Soldatis und der König der Schattenalp: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 5)

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»Da helfen wir dir gern!«, rief Barbaron sofort und er rieb sich die Hände. »Dieser stinkende Kerl erhält erst mal in heißes Bad.«
Der König aller Minitrolle wartete Arturs Antwort erst gar nicht ab und rief sofort seinem Volk den nächsten Befehl zu. »An die Arbeit, meine lieben kleinen Minitrolle! Wir brauchen Feuerholz und den großen alten Kessel! Wir stecken den ganzen Kerl in diesen Kessel hinein und schrubben ihn mal ordentlich ab!«
Artur holte tief Luft, doch er konnte nichts mehr sagen. Die Minitrolle rannten sofort los und jeder hatte plötzlich etwas zu tun.
Barbaron stellte sich vor dem Bettler auf und sah ihn prüfend an. »Obwohl ich Rückenwind habe, kann ich dich riechen. Kein Wunder, dass Soldatis dich nicht zum Diener haben wollte. In deiner Nähe würde er kein Stück Brot essen wollen. Lass dir von Artur nach dem Bad neue Kleider geben. Der kann solche Dinge herbeizaubern.«
Artur verschränkte die Arme und sah den kleinen König aller Minitrolle mit funkelnden Augen grimmig an. »Ich wusste überhaupt nicht, dass du hier das große Sagen hast, Freund Barbaron!«
»Das habe ich absolut nicht, Freund Artur«, konterte der kleine König und zwinkerte mit seinem rechten Auge dem Kobold zu. »Doch ich muss leider feststellen, dass ich dir alten Kobold immer wieder auf die Sprünge helfen muss. Aber ich tu es ja gerne. Und überhaupt – zu was hat man denn Freunde? Sag es nur, wenn du Hilfe brauchst. Wir Minitrolle sind immer für dich da.«
Artur platzte fast vor Empörung, doch er konnte diesem frechen König einfach nicht so richtig böse sein. »Na gut!«, rief er und ging wütend zum Baumhaus. »Dann fertige ich schon mal die neuen Kleider für unseren Gast an. Zu was hat man denn Freunde?!« Mit einem lauten Krachen ließ Artur die Tür des Baumhauses hinter sich zufallen.
»Das hätten wir geschafft«, frohlockte Barbaron und er rieb sich erneut die Hände. Der Bettler beugte sich vor und streckte dem kleinen König seine rechte Hand entgegen. »Danke für deine Hilfe, doch das Bad … äh ich meine … das muss doch nicht sein, oder?«
Barbaron trat einen großen Schritt zurück und wedelte mit den Händen. »Doch das muss sein«, erklärte er. »Wenn du so übel riechend in eine Schlacht ziehen würdest, so würdest du sehr schnell allein auf dem Schlachtfeld stehen. Jeder Feind, der dir zu nah kommt, würde sofort das Weite suchen.«
Resignierend zuckte der Bettler mit den Schultern. Er sah den fleißigen Minitrollen bei ihrer Arbeit zu. Barbaron ließ mit seinen Zauberkräften den riesigen Kessel über einem Haufen Feuerholz schweben. Seine Minitrolle stützten ihn mit großen Steinen ab und entzündeten das Feuer.
Nun wurde ein Eimer Wasser nach dem anderen in den Kessel geschüttet und Barbaron prüfte selbst, ob das Wasser schon warm genug war. Er schwebte über dem Kessel und hielt einen Finger ins Wasser.
Dann stellte er sich vor sein versammeltes Volk hin und sein nächster Befehl hallte durch das Tal. »Packt ihn, macht ihn blank und schrubbt ihn ordentlich! Seine Sachen werden am anderen Ende des Tales verbrannt! Und passt auf, dass die Vögel dabei nicht von den Bäumen fallen!«
Mit einem listigen Grinsen betrat Barbaron einen Moment später das Baumhaus, um nach Artur und Soldatis zu sehen. Sein Volk leistete unterdessen an dem ärmsten aller Bettler ganze Arbeit.
Kaum betrat der kleine König Arturs Arbeitszimmer, da meckerte der Kobold auch schon los. »Wir haben Glück, dass die anderen Bewohner unseres Tales alle bei den Drachen in der Drachenhöhle sind. Was würden die wohl sagen, wenn sie den Bettler in dem alten Kessel sehen würden? Stell dir vor, Salia und Tabor wären hier - oder die drei Königskinder. Das wäre eine Blamage.«
Barbaron winkte ab und setzte sich auf einen Hocker. »Die Königskinder würden es für einen Spaß halten und laut lachen. Und der Rest würde mit rotem Kopf davonlaufen. Doch ich sage dir, mein lieber Artur, der Kerl ist nicht zufällig hier. Er sieht so aus, als ob er etwas suchen würde. Deshalb solltest du dir genau überlegen, was du ihn fragen willst.«
Artur stimmte dem kleinen König zu. »Du hast recht, mein Freund. Ich hätte auch eher darauf kommen können, dass du mit diesem Badespaß etwas Bestimmtes beabsichtigst. Es ist mir erst klar geworden, als ich mich auf meinen Stuhl gesetzt habe.«
Artur nahm seinen Zauberstab und schwang ihn über einen Ballen Leinen, ein Stück Leder und drei kostbare Pelze. Sofort verwandelten sich die Dinge in einen Haufen Wäsche. Barbaron war zufrieden und rieb sich schon wieder die Hände. »Jetzt bin ich gespannt, wie dieser Kerl in seinen neuen Kleidern aussieht.«
Eine halbe Stunde später saß der Bettler im Gästehaus an einem Tisch und aß ein dick bestrichenes Schmalzbrot. Dazu trank er einen starken Wein, der ihm allmählich zu Kopf stieg. Zufrieden wischte er sich den Mund mit einem Tuch ab und gab einen lauten Rülpser von sich. Dann streckte er die Arme aus und sah in die Gesichter seiner zahlreichen Gastgeber.
»Ich hoffe doch, du bist satt geworden?«, fragte Soldatis nach und er schaute den Bettler mit ernster Miene an.
»Ja mein Herr, das bin ich in der Tat«, antwortete der Elf und er schaute in den leeren Becher. Soldatis schob ihn einen Krug Wein hin und sah zu, wie der Bettler sich noch einmal einen ordentlichen Schluck eingoss. Doch er trank nicht einen Tropfen.
Er stellte den Becher zurück auf den Tisch und sah Soldatis nachdenklich an. »Ich weiß nicht, wer ich bin und ich weiß auch nicht, wie ich es geschafft habe, vor dir in diesem Tal zu sein. Doch als du mir die drei Goldstücke gegeben hast, da konnte ich deine Gedanken lesen. Du wolltest in dieses Tal zu deinen Brüdern und Freunden. Nirgendwo auf der Welt findet man eine so große Anzahl guter Zauberer, wie hier in diesem Tal. Ich hoffe, einer von euch kann mir helfen und mir mein Gedächtnis wiederbringen. Ich selbst vermag es nicht.«
Soldatis sah zu seinen Brüdern. Er versuchte zu erkennen, was sie davon hielten. Doch sie zuckten nur mit den Schultern.
Barbaron sprang auf den Tisch und stellte sich vor den Bettler mit verschränkten Armen auf. Er beugte sich ein wenig zu ihm vor und schnupperte. »Mein lieber Bettler, du riechst ja wie ein Strauß Blumen, die von einer Jungfrau gepflückt wurden. Mein Volk muss dir ja einen ordentlichen Schuss vom feinsten Duftöl in dein Badewasser gegeben haben. Doch das rettet dich nicht vor den Antworten, die du uns schuldest. Also, wie ist das mit deinem Namen. Kennst du ihn wirklich nicht?«
Der Bettler schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne ihn wirklich nicht. Ich würde ihn euch liebend gern sagen, doch ich habe keine Erinnerung. Ich bin in der Nähe von Krell vor sieben Tagen am Strand aufgewacht und weil ich nicht wusste, wo ich hingehen soll, habe ich mich in die Stadt geschlichen. Dort habe ich am Rande des Wintermarktes gebettelt und versucht, mich an irgendetwas zu erinnern. Doch es will kein klarer Gedanke kommen.«
Artur mischte sich ein. »Vielleicht wäre es klug, wenn wir Orbin und Albanarius benachrichtigen würden. Die kennen sich mit solchen Sachen besser aus.«
Barbaron war jedoch anderer Meinung. »Das schaffen wir selbst, mein lieber Artur. Du solltest ein wenig mehr Vertrauen in unsere Kräfte haben.« Der kleine König sah wieder zu dem Bettler und ihm schoss eine Idee durch den Kopf. »Leg dich doch mal auf den Tisch. Wir schieben dir eine Decke unter deinen Kopf, damit du auch weich liegst. Dann flöße ich dir einen Trank ein, den ich selbst gebraut habe. Der wird dir bestimmt helfen, denn er ist von bester Qualität.«
Erstaunt legte sich der Bettler auf den Tisch und ließ sich eine Decke unter den Kopf schieben. Barbaron setzte sich auf seinen Brustkorb und zog eine Flasche aus seinem Zauberbeutel hervor. Artur sah es mir Schrecken, doch es war schon zu spät. Der Bettler tat den Mund auf und trank, was ihm der kleine König aller Minitrolle in den Rachen goss.
Vor lauter Ekel schüttelte sich Artur und er drehte sich weg. »Das kann ich mir nicht ansehen. Der Kerl wird gleich durch das Dach ins Freie springen und rennen wie ein Hase auf der Flucht.«
Doch Artur irrte sich und als er wieder hinsah, da richtete sich der Bettler langsam auf. Er hatte seine Augen verdreht und stammelte lauter wirres Zeug vor sich hin. Die Minitrolle fanden das komisch und fingen an zu kichern. Doch Soldatis zog Barbaron zur Seite und gab dem Bettler eine schallende Ohrfeige. Sofort schüttelte sich der Kerl und sah Soldatis verständnislos an. »Wer bist du?«, frage er. Dann schaute er sich um. »Das ist nicht mein zu Hause. Wieso bin ich nicht in Solgard? Was wollt ihr von mir?«
Der Bettler sah sich erschrocken um und wurde blass wie ein frisches Laken. Dann sah er wieder zu Soldatis. »Ich bin … äh, ich bin Cylor, ein Nekromant … und … ein Freund von … A … Al …« Weiter kam er nicht, denn der Trank überwältigte ihn. Er schlief auf dem Tisch ein und schnarchte wie ein Bär im Winterschlaf.
Artur schüttelte den Kopf und hob beide Hände in die Höhe. Dann rief er so laut, dass es jeder im Gästehaus hören konnte. »Bei meinem Schöpfer, ich schwöre, dass ich mit dieser Art der Befragung nichts zu tun hatte. Sollte er vom Trank des Barbaron einen Schaden davon tragen, so soll er sich auch von Barbaron heilen lassen.«
Der kleine König aller Minitrolle ließ Cylor im Gästehaus in ein Bett schweben. Dann folgte er Artur in Freie. Vor dem Haus stellten sich die Kobolde auf und sahen zu Barbaron. Doch der grinste wie ein Schelm. »Was wollt ihr denn noch? Es hat doch geholfen und wir haben eine eindeutige Antwort. Wenn er wieder wach ist, so wird er erfreut sein, dass ich ihm helfen konnte.«
Noch bevor jemand etwas sagen konnte, lag ein leises Zischen in der Luft und Artur fing einen Minitroll auf. Ein Zweiter landete in den Armen von Soldatis. Die anderen Brüder fingen an zu lachen und der Bergboss klopfte Artur auf die Schulter. »Ihr habt sie beide ja gut gefangen. Nun nehmt ihr sie auch mit ins Baumhaus. Dort können uns diese beiden Späher berichten, was sie über Dämonicon erfahren haben.«
Artur zog die kalte Winterluft hörbar durch seine lange Nase ein, doch er sagte kein Wort. Er stellte lieber den kleinen Späher, den er aufgefangen hatte, auf seine Füße und schupste ihn sanft zur Tür des Baumhauses.
In dem Baumhaus wurde es schnell brechend voll, denn auch der kleinste Minitroll wollte sofort wissen, was die beiden Späher in Dämonicons Grotte hören und sehen konnten.
Die Legende von Saphira
Als die beiden kleinen Minitrolle ihren Bericht beendeten, war es im Baumhaus für einen Augenblick absolut leise. Artur holte ein Tuch aus einer seiner zahlreichen Taschen und schnäuzte sich lautstark. Dann griff er zu einem Buch und blätterte so lange, bis er an eine bestimmte Stelle kam. »Ah, da habe ich es ja gefunden. In meinem Buch über die alten Städte der Zwerge habe ich einen Eintrag. Er ist nicht all zu lang, aber bestimmt sehr hilfreich.«
Die Kobolde, die hinter ihrem Bruder Artur standen, versuchten in das Buch zu schauen und Snobby wollte Ohle etwas zuflüstern. Doch die Minitrolle zischten empört dazwischen und Barbaron knurrte ihn leise wie ein bissiger Wolf an. Sofort kehrte wieder Ruhe ein und Artur erklärte, was in dem Buch über Saphira stand. »Hört gut zu, meine Freunde. Hier steht geschrieben, wie die Zwerge einst im Silbergebirge ihre größte Stadt bauten und warum sie den Ort wieder verließen.«
Artur nahm einen Schluck Wein aus einem Becher und las aus dem Buch vor. »Vor mehr als dreitausend Jahren fand der Wüstenzwerg Wenzel, als er mit einer Herde Schafe durch das Silbergebirge nach Norden zog, einen großen Saphir auf einer Wiese. Er merkte sich die Stelle und kehrte zu seiner Familie in die südliche Wüste zurück. Als er ihnen den Edelstein zeigte, da wollten sie alle zu der Wiese eilen. Tatsächlich fanden sie nur wenige Tage später auf der Wiese weitere Saphire. So blieben sie im Silbergebirge und erbauten ihre Stadt und unter der Stadt legten sie ein Bergwerk an. Sie nannten diese Stadt Saphira, denn sie wurden durch die Edelsteine, die sie gefunden hatten, sehr reich und mächtig. Bald arbeiteten viele Sklaven in dem Bergwerk der Stadt und Wenzel wurde zum König gekrönt. Er herrschte noch hundert Jahre, bevor er von einem seiner Söhne ermordet wurde. König Wenzels Erben regierten in der Stadt fast tausend Jahre, doch sie brachten sich regelmäßig gegenseitig um. So starb Wenzels königliche Familie nach tausend Jahren aus und ein neuer König wurde vom Volk gewählt. Er hieß Dunkerich und er herrschte nur sieben Jahre. Seine Gier nach den Schätzen der Welt war noch größer, als die jedes anderen Königs. So ließ er zu, dass einer seiner Kaufleute einen sonderbaren Fund in die Stadt brachte. Dieser Kaufmann ließ in die Schatzkammer des Königs eine Kiste mit drei Gorgoden bringen. Diese Gorgoden sind Bernsteinkugeln und in ihnen sind drei dunkle Kreaturen gefangen. Ihre finstere Macht stellen sie nur dem Zauberer zur Verfügung, der sie aus dem Bernstein befreit. Sie können dann jede andere Kreatur töten, selbst Drachen und Riesen sind nicht vor ihnen sicher.«
Unruhe machte sich sofort im Baumhaus breit und einer der Minitrolle rief aus, was alle Anwesenden dachten. »Wir sollten uns diese drei Gorgoden holen!« »Genau, das sollten wir!«, rief ein zweiter Minitroll. Nun brach beinah ein Tumult aus und Artur konnte nur mit Mühe seine Brüder und die Minitrolle beruhigen.
Als wieder Stille in das Baumhaus einkehrte und die erhitzten Gemüter sich ein wenig mit Wein abkühlten, setzte sich Artur wieder auf seinen Stuhl und schaute in sein Buch.
In dem Buch stand noch etwas über die drei Gorgoden, dass er den Freunden unbedingt vorlesen wollte. »Ein finsterer Fluch zog mit den drei Kreaturen in Saphira ein. Die Zwerge wurden nach und nach um ihren Verstand gebracht. Sie misstrauten einander immer mehr und bildeten zwei große Lager, die sich gegenseitig in der Stadt bekämpften. Die eine Seite war dem König treu ergeben. Die andere Seite wollte einen neuen König wählen. Ein fremder Zauberer war zu allem Übel auch noch in die Stadt gekommen. Er hetzte die Zwerge gegeneinander auf und entfachte so einen Bruderkrieg. Der Zauberer, der auch ein Wüstenzwerg war, erschlug Dunkerich im Zweikampf. Doch er war selbst so schwer verletzt, dass er zu Boden sank und die Nacht nicht überlebte. So konnte er die Gorgoden nicht mehr benutzen. Die Kämpfe gingen bis zum nächsten Morgen weiter. Als die Sonne aufging, da schlossen die überlebenden Wüstenzwerge Frieden und verließen ihre Stadt Saphira. Sie setzten als Hüterin aller Schätze Opyhra, die Königin von Penda ein. Ihr fliegendes Volk lässt seitdem niemanden in die Stadt Saphira hinein.«
Barbaron war plötzlich mit einem Trollsprung auf Arturs Arbeitstisch gelandet und drehte das Buch mit der Magie seines blauen Kristalls so um, dass er selbst hineinschauen konnte. »Tatsächlich!«, rief der kleine König laut aus und er schaute grimmig in das Buch. »Hier steht es ganz deutlich. Opyhra bewacht also die Stadt und niemand kann hinein. Das wird Dämonicon nicht gerade erfreuen. Meine Späher sagten doch, dass er diesen Bastard Vagho schicken will, um in Saphira die drei Gorgoden zu holen.«
»Weißt du etwas über diese Königin?«, fragte Knurr und er sah den kleinen König aller Minitrolle abwartend an. Barbaron nickte und er schwebte plötzlich über Arturs Arbeitstisch. »Ja, mein lieber Knurr. Ich kenne die werte Dame. Sie ist so etwas wie eine alte Bekannte von uns. Glücklicherweise sind wir ihr am Tage begegnet. In der Nacht hätte sie uns sicherlich alle zum Fressen gern gehabt. Opyhra ist die Königin der fliegenden Janus-Elfen.«
Artur beugte sich zu dem schwebenden Barbaron vor und sah ihn erstaunt an. »Ihr habt tatsächlich diese mörderische Königin und ihr Volk kennengelernt? Das ist ja nicht zu fassen. Warum hast du uns das nicht schon längst erzählt? So etwas ist doch verdammt wichtig.«
»Ach was, so richtig wichtig ist das also für dich?«, wunderte sich Barbaron scheinheilig. Er landete wieder grinsend auf dem Arbeitstisch. »Mich hat bis zum heutigen Tag noch keiner nach dieser Königin gefragt und wir Minitrolle haben alle Hände voll mit Arbeit gehabt. Außerdem war es ja nur eine kurze Begegnung. Opyhra und zwei ihrer Begleiterinnen holten in der Nähe von Saphira Wasser aus einer Bergquelle. Wir haben dort ein Jagdlager gehabt und uns ein wenig mit ihnen unterhalten. Sie kamen in unser Lager, als wir gerade dabei waren, unsere Beute zu zerlegen.«
Am Kichern einiger Minitrolle konnte Artur genau erkennen, dass Barbaron ihm etwas Wichtiges verschwieg. Mit ernster Miene sah er zu dem kleinen König. Er drückte ihm seinen Zauberstab gegen den Bauch. »An deiner Geschichte stimmt doch etwas nicht. Also, mein Freund Barbaron, was ist an jenem Tag wirklich geschehen? Ich will alles wissen.«
Der kleine König sah etwas verlegen in Arturs finster aussehende Augen und er holte mit beiden Armen weit aus. »Wir hatten einen riesigen Keiler erlegt. Das war ein prächtiger Bursche. Da kam dieses Weib mit zwei ihrer Freundinnen angerannt und sie behaupteten gleich, wir hätten ihnen die Beute vor der Nase weggeschnappt. Wir sollten ihnen den Keiler überlassen und sofort verschwinden. Doch das wollten wir nicht.«
Soldatis mischte sich ein. Er trat dicht an den Tisch heran und sah Barbaron mit funkelnden Augen an. »Lass mich raten, mein alter Freund. Ihr habt euch mit ihnen angelegt und sie vertrieben.«
Der kleine König lächelte und wiegte seinen Kopf hin und her. »Na ja, ganz so war es nicht. Wir haben die drei hübschen Puppen erst mal schlafen gelegt und uns in aller Ruhe um den Keiler gekümmert. Als diese drei Tanten wieder aufwachten, da war von dem Keiler nur noch das löchrige Fell, die Knochen und der Kopf übrig. Wir waren da schon verschwunden und sie haben uns bis heute noch nicht erwischt.«
Honigsüß lächelnd hob Barbaron beide Hände in die Höhe und tat, als wäre er die einzig wahre Unschuld im Baumhaus. Artur winkte ab und zog dem kleinen König das Buch unter den Füßen weg. Er schlug es zu und stellte es in sein Regal zurück. »Das sind ja gute Aussichten. Wir wollen drei gefährliche Kugeln holen, die man als Gorgoden bezeichnet. Die werden von den Janus-Elfen bewacht. Sie sind am Tage harmlos und in der Nacht wachsen ihnen wahrscheinlich Flügel, lange Zähne und riesige Krallen.«
Ohle zog ein anderes Buch aus dem Regal und warf es auf den Tisch. Er schlug es auf und fand sofort die passende Seite. Dann stellte er sich auf Arturs Stuhl und las aus dem Buch vor. »Man höre und staune. Die Janus-Elfen sind alle nur Frauen. Sie gehörten früher zu den weißen Elfen. Ein Zauberer hat sie alle verflucht, weil Opyhra ihm etwas stahl, was sie ihm nicht wiedergeben kann. So steht es hier geschrieben.«
Barbaron schwebte über dem Buch und betrachtete das Bild, das neben der Schrift war. »Genau so hat sie ausgesehen«, sprach er und lächelte vor sich hin. »Ich möchte zu gern wissen, was sie diesem Zauberer genommen hat. Es muss bestimmt sehr wertvoll sein, denn sonst hätte dieser Zauberer nicht einen so bösen Fluch ausgesprochen.«
Artur nahm das Buch vom Tisch und stellte es ebenfalls in das Regal zurück. Dann sah er sich um. »Keiner von uns weiß, wer dieser Zauberer war und im Buch steht auch nichts über ihn. Doch das ist jetzt nicht so wichtig. Wir sollten uns beraten und klären, was wir als Nächstes tun sollten.«
»Mein lieber Bruder«, sprach Soldatis und er rückte sich seine Mütze auf seinem Kopf zurecht. »Es geht doch nicht mehr darum, was wir machen sollten. Es geht nur noch darum, wie wir es machen sollten. Für uns alle ist es doch klar, dass wir uns diese drei Kugeln holen. In den Händen unseres Erzfeindes Dämonicon sind sie eine gefährliche Waffe. Sie können unseren Freunden, den Drachen gefährlich werden. Das sollten wir auf jeden Fall verhindern. Deshalb bin ich dafür, dass ihr mich schickt, um die Sache zu klären. Außerdem stellt der schwarze Kristall von Dämonicon eine Bedrohung für uns alle dar. Auch ihn müssen wir beseitigen.«
Artur sah Soldatis in die Augen und schüttelte den Kopf. »Dass dieser Kristall beseitigt werden muss, das ist uns allen klar. Doch wer sagt dir denn, dass wir diese Aufgabe übernehmen müssen?«
Soldatis war erstaunt. »Was hast du vor, mein lieber Artur? Du brütest doch sicher schon wieder einen deiner genialen Pläne aus.«
Artur lächelte und tippte Soldatis mit seinem Zauberstab an den Kopf. »Da, unter deiner kleinen komischen Mütze, ist genügend Klugheit vorhanden, um selbst darauf zu kommen. Sorge dich lieber darum, wie du die Gorgoden aus Saphira herausbringen willst. Ich vermute mal, dass es ein hartes Stück Arbeit werden wird. Sobald dein sogenannter Diener wieder bei Kräften ist, werde ich dafür sorgen, dass Albanarius, Jabo und Orbin ihren alten Freund in die Arme schließen können.«
Die Minitrolle kicherten wieder, als hätten sie gerade eine lustige Geschichte gehört. Soldatis sah sich um und entdeckte den Grund für ihre Belustigung. Draußen am Fenster stand Albanarius und sah in Arturs Arbeitszimmer hinein.
Es dauerte nur einen Augenblick und vor dem Baumhaus war wieder mal ein großer Tumult entstanden. Jeder wolle den Zauberer begrüßen und ihm berichten, was sich alles ereignet hatte. Artur bekam in das allgemeine Durcheinander weder Ruhe noch Ordnung hinein. Er gab es auf und versuchte erst gar nicht, die Minitrolle lautstark zu ermahnen.
Erst als Barbaron energisch eingriff und eine Zählung seines kleinen Volkes befahl, kam wieder Ruhe in das Tal der Kobolde. Der Hauptmann zählte wie gewöhnlich das kleine Völkchen durch und machte dann Barbaron wie immer eine zackige Meldung. Er stellte sich vor dem König auf und salutierte, in dem er seine rechte Hand auf seine linke Brustseite schlug. Dann brüllte er los, so laut er konnte. »Mein König, wir sind wie immer mit siebenundsiebzig Minitrollen angetreten! Uns beide habe ich schon dazugezählt, mein König!«
Barbaron nickte und sah sich sein Volk an. Dann brüllte er selbst los. »Ich würde mich gern mit unserem Freund Albanarius unterhalten und ich denke mal, die Kobolde wollen das auch! Also lautet mein Befehl an euch alle – Klappe halten! Habt ihr diesen Befehl verstanden!?«
Ein schallendes »Ja mein König!«, war die Antwort. Zufrieden mit sich und seinem Volk winkte der kleine König Barbaron lässig seinem Hauptmann zu und drehte sich dann zu Albanarius um. Während sich das Volk der Minitrolle einfach in den Schnee setzte, stand Albanarius gütig lächelnd mit verschränkten Armen da. Barbaron nutze wieder einmal die magischen Kräfte seines blauen Kristalls und schwebte dicht vor dem Gesicht von Albanarius. Dann begrüßte er ihn auf seine ganz eigene Art. Er küsste die knollige Nase des Zauberers, während er sich an seinem Bart festhielt. Albanarius lachte laut auf und rief. »Lass das sein, du alter Gauner. Ich bin von der Reise erschöpft und hungrig!«
»Dann lass uns zu deinem alten Freund Cylor gehen«, sprach Barbaron. »Er ist im Gästehaus und schläft dort tief und fest. Da kannst du essen und trinken und wir können uns unterhalten. Du wirst uns bestimmt mehr über diesen wunderlichen Kerl berichten können.«
Nachdem der Zauberer im Gästehaus Cylor schlafend vorgefunden hatte, aß er ein großes Stück Braten, Brot und Schmalz. Mit einem kräftigen Schluck Wein spülte er alles hinunter und antwortete dann auf die vielen Fragen und die Berichte von Artur und Barbaron. Er hatte sich beim Essen alles angehört, was ihm seine Freunde Wichtiges zu berichten hatten. Die Koboldbande und alle Minitrolle waren im Gästehaus versammelt und sie lauschten nun den Worten des alten Nekromanten.
Albanarius wischte sich mit einem Tuch umständlich den Wein aus seinem Bart und schaute in die erwartungsvollen Gesichter seiner Freunde. In einer Ecke stand das Bett, auf dem sein alter Freund Cylor schlief. Sein gleichmäßiges Schnarchen zeigte jedem, dass er sich von niemandem stören ließ.
Der Zauberer steckte sein Tuch weg und schenkte sich einen weiteren Becher Wein ein. Dann erzählte er, was er über das Verschwinden seines Freundes Cylor noch wusste. »Dieser alte Zauberer, der uns hier die Ohren vollschnarcht, ist ein Meister der Flugschale gewesen. Niemand kann so schnell fliegen, wie er. Doch er kannte noch viele andere magische Künste. Er war groß, stark und mutig. Das machte ihn allerdings auch schnell leichtsinnig. Er hat sich auf einen Zweikampf mit Dämonicon eingelassen. Sie flogen beide über dem Meer und in der Nähe von Villbass begann ihre magische Schlacht. Cylor wehrte zunächst Dämonicons Angriffe verdammt gut ab. Aber dann ließen seine Kräfte nach und Dämonicon verbannte ihn auf den Grund des Meeres. Dort muss er wohl vor einigen Tagen durch eine Erschütterung der Magie von diesem Bannfluch erlöst worden sein. Vielleicht ist auch ein Schiff gesunken und hat ihn geweckt. Das kann uns nur er selbst sagen. Auf jeden Fall sind wir Nekromanten jetzt wieder vier an der Zahl. Das bedeutet, dass Dämonicon sich noch mehr vorsehen muss. Er wird im Winter keine Schlacht wagen und er fürchtet zu Recht die Kraft der Drachen. Deshalb braucht er diese drei Gorgoden. Sie können ihn zuverlässig vor den Drachen schützen.«