- -
- 100%
- +
Tschartkow trat wieder vor das Bildnis hin, um diese wunderlichen Augen näher zu betrachten, und sah entsetzt, daß sie in Wahrheit auf ihn niederstarrten. Das war nicht bloß getreue Nachahmung der Natur, das war die furchtbare Lebendigkeit, wie sie das Antlitz einer Leiche zeigen müßte, die aus dem Grabe aufersteht. Ob es vom Mondlicht kam, das einen gerne in das Reich erregter Phantasien lockt und jedem Ding ein anderes Gesicht verleiht, als es am nüchtern hellen Tage zeigt, ob sonst etwas schuld war – ihm grauste es mit eins davor, so mutterseelenallein in seinem Atelier zu sitzen. Ohne Geräusch ging er zur andern Wand, drehte dem Bild den Rücken zu und war bestrebt, ihm keinen Blick zu schenken. Doch wider Willen schweiften seine Augen verstohlen schielend in die alte Richtung. Schon graute es ihm auch vor jedem Schritt durchs Zimmer, denn immer war es ihm, als schliche jemand leise hinter ihm, und zaghaft drehte er den Kopf zurück. Er war gewiß kein Feigling, aber seine Phantasie und seine Nerven waren leicht erregbar, und heute Abend konnte er die dumpfe Furcht nicht bannen. Er setzte sich in eine Ecke, hatte aber da noch immer das Gefühl, als starre ihm ein Fremder über die Schulter ins Gesicht. Sogar das Schnarchen seines Dieners, das aus dem Vorgemach hereindrang, konnte nicht sein Angstgefühl verscheuchen. Zaghaft und ohne aufzublicken, erhob er sich zuletzt, begab sich hinter seinen Bettschirm und legte sich zur Ruhe nieder. Jedoch durch eine Ritze in dem Schirm sah er das monderhellte Zimmer liegen, sah er gerade gegenüber seinem Bett das Bildnis an der Wand. Die fürchterlichen Augen bohrten sich noch drohender, als sie es zuvor getan, in sein Gesicht und schienen nichts zu sehn als ihn allein. Von kaltem Grauen angepackt, nahm er all seinen Mut zusammen, sprang aus dem Bett, ergriff ein Laken und deckte das Bild sorgfältig zu.
Als das geschehen war, begab er sich, viel ruhiger geworden, von neuem in sein Bett. Er sann darüber nach, wie arm er war, wie schwer das Los des Künstlers ist und welchen Dornenweg er hier auf Erden wandeln muß. Und dabei spähten seine Augen unwillkürlich durch die Ritze in dem Schirm nach dem verhüllten Bild. Der Mondschein ließ das Weiß des Lakens noch viel greller leuchten; ihm war, als sähe er den Glanz der fürchterlichen Augen durch das Linnen dringen. Erschrocken heftete er seinen Blick darauf, als wolle er sich überzeugen, daß dies törichter Wahn und Täuschung sei. Dann aber – darf er seinen Augen trauen? – sieht er auf einmal klar: das Laken ist verschwunden, das Bild hängt offen da und starrt, wie blind für alles andre ringsumher, geradeaus in sein Gesicht, durch sein Gesicht hindurch auf seiner Seele Grund . . . Es wird ihm kalt ums Herz. Er sieht: der fremde Alte dort im Bild bewegt sich, stützt die Hände auf den Rahmen, stemmt sich hoch und springt mit beiden Füßen aus dem Bild . . . Tschartkow sieht durch die Ritze in dem Schirm nur noch den leeren Rahmen. Ein schwerer Schritt tappt durch das Zimmer und schreitet langsam, langsam auf den Bettschirm zu. Dem armen Künstler klopft das Herz im Halse. Mit angehaltenem Atem lauscht er zitternd – gleich schaut er um den Schirm herum auf ihn, der unheimliche alte Mann. Sieh, dort – da starrt er ihn schon an mit seinem bronzebraunen Gesicht und rollt die aufgerissenen Augen. Tschartkow will schreien – er hat keine Stimme mehr; er will sich rühren, ach, nur einen Finger rühren – die Glieder weigern ihm den Dienst. Mit offenem Mund und angehaltenem Atem sah er auf diese seltsame Erscheinung, um deren hohen Leib eine Art faltenreiche Kutte asiatischen Charakters wallte; bang harrte er, was werden würde. Der Alte hockte sich zu seinen Füßen nieder und holte etwas aus den Falten seines wallenden Gewandes. Es war ein Sack. Der Fremde löste dessen Schnur, ergriff ihn an den beiden Zipfeln und schüttelte ihn aus: mit dumpfem Dröhnen fielen schwere Rollen auf den Boden, welche langen, dünnen Säulen glichen. Sie waren eine wie die andere in blaues Packpapier gehüllt, auf einer wie der andern stand geschrieben: »1000 Dukaten«. Der Fremde reckte seine langen, knochigen Hände aus den weiten Ärmeln und machte sich daran, die Rollen aufzuwickeln. Es funkelte von Gold. So schwer das Herz des Malers war und ob die Angst ihm auch fast das Bewusstsein raubte – er konnte seinen Blick nicht von dem Golde reißen; er sah, wie es von knochigen Fingern ausgewickelt wurde, wie es im Mondlicht glitzerte und klingelte und klapperte, und – wieder eingewickelt wurde. Auf einmal sah er eine Rolle, die von den andern fortgekollert war und unter ihm zu Häupten seines Bettes an der Erde lag. Gleichsam von einem Krampf gepackt, hob er die Rolle auf und schielte dabei voll Entsetzen nach dem Fremden, ob der es auch nicht sähe. Doch der alte Mann schien ganz vertieft in seine Tätigkeit; er raffte seine Rollen wieder in den Sack, und dann verschwand er, ohne Tschartkow einen Blick zu schenken, hinter dem Schirm, wie er gekommen war. Das Herz des Malers pochte fürchterlich, da er dem Klang der Schritte lauschte, die sich langsam, langsam zu entfernen schienen. Er krampfte seine Finger fester um die Rolle und zitterte am ganzen Leib für seine Beute. Da plötzlich hört er, wie die Schritte wieder näher kommen – dem Fremden ist wohl eingefallen, daß die eine Rolle fehlt. Da, da – er funkelt ihn um den Schirm herum mit bösen Augen an! Verzweifelt preßt der Maler seine Hand aus allen Kräften um die Rolle und müht sich wütend ab, ein Glied zu rühren; ein Schrei entringt sich seiner Brust, er – ist erwacht.
Der kalte Schweiß rinnt ihm herab, sein Herz schlägt so gewaltig, wie ein erregtes Menschenherz nur schlagen kann, es liegt ein Druck auf seiner Brust, als müsse er sogleich den letzten Atemzug verhauchen. »Soll das ein Traum gewesen sein?« fragt er und faßt sich mit den Händen an den Kopf. Aber die furchtbare Lebendigkeit des Fremden hatte nichts Traumhaftes gehabt. War er denn nicht schon wach gewesen, als die Erscheinung wieder in den Rahmen stieg; ja, wehte dort nicht immer noch ein Zipfel des wallenden Gewandes durch die Luft? Und spürte er es denn nicht deutlich in der Hand, daß er darin vor einem Augenblick erst einen schweren Gegenstand gehalten hatte? Das Mondlicht füllte das Atelier und ließ in dessen finsteren Winkeln hier und dort bald dies, bald jenes aus dem Dunkel treten. Hier ein Stück Linnen und dort gipsern weiß den Abguss einer Hand, hier eine über einen Stuhl geworfene Draperie, dort eine alte Hose, ein Paar ungeputzte Stiefel . . . – Plötzlich bemerkte Tschartkow, daß er gar nicht im Bette lag – er stand auf seinen Füßen dicht vor dem seltsamen Porträt. Wie er dahin gekommen war, schien ihm vollkommen unverständlich. Noch staunenswerter aber war es, daß das Bildnis unverhüllt und offen hing und daß das Laken ohne Spur verschwunden war. Starr vor Schrecken sah er auf das Porträt und fühlte sich durchbohrt von diesen fürchterlich lebendigen Menschenaugen. Kalt rann der Schweiß von seiner Stirn; er wollte fliehen, aber seine Füße hafteten am Boden. Er sieht – es ist kein Traum –, wie sich das Antlitz des alten Mannes dort im Bilde regt, wie sich die schmalen Lippen ihm entgegenspitzen, um ihm das Blut aus seinem Leib zu saugen . . . Mit einem wilden Angstgeheul springt er zurück und – ist erwacht.
›Soll denn auch das ein Traum gewesen sein?‹ Sein Herz schlug zum Zerspringen; er tastete mit beiden Händen um sich her. Jawohl, er lag im Bett, genau noch in der Haltung, wie er eingeschlafen war. Da vor ihm stand der Schirm; der Mondschein füllte das Gemach. Und durch die Ritze in dem Schirm sah er auch das Porträt, vom Laken eingehüllt, wie sich's gehörte, wie er es mit eigener Hand verborgen hatte. Also war dies wieder nur ein Traum gewesen! Doch in der festgekrampften Hand blieb ihm noch immer die Empfindung, als hätte er vor einem Augenblick etwas darin gehabt. Sein Herz pocht heftig, beinah unerträglich, eine fürchterliche Bürde lastet auf seiner Brust. Er lauert durch die Ritze in dem Schirm und kann den Blick nicht von dem Laken wenden. Da sieht er deutlich, wie sich das weiße Tuch verschiebt als regten sich darunter Hände und mühten sich, es abzuwerfen. »Herr, du mein Gott, was ist das!« schreit er auf und – ist erwacht.
›So war auch das ein Traum gewesen?‹ Er sprang aus seinem Bett, verstört und halb von Sinnen. Er wußte nicht, wie ihm geschah. War das ein Alpdruck, war's ein Geisterspuk, war es nur Fieberphantasie, war es ein wirkliches Gespenst? Um seine seelische Erregung ein wenig zu beruhigen, sein aufgepeitschtes Blut, das ihm in wilden Schlägen durch die Adern pulste, abzukühlen, sprang er vom Bette auf und öffnete das Fenster. Der kalte, frische Wind belebte ihn. Der Mondschein lag noch immer auf den Dächern und den weißen Mauern, wenngleich die hellen Wolken mählich dichter an dem Himmelszelt hinsegelten. Es war ganz still; nur hier und da drang fern aus einer engen Gasse das Rasseln einer Droschke an sein Ohr, auf der, sanft eingelullt vom faulen Trotte seiner Mähre, der Kutscher schlief und eines späten Fahrgasts harrte. Lange sah Tschartkow aus dem Fenster. Schon wuchs am Himmelsrand das erste Morgenrot. Endlich gewann die Müdigkeit Gewalt, er schlug das Fenster zu, kroch wieder in sein Bett und schlief, kaum daß er lag, schon wie ein Toter, schwer und fest.
Als er erwachte, war es hoch am Tag. Er fühlte sich wie einer, der Kohlendunst geatmet hat, und hatte fürchterliches Kopfweh. Die Luft im Atelier war dumpf und von der widerlichen Feuchtigkeit geschwängert, die schwer durch alle Fensterritzen drang. Bilder und untermalte Leinwanden auf Staffeleien verstellten dem Morgenlicht den Weg. Finster und trübselig wie ein begossener Pudel saß Tschartkow lange auf dem abgewetzten Diwan. Er hatte zu nichts Lust und wußte nicht, was er beginnen solle. Auf einmal kam der Traum von heute nacht ihm wieder in den Sinn. Und wie er ihn sich Stück für Stück zurückrief, wurde dieser Traum in seiner Phantasie so peinigend lebendig, daß ihn ein Zweifel ankam, ob es in der Tat bloß Traum und Fieberwahn gewesen sei, ob sich dahinter nicht noch etwas andres berge, ob er nicht wirklich einen Geist gesehen hätte. Er riß das Laken von dem Bild und musterte das seltsame Porträt noch einmal ganz genau bei Tageslicht. Wohl zeigten diese Augen eine erstaunliche Lebendigkeit, doch fand er jetzt nicht mehr, daß sie gar so entsetzlich wären. Nur ein gewisses Unbehagen, das er sich nicht erklären konnte, lag nach wie vor auf seiner Seele. Und dabei war er immer noch nicht völlig überzeugt, daß alles nur ein Traum gewesen sei. Ihn wollte es bedünken, als hätte in dem Traum irgendwie ein Stückchen Wirklichkeit gesteckt. Ihn wollte es bedünken, als läge schon im Blick und in der Miene des alten Mannes auf dem Bild so etwas wie ein Mahnen daran, daß er in dieser Nacht bei ihm gewesen sei. Und in der Hand blieb ihm noch immer die Empfindung, als hätte eben erst ein schwerer Gegenstand darin geruht, der ihm entrissen worden wäre. Ihn wollte es bedünken, daß er die Rolle nur ein wenig fester hätte halten müssen, dann wäre sie nach dem Erwachen noch in seiner Hand gewesen.
»Ach Gott! Wenn ich nur einen Teil von diesem Gelde hätte!« rief er und seufzte schwer. Er sah im Geiste wiederum, wie aus dem Sacke all die vielen Rollen mit der verführerischen Inschrift »1000 Dukaten« auf den Boden fielen. Die Rollen wurden aufgewickelt, und es funkelte von Gold, sie wurden wieder eingewickelt – er saß und bohrte seine Augen starr und sinnlos in die leere Luft, gleich einem Kind, das vor der süßen Speise sitzt und, während ihm das Wasser im Mund zusammenläuft, verzweifelt zusehen muß, wie andere die guten Dinge schnabulieren und ihm nicht einen Brocken übriglassen. Schließlich ließ ein Pochen an der Türe den Maler erschrocken aus der Träumerei auffahren. Es war der Hauswirt. Mit ihm kam der Polizeiwachtmeister, welcher kleinen Leuten, wie bekannt, ein noch viel unwillkommenerer Gast ist als einem reichen Herrn ein Bettelmann. Der Herr des kleinen Hauses, in dem Tschartkow lebte, war eines von den Lebewesen, wie es in jenen Gegenden der fünfzehnten Querstraße der Wassilij-Insel oder am Petersburger Ufer oder im dunkelsten Kolomna die Hausbesitzer meistens sind – ein Lebewesen von der Art, wie es in Russland viele gibt, nach seinen Eigenschaften fast so schwer zu definieren wie ein verschlissener Überrock nach seiner Farbe. In seiner Jugend war er Hauptmann irgendwo in einem Linienregiment gewesen und hatte dort das Maul gewaltig aufgerissen, auch im Zivildienst war er dann verwendet worden, er hatte es ganz meisterhaft verstanden, die Untergebenen durchzuprügeln, war recht ein Hansdampf in allen Gassen, ein prahlerischer Geck und nebenbei ein dummer Kerl gewesen; nun, da er alt war, mischten sich alle diese Eigenheiten in ihm zu einem trüben Brei. Er war jetzt Witwer und schon lange pensioniert, vom Stutzer war nichts mehr an ihm zu merken, er riß das Maul nicht mehr so furchtbar auf und suchte nicht mehr Händel, er trank nur leidenschaftlich Tee und schwätzte dazu das allerdümmste Zeug; er ging im Zimmer auf und ab und schnäuzte sorgfältig das Talglicht. An jedem Ersten trieb er bei den Hausbewohnern pünktlich den Mietzins ein, ging häufig mit dem Schlüsselbunde in der Hand vors Haus hinaus und schaute nach dem Dach hinauf; er jagte täglich mehrmals den Hausmeister aus seiner engen Klause, wenn der gerade ein klein bißchen duseln wollte – kurzum, er war der richtige Pensionist, dem von dem einstigen liederlichen Leben, das ihn auf allen Poststraßen herumgeschüttelt hatte, nur ein paar üble Angewohnheiten zurückgeblieben waren.
»Wollen Sie sich gefälligst selber überzeugen, Herr Wachtmeister«, begann der Hauswirt, seine flachen Hände vor sich ausgestreckt, »er zahlt die Miete nicht, er zahlt und zahlt sie nicht!«
»Ja, wenn ich jetzt kein Geld hab . . .! Ach, gedulden Sie sich doch, ich werd schon zahlen.«
»Ich kann mich jetzt nicht mehr gedulden, werter Herr«, sagte der Hauswirt ärgerlich und klapperte mit seinem Schlüsselbund. »In meinem Hause wohnt der Oberstleutnant Potogonkin seit sieben Jahren schon und dann noch die Frau Buchmeister, Wohnung, Stall für zwei Pferde und Remise, drei Dienstboten hat diese Dame – ja, sehn Sie, solche Leute wohnen hier im Haus! Ehrlich gesprochen, bester Herr, das ist bei mir nicht eingeführt, daß man die Miete schuldig bleibt. Bezahlen Sie mich freundlichst auf der Stelle und scheren Sie sich dann sofort aus meinem Haus!«
»Ja, wenn es einmal abgemacht ist, müssen Sie natürlich zahlen«, sagte der Wachtmeister mit einem leisen Kopfschütteln und schob den Daumen zwischen zwei Knöpfe seines Waffenrocks.
»Fragt sich nur, wie! Ich hab zur Zeit nicht einen Groschen.«
»Dann könnten Sie den Hausherrn ja statt dessen durch Produkte Ihrer Tätigkeit entschädigen«, erwiderte der Wachtmeister. »Vielleicht nimmt er auch Bilder an.«
»Nein, lieber Freund, für Bilder danke ich. Ja, wenn es sich um Bilder handeln würde, die etwas vorstellen, daß man sie bei sich an die Wände hängen kann, zum Beispiel einen General mit einem Ordensstern oder ein Porträt von Seiner Durchlaucht Fürst Kutusow. Was malt er aber? Diesen Bauernlümmel da im Hemd, den sogenannten Diener, der ihm die Farben reibt! Das Schwein noch porträtieren, ja, das ist mir schon das Wahre! Dem Burschen hau ich den Buckel voll, er hat mir alle Nägel aus den Riegeln herausgezupft, das Diebsgesicht! – Nein, sehn Sie nur, was er für Sachen macht: malt da sein Zimmer ab. Ich wollte noch nichts sagen, wenn der Mensch ein ordentliches, aufgeräumtes Zimmer malen wollte. Aber er malt es ja so ab mit allem Schmutz und Unrat, der sich da umhertreibt. Sehn Sie nur, wie er mein Zimmer eingeschmutzt hat; sehn Sie das nur selber an! In meinem Haus, wo Obersten seit sieben Jahren wohnen und wo eine Dame, wie Frau Buchmeister . . . Nein, nein, ich kann nur sagen: so ein Maler ist als Mieter schon das Schlimmste – lebt ganz einfach wie ein Schwein, lebt wie . . . Gott soll mich schützen!«
Das alles mußte unser Maler fein geduldig über sich ergehen lassen. Der Wachtmeister war unterdes damit beschäftigt, die Skizzen und Gemälde näher zu betrachten. Man sah sofort, er war lebendigeren Geistes als der Hausherr und selbst den Wirkungen der Kunst nicht ganz verschlossen.
»Hm«, sagte er und stupste mit dem Zeigefinger gegen eine Leinwand auf der ein nacktes Frauenzimmer dargestellt war, »immerhin, der Vorwurf von dem Bild hier ist recht . . . interessant. – Und warum ist der Mann dort unter seiner Nase denn so schwarz? Hat er sich da mit Schnupftabak bekleckert?«
»Nein, das ist ein Scharten«, sagte Tschartkow kurz und grimmig, ohne aufzuschauen.
»Na, den hätten Sie doch lieber anderswohin malen sollen, unter der Nase fällt er zu sehr auf«, sagte der Wachtmeister. »Und das? Wer ist denn das?« so fuhr er fort und trat vor das Porträt des alten Mannes. »Der sieht ja zum Erschrecken aus. Hat er in Wirklichkeit so schrecklich ausgesehen? Herrgott, er starrt einen ja richtig an! Puh, so ein unheimlicher Kerl! Nach wem ist denn das Bild gemalt?«
»Ach nein, das ist . . .«, begann der Maler; weiter aber kam er nicht, denn es erscholl ein Krachen. Der Wachtmeister mit den grobschlächtigen Polizistenfäusten hatte den Rahmen wohl zu heftig angefaßt, die Seitenbrettchen brachen ein, das eine fiel zu Boden, und zugleich, dumpf klirrend, eine Rolle in blauem Packpapier. Die Inschrift auf der Hülle »1000 Dukaten« stach unserm Maler in die Augen. Fast wie von Sinnen, stürzte er herzu, raffte die Rolle von der Erde auf und krampfte seine Faust darum, die durch das Schwergewicht des Goldes unwillkürlich abwärts sank.
»Hat da nicht Geld geklimpert?« fragte der Wachtmeister, der etwas hatte fallen hören, doch nicht unterscheiden konnte, was es war, weil Tschartkow es so schnell an sich gerissen hatte.
»Das geht Sie gar nichts an, was ich da habe!« sagte Tschartkow.
»Das geht mich nämlich insofern schon etwas an, als Sie sofort die Miete für die Wohnung zahlen werden. Sie haben Geld und wollen bloß nicht zahlen. Ja, so ist die Sache, werter Herr.«
»Gut, ich bezahl ihn heute noch.«
»Na, und weswegen wollten Sie nicht gleich bezahlen, he? Was müssen Sie den Hauswirt da in Unruhe versetzen und der Polizei erst Schererei und Arbeit machen?«
»Ich wollte dieses Geld nicht anbrechen. Noch heute Abend geb ich ihm die ganze Summe, und morgen zieh ich aus, weil ich bei einem solchen Wirt nicht länger wohnen will.«
»Na, Herr, er wird also bezahlen«, sagte der Wachtmeister zum Hausbesitzer. »Wenn nun aber die Geschichte nicht bis heute Abend, wie sich's gehört, bereinigt ist, dann tut es mir sehr leid, Herr Kunstmaler . . .« Sprach es und drückte würdevoll den Dreimaster aufs Haupt und stelzte aus dem Atelier, gefolgt vom Wirt, der sich gesenkten Kopfes, scheinbar in zweifelnden Erwägungen, zur Tür hinausschob.
»Gott sei Dank, daß sie der Teufel nun geholt hat!« rief der Maler, als die Gangtür zufiel.
Er schaute in das Vorzimmer hinaus und schickte seinen Diener mit irgendeinem Auftrag fort, um ganz allein zu sein. Die Türe wurde hinter ihm verschlossen, der Maler eilte wieder in sein Atelier und wickelte mit starkem Herzklopfen die Rolle auf. Es waren lauter goldene Dukaten darin, ein jeder nagelneu und leuchtend wie das helle Feuer. Fast wie von Sinnen saß er vor dem Haufen Gold und fragte sich nur immer wieder: Ist es denn kein Traum? Es waren wohlgezählte tausend Stück; die Rolle glich genau den vielen Rollen, die er heute nacht im Traum gesehen hatte. Er klimperte ein Weilchen mit den Münzen und musterte sie Stück für Stück und konnte immer noch nicht richtig zur Besinnung kommen. In seiner Phantasie erwachten allerlei Geschichten von verborgenen Schätzen, die ihm berichtet worden waren, von Schränken mit Geheimfächern, in die vorsichtige Ahnen große Summen für ihre Nachkommen versteckt hatten, fest überzeugt davon, daß auch für ihre Enkel einmal Zeiten schwerer Not anbrechen müßten. Und er dachte sich: ›Am Ende hat auch hier ein Großvater solch einen Schatz für seinen Enkel hinterlassen wollen und ihn zu dem Zweck im Rahmen eines Familienbildnisses versteckt.‹ Er kam sogar auf den phantastischen Gedanken, es könne hierin ein geheimnisvoller Zusammenhang mit seinem eigenen Schicksal walten, die Existenz dieses Porträts sei irgendwie mit seiner eigenen Existenz verknüpft, und eine ganz besondere Fügung hätte ihn veranlaßt, es zu kaufen. Neugierig untersuchte er den Rahmen des Porträts. Auf einer Seite war da eine Rinne eingekehlt, die durch ein kleines Brett so kunstvoll und unsichtbar überdeckt war, daß die Dukaten sicher bis zum Ende aller Zeit in dem Versteck geblieben wären, hätte nicht des Wachtmeisters massiver Fingerdruck das Brett zertrümmert. Tschartkow sah das Bild noch einmal an und mußte staunen ob der meisterhaften Arbeit; namentlich die Augen waren wunderbar gemalt. Sie deuchten ihn jetzt nicht mehr unheimlich, und dennoch überschlich vor ihnen seine Seele wider Willen immer wieder das eigene Gefühl von leichter Angst. »Nein«, sprach er, zu dem Bild gewendet, »sei der Großvater von wem du willst, ich setz dich unter Glas und geb dir einen goldnen Rahmen.« Dabei stieß seine Hand zufällig an den Haufen Gold, der vor ihm lag, und er erzitterte vor der Berührung. ›Was tu ich mit dem Gelde?‹ dachte er und sah es zweifelnd an. ›Jetzt ist für mich gesorgt auf mindestens drei Jahre, und ich kann mich in mein Atelier verschließen und tüchtig arbeiten. Ich hab genügend Geld für Farben; ich hab genügend Geld für Essen, Trinken, Unterhalt und Wohnung; kein Gläubiger wird mich jetzt stören und mir mit ledernem Geschwätz die Stunden stehlen. Ich kauf mir einen guten Gliedermann und einen Gipstorso, ich lasse mir die schönsten Füße abformen, ich stell mir eine Venus in die Ecke und hänge Stiche nach den herrlichsten Gemälden an die Wand. Wenn ich drei volle Jahre still für mich arbeiten kann, ganz ohne Hetzerei und ohne an den Markt zu denken, dann stecke ich sie alle in den Sack und werde noch ein Künstler, der sich sehen lassen darf.‹
So sprach die ruhig wägende Vernunft aus ihm; jedoch in seinem Inneren erklang noch eine andre Stimme, und die wurde immer hörbarer und stärker. Und als er dann von neuem nach dem Golde sah, gewannen seine zweiundzwanzig Jahre und seine leichtentflammte Jugend schnell die Oberhand. Jetzt konnte er sich alles leisten, was er bis heute nur von fern mit neiderfüllten Blicken hatte mustern dürfen, indessen ihm das Wasser vor Begier im Mund zusammenlief! Ach, wie sein Herz bei dem Gedanken klopfte! Modische Kleider anziehen, seinem Magen nach dem langen Fasten etwas Gutes gönnen, eine feine Wohnung mieten, und dann schleunigst ins Theater, in die Konditorei und weiß der liebe Gott wohin noch sonst . . . Er scharrte schnell das Geld zusammen und war im nächsten Augenblick schon auf der Straße.
Vor allen Dingen eilte er zum Schneider, und als er dann vom Kopf bis zu den Füßen neu gekleidet war, bestaunte er sich selber wie ein Kind und konnte sich darin gar nicht genugtun. Er kaufte sich wohlriechende Essenzen und Pomaden und mietete sich, ohne lange nach dem Preis zu fragen, auf dem Newski Prospekt die erste beste elegante Wohnung mit herrlichen Trumeaus und Spiegelscheiben. Er kaufte wie im Traum in einem Laden ein kostbares Lorgnon, in einem andern Laden eine Menge Halsbinden, viel mehr, als er brauchen konnte, er ging zu einem Coiffeur und ließ sich Locken brennen, er machte ohne Zweck und Ziel in einer feinen Mietkalesche zwei Bummelfahrten durch die Stadt, er schlug sich in der Konditorei bis an den Hals mit Süßigkeiten voll und ging ins Restaurant Français, das ihn bisher genauso fern und märchenhaft gedeucht hatte wie das Chinesenreich. Dort setzte er sich in sehr sicherer Haltung zum Diner, musterte all die andern Gäste mit erhabner Miene, schielte ununterbrochen in den Spiegel und strich seine schön gebrannten Locken. Dazu trank er Champagner, den er bisher auch nur vom Hörensagen kannte. Ihm wurde von dem Wein ein wenig wirbelig im Kopf; als er darnach ins Freie trat, war er sehr unternehmend aufgelegt, so in der richtigen Hol's-der-Teufel-Stimmung, wie man in Russland sagt. Erhobenen Hauptes promenierte er dahin und musterte die Leute durchs Lorgnon. Als er die Brücke überschritt, begegnete ihm dort sein früherer Professor; doch Tschartkow drückte sich gewandt an ihm vorbei, wie wenn er ihn nicht sähe. Förmlich versteint vor Überraschung stand der Professor eine ganze Weile reglos auf der Brücke, und sein Gesicht war nur ein einziges Fragezeichen.
Tschartkow ließ alle seine Sachen und den ganzen Kram, Leinwanden, Staffeleien noch an dem gleichen Abend in die neue elegante Wohnung schaffen. Er stellte, was ihm gut gemalt schien, möglichst sichtbar hin und schubste alles Schlechte in die Ecke, dann ging er durch die eleganten Zimmer auf und ab und freute sich vor jedem Spiegel innig an der eigenen reizvollen Erscheinung. In seinem Innern wuchs der Wunsch zu unbezwinglicher Gewalt, sofort das Glück beim Schopf zu packen und sich dem großen Publikum zu präsentieren. Schon klang es ihm in beiden Ohren, wie die Leute schreien würden: »Tschartkow, Tschartkow! Ja, haben Sie das Bild von Tschartkow nicht gesehen? Der flotte Strich, den Tschartkow hat! Wie talentiert der Tschartkow ist!« In einem Taumel des Entzückens ging er durch die Zimmer und ließ seine Gedanken träumerisch ins Wesenlose schweifen. Am nächsten Tage tat er zehn Dukaten in sein Portemonnaie und ging, also gerüstet, zu dem Leiter einer viel gelesenen Zeitung. Den Mann bat er um seine edelmütige Hilfe. Der Journalist empfing ihn hocherfreut und nannte ihn sofort »Verehrter Meister«, er schüttelte ihm beide Hände, er notierte sich genauestens den Namen und die Wohnung, und tags darauf fand sich in seinem Blatte, gleich hinter der Beschreibung einer ingeniösen neuen Erfindung auf dem Gebiet der Talglichtfabrikation, ein Aufsatz mit der Überschrift: