- -
- 100%
- +

von
Anja Nöckel

eine Marke der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH
www.cfmueller.de
Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts › Herausgeber
Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Mark Deiters, Münster
Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen
Prof. Dr. Mark Zöller, Trier
Impressum
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
ISBN 978-3-8114-4422-5
E-Mail: kundenservice@hjr-verlag.de
Telefon: +49 6221/489-555
Telefax: +49 6221/489-410
(c) 2012 C.F. Müller, eine Marke der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH
Heidelberg, München, Landsberg, Frechen, Hamburg
Zugl.: Jena Univ., Diss., 2011
www.hjr-verlag.de
Hinweis des Verlages zum Urheberrecht und Digitalen Rechtemanagement (DRM) Der Verlag räumt Ihnen mit dem Kauf des ebooks das Recht ein, die Inhalte im Rahmen des geltenden Urheberrechts zu nutzen. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheherrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag schützt seine ebooks vor Missbrauch des Urheberrechts durch ein digitales Rechtemanagement. Bei Kauf im Webshop des Verlages werden die ebooks mit einem nicht sichtbaren digitalen Wasserzeichen individuell pro Nutzer signiert. Bei Kauf in anderen ebook-Webshops erfolgt die Signatur durch die Shopbetreiber. Angaben zu diesem DRM finden Sie auf den Seiten der jeweiligen Anbieter.
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis zum Mai 2011 berücksichtigt. Die erst danach als Band 1 dieser Reihe erschienene Habilitationsschrift von Marco Mansdörfer „Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts“ konnte daher leider nicht berücksichtigt werden. Zwar nehmen sowohl die Arbeit Mansdörfers als auch die hier vorliegende Dissertation die Überlegungen Alwarts zur Notwendigkeit einer Revision der Paradigmen des Wirtschaftsstrafrechts zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen, doch unterscheiden sie sich nicht nur in ihren Ergebnissen, sondern bereits hinsichtlich ihrer methodischen Herangehensweise. Während Mansdörfer einen Paradigmenwechsel durch einen „analytischen Individualismus“ vermeiden will, plädiert die hier vorliegende Arbeit für eine Ablösung von überkommenen Strukturen und eine Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Bezügen.
Ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Heiner Alwart für die Anregung des Dissertationsthemas und seine hervorragende wissenschaftliche Betreuung bei der Entstehung der Arbeit. Darüber hinaus danke ich ihm für seine stets engagierte und interessierte Unterstützung sowie die ermöglichten Freiräume zur Entfaltung meiner Überlegungen. Für die außerordentlich zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Dennis Bock.
Ich bedanke mich insbesondere auch bei Prof. Dr. Mark Deiters, Prof. Dr. Thomas Rotsch und Prof. Dr. Mark Zöller, welche die Aufnahme in die Reihe „Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht“ ermöglicht haben.
Danken möchte ich ebenfalls der Doktorandenschule und dem Forschungszentrum „Laboratorium Aufklärung“, die mich während des Entstehungsprozesses dieser Arbeit in vielfältiger Weise gefördert haben. Darüber hinaus danke ich für den großzügigen Druckkostenzuschuss, der mir aus dem Landesprogramm „ProExzellenz“ des Freistaates Thüringen gewährt worden ist.
Mein tiefster Dank gilt jedoch meinen Eltern, denen diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit gewidmet ist.
November 2011
Gera Anja Nöckel
„Die Konkurrenz innerhalb des Geschäfts regelt sich selber, die Konkurrenz von einem Punkt außerhalb der Geschäfts gleicht einem Wettrennen, bei dem jemand, der sich am Ausgangspunkt nicht mit aufgestellt hat, an späterer Stelle einspringt, um durch den Vorsprung, den er damit gewonnen hat, die legalen Bewerber, welche den ganzen Weg haben zurücklegen müssen, um ihren verdienten Lohn zu bringen.“
(Rudoplph von Ihering)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Teil 1 Einführung
I.Gegenstand der Untersuchung
II.Ziel der Untersuchung
III. Gang der Untersuchung
Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts
I.Versuche einer Bestimmung des materiellen Verbrechensbegriffs
1.Verletzung eines subjektiven Rechts
2.Verbrechen als Interessenverletzung
3.Sozialschädlichkeitslehre
4.Lehre vom Vertrauensschutz
5.Normgeltungslehre
6.Kumulationsdelikte
7.Verhaltensdelikte
8.„Harm Principle“ und „Offence Principle“
9.Rechtsgutslehre
a)Begriff des Rechtsguts
b)Kollektive und mediatisierte Zwischenrechtsgüter
c)Personale Rechtsgutslehre
d)Defizite der Rechtsgutslehre
e)Gegenwärtige Lage des Rechtsguts im Wirtschaftsstrafrecht
II.Rechtsgutsbegriff als hemmender Faktor des Wirtschaftsstrafrechts
1.„Rechtliche“ Funktion des Rechtsgutsbegriffs
a)Schutz der Wirtschaft
b)Schutz der Wirtschaftsordnung
c)Schutz der Sozialen Marktwirtschaft
aa)Wettbewerb als Grundstein der Wirtschaftsordnung
bb)Soziale Komponente
cc)Schutzfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft
2.„Vorstrafrechtliche“ Funktion des Rechtsguts
3.Regel als Strafwürdigkeitskriterium
III.Regelmodell des Marktwirtschaftsstrafrechts
1.Grundzüge des Regelmodells
2.Regeln als Ausdruck gesellschaftlicher Wert- und Verhaltensvorstellungen
3.Regeln der Sozialen Marktwirtschaft
4.Voraussetzungen des Regelsystems
5.Reaktion auf Regelverletzungen
6.Affirmation marktwirtschaftlicher Regeln
IV.Umfang des Marktwirtschaftsstrafrechts
1.Abhängigkeit vom Wirtschaftssystem und Verortung in der Rechtsordnung
2.Legitimierbare Delikte
a)Tatbestand allgemeiner Wirtschaftsschädigung
b)Spezielle Deliktsgruppen
V.Zusammenfassung
Teil 3 Funktion des Marktwirtschaftsstrafrechts
I.Verhaltenssteuerung durch Strafrecht
1.Funktionen des Rechts
2.Grundzüge der sozialen Kontrolle
3.Strafrecht als Teilbereich der sozialen Kontrolle
4.Grundlagen der Verhaltenssteuerung
5.Verhaltenssteuerung durch Anreize
6.Steuerung der Wirtschaft
a)Historische Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts
b)Strafrecht und Wirtschaft in der Gegenwart
aa)Ausdehnung strafrechtlicher Steuerung
bb)Bestrebungen nach ökonomischer Selbstregulierung
cc)Positionierung eines modernen Wirtschaftsstrafrechts
c)Generalpräventive Anknüpfung des Wirtschaftsstrafrechts
II.Verhaltenssteuernde Funktion des Marktwirtschaftsstrafrechts
1.Theorie des psychologischen Zwangs
a)Begriff der Strafe
b)Aufbau der Straftheorie
c)Inhalt der Straftheorie
aa)Strafandrohung
bb)Strafexekution
d)Bedingungen und empirische Probleme
aa)Kenntnis der Norm
bb)Motivation durch die Norm
cc)Zugrundeliegendes Menschenbild
(1)Ablehnung eines Feuerbach‘schen Rationalismus
(2)Annahme eines Feuerbach‘schen Rationalismus
(3)Rationalismus im Wirtschaftsstrafrecht
dd)Einbeziehung in die Kalkulation
e)Eignung als Präventionsmittel
aa)Empirische Nachweisbarkeit
bb)Rechtsstaatliche Probleme
f)Bewertung
2.Aktualisierung der Theorie des psychologischen Zwangs
a)Grundsätzliche Überlegungen
aa)Kenntnis der Norm
bb)Rationalität, Motivierbarkeit, Einbeziehung
b)Bewertung der Nutzungsmöglichkeit
Teil 4 Grund des Marktwirtschaftsstrafrechts
I.Wissenschaftliche Bestimmbarkeit des Gegenstands des Strafbaren
II.Begriff der Strafwürdigkeit
1.Allgemeiner Sprachgebrauch
2.Überblick über Definitionsansätze
3.Eigenes Verständnis
III.Kriterien zur Bestimmung der Strafwürdigkeit
IV.Strafwürdige Regelverletzungen
1.Legitimationsmöglichkeit
2.Inhaltliche Präzisierung
3.Spezifischer ökonomischer Fairnessgedanke
V.Exemplarische Bestimmung der Strafwürdigkeit
1.Regelverletzung bei § 266 StGB
a)Notwendigkeit einer Pflichtverletzung
aa)Formelle Pflichten
bb)Materielle Pflichten
(1)BGH: Pflichtverletzung durch Anerkennungsprämie
(2)Literatur: Möglichkeit nachträglicher Vertragsänderung
b)Strafrecht und Vergütungsentscheidungen
aa)Strafrechtliche Bewertung des am Markt gebildeten Preises
bb)Vorliegen einer Regelverletzung
2.Regelverletzung bei § 299 StGB-E
a)Änderungen im Überblick
b)Kritik an der Reform
aa)Bruch der StGB-Systematik
bb)Nähe zur Untreue und abstrakte Gefährdung
cc)Vorverlagerung der Strafbarkeit
c)Stellungnahme
3.Regelverletzung bei § 299 StGB
a)Klassische Konstellation der Bestechung
aa)Grundform der Korruption
bb)Marktwirtschaftliche Regeln der Käuferbeeinflussung
(1)Regeln für Anbieter
(2)Regeln für Abnehmer
cc)Regelverletzung durch verschleierte Schmiergelder
b)Korkengeld-Fall des Reichsgerichts
aa)Marktwirtschaftliche Regeln der Verkäuferbeeinflussung
(1)Regelverletzung durch Geschäftsherren und Angestellte
(2)Regelverletzung durch Anbieter
bb)Konsequenzen einer marktwirtschaftsstrafrechtlichen Bewertung
4.Regelverletzung durch Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
a)Feststellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
b)Strafwürdigkeit des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
c)Konsequenzen für das Strafrecht
Teil 5 Grenzen des Marktwirtschaftsstrafrechts
I.Interne Grenzen
1.Fragmentarischer Charakter des Strafrechts
2.Strafrecht als ultima ratio
II.Externe Grenzen
1.Überblick
a)Wirtschaftsethik
b)Verhaltenskodizes, Corporate Governance und Compliance
c)Good Corporate Citizenship
d)Alternative Sanktionsmöglichkeiten
aa)Marktteilnehmer
bb)NGOs
cc)Staatliche Optionen
dd)Öffentlichkeit und Publizität
2.Stellungnahme
III.Feuerbachs Einfluss auf die Verhaltenssteuerung durch Wirtschaftsstrafrecht
IV.Abschluss
V.Thesen
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Teil 1 Einführung
Teil 1 Einführung › I. Gegenstand der Untersuchung
I. Gegenstand der Untersuchung
1
Die Suche nach Grund und Grenzen des Strafrechts ist ebenso zeitlos wie aktuell und bringt seit jeher die unterschiedlichsten Ergebnisse hervor. Naturgemäß werden die Fragen nach der Legitimation des Strafrechts dabei von der gesellschaftlichen Entwicklung beeinflusst, so dass sie nicht nur im Rahmen des „klassischen Kernstrafrechts“ gestellt werden, sondern darüber hinaus stets aktuelle Bedeutung erlangen. So sind es auch und gerade die hochkomplexen Strukturen der Wirtschaftsordnung, die sowohl das Selbstverständnis als auch die Wahrnehmung des Strafrechts oftmals zweifelhaft und sein Potential zur Verhaltenssteuerung nicht selten fraglich erscheinen lassen.
2
Die Bildung des Begriffs eines Marktwirtschaftsstrafrechts mag befremdlich wirken, erfreut sich doch „das Wirtschaftsstrafrecht“ seit mehreren Jahrzehnten nicht nur wachsender gesellschaftlicher Bedeutung, sondern bildet auch den Bereich des Sanktionen auferlegenden Rechts, der wohl der stärksten Kritik unterworfen ist. Dabei werden oft am Einzelfall zunächst die richterliche Entscheidung, dann prozessuale Unzulänglichkeiten und letztlich grundlegende konzeptionelle Mängel im System des (Wirtschafts-)Strafrechts gerügt. Die entsprechenden Äußerungen erfolgen regelmäßig in Momenten großer öffentlicher Erregung und rein punktuell, weshalb es nach Kurzem zu einem Nachlassen des Entsetzens in der breiten Öffentlichkeit kommt. Bisweilen entsteht überdies der Eindruck, dass das Strafrecht Wirtschaftsstraffälle gern selbst derartig handhaben und allein der wirtschaftlichen Selbstregulierung überlassen würde. Abseits der oft unsachlichen medialen Diskussionen zeigt dies aber nur, wie schwer der Strafrechtswissenschaft ein angemessener Umgang mit dem Wirtschaftsstrafrecht fällt. Schwierigkeiten werden jedoch nicht erst in streitbaren Einzelfallentscheidungen, strafprozessualen Hindernissen, Problemen bei der Schaffung neuer Tatbestände oder der Diskussion um die Einordnung bestimmter Normen in das Strafgesetzbuch ersichtlich. Viel schwerwiegender, weil das Wirtschaftsstrafrecht erheblich lähmend, ist die noch immer bestehende und weitreichende Unklarheit seines dogmatischen Fundaments. Der Jahrzehnte währende Kampf um die Klärung des Begriffs selbst und der stete Versuch, dem Rechtsgutsbegriff Herr zu werden, machen letztlich nur deutlich, dass es die grundlegenden Überlegungen sind, die im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts zunächst zu Ende oder besser zu einem neuen Anfang geführt werden müssen.
Teil 1 Einführung › II. Ziel der Untersuchung
II. Ziel der Untersuchung
3
Forderungen nach klaren gesetzlichen Regelungen, die eine eindeutige Unterscheidung von strafwürdigem und rechtswidrigem aber straflosem Verhalten ermöglichen, können nur dann erfüllt werden, wenn dem Wirtschaftsstrafrecht eine feste dogmatische Basis gegeben wird.
4
Bisher ist der strafrechtstheoretische Hintergrund des Wirtschaftsstrafrechts jedoch weitgehend ungeklärt, feste Prinzipien, welche zur Bestimmung der Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens herangezogen werden, sind nicht vorhanden. Vielmehr erscheinen Urteilsbegründungen oft wie juristische Konstruktionen, welche ökonomische Fakten und die Dynamik wirtschaftlicher Abläufe weder er- noch anerkennen. Diese Fremdheit gegenüber dem Regelungsgegenstand führt zu einer zunehmenden Erosion des Strafrechts, das nicht selten als willkürlich und selektiv empfunden wird und in der Gesellschaft weder auf Verständnis noch genügende Akzeptanz trifft. Abseits aller speziellen materiellen und prozessualen Probleme, welche die Integration des Wirtschaftsstrafrechts in die vorhandene Dogmatik auslöste, stellt dieser Mangel an dogmatischer Festigkeit und Legitimation die größte Schwierigkeit im Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten dar. Das vielfache Hinterfragen der Legitimierbarkeit und Legitimation strafrechtlicher Reaktionen auf wirtschaftliches Fehlverhalten ist dabei auch Spiegel und Ausdruck der Herausforderungen, welche die äußerst heterogenen Sachverhalte und Verhaltensweisen, die vom (Sammel-)Begriff des wirtschaftlichen Fehlverhaltens erfasst werden, an das Strafrecht stellen. Ebenso deutlich ist aber auch, dass das bisherige Vorgehen mit den üblichen strafrechtlichen Kriterien und Denkschritten keine zufriedenstellende Lösung für derartige Herausforderungen bietet. Diese Ausgangslage schafft also Bedarf für eine Untersuchung alternativer Legitimationsmöglichkeiten des Wirtschaftsstrafrechts, wobei an den der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegenden Prinzipien der Fairness und Chancengleichheit angesetzt wird. Da die Rechtsgutslehre allein nicht in der Lage ist, die Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens zu begründen, wird mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht die Begründungsmöglichkeit der dogmatischen Basis abseits des Rechtsgutsbegriffs im Kriterium der Regelverletzung gesucht. Gleichzeitig wird der Gegenstand, der von diesem Rechtsgebiet Regulierung erfahren soll, in den Mittelpunkt des Gedankengangs gestellt. Für das Marktwirtschaftsstrafrecht als Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts ist es daher die Soziale Marktwirtschaft, die den Ausgangs- und Bezugspunkt aller Betrachtungen und Bewertungen zu bilden hat.
5
Ziel dieser Verknüpfung ist es, dem Wirtschaftsstrafrecht ein Fundament zu schaffen, das es ihm ermöglicht, seiner gesellschaftlichen Steuerungsfunktion als Ordnungsfaktor nachzukommen. Konsequenzen wird diese Orientierung an der zu regelnden Wirtschaftsordnung jedoch nicht nur für die Legitimation des Wirtschaftsstrafrechts haben, sondern ebenso für die Untersuchung seiner Funktion in der Gesellschaft sowie seine Begrenzung. Mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht erfolgt der Entwurf eines Strafwürdigkeitsmodells, das gerade dort, wo die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen und Verhaltensweisen an der Grenze von Moral und Anstand mit einem tradierten Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts nicht überzeugend erfasst werden können, einen nicht vor einer Loslösung von obsoleten Dogmen scheuenden Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten ermöglicht. Die dazu erfolgende Einbettung des Wirtschaftsstrafrechts in die gegenwärtige Wirtschaftsordnung, das System der Sozialen Marktwirtschaft, soll dabei helfen, den materiellen Grund der strafrechtlichen Sanktionierung wirtschaftlichen Fehlverhaltens deutlich zu machen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf einen regelbasierten Wettbewerb zu lenken. Obwohl dazu immer wieder wirtschaftliche Bezüge hergestellt werden müssen, die für das Verständnis unerlässlich sind, wird in der gesamten Untersuchung stets das Strafrecht im Vordergrund stehen. Dabei soll es, anknüpfend an die Theorie des psychologischen Zwangs von Paul Johann Anselm von Feuerbach, vor allem um die negativ-generalpräventive Wirkung von gesetzlichen Strafdrohungen auf potentiell strafwürdig handelnde Wirtschaftssubjekte gehen. Feuerbachs generalpräventive Ideen lassen starke Bezüge zu ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkulationen erkennen, so dass eine Verbindung mit der Steuerung wirtschaftlichen Fehlverhaltens naheliegend erscheint. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Annahme, dass der ökonomisches Handeln prägende Maßstab der Kosten-Nutzen-Kalkulation auf wirtschaftliches Fehlverhalten übertragbar ist und die Entscheidung des potentiellen Wirtschaftsstraftäters über die gesetzliche Strafandrohung durch eine Erhöhung der Straftatkosten beeinflusst werden kann.
6
Da die Rechtfertigung strafrechtlichen Eingreifens untrennbar mit seinen gesellschaftlichen Aufgaben verknüpft ist, wird dabei deutlich werden, dass die Frage der Legitimierbarkeit stets mit der Verortung von Grenzen verbunden ist. Aufgezeigt wird aber auch, dass die Klärung der Grenzen des Strafrechts auch die Befassung mit seiner Legitimationsgrundlage erfordert. Die Verbindung des durch Aktualität geprägten Wirtschaftsstrafrechts mit einer gut 200 Jahre alten Straftheorie soll jedoch nicht erschöpfende rechtshistorische Ausführungen zum Gegenstand haben, sondern einzelne Grundzüge der psychologischen Zwangstheorie aufnehmen und für das Wirtschaftsstrafrecht aktualisieren.
7
Unumgänglich ist dabei nicht einfach nur das ursprüngliche Modell Feuerbachs zu übernehmen, sondern auch Kritik an seinem Konzept und Entwicklungen der Strafrechtstheorie seit seiner Schaffenszeit zu berücksichtigen. Dazu wird aufgezeigt, dass die Gedanken Feuerbachs durch ein entsprechendes Bewusstsein in einem aktuellen inhaltlichen Kontext für die Gegenwart in gewinnbringender Weise nutzbar gemacht werden können. Gleichwohl eröffnet der Versuch, ein ganzes Rechtsgebiet über ein rechtsgutsfernes Kriterium zu legitimieren, mehr Fragen, als im hier gegebenen Umfang beantwortet werden können. Das Ziel der Arbeit besteht daher ihrem Titel folgend in einer Legitimation und Begrenzung des Marktwirtschaftsstrafrechts. Da weder das tradierte Rechtsgutsdogma noch eine der sonstigen, bisher zur Begründung des Strafrechts angeführten Argumentationen wirtschaftsstrafrechtliches Intervenieren umfassend begründen konnten, wird zur Legitimierung des Marktwirtschaftsstrafrechts das von Alwart eingeführte Regelmodell herangezogen. Zur Begründung der Strafwürdigkeit stellt dieses Regelmodell auf die der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegende Chancenstruktur sowie das Gebot der Fairness im wirtschaftlichen Wettbewerb ab. Zur Verdeutlichung der Vorzüge dieses Strafwürdigkeitsmodells wird die Verknüpfung der marktwirtschaftlichen Regelstrukturen mit strafrechtlicher Dogmatik anhand exemplarisch gewählter Problemstellungen nachvollzogen. Gleichzeitig wird so gezeigt, dass die Zukunft des Wirtschaftsstrafrechts weder in den von Teilen der Literatur vorgebrachten Forderungen nach einer Reduzierung des Strafrechts auf einen Kernbereich, noch in einer dogmatisch nicht verwurzelten Ausrichtung an den Bedürfnissen der Praxis liegt. Die in einem Teilbereich des Wirtschaftsstrafrechts angestrebte Revision der wirtschaftsstrafrechtlichen Dogmatik soll durch einen neuen Blickwinkel eine bewusste Öffnung für die Wirtschaftsordnung und die durch sie gestellten Anforderungen ermöglichen. Es wird also nicht um vereinzelte Randkorrekturen oder die Abbildung exakter Grenzen der Strafwürdigkeit, sondern um grundlegende Fragen der Legitimations- und Steuerungsmöglichkeiten des Strafrechts gehen. Damit bietet die vorliegende Arbeit eine Grundlage für weitere Untersuchungen zum strafrechtlichen Umgang mit auf die Ausschaltung der ökonomischen Fairness gerichteten wirtschaftlichen Fehlverhalten.
Teil 1 Einführung › III. Gang der Untersuchung
III. Gang der Untersuchung
8
Die Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Im zweiten Teil wird der Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts entwickelt und inhaltlich präzisiert. Unter Berücksichtigung wirtschaftstheoretischer Grundlagen erfolgt dazu eine Auseinandersetzung mit der Rechtsgutslehre als Hemmnis des Wirtschaftsstrafrechts. Die dabei aufzuzeigenden Unvereinbarkeiten von strafrechtsdogmatischer Strenge und ökonomischer Offenheit münden in die Einführung der Regelverletzung als Kriterium der Strafwürdigkeit. Da sich auch wirtschaftliche Regeln nur aus einem bestimmten Zusammenhang erschließen, erfolgt der Entwurf eines Regelmodells unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen ökonomischen Fairnessgedankens, welcher dem System der Sozialen Marktwirtschaft immanent ist. Der so inhaltlich angereicherte Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts soll anschließend in seiner Bedeutung geschärft und dazu vom sonstigen (Wirtschafts-)Strafrecht abgegrenzt werden. Auf diese Weise werden zugleich Fundament und Kontext für die nachfolgenden Darstellungen bereitet.
9