Der Bergboss und die Königskinder: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 3)

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Bebo beschwor seine Flugschale und sprang sofort auf. Auch Albanarius nahm auf seiner Schale Platz. Doch der Grottenschrat war so groß, dass er ihnen den Weg nach oben zum Ausgang versperrte. Er sah aus wie eine schwarze Schlange mit kleinen Armen und einem Hundekopf mit einem großen Maul. Seine drei Augen funkelten in der Dunkelheit seiner Grotte. Deutlich waren seine langen Zähne zu erkennen. Böse knurrend sah er sich die beiden Eindringlinge an, dann hob er sich weiter in die Höhe und ein schauriges Knirschen und Knacken war zu hören. Der Grottenschrat wollte wohl seine volle Größe zeigen.
Albanarius beeindruckte das nicht. Er verstärkte mit seiner Magie das Licht seines Zauberstabs und schimpfte wütend vor sich hin. »Mitten in der Nacht einen alten Mann und einen kleinen Kobold zu erschrecken, wo gibt’s denn so was noch mal? Warte ab du Monster, gleich werde ich dich in den Abgrund zurückjagen, aus dem dich die Zwerge einst gelockt haben.«
Ein greller Blitz zuckte durch die Grotte und blendete den Grottenschrat. Er hielt sich seine kleinen Arme schützend vor die drei Augen und drehte seinen Kopf hin und her, doch er sah nichts mehr. Sein Schweif fuhr wie eine Peitsche wild durch das Wasser, aber es nützte ihm nichts.
Bebo, Albanarius und die Kiste schwebten durch das Loch in der Decke und entkamen so Gallbarts schaurigen Wächter. Schnell flogen sie hoch über die Bäume des Waldes und waren heil froh, aus dem Schatzversteck herausgekommen zu sein. Vom Osten zog bereits die morgendliche Dämmerung herauf und kündigte den neuen Tag an. Aber noch waren der Zauberer und der Kobold nicht im Steinbruch.
Sie entdecken die Straße, auf der Bebo am Tage zuvor den Kaufmannswagen gefunden hatte. Sie schlängelte sich wie ein helles Band durch den Wald. Einige Meilen folgten sie ihr, dann machte die Straße einen großen Bogen nach Westen und von diesem Bogen zweigte sich die alte Heerstraße nach Illwerin ab. Dieser Ort war vor vielen Jahrhunderten eine starke Festung und der Sitz mächtiger Könige. Jetzt war sie verfallen und wurde nur noch von Tieren und Pflanzen bewohnt.
Bebo und Albanarius bogen ab und folgten dieser Heerstraße. Zahlreiche Händler aus den östlichen Reichen der Elfen nutzten diese Straße immer noch. Sie war der günstigste Weg um nach Viedana, Krell oder zu den Zwergen zu kommen. Die Waren der Elfen waren begehrt, vor allem ihre Stoffe und ihre Ledersachen.
Die Sonne vertrieb immer mehr die Dunkelheit der Nacht und ging strahlend schön wie an jedem klaren Tag im Osten auf. Bebo und Albanarius flogen ihr beinah entgegen. Für einen Augenblick blendete sie so sehr, dass der Kobold seinen Blick ganz auf die Straße unter ihnen richtete. In diesem Augenblick sah er einen Wagen, der über die Straße raste und eine ordentliche Staubwolke aufwirbelte. Darüber regte sich Albanarius sogleich auf. »Es ist noch so früh am Morgen und dieser Krämer da unten hat nichts anderes im Kopf, als uns hier in der Höhe die Luft mit seinem Straßenstaub zu verpesten.«
Doch dann erkannten sie den Grund der Eile dieses Wagens. Es waren die Lumichs. Sie hetzten mit aller Kraft den Wagen hinterher und hatten ihn fast eingeholt. Im nächsten Augenblick sprang der erste Lumich auch schon hinten auf. Der verzweifelte Kutscher bekam einen Prankenhieb und flog im hohen Bogen vom Wagen. Er schlug auf der Straße auf und wurde von den drei Lumichs im nächsten Augenblick zerrissen. Sein Wagen mit den beiden Pferden raste noch ein Stück weiter. Die Lumichs eilten hinterher und trieben die Pferde von der Straße runter in den Wald. Dort ging es nicht weiter und die armen Tiere wurden von den Bestien zerfleischt.
Albanarius und Bebo hatten ihre Flugschalen gestoppt und sahen diese barbarische Jagd mit entsetzen. Die Lumichs waren jedoch so schnell, dass den beiden keine Zeit zum Eingreifen blieb. Unterdessen hatten die Bestien die beiden fliegenden Gestalten und ihre Kiste in der Luft bemerkt und sahen ihnen zu, wie sie eine Runde nach der anderen drehten.
Albanarius zeigte mit seinem Zauberstab auf die mordgierigen Lumichs. »Schau sie dir ruhig an. Diese drei Monster haben schon so manchen guten Kaufmann aufgefressen. Vielleicht war auch mal ab und zu ein Betrüger oder Ähnliches auf ihrer Rechnung. Doch den Tod hatten gewiss die allerwenigsten von Ihnen verdient. Diese Kreaturen sind das Werk von Irrsande. Ich wünschte mir, ich könnte den Fluch dieser alten Hexe von ihnen nehmen.«
Bebo sah nach unten und erschauerte. Er sah das Blut auf der Straße und ihm fröstelte. Kreidebleich sah er zu Albanarius. »Haben wir kein Mittel um dieses schreckliche Treiben zu beenden? Es muss doch eine Lösung geben?« In Bebo stieg der Zorn auf und er verlieh ihm wieder Farbe im Gesicht. »Was ist Albanarius, kannst du den Fluch von ihnen nehmen?!«
Der Zauberer sah etwas ratlos aus. »Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Die Flüche von Irrsande sind so stark, dass sie noch nie von einem anderen Zauberer gebrochen wurden. Am besten ist es, wenn wir zum Steinbruch fliegen. Dort rufe ich meine Kammer herbei. In ihr sind wir vor jedem Angriff sicher und wir können in den alten Schriften nach einer geeigneten Lösung suchen.«
Bebo sah noch einmal hinunter zur Straße. Dort liefen noch immer die drei Lumichs hin und her. Albanarius schwebte dicht neben ihm und rief. »Es hat keinen Zweck hier zu bleiben. Wir können nichts mehr tun. Lass uns zum Steinbruch fliegen.«
Bebo stimmte traurig zu und schlug mit seiner Schale die Richtung zum Steinbruch ein. Albanarius und seine Kiste folgten ihm. Einige Meilen weiter wendeten sie sich von der Heerstraße nach Norden ab und flogen über dichte Wälder. Dann tauchten die ersten Berge des Drachengebirges auf. Zwischen diesen Bergen, dort wo der Wald endete, lag eine Wiese. Sie führte nach Norden geradewegs zum Steinbruch von Garend.
Der Kobold landete vor einer alten Hütte. Nur hundert Schritte weiter begann die zerklüftete Wand des Steinbruches. Er war ein Teil eines großen Berges. Anerkennend musterte Albanarius die Hütte. »Nicht schlecht, sie ist zwar alt, aber du hast sie gut instand gehalten. Doch wir werden nicht in deiner Hütte schlafen können. Sie ist zu unsicher. Selbst ein guter Schutzbann würde nicht lange halten.«
Das wusste Bebo selbst sehr gut. Er sah nur kurz nach, ob noch alles in Ordnung war.
Albanarius stellte sich auf die Wiese, hob seine Arme, und rief laut einen Zauberspruch. Ein Rauschen war gleich darauf zu hören und ein leichter Wind kam auf.
Bebo kam aus seiner Hütte und schaute der Landung von Albanarius Kammer zu. Sanft setzte sie auf der Wiese auf und ihre Tür öffnete sich. Die Kiste des Zauberers schwebte sogleich hinein und stellte sich auf ihren alten Platz. Zufrieden lächelte Albanarius. »So ist es Recht. Jetzt ist wieder alles dort, wo es hingehört.« Er sah Bebo an und zwinkerte ihm zu. »Wir machen uns am besten erst einmal ein ordentliches Frühstück und dann lesen wir in den alten Schriften. Wir finden bestimmt etwas Brauchbares für die Lumichs. Vielleicht einen Zauberspruch oder einen Heiltrank.«
Bebo schüttelte energisch den Kopf. »Nein du alter Zauberer, wir frühstücken und dabei wirst du mir ganz genau erzählen, was es mit den Lumichs auf sich hat. Oftmals ist es so, dass genau das, was man sucht, in der Vergangenheit begraben ist. Also fangen wir mit der Vergangenheit an und du berichtest mir all das, was du vor langer Zeit erlebt hast. Und wehe dir, wenn du etwas auslässt.«
Albanarius verschränkte beide Arme und beugte sich ein wenig vor. »Na sieh mal einer an. Du willst es also ganzgenau wissen. Doch keine Angst mein kleiner Kobold. Ich spendiere dir das beste Frühstück deines Lebens und ich erzähle dir auch die ganze Geschichte über die Lumichs.«
Im nächsten Augenblick stellte der Zauberer einen Tisch und zwei Stühle auf die Wiese. Auf dem Tisch entrollte sich ein weißes Tischtuch. Frisches Brot, das noch vor Wärme dampfte, ein Napf mit Butter, eine Pfanne mit gebratenen Eiern und Speck, sowie ein großer Krug mit heißer Milch und Honig standen plötzlich darauf. Der Duft der Speisen zog den beiden in die Nasen.
Bebo ließ sich jetzt nicht mehr lange bitten. Er setzte sich auf einen der beiden Stühle und roch an der Pfanne. »Albanarius, ich sage es dir ganz ehrlich. Manchmal sind deine Zaubersprüche gar nicht so übel.«
Die Legende der Lumichs
Es dauerte nicht lange und von dem Brot und dem Innhalt der Pfanne war nicht mehr viel übrig. Genüsslich trank Bebo die Milch mit dem zuckersüßen Honig und er tupfte sich immer wieder den Mund mit einem Tuch ab.
Albanarius leckte das letzte Stück Butter aus dem Napf und gab anschließend einen weithin vernehmbaren Rülpser von sich. Er klopfte sich auf den Bauch und belehrte Bebo. »Wenn du so lange wie ich ein Stein gewesen bist, und niemals essen oder trinken konntest, dann wird dir so ein gutes Mal am frühen Morgen als etwas Wunderbares vorkommen. Du spürst so richtig, wie es deinen Geist und deinen Körper belebt. Dagegen bist du als Stein nur ein einfaches Ding. Du spürst nicht mal den Regen auf dir.«
Bebo winkte ab und entgegnete sachlich. »Diese Geschichte habe ich schon von dir gehört. Jetzt interessiert mich nur noch eine Sache. Ich will von dir wissen, wie die Lumichs entstanden sind. Es wird Zeit, dass du mir davon ausführlich berichtest.«
Albanarius sah in den leeren Milchkrug und füllte ihn mit einer Handbewegung wieder auf. Dann holte er tief Luft und sah Bebo in die Augen. »Ich weiß, ich habe es dir versprochen. Doch es fällt mir schwer, von den Lumichs zu berichten. Ich muss zugeben, ich bin nicht ganz unschuldig an dem, was sich vor mehr als tausendzweihundert Jahren ereignete. Zu jener Zeit gab es noch sieben Zirkelmagier und der Name Dämonicon war uns kaum bekannt. Die Hexe Irrsande war damals noch eher eine weiße Zauberin. Sie war blutjung und über alle Maßen schön. Ich kannte keinen Mann im ganzen Elfenkönigreich Illwerin, der nicht ihrem Liebreiz erlegen war. Sogar Maragos, der König von Illwerin, liebte die weiße Zauberin mit seinem ganzen Herzen. Heimlich hegte er den Wunsch, sich mit ihr zu vermählen. Es war eine wunderbare Zeit und die Menschen lebten in ihren Königreichen friedlich neben den Königreichen der Elfen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Pracht in Illwerin herrschte und wie diese gigantische weiße Festung in alle Himmelsrichtungen erstrahlte. Um die Festung hatten die Elfen kleine Paläste mit Gärten und Wasserspielen angelegt. Es gab Teiche und Bäche, und in versteckten Eichenhainen flüsterten sich verliebte Pärchen heimlich zärtliche Liebesworte zu. Es war eine herrliche Zeit.«
Albanarius sah lächelnd zu dem Kobold. »Mein damaliger Herr Kunor, der König von Banda, wollte unbedingt, dass ich ihn zu einem Fest nach Illwerin begleite. Er glaubte wohl, dass ich ihm von Nutzen sein könnte. Auch seine drei Kinder hatte er zu diesem Fest mitgenommen. So um die hundert Menschen war sein Gefolge groß. Inmitten dieser vielen Diener, Hofdamen, Ratgeber und Soldaten reiste mein König in einer prachtvollen Kutsche aus Elfenbein und Gold. Er saß nicht in ihr, nein er lag in ihr auf samtenen Kissen und wertvollen Pelzen. Seine Kinder spielten mit ihm darin und oft genug musste der ganze Tross anhalten, weil die beiden Knaben und das Mädchen Blumen pflücken wollten, oder sich einen Vogel auf einem Baum ansahen. An jenem Tag dachte ich, dass diese drei Königskinder die glücklichsten Wesen in dieser Welt wären. Oh ja, ich gebe es zu, ich war töricht genug, um an das Gute in jedem Geschöpf zu glauben und mit diesem Glauben machte ich vor nichts und niemandem halt. Ich war also ein vom Glück geblendeter Narr.«
Albanarius nahm einen Schluck von der Milch und wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels den fetten Rahm aus seinem Bart.
Bebo nutzte die Gelegenheit und fragte ihn nach den Namen der Kinder. »Weißt du auch noch, wie sie hießen, diese drei Königskinder? Oder hast du das schon vergessen?«
Der Zauberer lächelte und erzählte weiter. »Oh ja, ich weiß noch genau, wie die Kinder hießen. Das Mädchen war etwa ein Jahr älter als die beiden Knaben. Sie hieß Susiana und ihre Brüder waren Zwillinge. Basso und Dion wurden sie von ihrem Vater gerufen. Bei der Geburt der beiden Knaben starb die Königin. Das geschah in einer stürmischen Nacht. Der Regen schlug durch alle Fenster in der Burg von Banda und kein Arzt war in der Nähe. Die Zwillinge kamen so plötzlich, das der Königin kaum zeit blieb, sich hinzulegen. Ihre Hofdamen konnten ihr nicht viel helfen. Noch bevor ein heilkundiger Mann da war, kamen die Knaben zur Welt, und dann verstarb die Königin.«
Albanarius seufzte tief und erzählte weiter. »Sie hieß Diana, sie war keine zwanzig Jahre alt, als sie in jener Nacht starb. Als ich mit König Kunor am nächsten Tag von einer Reise zurückkam und ihm die schreckliche Nachricht vom Tod seiner über alles geliebten Königin überbracht wurde, da brach er vor ihrem Sterbebett zusammen. Er schwor, sich nie wieder einer Frau zu nähern. Seid diesem Tage kümmerte er sich nur noch um seine Kinder. Ihnen ließ er all seine Liebe zukommen und wann immer es seine Staatsgeschäfte zuließen, verbrachte er seine Zeit mit ihnen. So einen liebevollen Vater hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. Und die Zeit heilte wohl auch ein gutes Stück des gebrochenen Herzens meines Königs. Die Reise nach Illwerin fand jedenfalls erst zehn Jahre nach dem Tod der Königin statt. Maragos, der Elfenkönig von Illwerin, hatte Kunor zu seinem Geburtstag eingeladen und die Kinder hatten so sehr ihrem Vater zugesetzt, dass er ihrem Drängen bereitwillig nachgab. Er konnte ihren Wünschen nie lange widerstehen. Also traten wir die Reise an. Die alte Heerstraße war zu jener Zeit besser gewesen, als sie es heute ist. Damals haben sich die Herren der Reiche noch um solche Dinge gekümmert. Es gab keine tiefen Löcher, in denen sich das Wasser sammeln konnte. So war das Reisen in prächtigen Kutschen früher ein Vergnügen. Ich ritt allerdings auf einem Pferd. Das war mir lieber und ich konnte mich besser um den königlichen Tross kümmern. Es waren immerhin zehn Kutschen und drei Dutzend Pferde mit ihren Reitern, die ich im Auge behalten musste.«
Albanarius lächelte wieder und sah zu Bebo. Dann sprach er weiter. »Da ich den König gedrängt hatte, bei Zeiten die Reise zu beginnen, kamen wir sogar ohne die geringste Verspätung in Illwerin an. Ich sage es dir gern, mein Freund Bebo, eine solche Pracht, wie ich sie an diesem Tage in Illwerin sah, hat kein König heute noch zu bieten. Das Königreich Illwerin war unermesslich reich. Alle Dächer der weißen Festung waren mit Gold gedeckt. Auf der Palaststraße vor der Festung sah man nur gut gekleidete Elfen und Menschen. Ab und zu war auch mal ein Zwerg zu sehen, oder ein Elfling. Die Elfen von Illwerin hatten sehr gute Beziehungen zu der Feenkönigin Theodora von der Stadt Bochea. Als wir die Palaststraße erreichten, und ich mir die Paläste rechts und links ansah, da war ich schon sehr beeindruckt. Doch der Anblick der großen weißen Festung überwältigte mich jedes Mal, wenn ich sie wieder sah. In den Mauern waren überall goldene Tafeln eingelassen. Sie kündeten von den ruhmreichen Taten der Elfenkönige und ihrer Heerführer. Auch war hier und da ein Standbild von einigen ihrer Helden zu sehen. Selbst ihrem König Maragos hatten die Elfen von Illwerin ein Standbild gefertigt. Sie hatten es vor dem königlichen Thronsaal aufgestellt und sie waren überaus stolz darauf.«
Albanarius unterbrach seinen Bericht und zauberte sich einen großen Krug Wein herbei. Er schenkte sich einen guten Schluck in einen Becher ein und bot Bebo einen zweiten Becher an. Der lehnte jedoch höflich ab. »Nein danke, es ist für Wein noch nicht die rechte Zeit da. Erzähl lieber weiter, sonst wirst du heute nicht mehr fertig.«
Der Zauberer trank seinen Becher aus und brachte wieder einen seiner Rülpserhervor. »Also gut, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei diesem Standbild. Der König Maragos ließ es sich nicht nehmen, uns schon auf dem Platz vor seinem Thronsaal zu empfangen. Er kam meinem Herrn Kunor mit ausgestreckten Armen entgegen und umarmte, drückt und küsste ihn mit solcher überschwänglichen Liebenswürdigkeit, dass mir der Anblick dieser Begrüßung schon recht peinlich war. Doch Maragos stand bei Kunor in einer Lebensschuld. Kunor hatte Maragos einst mit seinem Heer in einer Schlacht gegen die dunklen Elfen von Villbass zur Seite gestanden und ihm das Leben gerettet. Maragos schuldete meinem Herrn ewige Dankbarkeit. Gemeinsam betraten die beiden Könige den Thronsaal und mein Herr war geblendet von all der Pracht und dem Glanz den er zu ehren des Geburtstags von Maragos sah. Auch mich beeindruckte dieser Thronsaal so sehr, dass ich beinah meinen Mund nicht mehr zu bekam.«
In Albanarius Augen konnte Bebo jetzt ein seltsames Funkeln erkennen. »In der Mitte stand ein goldener Thron auf einem Podest aus feinstem Marmor. Im Thron waren überall Rosen aus Rubinen eingearbeitet, sie glänzten im Schein der Fackeln und Kerzen blutrot. Vor diesem Thron stand eine Festtafel. Die feinsten Speisen wurden da auf goldenen Tellern gelegt und in Kristallbechern gab es den leckersten Wein. Weiter hinten im Raum standen große Säulen aus Marmor. Sie trugen die hölzernen Deckenbögen in diesem Saal. Von diesen Deckenbögen hingen die königlichen Banner herab. Auch sie kündeten von den einstigen Siegen der Elfenkönige. Doch all diese Pracht und Herrlichkeit ist nichts im Vergleich zu der Schönheit einer Frau. Die weiße Zauberin Irrsande betrat kurz nach unserer Ankunft den Saal und alle Blicke ruhten nur noch auf ihr. Sie war so schön und anmutig, dass meinem König Kunor beinah der Verstand aussetzte und ich ihm mit einem leichten Stoß in den Rücken wieder zur Erinnerung brachte, wo er sich gerade befand. Mit einem süßen Lächeln begrüßte sie meinen Herrn und dieser konnte kaum einen Blick von ihr lassen. Immer wieder trafen sich Kunors und Irrsandes Augen beim Essen und beim Trinken. Am Anfang des Gastmahls störte das Maragos wohl nicht weiter. Zu seinem Geburtstag wurden viele Trinksprüche ausgerufen. Danach plauderte Maragos munter drauf los und gab immer wieder kleine Erlebnisse zum Besten. Als aber das Mahl vorbei war und die Spielleute zum Tanz aufspielten, da brach beim Anblick meines Königs und Irrsande in Maragos Herz die Eifersucht aus. Die weiße Zauberin betrachtete der Elfenkönig als seinen kostbarsten Schatz. Auch wenn seine Lebensschuld bei König Kunor noch so groß war, Irrsande wollte er ihm nicht überlassen. Die drei ahnungslosen Kinder meines Herrn sahen ihren Vater mit der schönen Zauberin tanzen und freuten sich. Maragos wollte sich vor allen Gästen nichts anmerken lassen. Doch er betrank sich maßlos und schlief an seiner Tafel ein. Seine Diener brachten ihn in seine Gemächer und umsorgten ihn. Das Fest ließen sie bis spät in die Nacht weiter gehen. Kunor brachte seine Kinder selbst zu Bett und wollte sich dann auch schlafen legen. Doch Irrsande ließ ihn durch eine ihrer Dienerinnen ausrichten, dass sie ihn noch für einen kurzen Augenblick sprechen wollte. So trafen sich die beiden in Irrsandes Gemächern und Kunor ergab sich im Rausch des Weines ihren Liebesworten. Er blieb den Rest der Nacht bei ihr.«
Albanarius verstummte und trank einen Schluck aus seinem Becher. Dann sah er zu Bebo und sein Lächeln war verschwunden. »Am nächsten Morgen sah König Maragos meinen Herrn Kunor aus Irrsandes Schlafgemach kommen. Er war unbändig in seinem Zorn und rief seine Wachen zu sich. Diese kamen auch gleich herbei geeilt und wollten Kunor gefangen nehmen. Irrsande verhinderte das jedoch mit ihren Zauberkräften. Sie sprach für Kunor einen mächtigen Schutzbann aus. Mann nennt diesen Bann auch gern den Schwertbann. Nur sehr mächtige Zauberer können ihn aussprechen und er wirkt auch nur für einen Tag. Das war für Kunor Zeit genug, um zu gehen. Wir verließen also an diesem Morgen sofort Illwerin. Mehr als tausend Soldaten des Elfenkönigs drohten uns mit ihren Waffen, und wir mussten mit Schimpf und Schande die weiße Festung verlassen. Maragos rief Kunor in seiner Wut hinterher, dass er sein Heer binnen einer Woche versammelt hätte und dann das ganze Königreich Banda dem Erdboden gleichmachen würde. Irrsande verbannte Maragos aus seinem Reich. Er verbot ihr, es jemals wieder zu betreten. Wenn sie es aber doch tat, dann wollte er vom Zirkel der Nekromanten ihren Tod fordern. Maragos wusste sehr genau, dass seine bescheidenen magischen Fähigkeiten gegen Irrsande nutzlos waren. Wir Zirkelmagier hätten sie allerdings zu dieser Zeit noch töten können. Das glaube ich jedenfalls.«
Albanarius sah in seinen leeren Weinbecher und goss sich erneut von dem edlen Tropfen ein. Dann sah er zu Bebo. »Irrsande war damals mit ihren Zauberkräften so stark, wie Artur es jetzt ist. Dein Bruder hat jedoch einen ganz anderen Charakter. Er kann sich beherrschen und zieht beim Nachdenken die Logik der Wut vor. Irrsande war da etwas anders in ihrem Wesen. Sie war leidenschaftlich und temperamentvoll, wie alle schönen Elfenfrauen. Sie war über Maragos Eifersucht und ihre Verbannung aus dem Reich sehr erbost. Trotzdem versuchte sie Maragos zu erklären, dass er nicht das Recht hätte, ihre Liebe einzufordern. Er dürfe von ihr nicht verlangen, was sie ihm nicht geben könnte. Als alles Zureden jedoch nichts half und Maragos bei seinem Urteil blieb, da packte sie die Dinge zusammen, die ihr am wichtigsten waren. Sie folgte Kunor und holte ihn am frühen Nachmittag mit einer kleinen Kutsche ein. Offenbar glaubte sie, dass Kunor sie jetzt bei sich aufnehmen würde. Doch der hatte Angst um sein Reich und seine Kinder. Er flehte Irrsande an, von seinem Land fern zu bleiben und die letzte Nacht zu vergessen. Irrsande war so fassungslos, dass sie Kunor mit weit aufgerissenen Augen ansah und zunächst gar nichts sagte. Doch dann weinte sie bittere Tränen und nahm mit ihrer Kutsche einen anderen Weg. Mir tat die weiße Zauberin leid und ich wollte ihr helfen. Ich eilte ihr nach und gab ihr ein Amulett. Es verlieh ihr die Zauberkraft, aus einer kleinen hölzernen Schale eine Flugschale zu machen und mit ihr zu fliegen. Damit sollte sie bei Gefahr bösen Mächten entkommen können. An diesem Tag hatte ich alter Narr ja keine Ahnung, was diese Zauberin schon alles über die Magie wusste. Ich hätte ihr dieses Amulett nie geben dürfen.«
Die Mine des Zauberers verfinsterte sich und er erzählte weiter. »Kunor hatte seinen Kutschern befohlen, die Pferde nicht zu schonen. Er wollte so schnell wie möglich sein Heer versammeln und Maragos zuvor kommen. Mein König wusste genau, dass er das Elfenreich und alle seine Verbündeten nur besiegen konnte, wenn er als Erster den Angriff wagte. Doch er musste den günstigsten Zeitpunkt kennen. Deshalb war er in größter Eile. Mich schickte er mit meiner Flugschale nach Banda. Dort sollte ich sein Heer zusammenrufen. Doch so ein Heer kommt nicht an einem einzigen Tag zusammen und Banda war ein großes Reich. Die Herolde brauchten vier Tage, um in jeden Winkel von Banda die Männer zu den Waffen zu rufen. Am fünften Tag nach der eiligen Rückkehr meines Herrn Kunor zogen wir mit mehreren zehntausend Soldaten zur Grenze von Illwerin. Unterwegs bekamen wir von unseren besten Spähern die Nachricht, dass sich Maragos mit seinen einstigen Todfeinden, den dunklen Elfen von der Insel Villbass verbündet hatte. Mit Gold und Edelsteinen hatte er ihrem König Vagho den Treueschwur abgekauft.«
Bebo sprang von seinem Stuhl auf und rief sofort. »Was sagt du da?! Vagho war einst der König der Insel Villbass?! Das kann ich nicht glauben! Vagho ist doch ein Dieb, ein Mörder und vor allem ein Schattenalp!«
Albanarius trank seinen Becher aus und schenkte sich den Wein wieder ein. Dann sah er den aufgebrachten Kobold an und nickte. »Ja, da staunst du, doch es stimmt ganz genau. Vagho war einst ein König der dunklen Elfen von Villbass. Damals war er aber noch kein Schattenalp. Er war jung und glaubte noch an die neutrale Seite seiner eigenen Magie. Doch er war schon immer gierig nach Schätzen und er ließ sich seine Kriegsdienste nur all zu gern teuer bezahlen. Mit seinem großen Heer lauerte er auf seiner Insel und er nutzte jede Gelegenheit, um mit seiner Flotte seine wilden Kriegshorden an fremde Küsten zu bringen, nur um dann schnell und sicher einen Raubzug zu unternehmen. Dafür waren die dunklen Elfen von Villbass gefürchtet.«
Bebo trank einen Schluck Milch und Albanarius nahm einen ordentlichen Schluck von seinem Wein. Dann erzählte er weiter. »Auch Irrsande hatte von diesem Bündnis gehört und sie flog mit ihrer Flugschale zu Kunors Heerlager. Der König hatte mit seinem Heer die Grenze bereits erreicht und Irrsande wollte ihn unbedingt warnen. An diesem Tage liebte sie ihn immer noch. Doch Kunor wies sie wieder ab. Er schrie sie an, sie hätte mit ihren Verführungskünsten die Freundschaft zwischen ihm und Maragos zerstört und beide Reiche mit all ihren Verbündeten in einen verfluchten Krieg getrieben. Damit gab er ihr die Schuld und nicht dem eifersüchtigen und jähzornigen Maragos. Aber Kunor tat noch Schlimmeres.«