blonde Giftzwerg immer Ärger machte«, meint sein kauender Kollege Scharf. »Sie hat mehrmals versucht, Kollegen der BFE anzuschwärzen. Ich glaube, es laufen noch zwei ihrer Anzeigen, eine wegen Nötigung und eine sogar wegen sexuellen Übergriffs.«
»Mit Uwe Boltz allerdings, dem Capo der Fanatico Boys, hatte sie ihre Schwierigkeiten«, fällt Neupert Scharf ins Wort.
»Wohl eher er mit ihr. Die Bohnenstange. Die hat dem Jungen ordentlich eingeheizt.«
Ich spüre ein Kribbeln in den Beinen. »Was meinen Sie damit?«
»Sie hat ihn öfter kritisiert.«
»Ich meine die Bohnenstange.«
Scharf lacht. »Ach so. Bolz ist eben lang und ziemlich dürr.«
»Wie war das Verhältnis zu den Aalener Fans in letzter Zeit?«, frage ich.
Neupert rümpft die Nase. »Die haben eine lange Geschichte miteinander. Freunde werden die sicher nie.« Davon bin ich überzeugt. »Haben sich getriezt, wo immer es ging.«
»Gab es in jüngerer Vergangenheit spezielle Vorfälle im Block?«, erkundigt sich Schröter.
»Außer dem Busenblitzer am Sonntag?«, lacht Scharf. »Konnte es nur aus der Entfernung sehen. Aber ich kann sagen: Einen BH brauchte die wirklich nicht.«
»Es gab genügend Vorfälle, aber nichts Herausstechendes«, meint Neupert. »Im Prinzip war Benzeler harmlos.«
Scharf schüttelt entschieden den Kopf. »Also, Kollegen, jetzt mal Klartext: Neupert gehört leider ein wenig zur Weichspüler-Fraktion und nimmt gewisse Tendenzen auf die leichte Schulter. Katrin Benzeler war definitiv ein subversives Element, das Gesetz und Ordnung für einen Witz hielt.« Neupert will etwas äußern, kommt aber nicht dazu. »Diese sogenannten Fans sehen das Stadion als ihre Spielwiese an, auf der sie sich austoben und am Wochenende Dampf ablassen können. Und am liebsten treiben sie schon auf dem Weg dorthin ihre Spielchen mit der Polizei.«
Ich sehe zu Neupert; er kommentiert die Aussage nicht. »Als Szenekundiger kennen Sie aber auch die Methoden der Gespenster«, sage ich, »und wissen, dass die diese Spielchen oft genug provozieren.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, antwortet Scharf schmatzend. Neuperts Gesichtszüge scheinen harscher zu werden.
Dann muss ich deutlicher werden. »Eskortieren der Fans in der Bahn, Empfänge von Fangruppen am Bahnhof in voller Ausrüstung, alles am besten noch mit Videoüberwachung. Leibesvisitationen friedfertiger Leute, willkürliches Herausziehen einzelner Personen, kollektives Einkesseln.«
»Mir kommen die Tränen. Sie werden den Einsatzleitern hoffentlich nicht verbieten, dass sie aus Fürsorge für ihre Mitarbeiter das Aufsetzen von Helmen anordnen. Dass die Ultras das in ihrer bierschwangeren Stimmung nicht nachvollziehen können, ist ja nicht deren Schuld. Jedenfalls haben sich Katrin Benzeler und der Boltz bei solchen Gelegenheiten oft genug mokiert und die Menge aufgewiegelt. Ist doch klar, dass man die als Erstes rauszieht.«
»Klingt aber nicht so, als ob man auf Dialog setzt«, meint Schröter.
Scharf kommt in Fahrt. »Kommunikation ist immer unser erstes Mittel. Aber mit denen ist doch nicht zu reden.« Er wendet sich an mich. »Und was die Einzelkontrollen angeht: Wenn Sie mir sagen, wie wir sonst das Hineinschmuggeln von Pyrotechnik oder Wurfgeschossen verhindern sollen, dann nur zu.«
Neupert wird unruhig auf seinem Platz. Mir geht es nicht anders. »Wollen wir uns nicht lieber auf das Opfer konzentrieren?«, wendet er ein, und Schröter und ich nicken.
»Das ist so eine Sache mit Opfern, die oft genug Täter waren«, muss Scharf noch nachsetzen.
»Jedenfalls gab es zwischen dem relativ neuen Capo und der Toten Querelen«, ignoriert Neupert seinen Vorgesetzten. »Das werden ihnen die Jungs des Fanprojekts sicher bestätigen. Es geht ja darum, wer das Sagen hat, die Macht im Fanblock. Und wenn ich das richtig deute, glänzte Benzeler nicht nur mit den besseren Ideen für Choreos, sondern war Boltz auch in den meisten anderen Dingen überlegen, zum Beispiel intellektuell.«
Ich blicke zu Scharf, kein Kommentar.
»Andererseits hat Uwe Boltz das bewusst genutzt: Benzeler schaffte es nicht nur immer wieder, uns auszutricksen, sondern war die kreative Ideenlieferantin, wenn es darum ging, den gegnerischen Fans eins auszuwischen. Die haben sich, wie wir, ab und an auf die Gruppe um den Capo konzentriert, und Cat konnte unterhalb des Radars agieren.«
Scharf schüttelt den Kopf. »Manchmal habe ich den Eindruck, du findest das witzig.« Er spuckt sich begleitet von einem ekelhaften Geräusch den Kaugummi in die Hand und wirft ihn in seine Kaffeetasse. »Wir konnten es ihr nicht nachweisen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es war, die sich letzte Saison in Sandhausen mit zwei weiteren Frauen von den Societas mitten in den gegnerischen Fanblock schlich, um dort rot-blaue Rauchtöpfe zu zünden. Fragen Sie mich nicht, wie.«
»Das hat denen sicher nicht besonders gefallen«, schmunzle ich. Scharf drückt sich ein neues Kaustück aus der Packung. Nikotinkaugummi.
Neupert erzählt uns noch weitere Beispiele, die zeigen, dass Cat in den letzten Jahren aufgerüstet hatte, nicht nur die SKBs und die Polizei mit kreativen Mitteln erfolgreich foppte, sondern auch die gegnerischen Fans. Dass sie sich damit einen Namen erwarb unter den heimischen Ultras wie in der Szene, ist verständlich, ebenso dass der Capo sich diese Ressource sicherte und ihre Beliebtheit für sich nutzte. Während Neuperts Schilderungen bleibt Scharf still, wenn auch nicht ruhig. Ich sehe genau, dass er innerlich kocht bei der ein oder anderen Geschichte. Überhaupt scheint er recht wenig Spaß zu verstehen.
Als wir uns für die Informationen und den delikaten Kaffee bedanken und den beiden Männern die Hände schütteln, zieht Scharf mich nochmals zu sich heran. »Wissen Sie, Frau Schätzle, ich bin auch Fußballfan. SSV Ulm.« Die mochten wir nie besonders. »Deshalb finde ich es so nervig, dass diese jungen Chaoten den Fußball kaputt machen. Ich würde am Wochenende viel lieber im Stadion sitzen und meine Mannschaft anfeuern. Stattdessen rauben uns die Ultras unsere wertvolle Freizeit.«
»Wenigstens sind Sie mit Ihrem Job trotzdem in einem Stadion.«
Er lächelt, meint es aber nicht so. »Man ist nicht Teil des Ereignisses.«
Kann ich mir vorstellen.
»Wissen Sie, was mir am meisten auf die Nerven geht an diesen sogenannten Fans? Dass die einfach keinen Anstand besitzen. Die wissen nicht, was sich gehört. Sie kommen mit Bus und Bahn schon betrunken in der Stadt an, halten auf dem Weg ins Stadion den ganzen Verkehr auf und binden dabei Einsatzkräfte, die eigentlich woanders gebraucht werden, pissen überall hin und stören normale Leute bei dem Genuss eines Fußballspiels.«
Ich frage ihn nicht, was genau er unter »normalen Leuten« versteht.
»Diese verzogenen Kids haben einfach keine Kinderstube. Weiß nicht, was die Eltern gemacht haben. Vermutlich gar nichts. Die sehen das Spielwochenende als Legitimation an, gegen alle gesellschaftlichen Regeln zu verstoßen, und sind dann erstaunt, dass nicht jeder Stadionbesucher ihre Ansicht teilt. Und wir Ordnungshüter eben auch nicht.«
Ich blicke zu Neupert, aber Scharf ist noch immer nicht fertig. »Katrin Benzeler zählte definitiv zu denen. Sie mochte es immer bunt und schrill. Ich hatte selbst einmal eine Auseinandersetzung mit ihr, vor einem halben Jahr vielleicht. Als sie ein Kollege der BFE angeblich zu hart anfasste. Dabei ist doch klar: Jeder Polizeibeamte ist gesetzlich dazu verpflichtet, Gefahren von Personen abzuwehren. Einen Spielraum gibt es da nicht.« Er sieht mich durchdringend an.
»Inwiefern zu hart angefasst, Herr Scharf?«
Ein kurzes Lachen schüttelt ihn. »Die haben uns bei ihrer Anreise nach Ulm an der Nase herumgeführt, sich anders als sonst auf mehrere Züge verteilt. Wir aber durchschauten es rechtzeitig, und eine Einheit der BFE konnte sie am letzten Bahnhof vor Ulm abfangen, ein paar bekannte Gesichter herausziehen. Und das Kätzchen haben sie im Einsatzwagen festgesetzt und schmoren lassen. Da hatte das Spiel schon längst begonnen. Als ich dazukam, saß sie nur in Höschen und T-Shirt bekleidet im Bus, sagte, sie müsse dringend mal pinkeln und die Kolleginnen hätten es ihr nur unter der Bedingung erlaubt, dass die sie rechts und links dabei sichern. Angeblich hätte sie so nicht gekonnt.« Er zieht die Achseln hoch, grinst frech.
»Ich hoffe, Sie haben das Ihren Vorgesetzten gemeldet«, antworte ich, und er lässt endlich meine feuchte Hand los.
Ockhams Rasiermesser oder der Kampf ums Faktische
»Hat sich bei ziemlich vielen unbeliebt gemacht, deine Freundin.«
Schröter und ich stehen mit verschränkten Armen an unsere Schreibtische gelehnt, glotzen zum Fenster hinaus, hinab auf die Schnaitheimer Straße. »L & L«. Lungern und Lauern. Die zwei großen Ls der Polizeiarbeit sind kriminalpolizeiliche Grundhaltungen. Wir lungern vor Haustüren, im Büro oder vor Gericht, lauern im Besprechungsraum, vor Akten, Fotos, Computern. Wir lungern und lauern vor dem Fall als Ganzem, belungern und belauern ihn und die Verdächtigen so lange, bis einer nachgibt.
»Scharf und Neupert sind bei jedem Spiel dabei, oder?«
Ich bin gedanklich woanders. Bei Cat, bei den Schwarzen Gespenstern und dabei, wie die mit uns umsprangen damals. Kann mir denken, dass das heute noch krasser ist. Schließlich wird nahezu alles immer krasser.
Ich muss an einen Tag denken, als Cat und ich zusammen mit unseren damaligen Kerlen im Fanbus nach Stuttgart saßen. Schon vor der Stadt wurden wir von einem Motorradpolizisten abgefangen und auf einen Parkplatz gelotst. Dort lauerten 40, 50 Polizisten der BFE auf uns. Als der Busfahrer die Türen öffnete, stürmte etwa ein Dutzend Polizisten mit Schlagstöcken herein, befahl den Stehenden, sich auf ihre Plätze zu setzen und sicherte den Gang. »Willkommen in Stuttgart«, brüllte einer. »Hände auf den Vordersitz! Wir führen eine Personenkontrolle durch und untersuchen diesen Bus auf Waffen und Pyrotechnik.« Jeder von uns wurde einzeln aus dem Bus geführt, musste seinen Namen in eine Kamera sprechen und den Personalausweis abgeben. Taschen ausleeren, Jacke ausziehen, Schuhe und Socken, sich an eine Mauer stellen, dann Leibesvisitation, bei um die null Grad. Bei Frauen wurde auch der BH kontrolliert. Danach ging es in einen Container, der vielleicht zehn mal zehn Meter groß war und sich nach und nach füllte mit bereits durchsuchten Fußballfans. Immer mehr baten darum, austreten zu dürfen, erhielten aber keine Erlaubnis. Die Kerle nutzten eine Ecke dafür. Und wir weiblichen Fans bettelten darum, auf die Bustoilette gehen zu dürfen. Durften wir nicht. Als die Gespenster uns endlich wieder aus dem Container herausließen, lagen in einer Plastikschale neben dem Eingang zum Bus zwei Chinaböller und ein wenig Rauchpulver. Und ich hatte mir in die Hosen gepisst.
»Da habt ihr einen richtig dicken Fang gemacht«, meinte Cat zu dem Beamten, der vorhin die lautstarke Rede gehalten hatte.
Als wir alle wieder auf unseren Plätzen saßen und der Bus losfuhr, zog Cat auf dem Sitz vor mir die Plastikstangen unseres neuen Societas-Banners an sich, schraubte an der unteren Seite den Pfropf der hohlen Stange ab und ließ schmunzelnd ein paar Pyros in ihre Hand gleiten. »Wie gut, dass unsere Ordnungshüter so wenig Fantasie besitzen.«
Johannes umarmte sie lachend. »Dir mache ich mal drei wunderhübsche Babys.«
Und Cat antwortete: »Wer sagt dir, dass ich drei Bälger will?«
»Also. Die rivalisierenden Ultras«, holt mich Schröter zurück ins Heute. »Sie feinden sich an.«
»Die putzen sich gegenseitig ein bisschen runter. Aber das sind Scheingefechte. Meistens.«
»Sie provozieren sich.«
»Ja. Sie werden fies. Klar. Eigentlich finden zwei Spiele statt im Stadion. Das auf dem Platz zwischen den Mannschaften und das am Spielfeldrand zwischen den Fanblocks. Manchmal verlierst du auf dem Platz, aber erzielst in der Kurve einen Achtungssieg.«
»Und wenn es eskaliert, gibt’s Dresche.«
Wenn man etwas nicht kennt, sieht man oft nur schwarz-weiß. Aber ja. Manchmal gerät es ein wenig aus dem Ruder.
»Es ist ein Spiel. Mehr nicht«, sage ich. »Auch in der Kurve. Man stichelt ein wenig gegen den Gegner oder übt Druck aus. Versucht, ihn zu provozieren und aus der Reserve zu locken. Macht ihn verbal runter.« Schröter sieht mich skeptisch an. »Auf dem Platz geschieht auch nichts anderes. Das ist Teil der Taktik. Psychologische Kriegsführung. Der Verteidiger steckt dem Stürmer gleich in den ersten Minuten, dass er ihm heute keinen Zentimeter gönnen wird. Tritt ihm zur Bekräftigung einmal ordentlich auf die Zehen oder gegen das Schienbein, zieht unauffällig an seinem Trikot, sodass der Schiri es nicht mitkriegt. Und sagt ihm dann, dass seine Mutter eine Hure ist.«






