Snobby und das Geheimnis der weißen Fee: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 7)

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»Wenn die Zeiten besser sind, gewöhne ich mir die mal an«, antwortete der kleine König. Er hielt seinen Kompass vor sich hin, sodass auch das Gesicht ihn sehen konnte. »Das ist ja nicht zu fassen«, flüsterte es leise vor sich hin. »Dass ich hier auf meine alten Tage einen Hüter der Wege sehen werde, das hätte ich nie für möglich gehalten.«
Barbaron lächelte, als er die Worte des Gesichts hörte. »Ja, mein Freund«, sprach er und er streichelte liebevoll über den Kompass. »Wir Minitrolle sind voller Überraschungen. Doch nun werde ich den Kompass befragen und er wird uns bestimmt zeigen, wo sich unsere Feinde befinden.«
Die Freunde rückten enger zusammen und die Tischplatte füllte sich mit einem Haufen kleiner Minitrolle. Jeder wollte sehen und hören, was nun geschah. Der kleine König aller Minitrolle beschwor seinen heiß geliebten und so lang vermissten Trollkompass. Natürlich wollte Barbaron zuerst wissen, wo sich der gefährlichste aller Feinde befand und wer gerade bei ihm war. Der Kompass zeigte zum allgemeinen Erstaunen an, dass sich Dämonicon an einem weit entfernten Ort befand. »Der Kerl ist in der südlichen Wüste«, sprach Barbaron und ein bedeutungsvolles Raunen fuhr aus den Mündern seines Volkes. »Diesen Ort nannte man früher das Blutfeld von Hardion.«
»Dort war ich schon gewesen«, erklärte Gordal. »Hardion ist ein unheiliger Ort. Die Elfen von Penda haben dort eine Schlacht gewonnen. Doch was wir damals besiegten, das war kein Volk, sondern eine riesige Räuberbande. Dunkle Elfen, Menschen, schwarze Gnome und sogar Zwerge waren in dieser Räuberbande vereint. Hardion ist ein Labyrinth aus unzähligen Schluchten. Dort gibt es viele Verstecke und ich kann mir gut vorstellen, dass der schwarze Zauberer in dieser verfluchten Gegend etwas sucht.«
»Nicht so schnell«, ereiferte sich Barbaron. »Dazu kommen wir gleich. Ich sage euch erstmal, wer alles bei ihm ist.« Der kleine König beschwor wieder seinen Kompass. »Na sieh mal einer an«, sprach er und seine Miene verfinsterte sich. »Da haben wir ja die liebe Frau Mama.«
»Monga!«, entfuhr es Aella und Aurelia gleichzeitig. Die beiden ungleichen Kriegerinnen sahen sich sofort an. »Ich werde sie jagen und töten«, knurrte die Bergnymphe. »Und ich bin mit der Jagd an der Reihe, wenn du versagst«, knurrte die weiße Fee zurück.
Barbaron hatte große Mühe, seinen aufkommenden Zorn zu unterdrücken. »Wenn noch eine von euch Weibern ein Wort sagt, so jage ich euch beide. Und dann geht es quer durch das versteinerte Labyrinth«, zischte er leise, aber gut hörbar vor sich hin. »Der Kompass zeigt mir jetzt, das bei Dämonicon Vagho und Orapius sind«, erklärte Barbaron weiter. Er schaute sich um, darauf lauernd, dass jemand etwas sagte. Doch es war kein Wort zu hören. Zufrieden wendete sich der kleine König aller Minitrolle wieder seinem Kompass zu. Er beschwor ihn erneut und die Antwort kam schnell. »Das ist ja nicht zu fassen«, zischte Barbaron los. »Vagho und Orapius graben die Überreste eines dunklen Elfen aus. Assgho hieß der Kerl, als er noch lebte. Er hatte wohl eine wertvolle Krone bei sich, als er begraben wurde. Hat jemand den Kerl gekannt?«
Der kleine König sah in die Gesichter der Freunde, die ihm am nächsten waren. Die Nekromanten nickten nur und Gordal beugte sich zu Barbaron vor. Er stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte, sodass sie sich noch ein wenig mehr bog. »Assgho war der letze König der dunklen Elfen von Villbass«, sprach der Elf und er sah den König der Minitrolle genau in die Augen. »Die Menschen haben ihn und sein Volk von der Insel Villbass vertrieben, weil sie von seinen ständigen Überfällen genug hatten.«
»So ist das also«, flüsterte Barbaron und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Vagho hat also seinem Nachfolger einen Besuch abgestattet. Ich konnte mich nicht mehr an den Namen erinnern. Doch da fallen mir so einige Geschichten über diese dunklen Elfen wieder ein. War da nicht eine magische Krone im Spiel?« Die Frage richtete der kleine König mit einem forschenden Blick an Albanarius.
Der Nekromant ließ sich mit seiner Antwort etwas Zeit. Erst trank er seinen Becher Wein in aller Ruhe aus und dann sah zu Barbaron, der noch immer auf dem Tisch saß und seinen Kompass in den Händen hielt. »Ja ja«, brummte der Zauberer los. »Der hatte so eine magische Krone auf dem Kopf. Mit ihr konnte er mühelos jedes Schloss öffnen. Selbst wenn es durch Zauberei versiegelt war, gelang es ihm. Nichts war vor ihm sicher und er wusste genau, wo er nach Gold und Edelsteinen suchen musste. Es gab kein Versteck, das er nicht plünderte. Nachdem er Vagho als König von Villbass abgesetzt hatte, ließ er nach dem Gold der weißen Elfen von Illwerin suchen. Doch er hatte keinen Erfolg, denn die Elfen waren klüger als er es sich vorstellen konnte. Sie haben Vagho und Assgho irgendwie überlistet.«
Der Bergboss mischte sich ein. Er stand hinter dem kleinen König und flüsterte ihm etwas zu. »Das weiß er nur, weil er selbst bei der Schlacht um die Stadt der weißen Elfen dabei war.« Barbaron drehte sich zu Bebo um. »Ich erinnere mich. Er hat mir und meinem Hauptmann diese Geschichte auch erzählt.«
Leise flüsterten einige Minitrolle miteinander und schließlich redeten alle durcheinander. Barbaron beschwor noch einmal seinen Kompass und seine Frage, die er danach laut ausrief, ließ jeden verstummen. »Kann mir mal jemand sagen, was ein Elfling ist?!«
Alle Gefährten sahen gleichzeitig zu dem kleinen König, der immer noch auf dem Tisch saß und seinen Kompass betrachtete. »Elflinge …?«,brachten Albanarius, Cylor und Orbin gleichzeitig heraus. Dabei beugte sich Orbin soweit über den Tisch, dass er mit seiner Nase fast den Kompass berührte. »Sagtest du soeben Elflinge?«, hauchte er beinah tonlos seine Frage heraus.
Barbaron beugte sich nun selbst etwas vor, so das seine Stirn gegen die Stirn des Nekromanten drückte. »Ja, mein lieber Orbin, das sagte ich laut und deutlich genug. Oder hast du was in deinen Ohren, was da nicht hinein gehört?«
Barbarons Frage und sein Grinsen waren unmissverständlich. Augenblicklich richtete sich Orbin zu seiner vollen Größe auf und er fing an zu stottern. »Wie … äh … ich meine … äh … wie …«
»Wie ich darauf komme, willst du bestimmt wissen«, erklärte Barbaron mit absolut freundlicher Miene. »Nun, das ist sehr einfach. Ich fragte den Kompass, was Dämonicon und seine Lumpen mit der Hilfe der Krone stehlen wollen. Und der Kompass antwortete mir, dass sie die Elflinge Albi, Membi und Sambo haben wollen. Also ist meine Frage doch durchaus verständlich. Wer oder was sind die drei Elflinge?«
Orbin holte tief Luft, bevor er Barbaron antwortete. »Wie du weißt, ist die Königin Theodora meine Schwester. Was ich dir hier sage, das sollte eigentlich niemand wissen. Sie bekam einst in einer einzigen Nacht drei Knaben. Diese Kinder waren so schön und so rein, dass ihre Liebe zu ihnen unvorstellbar groß war. Es war für Theodora ein furchtbarer Schmerz, als die Kinder sieben Jahre später an einem warmen Sommertag plötzlich erkrankten und in der folgenden Nacht starben. Sie waren von etwas gestochen worden, einem Insekt oder etwas Ähnlichem. Es half kein Gegengift und keine Magie. Sie starben sehr rasch. Theodora warf sich im Tempel von Bochea vor dem Abbild des Schöpfers auf den Boden und flehte ihn um Hilfe an. Der Schöpfer erhörte sie und er schloss mit ihr einen Bund. Er gab den drei Knaben das Leben zurück. Doch sie müssen seit dieser Nacht vor den Blicken der Bewohner von Bochea verborgen bleiben. Neben dem Tempel von Bochea steht ein großes Haus. Nur wenige verschwiegene Diener dürfen da hinein. In diesem Haus leben die Kinder und sie dürfen im Garten spielen, weil er von einer hohen Mauer umgeben ist. Wenn das Volk von Bochea die drei fliegenden Knaben sieht, werden sie die Kinder bestimmt töten wollen.«
»Warum wollen die Bewohner der Stadt das tun?«, fragte der Hauptmann aufgebracht. »Ja, Orbin. Erklär uns das!«
»Ja, erkläre es!«, riefen gleich mehrere Minitrolle.
Orbin hob seine Hände hoch und bat um Ruhe. Dann sprach er weiter. »Das Gift, das nach ihrer Wiederbelebung durch den Schöpfer noch immer in ihren Körpern war, tat etwas Erstaunliches. Es verhinderte, dass sie älter wurden und es ließ ihnen Flügel wachsen. Diese Flügel sehen den Flügeln von Libellen sehr ähnlich und die Elflinge können erstaunlich schnell mit ihnen fliegen. Doch eine Prophezeiung besagt, dass Bochea zerstört wird und alle Bewohner sterben, wenn die drei geflügelten Kinder über die Stadt fliegen. Jeder Bewohner von Bochea kennt diese Prophezeiung. Sieben Nächte vor dem Tod und der Wiedererweckung der Kinder hat Theodora im Schlaf die Prophezeiung selbst verkündet. Ihre Dienerinnen und die Krieger, die ihren Schlaf bewachten, haben sie gehört und weitererzählt. Die Feenkönigin konnte ihre eigenen Worte später nicht zurücknehmen. Seit dieser Zeit lässt sie es nicht mehr zu, das jemand im Schlaf ihre Worte belauschen kann. Es ist bei härtester Strafe verboten und die geschwätzigen Dienerinnen und Wachsoldaten mussten den Tempel verlassen. Ich habe nie wieder gehört, dass ein Geheimnis aus dem Tempel heraus kam. Und das soll auch so bleiben.« Orbin sah zu Barbaron und sein Blick verriet, dass er es ernst meinte.
»Da brauchst du dir keine Sorgen um mich und mein Volk zu machen. Wir sind nicht so geschwätzig. Außerdem kann ich mir denken, wo dich dein nächster Weg hinführen wird. Du willst doch bestimmt dein liebes Schwesterlein in die Arme schließen.«
»Ja, genau«, erklärte Orbin. »Das will ich tun und ich denke mal, dass außer Artem, Tritor, Snobby und Aella alle anderen dabei sein wollen. Ich will dem schwarzen Prinzen das Handwerk legen und Theodora zur Seite stehen.«
»Das wollen wir auch!«, rief der Hauptmann und seine Stimme ging in den Rufen der Freunde unter.
Das Tor von Selan
So wie es das Tor von Dragon-Gorum angekündigt hatte, zog ein mächtiger Sturm auf. Er trieb große Mengen von Schnee und Eis vor sich her und sein Heulen war nicht zu überhören. Als er nach einigen Stunden nachließ, brachen die Gefährten rasch auf. Artem und Tritor hatten es besonders eilig. Für sie war der Weg zurück nach Ando-Hall lang und beschwerlich. Der Sturm hatte den Weg zugeweht und sie würden suchen müssen, um ihn zu finden. Sie verabschiedeten sich und verschwanden durch das Tor.
Die nächsten Gefährten, die aufbrachen, waren die Kobolde, die Minitrolle und die Nekromanten. Artur gab Snobby noch eine Menge guter Ratschläge mit auf dem Weg. Snobby nickte nur und hörte sich geduldig die Worte seines Bruders an.
Aurelia machte Arturs Belehrungen ein Ende. »Lass es gut sein, mein lieber Freund. Snobby ist alt genug und er weiß bestimmt, was er tut.«
»Endlich erkennt das mal jemand«, rief Snobby erfreut aus.
Als Artur noch etwas sagen wollte, packte die Bergnymphe den Kobold am Kragen und zog ihn mit sich zum Tor. »Da geht es hinaus, mein kleiner Freund. Halte deine Flugschale bereit und verliere nicht deine Wolfsfelle. Sonnst frierst du beim Flug nach Bochea an deiner Schale fest. Um Snobby kümmert sich Aella. Die beiden haben ihre Aufgabe auf der Insel Selan zu erfüllen. Du erinnerst dich an die Worte des Tores?«
»Sagtest du Selan?«, fragte Artur verblüfft. »Heist die Insel etwa so?«
»Ja, so nennt man die Insel der Alten«, erklärte Aurelia. »Hast du das etwa nicht gewusst, mein kleiner Artur?«
»Nein, das habe ich noch nicht gewusst. Erinnere mich daran, dass ich es in meine Bücher eintrage, wenn ich mit meinen Brüdern wieder wohlbehalten zu Hause angekommen bin.« Artur sah, wie die Bergnymphe ihm erstaunt ansah. Aurelia ließ seinen Kragen los und sie gingen beide durch das Gesicht hindurch. Es leuchtete in allen Farben des Regenbogens auf und ein gütiges Lächeln umspielte seinen Mund.
»Aurelia will also Monga jagen«, sprach das Gesicht zu Snobby und Aella. Die beiden waren die letzten Gefährten, die noch durch das Tor gehen mussten. »Sie hat den Namen der Insel genannt. Ich selbst kann ihn nicht aussprechen. Das würde das Tor aufwecken, das die Insel der Alten bewacht. Wenn ihr diesen verfluchten Ort betreten habt, so sprecht diesen verdammten Namen niemals laut aus. Das Tor würde erwachen und es gäbe für euch keine Möglichkeit zur Flucht. Selbst eure Flugkünste würden euch nicht helfen. Die Insel ist mit einem Bann umgeben, der euch an einer Flucht hindert. Ihr müsst durch das Tor zurückkehren, wenn es schläft. Prägt euch meine Worte ein. Kommt dem Felsen nicht zu nah und holt euch das Orakel. Es ist ein Wesen aus Fleisch und Blut. Seine Macht ist groß, doch gebunden an den Tempel der Insel dient es Dämonicon und seinem Vater Imperos. Ihr müsst vorsichtig sein und jedes Versteck nutzen, das ihr findet. Mich selbst betrübt es unendlich, dass ich euch zu so einem gefährlichen Ort schicken muss.«
»Das verstehen wir sehr gut«, sprach Snobby. »Du solltest dir aber keine großen Sorgen machen«, fügte Aella hinzu. »Wir können gut auf uns selbst achten und die weiße Magie wird uns helfen.«
»Ich hoffe, dass euch der Schöpfer hilft«, entgegnete das Gesicht. »Die Zeit ist gekommen, um Abschied zu nehmen. Ihr geht durch mich hindurch und ich schicke euch auf die Insel. Seid vorsichtig, meine Freunde und hütet euch vor dem Tempel der sieben Alten, denn nur dann werdet ihr euer Schicksal meistern.«
Der Kobold und die Fee traten an das Tor heran. Das Gesicht leuchtete auf der Felswand in allen Farben auf, als sie hindurchgingen. Es verschwand sofort, als die beiden ungleichen Gefährten die Insel erreichten.
Selan erwies sich als düsterer Ort. Das Tor der Insel stand in einer großen Ebene. Es sah wie ein hoher Bogen aus, den Wind und Wetter aus einem Felsen herausgewaschen hatten. Doch beim näheren Betrachten bemerkten die beiden Reisenden, dass dieses Tor das Werk eines Baumeisters sein musste. In seiner Mitte war ein Gesicht zu erkennen. Es ähnelte dem Tor von Dragon-Gorum ein wenig, doch seine Augen waren geschlossen und es schnarchte fürchterlich.
Aella und Snobby gingen hinter einem der vielen Felsbrocken in Deckung, die in der Nähe des Tores herumlagen. Das Gesicht des Tores hörte plötzlich auf zu schnarchen. Es räusperte sich laut und öffnete die Augen. Dann gab es ein drohendes Brummen von sich. Schließlich schlief es wieder ein und sein Schnarchen dröhnte so laut, das es die Felsen erzittern ließ.
Snobby gab Aella einen Wink und sie schlichen von einem Felsbrocken zum nächsten. Da sie nicht wussten, wo sie sich auf der Insel befanden, wollten sie sich ein Stück vom Tor entfernen. Danach mussten sie nach einem Hinweis suchen. Irgendwo würde es einen Weg geben und am Strand der Insel musste die Stadt sein, von der ihnen das Tor von Dragon-Gorum berichtet hatte. Dort sollte auch der Tempel mit dem Orakel sein.
Das Einfachste war es wohl, einmal um die Insel zu fliegen. Dann kamen sie auf jeden Fall zu der Stadt. Snobbys Gedanken kreisten um diese Stadt und er fragte sich, wie sie wohl aussehen würde. Ihm fiel auf, dass er den Namen der Stadt nicht ein einziges Mal gehört hatte. Er zupfte Aella am Ärmel ihres Mantels. Die Nymphe sah sich gerade die Gegend an.
»Was ist denn?«, flüsterte sie und sie beugte sich zu dem viel kleineren Kobold herunter.
»Ich wollte dich nicht stören«, flüsterte Snobby zurück. »Doch ich kenne den Namen der Stadt nicht, die wir auf dieser öden Insel suchen. Das freundliche Tor hat ihn nicht erwähnt.«
Die Nymphe hockte sich neben Snobby hin. »Du hast recht«, flüsterte sie. »Wir kennen nicht einmal den Namen dieser Stadt. Doch das ist für uns nicht wichtig. Viel wichtiger ist der Weg, der zu ihr führt. Ich konnte noch keine Straße oder einen Weg entdecken. Außerdem ist es hier verdammt warm.«
Dem stimmte der Kobold sofort zu. »Das habe ich auch schon bemerkt. Ich schwitze mächtig und meine Wolfsfelle sind eine große Last. Ich werde meinen Mantel ausziehen und ihn zusammen mit den Fellen in meinem Zylinder verstauen. Da passt alles hinein und durch seine Magie wiegt er nicht mehr als vorher.«
Die Nymphe war erstaunt und sie zog sofort ihren Mantel aus. »Passt der auch noch hinein?«, wollte sie wissen.
»Selbstverständlich kommt das gute Stück in mein geheimes Versteck«, flüsterte Snobby mit einem kleinen Lächeln. Er verstaute alles, was sie nicht unbedingt brauchten, in seinem Zylinder. Danach setzte er ihn wieder auf seinen Kopf. Zufrieden sah er zu Aella, die schon wieder die Gegend betrachtete und dann zum nächsten Felsbrocken schlich.
Der Kobold folgte ihr und so kamen sie nach einer Stunde zu einem großen Stein, der keinem der Felsen ähnelte, die hier in der Gegend herumlagen. Auf ihm hatte vor langer Zeit jemand einige Zeichen hineingeschlagen. Aella strich mit beiden Händen über sie und flüsterte dann dem Kobold zu, was sie auf dem Stein lesen konnte. »Wanderer, gehst du nach Norden, so kommst du zum Heiligtum unserer Ahnen. Gehst du nach Süden, so kommst du zu unserer Stadt und zum großen Wasser, dass die Insel umgibt. Gehst du nach Westen, so führt dich dein Weg zu der Höhle des Wächters und gehst du nach Osten, so wirst du den Tod in die Augen schauen.«
»Na dann ist ja alles klar«, flüsterte Snobby. »Wir gehen selbstverständlich nach Süden. Alle anderen Richtungen wären wohl Quatsch für uns.«
Aella sah zu dem kleinen Kobold mit dem großen Zylinder und sie streckte ihre Armen aus, so als wollte sie in alle Richtungen gleichzeitig zeigen. »Du hast absolut recht, mein kleiner Freund. Doch eine Frage habe ich an dich. Wo ist Süden und wo ist der Weg, der uns zu der Stadt bringt?«
Snobby wollte etwas entgegnen, doch nun fiel ihm auf, dass der Himmel mit düsteren Wolken verhangen war und kein Sonnenstrahl die Insel erreichte. Er sah sich um, doch so weit er auch schaute, ein Weg oder etwas Ähnliches war nicht zu entdecken. Ratlos sah er zu Aella. Er rieb sich mit der linken Hand sein Kinn und schob seinen Zylinder auf seinem Kopf ein wenig nach hinten. »Vielleicht sollten wir es mit fliegen probieren?«, fragte er vorsichtig.
Aella schüttelte heftig den Kopf. Sie hockte sich wieder neben dem Kobold hin und tippte ihn sanft an seiner Nase an. »Damit sollten wir es probieren«, erklärte sie. »Der Himmel ist mit Absicht verdunkelt worden. Man kann am Tage ein gutes Stück von der Insel sehen, doch die Sonne sieht man nicht. Straßen und Wege wurden mit Absicht nicht angelegt, damit sich jeder verirrt, der nicht auf diese verdammte Insel gehört. Doch einen Wegweiser konnte niemand von diesen Inselkreaturen ausschalten. Es sind unsere Nasen, die uns führen werden. Ich kann das Meer riechen, und wenn du dir ein wenig Mühe gibst, dann kannst du es auch.«
Snobby war erstaunt, doch er hielt seine Nase in den Wind, der leicht über die staubige Sandebene strich. Ein feiner Geruch von Salzwasser lag in der Luft und der Wind zeigte ihm die Richtung an. Mit einem breiten Grinsen sah er zu Aella. Seine rechte Hand zielte nach Osten, denn von dort kam der Wind.
»Meine liebe weiße Fee«, sprach er leise zu ihr. »Du hast absolut den richtigen Riecher, wenn ich das so sagen darf.«
Die Fee lächelte und sie zwinkerte dem Kobold zu. »Lass uns keine Zeit verlieren. Wir holen uns das Orakel und verschwinden wieder.«
»Ja«, antwortete Snobby. »Das machen wir.«
Doch so leicht, wie sich das die beiden ungleichen Gefährten dachten, war die Aufgabe nicht zu schaffen. Ein Geräusch schreckte sie auf und sie duckten sich hinter dem Stein mit der Inschrift. Aus der Ferne drang das Rumpeln eines Karrens in die Ohren der Fee und des Koboldes. Dieser Karren kam schnell näher und das Knallen einer Peitsche ließ die Gefährten zusammenzucken. Sie warteten, bis der Karren dicht neben dem großen Stein war.
Eine Stimme wurde laut und die Peitsche knallte wieder. »Zieh, du faules Miststück!«, rief der Kutscher. Ein Knacken war darauf hinzuhören und ein fürchterlicher Fluch folgte. Dem Gefährt war ein Rad von der Achse gesprungen. Der Karren kippte zur rechten Seite weg und der Kutscher flog mit seinem Begleiter in den Dreck. Die Gefährten sahen vorsichtig hinter dem Stein hervor und der Kobold konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Der Karren hatte nur zwei Räder und ein bedauernswerter kleiner Esel musste ihn ziehen. Der Kutscher war ohne jeden Zweifel ein Dragolianer und sein Begleiter ein Obinarer. Waffen hatten sie nicht bei sich. Wegen der Wärme waren sie nur spärlich bekleidet. Der Dragolianer hob den Karren an und der Obinarer steckte das Rad auf die Achse. Dann gönnten sie sich einen Schluck Wasser aus einer Kürbisflasche.
»Das tut gut«, schnaufte der Obinarer. Auf seiner gelben Schuppenhaut war deutlich der Staub zu sehen, den der Karren aufgewirbelt hatte.
»Wir haben den Weg bald geschafft«, erklärte der Dragolianer. Das Orakel wird morgen Nacht sprechen und einer der Priester hat mir versichert, dass es uns sagen wird, wer uns bedroht. Außerdem soll unser Herr bald zurückkommen. Er ist schon längst auferstanden, so wie es der erste Priester vorhergesagte.«
»Da erzählst du mir nichts Neues«, meinte der Obinarer. »Ich war dabei, als er im Frühjahr die Auferstehung Dämonicons vorausgesagt hatte. Niemand kennt das Schicksal so gut, wie der erste Priester. Doch der Iht-Dag meint, dass Orakel wäre noch viel besser. Lass uns die Opfergaben zum Felsen bringen. Dann sind wir rechtzeitig wieder in der Stadt. Platos wird dieses Mal auch im Tempel sein.«
Der Kutscher setzte er sich wieder auf seinen Platz und der Obinarer schob ihn ein Stück an. Danach sprang auch er auf und sie setzten ihre Fahrt fort.
Als die Karre nicht mehr zu hören war, sah Snobby zu Aella. Sie schien über die Worte des Obinarers erschrocken zu sein. »Stimmt etwas nicht?«, fragte der Kobold.
»Nein nein, es ist alles in Ordnung«, antwortete die Fee. »Lass uns der Spur des Karrens folgen. Sie wird uns zur Stadt bringen. Doch wir müssen verdammt vorsichtig sein.«
»Das wollte ich auch vorschlagen«, entgegnete der Kobold. Er sah sich die weiße Fee noch einmal prüfend an. Sie schaute in die Umgebung und deutete zu der Karrenspur, die im Sand gut zu sehen war. Snobby nickte ihr zu und sie schlichen weiter von Felsbrocken zu Felsbrocken.
Nach ungefähr zwei Stunden legten die Gefährten eine Rast ein. Sie hockten sich hinter einem Felsen und teilten sich den Inhalt einer Flasche Wasser. Es schmeckte köstlich und die Hitze des späten Nachmittags verstärkte diesen Eindruck noch. Als sie aufbrechen wollten, hörten sie wieder den Knall einer Peitsche. Der Eselskarren mit dem Dragolianer und dem Obinarer kam vom Felsen der Alten zurück. Sie hatten sich mit der Auslieferung ihrer Opfergaben nicht viel Zeit gelassen und der Esel zog den Karren, so schnell er konnte, zur Stadt zurück.
Als der Karren nicht mehr zu hören und zu sehen war, gingen Aella und Snobby den frischen Spuren nach. Sie führten tatsächlich zu einer Stadt, die an der südlichen Küste der Insel lag. Doch was war das für ein Ort, zu dem die Fee und der Kobold gingen? Das letzte Licht des Tages versuchte noch einmal, die dichten Wolken zu durchdringen, bevor die Sonne im Westen unterging.
Im Schein dieses Lichtes bot die Stadt einen unheimlichen Anblick. Ihre Erbauer hatten sich gründlich auf einen Angriff vorbereitet. Die Mauer, die die Stadt umschloss, war mit großen eisernen Dornen gespickt und ihre Höhe zeigte den beiden Reisenden, welche Furcht ihre Bewohner vor einem Krieg hatten. Es gab wohl für jede Himmelsrichtung ein Stadttor. Jedes Tor wurde von einem Dutzend Kriegern bewacht. Sie kontrollierten jeden Bewohner, der hinaus oder hinein wollte.
Fremde Reisende kamen wohl nie zu diesem Ort. Die Häuser, die hinter der Stadtmauer standen, wirkten dunkel und kein einziges Licht schien durch ihre wenigen Fenster.
Als die Nacht hereinbrach, kamen Snobby und Aella in der Nähe der Stadt zu einer Fischerhütte. Sie war halb verfallen und bot nur wenig Schutz vor dem Wind, der immer stärker wehte. Dieser Wind vertrieb offenbar die Wolken, denn Snobby entdeckte am nächtlichen Horizont einige Sterne. Er machte Aella darauf aufmerksam. Als der Wind nachließ, war das Rauschen des Meers zu hören. Gleichmäßig schlugen seine Wellen gegen das Ufer. Es musste in der Nähe sein, denn die Luft roch angenehm salzig.
Die Fee nahm den Kobold an die Hand und sie zog ihn zum Wasser mit. Das Rauschen wurde lauter und sie sahen, wie sich die Sterne und der Mond in den Wellen spiegelten. In der Nähe war eine Hafenmauer mit einigen Fischerbooten. »Morgen Nacht ist Vollmond«, flüsterte Aella. »Wir sollten uns heute Nacht ein Versteck in der Stadt suchen und uns dann auf die Lauer legen. Wenn wir das Orakel stehlen, haben wir nur einen Versuch. Sicherlich wird es gut bewacht, sodass wir schnell handeln müssen.«