Nick 6 (zweite Serie): Baltimore Lees Diamanten

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Nick runzelte die Stirn. »Ich? Unsinn! Das muss ein Irrtum von Ihnen sein.«
»Bestimmt nicht!«, beharrte Blake. »Sie haben uns über Bordfunk Anweisung gegeben, in die Zentrale zu kommen. Wir haben uns auch gewundert.«
Nick blickte die beiden Männer nachdenklich an. Es war offensichtlich, dass sie genauso irritiert waren wie er. »Merkwürdig … Gehen Sie in den Funkraum zurück«, wies er sie an.
»Jawohl, Sir«, antwortete Perten, und die Funker beeilten sich, die Zentrale zu verlassen.
Nick sah ihnen nach und konnte sich auf die Geschichte keinen Reim machen. Im Augenblick musste er sich ohnehin um Wichtigeres kümmern. Ohne funktionierenden Überlichtantrieb saßen sie hier fest.
Er ging zu der Konsole hinüber, an der Chefingenieur Jones und Franks, der leitende Techniker, die Frontblende abgenommen hatten, um die dahinter liegenden Bauelemente untersuchen zu können.
»Wie steht es?«, fragte er Xutl, der ein Bauteil mit einem Prüfgerät untersuchte. »Habt ihr die Störungsursache gefunden?«
»Noch nicht«, musste der Marsianer einräumen. »Im Steuerungsgerät ist alles in Ordnung.«
Warren erhob sich mit einem Ächzen. »Wir folgen jetzt den Leitungen, die in das Aggregat führen.«
Nick warf dem Mann einen ernsten Blick zu. »Hoffentlich liegt die Störung nicht im Aggregat selbst.«
»Das hoffen wir auch«, erwiderte Franks. »Wir haben zwar alle Ersatzteile an Bord, aber eine Reparatur des Aggregats würde eine langwierige Arbeit werden.«
Der Weltraumfahrer wollte etwas darauf erwidern, als jemand in die Zentrale stürmte und seinen Namen rief. »Blake?«, erkannte er den Funker. »Sie sind schon wieder hier?«
Der Mann schnaufte, um wieder zu Atem zu kommen. »Sehen Sie sich den Kontrollstreifen an«, sagte er und reichte ihm das dünne Plastikband, auf dem Zahlen und Buchstaben eingestanzt waren.
»Ja, und …?«, antwortete Nick.
»Jeder Funkspruch wird automatisch registriert, wie Sie wissen«, erläuterte Blake. »Während Perten und ich vorhin hier waren, ist ein Funkspruch gesendet worden!«
»Was?!«, entfuhr es Nick.
Der Funker nickte, wie um seine eigenen Worte zu bestätigen. »Derjenige, der den Funkspruch gesendet hat, muss das Aufzeichnungsgerät abgeschaltet haben, weil der Wortlaut der Übermittlung nicht erfasst worden ist. Aber er hat nicht daran gedacht, dass die Funksprüche unabhängig davon nummeriert werden.«
»Teufel!«, entfuhr es Nick. »Das bedeutet, dass jemand unter dem Vorwand, ich hätte Sie und Perten in die Zentrale befohlen, heimlich einen Funkspruch abgesendet hat!«
»Genau«, stimmte Blake zu. »Leider können wir nicht feststellen, an wen der Funkspruch gerichtet wurde und wer ihn gesendet hat.«
Nick presste die Lippen aufeinander und dachte angestrengt nach.
»Danke, Blake«, richtete er sich an den Funker. »Gehen Sie zurück auf Ihren Posten. Und lassen Sie in Zukunft den Funkraum nie unbesetzt, was auch immer geschehen mag!«
Harvey Blake nickte knapp. »Ich beginne zu verstehen, aber das gefällt mir alles nicht.«
Nick entließ den Mann und ging zurück zum Marsianer, der ein weiteres Bauteil inspizierte. Er beugte sich zu ihm, sodass die Umstehenden ihn nicht hören konnten.
»Lass die beiden Spezialisten alleine weiter nach der Störungsursache suchen, Xutl. Ich muss mit dir sprechen.«
Der Marsianer sah ihn verblüfft und ernst zugleich an und gab Warren ein paar Anweisungen, bevor er sich Nick anschloss.
»Wir gehen in meine Kabine«, meinte der Weltraumfahrer und winkte Tom Brucks zu sich. »Komm du bitte auch mit.«
»Was ist los?«, fragte der Biologe, der sich die Zeit in der Zentrale vertrieb. »Du machst ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter.«
Nick erwiderte nichts darauf, sondern verließ die Brücke und ging zu seiner Kabine.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, trat er an die Kontrollkonsole und drückte mehrere Knöpfe.
»Was machst du da, Nick?«, fragte Xutl.
»Ich schalte alle Möglichkeiten aus, dass unser Gespräch belauscht werden könnte«, antwortete der Weltraumfahrer.
»Wie?«, entfuhr es Tom Brucks. »Ich verstehe nicht …?«
Nick drehte sich zu seinen beiden Freunden um. Zwischen seinen Augen hatte sich eine tiefe Falte gebildet.
»Es ist etwas geschehen, das mich vermuten lässt, dass wir jemanden an Bord haben, der … nun, sagen wir … unser Vertrauen nicht verdient.«
Xutl und Tom Brucks sahen ihn fassungslos an. Nick bat sie, Platz zu nehmen, und unterrichtete sie über den geheimnisvollen Funkspruch. Der Marsianer legte die Hand ans Kinn und hörte ihm schweigend zu.
»Das ist wirklich seltsam«, meinte Tom Brucks. »Wir …«
Nicks Kopf ruckte herum. Jemand klopfte gegen die Kabinentür. Er warf seinen Freunden einen schnellen Blick zu und erhob sich, um die Tür zu öffnen.
»Ah, die beiden Experten für den Überlichtantrieb«, begrüßte er Warren und Franks, die auf dem Gang standen.
»Wir haben den Grund für die Störung gefunden«, entgegnete Chefingenieur Warren und warf ein kleines Knäuel in die Luft.
»Ein Stückchen Draht?«, fragte Nick, nachdem er es aufgefangen hatte.
»Ja, nur ein Stückchen Draht …«, antwortete der Ingenieur mürrisch. »Es hat einen Kurzschluss verursacht. Was mich nicht wundert. Das eigentlich Merkwürdige an diesem Draht ist, dass er nicht zu dem Gerät gehört, in dem wir ihn gefunden haben.«
»Hm …«, überlegte Nick. »Haben Sie die Störung behoben?«
»Ja«, antwortete John Franks. »Nachdem wir den Draht entfernt hatten, konnten wir das Aggregat wieder hochfahren. Die Anlage ist vollkommen überprüft worden. Sie funktioniert wieder einwandfrei!«
»Danke«, antwortete Nick. »Bitte bewahren Sie Stillschweigen über diesen geheimnisvollen Draht.«
Er hob das Knäuel an, und der Ingenieur wie auch der Techniker nickten. Ihnen war anzusehen, wie sehr sie sich über diesen Vorfall ärgerten. Sie verabschiedeten sich, und Nick schloss die Tür.
Er warf seinen Freunden einen gedankenverlorenen Blick zu.
»Es hat keinen Sinn, darum herumzureden … wir haben einen Verräter an Bord!«
»Du hast recht«, entgegnete Xutl ernst. »Der Draht ist der Beweis dafür, dass jemand die Anlage sabotiert hat. Aber …«
»… wer könnte das getan haben?«, fiel ihm Tom Brucks ins Wort. »Und warum?«
Nick sah ihn unverwandt an. »Die Beschädigung der Überlichtgeschwindigkeits-Anlage war nur geringfügig. Aber sie bedeutet für uns einen Zeitverlust. Ich wüsste jemanden, dem das sehr gelegen käme!«
»Du meinst Anderson?«, hakte Tom nach.
»Genau«, bestätigte der Weltraumfahrer. »Anderson ist trotz Startverbot zu einer Raumreise aufgebrochen, und ich müsste mich schon sehr irren, wenn sie ihn nicht in das neu entdeckte Sonnensystem führt! Er hat vier Wochen Vorsprung, wenn ich mich an Murrays Information richtig erinnere, aber wir wären mit Überlichtgeschwindigkeit doch lange vor ihm auf dem zweiten Planeten gelandet.«
Er wandte sich dem Marsianer zu.
»Du kannst es ausrechnen. Xutl. Ich vermute, Anderson fehlte genau diese durch die Sabotage hervorgerufene Verzögerung, um vor uns ans Ziel zu gelangen.«
Sein Freund nickte. »Ich rechne es nach. Aber selbst wenn sich dein Verdacht bestätigen sollte, wissen wir nicht, wer von unserer Besatzung mit ihm im Bunde ist.«
Nick schob das Kinn vor. »Früher oder später wird er sich verraten«, überlegte er. »Er wird versuchen … Geh zu Jane Lee, Tom«, wies er den Biologen an. »Sie soll dir das Medaillon aushändigen. Es ist besser, ich verwahre es.«
»Gut«, stimmte Tom Brucks zu.
Die Männer verließen die Kabine. Während Tom zu Jane Lees Quartier ging, schlugen Nick und Xutl den Weg zur Zentrale ein. Nachdem das Aggregat wieder funktionierte, mussten sie nur wenige Kontrolldurchläufe durchführen und konnten dann auf Überlichtgeschwindigkeit schalten.
VIER
Das Sternenschiff schien sich in Nichts aufzulösen und ließ nur den leeren Weltraum zurück – nur um im Bruchteil von einer Sekunde an der vorausberechneten Stelle in der Nähe des Dimensionswirbels wieder zu materialisieren.
Das Gebilde wirkte wie ein kleines Abbild der Milchstraße. Die Spiralarme waren durchzogen von Abertausenden glitzernder Bestandteile, die wie weit entfernte Sterne wirkten.
Nick ließ sich einen Augenblick lang von dem Bild gefangen nehmen, dann wandte er sich Johnson an der Ortung zu. »Stellen Sie fest, ob in diesem Sektor Raumschiffe den Wirbel anfliegen.«
Nach wenigen Sekunden kam die Rückmeldung. »Drei Schiffe halten Kurs darauf. Ich kann ihre Zeichen im Teleskop erkennen. Sie gehören der Interstellar-Gesellschaft. Ein weiteres Schiff kann ich mit keinem unserer Instrumente entdecken.«
»Dann ist Andersons Schiff schon durch die Dimensionsspirale geflogen«, meinte Nick mit leiser Stimme zu Xutl im Kopilotensitz. »Na, wir wollen auf der Hut sein.«
Gerade als er das Sternenschiff in das Zentrum des Wirbels steuern wollte, eilte Tom Brucks in die Zentrale und hielt auf ihn zu.
»Nick, komm sofort mit zu Jane Lee!«, bat er ihn eindringlich. »Sie … scheint ohnmächtig zu sein.«
»Was?«, stieß der Weltraumfahrer aus und erhob sich. »Übernimm du das Kommando, Xutl.«
Der Marsianer bestätigte, und Nick folgte dem Biologen. Sie hasteten die Gänge entlang, bis sie Jane Lees Kabine erreichten. Nick öffnete die Tür und zuckte im ersten Moment zusammen.
Wie leblos lag die junge Frau auf ihrem Bett. Der Kopf hing über der Kante.
»Miss Lee!«, rief er, doch sie reagierte nicht.
»Sie rührt sich nicht. Ich habe vergeblich versucht, sie zu sich zu bringen!« In Toms Stimme schwang Besorgnis mit.
Nick griff sie bei den Schultern und drehte sie herum, sodass sie vollständig auf dem Bett lag.
Er legte seine Finger auf ihr Handgelenk und atmete auf.
»Gott sei Dank! Ihr Puls ist regelmäßig.«
Nun konnte er auch sehen, wie sich ihre Brust schwach hob und senkte. Er schaltete das Licht an und sah sich aufmerksam um. Sein Blick fiel auf ein Glas, das halb unter das Bett gerollt war. Es war bis auf einen letzten Rest fast völlig geleert.
Nick betrachtete die orangefarbene Flüssigkeit im Licht und hob das Glas an seine Nase. Er roch nur kurz daran und verzog den Mund. »Hm … dieses Fruchtgetränk hat einen merkwürdigen Geruch«, stellte er fest. »Hol den Bordarzt, Tom!«
Sein Freund nickte und verließ mit schnellen Schritten die Kabine. Nick warf der jungen Tierfängerin einen besorgten Blick zu und sprach zu ihr. Doch sie zeigte weiterhin keine Reaktion.
Wenige Minuten später war Tom Brucks mit Brian Ferris, dem Bordarzt, zurück. Der Mediziner bat die beiden Männer, die Kabine zu verlassen, um Jane Lee gründlich zu untersuchen.
Nick und Tom standen auf dem Gang und hingen ihren Gedanken nach. Nach unendlich scheinenden Minuten öffnete sich die Tür, und Ferris erschien im Türrahmen.
»Was ist mit Miss Lee, Doktor?«, fragte Nick voller Unruhe.
Der Arzt wiegte den Kopf. »Sie muss eine Überdosis Schlafmittel genommen haben. Ihr Zustand ist nicht gefährlich. Am besten, wir lassen sie ausschlafen. Ich sehe nachher noch einmal nach ihr.«
Tom Brucks gab einen unbestimmten Laut von sich. »Das verstehe ich nicht. Vor ein paar Tagen habe ich Miss Lee gegenüber über meine Schlaflosigkeit geklagt und sie nach ihrem Schlaf gefragt. Sie sagte, dass sie wie ein Kind auf der Stelle einschliefe, sobald sie sich zur Ruhe lege. Und nun soll sie plötzlich ein Schlafmittel benutzen? Da stimmt was nicht!«
Nick sah seinen Freund ernst an. »Du hast recht. Außerdem wäre es seltsam, wenn Miss Lee angekleidet zu Bett ginge.« Er hielt inne. »Sollte unser geheimnisvoller Feind …?«
Er wandte sich an den Arzt. »Haben Sie bei Ihrer Untersuchung gesehen, ob Miss Lee ein Medaillon um den Hals trägt?«
Ferris schüttelte den Kopf. »Nein, ein Medaillon wäre mir bestimmt aufgefallen.«
Nick bedankte sich und bat den Arzt, zur Krankenstation zurückzukehren.
Nachdem er mit seinem Freund alleine war, schüttelte er leicht resigniert den Kopf. »Unser geheimnisvoller Feind hat keine Zeit verloren, Tom. In Miss Lees Kabine war alles in Ordnung. Er hat sie also nicht durchsucht.«
»Miss Lee hat das Medaillon bestimmt immer bei sich getragen«, vermutete der Biologe. »Und der Schurke brauchte nur zuzugreifen, als er sie mit dem Schlafmittel betäubt hatte.«
»Bleib bei ihr, bis sie erwacht, und benachrichtige mich dann sofort«, bat Nick seinen Freund. »Ich muss in die Zentrale.«
*
Nick wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Xutl hatte das Sternenschiff bereits in eine perfekte Ausgangsposition vor den Dimensionswirbel navigiert, und so musste der Weltraumfahrer es nur noch hindurchsteuern.
Beim Eintritt in den Wirbel flimmerte wenige Augenblicke lang alles um sie herum in hellen Lichtern, die durch die Luft tanzten, doch das Phänomen verschwand so schnell, wie es gekommen war. Nick betrachtete den dunklen Sternenhimmel, der sich nun vor ihm erstreckte, und fragte sich, welche Geheimnisse dieses neue Universum bergen mochte.
Er riss sich von dem Gedanken los und wandte sich zu Xutl um. »Berechne den Kurs«, bat er ihn. »Wir fliegen sofort den zweiten Planeten an.«
»Ich habe die Daten bereits in die automatische Steuerung eingegeben«, antwortete der Marsianer.
»Gut«, antwortete Nick. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie sehr er sich auf seinen außerirdischen Freund verlassen konnte.
»Der zweite Planet steht in einer sehr günstigen Position«, fügte Xutl an. »Übrigens, meine Berechnungen über Andersons Schiff haben ergeben, dass der Zeitverlust, den wir durch die Sabotage gehabt haben, ihm genügend Vorsprung verschafft hat.«
»Also doch«, brummte Nick.
»Was nützt ihm das aber letzten Endes?«, erwiderte Xutl. »Ich verstehe diesen Anderson nicht. Ohne das Medaillon kann er doch gar nicht an die Diamanten heran.«
Nick legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an.
»Wenn wir nicht scharf aufpassen, bekommt er das Medaillon wohl …«
»Was?«, stieß der Marsianer entgeistert aus, und mehrere Besatzungsmitglieder drehten sich zu ihm um.
Nick zog ihn in eine stille Ecke der Zentrale. »Unser unbekannter Feind hat wieder zugeschlagen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist es ihm gelungen, Miss Lee das Schmuckstück zu entwenden.«
Xutls Miene verfinsterte sich bei diesen Worten.
*
Einige Stunden später erhielt Nick von Jane Lee die Bestätigung seiner Vermutung. Er legte den Arm tröstend um die junge Frau, die ihre Tränen nicht unterdrücken konnte.
»Mein Medaillon«, stieß sie aus. »Es ist verschwunden!«
Nick und Xutl hatten sich auf den Weg zu ihrer Kabine gemacht, nachdem Tom Brucks über Funk mitgeteilt hatte, dass sie erwacht sei.
»Beruhigen Sie sich, Miss Lee«, versuchte Nick sie zu trösten. »Ich treffe alle Vorkehrungen, um es dem Verräter unmöglich zu machen, nach unserer Landung mit dem Medaillon von Bord zu kommen.«
Die Worte konnten sie nicht wirklich beruhigen, und so blieb den drei Freunden nichts anderes übrig, als zu hoffen, den Verräter und Saboteur bei der Landung zu stellen.
*
Nach zwei Tagen Raumfahrt durch das fremde Sonnensystem ging das Sternenschiff um den zweiten Planeten in eine Kreisbahn. Bisher war er oberflächlich abgescannt worden und trug nur eine nüchterne Bezeichnung, und so lagen ihnen über die Beschaffenheit keinerlei Daten vor. Daher untersuchten sie vor der Landung die Oberfläche, was mehrere Stunden in Anspruch nahm.
»Von Andersons Schiff ist keine Spur zu entdecken«, meldete Dennis Gerald vom Ortungspult. Nick hatte die Besatzung inzwischen soweit eingeweiht und ihnen von Andersons waghalsigem Aufbruch erzählt. Die Geschichte über Baltimore Lee und die Diamanten behielt er bis auf Weiteres wohlweislich für sich. Er wollte, dass sich die Männer auf ihre Aufgabe konzentrierten.
»Kreisen andere Schiffe um den Planeten?«, fragte der Weltraumfahrer nach.
»Nein. Die großen Gesellschaften konzentrieren sich auf den dritten und vierten, die schon zum Teil erforscht sind.«
»Dann ist Anderson schon gelandet«, überlegte Nick. »Richten Sie die Instrumente auf die Umgebung unseres vorgesehenen Landeplatzes.«
Gerald bestätigte.
Nick ging zum Tisch der Kartografie, an dem Jane Lee ungeduldig auf ihn wartete. Ihr war anzumerken, wie schwer es ihr bei ihrem aufbrausenden Naturell fiel, untätig abwarten zu müssen.
Nick griff nach dem Tagebuch und schlug es auf. Er breitete eine ineinander gefaltete reißfeste Plastikfolie auf und betrachtete die einzelnen Markierungen darauf. »Gut, dass Ihr Vater eine recht detaillierte Karte beigefügt hat«, meinte er zu der jungen Frau. »Damit sollten wir nahe des Eingeborenendorfs landen können.«
Er ging zurück zum Pilotenpult und bat die Besatzung darum, ihre Ergebnisse durchzugeben.
»Die Instrumente sprechen an«, teilte Gerald mit.
»Gut, dann ist Anderson erledigt«, antwortete der Weltraumfahrer und nickte zufrieden.
Doch es verging keine Minute, bevor Nicks Zuversicht stark gedämpft wurde.
»Fehlanzeige« musste Gerald eingestehen. »Es war ein Berg, der sich aus dem Sumpf erhebt. Er ist stark eisenhaltig, und unsere Instrumente haben darauf angesprochen.«
Nick unterdrückte einen Fluch.
»Wir landen«, beschloss er und wartete, bis alle Platz genommen und sich angeschnallt hatten.
Das Sternenschiff senkte sich durch den Antigravitationsantrieb langsam herab und durchbrach die oberste Wolkendecke, die den Planeten einhüllte. Es vergingen Minuten, bis die weißen Schlieren endlich aufrissen und einen Blick auf die Landschaft freigaben. Die ersten Messungen ergaben, dass der zweite Planet durch seine Nähe zur Sonne deutlich wärmer war, und durch die Wolken herrschte ein tropisch-feuchtes Klima auf der Oberfläche. Unter ihnen breiteten sich weite, dicht bewachsene Dschungelwälder in einem grün-gelblich schimmernden Ton aus. Immer wieder wurden sie von bräunlichen, frei liegenden Sumpfflächen durchbrochen.
Nick steuerte einen Sumpf inmitten einer Hügellandschaft an und ließ das Sternenschiff darin versinken, bis nur noch eine flache Kuppe erkennen ließ, wo das kugelförmige Schiff verborgen lag. Er aktivierte die Kamera auf der Oberseite und schwenkte sie einmal um ihre Achse, bis er das gewünschte Ziel ausgemacht hatte.
Mit dem Finger deutete er auf eine im ersten Moment kaum erkennbare Schlucht, die zwischen zwei gewaltigen Felsen verlief. Jane Lee stellte sich neben ihn, und Tom Brucks und Xutl schlossen sich ihr an.
»Nach den Tagebuchaufzeichnungen befindet sich das bewohnbare Gebiet des Planeten hinter dieser Schlucht. Um die Eingeborenen nicht zu erschrecken, schlage ich vor, eine kleine Expedition zu bilden, die sie zu Fuß aufsucht.«
»Aber … die Wilden werden uns umbringen, wenn wir ohne das Medaillon zu ihnen kommen!«, warf Jane Lee ein.
»Keine Sorge«, entgegnete Nick. »Die Expedition wird aus Freiwilligen bestehen. Und einer von ihnen ist der Bursche, der Ihnen das Medaillon gestohlen hat.« Er zuckte mit den Schultern. »Eine andere Möglichkeit, aus dem Schiff zu kommen und es Anderson zu übergeben, gibt es für ihn nicht, weil außer der Expedition niemand das Schiff verlassen darf.«
»Sie sind mit allen Wassern gewaschen«, musst Jane Lee zugeben. »Ich möchte Sie nicht zum Feind haben!«
*
Nick gab sein Vorhaben an die Besatzung weiter und wies jeden, der an der Expedition teilnehmen wollte, an, sich innerhalb einer Stunde in der Messe einzufinden. Als Nick den Raum betrat, sah er sich gut einem Dutzend Männer gegenüber, die ihn erwartungsvoll ansahen. Er musterte die Freiwilligen, die sich für das Unternehmen gemeldet hatten, und stutzte, als er drei junge Gesichter erblickte.
»Eric, Richard und Peter?«, fragte er und schüttelte den Kopf. »Das Unternehmen ist zu gefährlich für Sie. Sie verfügen noch über zu wenig Erfahrung.«
»Einmal muss man beginnen, Erfahrungen zu sammeln«, antwortete Eric Marsh und schob keck das Kinn vor. »Warum nicht jetzt?«
»Das ist Ihre erste Raumfahrt. Ich trage die Verantwortung für Sie«, erklärte ihm Nick mit ernster Miene.
Erics Augen funkelten. »Ich bestehe darauf, an der Expedition teilzunehmen! Ich will nicht, dass man mich in Watte packt, nur weil ich der Sohn des Chefs der Weltsicherheitsbehörde bin.« Er machte einen Schritt auf Nick zu. »Ich werde mich bei meinem Vater über Sie beschweren!«
Der Weltraumfahrer schmunzelte. Er war in dem Alter nicht viel anders gewesen, musste er zugeben. »Immer mit der Ruhe, Eric. Vielleicht haben Sie recht.« Er sah die drei Kadetten an. »Wenn Sie und Ihre Freunde darauf bestehen, mitzukommen, dann machen Sie sich klar.«
Er wandte sich an alle Anwesenden. »Wir brechen in zehn Minuten auf. Stellen Sie Ihre nötige Ausrüstung zusammen!«
*
Der Aufbruch der kleinen Expedition blieb nicht unbeobachtet. Unentdeckt von den Sensoren konnten sich im Schutz der dichten Vegetation drei Männer nahe an das Sternenschiff heranschleichen, dessen Landung ihnen alles andere als verborgen geblieben war.
Butch Saunders reckte vorsichtig den Kopf hoch und spähte über die fleischigen Blätter einer Pflanze hinweg.
»Sie gehen zur Schlucht«, teilte er seinen Begleitern mit gesenkter Stimme mit.
»Kurz davor bleibt unser Mann wie verabredet etwas zurück«, antwortete Ringo Olsen. »Wir müssen uns bereithalten, das Medaillon entgegenzunehmen.«
Anderson hatte die Karten aus Baltimore Lees Tagebuch kopiert und eingehend studiert. Für das Sternenschiff gab es inmitten der hügeligen Landschaft nur eine Möglichkeit zu landen – und damit auch nur einen Weg zu den Eingeborenen, der durch diese Schlucht führte. Ihm war bewusst, dass er damit alles auf eine Karte setzte. Aber nur so hatte er seinen Spitzel schon vor dem Abflug mit Informationen versorgen können.
Die Männer folgten der Gruppe mit gebührendem Abstand und hielten sich so gut sie konnten im Dickicht verborgen.
*
Schon bald lief Nick der Schweiß über die Stirn. Zu der feuchten Hitze kam der beschwerliche Weg durch die dicht stehenden Farngewächse, die ihnen bis zu den Hüften wuchsen.
Die Luft war erfüllt von Myriaden kleiner Insekten, die sie umschwirrten, sich von den fremden Ankömmlingen aber doch fernhielten.
Nick stieß den Atem aus und blieb für einen Moment stehen. Er blickte nach vorne, und sowohl Tom Brucks wie auch Jane Lee schlossen zu ihm auf. Xutl war an Bord zurückgeblieben. Im Notfall konnte der Marsianer das Sternenschiff auch alleine starten, und Nick wollte für alle Eventualitäten vorbereitet sein.
»Auf der Lichtung da drüben werden wir erfahren, wer der Verräter ist«, sagte er zu seinem Freund.
»Du hättest die Untersuchung noch auf dem Sternenschiff vornehmen sollen«, brummte der Biologe.
Nick sah ihn nachdenklich an. »Ich wollte es zuerst. Aber wir wissen nicht, was den Verräter dazu getrieben hat, sich mit Anderson zu verbünden. Vielleicht hat er aus einer Zwangslage heraus gehandelt. Diese Entlarvung in einer kleinen Gruppe ist nicht so schwerwiegend für ihn, als sich vor der gesamten Besatzung zu verantworten. Es kann sein, dass wir ihn auf den rechten Weg zurückführen können.«
Tom Brucks warf ihm wie auch Jane Lee einen zweifelnden Blick zu, doch sie erwiderten nichts.
Nick gab der Gruppe mit einem Handzeichen zu verstehen, ihm auf die Lichtung zu folgen. Er sah sich um. Als er sicher war, dass keiner der Männer im Schutz des Dickichts zurückgeblieben war, löste er die Strahlenpistole aus dem Holster.
»Einen Augenblick, bitte!«, forderte er die Umstehenden auf.
»W… warum richten Sie Ihre Pistole auf uns?«, stammelte Erics Freund Richard Dickson.
»Was hat das zu bedeuten?«, rief Dennis Gerald von der Ortung.
Nick gab den Männern mit der Waffe ein Zeichen, sich enger zusammenzustellen und positionierte sich direkt vor ihnen. Sein Blick ging von einem zum anderen, und er sah in sowohl erstaunte wie auch verärgerte Gesichter.
»Bis auf Miss Lee und Tom Brucks lassen alle ihre Waffen auf den Boden fallen«, forderte er sie auf. »Wer sich weigert oder eine verdächtige Bewegung macht, wird erschossen!«